VwGH Ra 2019/19/0193

VwGHRa 2019/19/019325.6.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des K H, vertreten durch Mag. Michael Schuszter, Rechtsanwalt in 7000 Eisenstadt, Esterhazyplatz 6a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2019, Zl. L524 2139566- 1/38E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §18 Abs1
AVG §46
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190193.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 26. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend gab er an, als irakischer Sunnit Angst vor den schiitischen Milizen zu haben. Sein Bruder sei bei einem Schussattentat ums Leben gekommen und seine Familie habe Drohbriefe erhalten.

2 Mit Bescheid vom 24. Oktober 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet ab. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

4 In der Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe die behaupteten Fluchtgründe, wonach er von schiitischen Milizen bedroht und auf ihn geschossen worden sei, angesichts einer Vielzahl von Widersprüchen und wiederholter Relativierung seiner Angaben nicht glaubhaft machen können. Eine generelle oder systematische Verfolgung von Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung im Herkunftsstaat sei nicht gegeben. 5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 6 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, die Beweiswürdigung sei unvertretbar, weil sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung beim Revisionswerber und deren Auswirkungen auf dessen Aussagefähigkeit und die Nachvollziehbarkeit seiner Angaben nicht auseinandergesetzt habe. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht nicht alle vorliegenden Beweismittel gewürdigt, insbesondere den vom Revisionswerber im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Totenschein des Bruders sowie einen Drohbrief unberücksichtigt gelassen. Darüber hinaus fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht in einem Fall wie dem gegenständlichen gehalten gewesen wäre, von Amts wegen Auslandserhebungen durch eine Vertrauensperson durchzuführen beziehungsweise eine informelle Befragung des Vaters des Revisionswerbers zwecks Klärung des Sachverhalts zumindest zu versuchen. Die Rechtsprechung zur Ermittlungstätigkeit im Herkunftsstaat sei nämlich gegenständlich deshalb nicht anwendbar, weil es nicht um Anfragen an Behörden des Herkunftsstaates gehe (Verweis auf VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100). Schließlich habe das Bundesverwaltungsgericht das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers in rechtlicher Hinsicht falsch beurteilt und für das Ergebnis der Interessenabwägung zwischen dem Fortbestehen dessen Privatlebens und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinn eines geordneten Fremdenwesens keine Begründung gegeben.

7 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 25.2.2019, Ra 2019/19/0017). Das Bundesverwaltungsgericht hat sich entgegen dem Revisionsvorbringen mit dem Vorliegen der posttraumatischen Belastungsstörung beim Revisionswerber und den möglichen Auswirkungen dieser auf sein Aussageverhalten auseinandergesetzt. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass die beweiswürdigenden Erwägungen zu den zahlreichen widersprüchlichen Angaben des Revisionswerbers unvertretbar wären.

8 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf sich das Verwaltungsgericht über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (VwGH 25.5.2016, Ra 2016/11/0038). Entgegen dem Revisionsvorbringen würdigte das Bundesverwaltungsgericht den vom Revisionswerber vorgelegten Drohbrief eingehend. Ein von der Revision erwähnter Totenschein betreffend den Bruder des Revisionswerbers liegt dem dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt nicht bei. In dem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die behauptete Tötung des Bruders bereits 2009 erfolgte und damit kein unmittelbar fluchtkausales Ereignis darstellt.

9 Soweit die Revision eine Verletzung des Amtswegigkeitsgrundsatzes geltend macht, ist ihr entgegenzuhalten, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens des Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht (vgl. hiezu ausführlich das schon vom Revisionswerber zitierte hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2015; im Gegensatz zu den Behauptungen im Zulassungsvorbringen beschränkt das zitierte Erkenntnis die Verpflichtung zur Recherche im Heimatstaat nicht nur in Ansehung von Behördenauskünften). Die (einzelfallbezogene) Beurteilung der Erforderlichkeit im Sinn des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 derartiger Erhebungen im Herkunftsstaat obliegt der ermittelnden Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0238). Angesichts der ausführlichen Würdigung des Vorbringens des Revisionswerbers durch das Bundesverwaltungsgericht ist nicht zu sehen, dass die vorgenommene Beurteilung der Erforderlichkeit amtswegiger Erhebungen im Herkunftsstaat fallbezogen unvertretbar wäre. Damit ist aber der erhobene Vorwurf, das Vorbringen des Revisionswerbers hätte durch Recherchen vor Ort überprüft werden müssen, unzulässig (VwGH 2.5.2018, Ra 2018/18/0159, mwN). 10 Soweit sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung wendet, ist darauf zu verweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 22.2.2018, Ra 2018/18/0037, mwN). Die vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung vorgenommene Interessenabwägung ist jedenfalls nicht als unvertretbar zu beurteilen. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass ihr ein Begründungsmangel anhaftet.

11 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 25. Juni 2019

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