Normen
AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019140356.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 6. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag mit Bescheid vom 9. Mai 2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde - nach Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. 4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht gehe davon aus, dass die vom Revisionswerber vorgebrachte Konversion zum Christentum bloß zum Schein erfolgt sei. Es stelle sich daher die Frage, ob auch eine nur zum Schein erfolgte Konversion zu asylrelevanter Verfolgung führen könne. Die Konversion vom Islam zu einer anderen Region gelte in Afghanistan als Apostasie. Jeder Konvertit erhalte nach islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte der Widerruf nicht erfolgen, so gelte die Enthauptung als angemessene Strafe. Soweit es die Entscheidung über den subsidiären Schutz betreffe, sei nicht berücksichtigt worden, dass der Revisionswerber in Afghanistan über kein soziales Netz verfüge. Nach den Richtlinien des UNHCR müsse "Voraussetzung für eine Rückkehr" auch sein, dass der Fremde mit den kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan vertraut sei. Davon könne aber wohl keine Rede sein, wenn sich der Betreffende - so wie der Revisionswerber - nur bis zum vierten Lebensjahr in Afghanistan aufgehalten habe. Weiters habe das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung durchzuführenden Interessenabwägung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) nicht die gebotene Gesamtbetrachtung vorgenommen. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner Rechtsprechung bereits darauf hingewiesen, dass nicht gesagt werden könne, eine in einem Zeitraum von zwei Jahren erlangte Integration könnte nie eine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen (Hinweis auf VwGH 26.3.2015, Ra 2014/22/0055). Indem das Bundesverwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Grundsätze für die Interessenabwägung durch Außerachtlassen einzelner Aspekte "wie Integration, soziale Tätigkeiten, Dauer des Aufenthalts etc" nicht beachtet habe, sei es von der Rechtsprechung abgewichen.
8 Nach der Rechtsprechung kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist. In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. VwGH 29.5.2019, Ra 2019/20/0230, mwN).
9 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich im angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer Verhandlung, in der es auch die beantragten Zeugenvernehmungen zum vorgebrachten Glaubenswechsel und zu den religiösen Aktivitäten des Revisionswerbers vorgenommen hat - mit dem Vorbringen zur Konversion ausführlich auseinander. Es ist zu der Auffassung gelangt, dass beim Revisionswerber eine innere Überzeugung in Bezug auf einen Glaubenswechsel nicht vorliege. Das wird in der Revision auch nicht weiter angegriffen.
10 Der Revisionswerber verweist auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Juni 2015, Ra 2014/01/0117. Darin hat der Verwaltungsgerichtshof wie folgt ausgeführt:
"Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt zur Frage einer drohenden Verfolgung von zum christlichen Glauben konvertierter Muslime - vor dem Hintergrund der Situation im Iran - Stellung genommen. Er hat dabei etwa im Erkenntnis vom 19. Dezember 2001, Zl. 2000/20/0369, fallbezogen festgehalten, die belangte Behörde sei nicht davon ausgegangen, dass der dortige Beschwerdeführer nur zum Schein konvertiert sei, weshalb es auf die Frage, welche Konsequenzen der (dortige) Beschwerdeführer wegen einer bloß vorübergehenden, der Asylerlangung dienenden Annahme des christlichen Glaubens zu befürchten habe, nicht ankomme. Vielmehr sei maßgeblich, ob er bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2005, Zl. 2003/20/0544, mwN).
Im vorliegenden Fall geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Revisionswerber nur zum Schein konvertiert sei. Zur Frage, welche Konsequenzen der Revisionswerber wegen einer bloß vorübergehenden, der Asylerlangung dienenden Annahme des christlichen Glaubens zu befürchten habe, hat das Bundesverwaltungsgericht weder Ermittlungen durchgeführt noch Feststellungen getroffen. Dem angefochtenen Erkenntnis, das überhaupt keine Länderfeststellungen zur Situation von Konvertiten in Afghanistan enthält, lässt sich daher nicht entnehmen, dass eine bloß vorübergehende, der Asylerlangung dienende Annahme des christlichen Glaubens von staatlicher Seite oder von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung nach sich zieht.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht ausführt, es seien ‚keine weiteren Umstände hervorgekommen, dass die erfolgte Konversion ... den Behörden des Heimatstaates bekannt geworden' sei, ist dem angefochtenen Erkenntnis eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den gegenteiligen Angaben des Revisionswerbers, wonach seine Konversion in Afghanistan deshalb bekannt sein könne, weil in Deutschland viele von seiner Konversion erfahren hätten und er auch von anderen Afghanen attackiert worden sei, nicht zu entnehmen.
Hinzuweisen ist darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht - das, wie ausgeführt, keine Feststellungen zur Frage getroffen hat, ob aufgrund einer bloß vorübergehenden, der Asylerlangung dienenden Annahme des christlichen Glaubens von einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat auszugehen ist - seine Entscheidung nicht auf § 3 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 gestützt und auch keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen hat, sodass auf diese Bestimmung hier nicht weiter einzugehen ist."
11 Der hier vorliegende Fall unterscheidet sich entscheidungsmaßgeblich von jenem, der dem oben genannten Erkenntnis zugrunde lag. Während im dem oben zitierten Erkenntnis zugrunde liegenden Fall dem Verwaltungsgericht zum Vorwurf zu machen war, dass es sich mit dem Vorbringen des Fremden, seine wenn auch nur zum Schein erfolgte Konversion sei im Heimatland bekannt geworden, nicht näher befasst hatte, ist hier das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich davon ausgegangen, dass der Revisionswerber die Vorkommnisse betreffend die (Schein‑)Konversion nicht einmal seinen Familienangehörigen erzählt habe. Weiters hat das Bundesverwaltungsgericht festgehalten, dass sich der Revisionswerber selbst zu einer Zeit, in der er sich nach seinem Vorbringen bereits dem Christentum zugewendet gehabt hätte, weiterhin als schiitischer Muslim bezeichnet und im Rahmen der am 20. März 2018 erfolgten Vernehmung gegenüber dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Interesse am christlichen Glauben ausdrücklich verneint habe.
12 Es ist anhand der - vom Revisionswerber nicht bekämpften - Feststellungen sowie der beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts, das sich zudem mit der Tätowierung des Revisionswerber des Näheren befasst hat, davon auszugehen (§ 41 VwGG), dass das vom Bundesverwaltungsgericht letztlich als unglaubwürdig verworfene Vorbringen zu seiner Konversion allein den Zweck verfolgt hat, ihm den Status des Asylberechtigten zu verschaffen, und dass von jenen in Österreich gesetzten Handlungen, mit denen er vortäuschen wollte, dass seine Konversion eine tatsächliche wäre, außerhalb Österreichs niemand - im Besonderen nicht in seinem Heimatland und auch nicht seine im Iran lebenden Eltern - Kenntnis erlangt hat. Ausgehend davon, dass das Vorbringen und die Handlungen nach den Feststellungen nur zur Täuschung der mit der Vollziehung von asylrechtlichen Vorschriften berufenen Institutionen diente, ist aber dann auch nicht ohne Weiteres zu sehen, weshalb - selbst wenn die in Österreich stattgefundenen Vorgänge im Heimatland bekannt würden - dem Revisionswerber ein Abfall vom islamischen Glauben vorgeworfen werden sollte, zumal eine - wenn auch nur vorübergehende - Annahme des christlichen Glaubens vom Bundesverwaltungsgericht gerade nicht festgestellt wurde (vgl. insofern anders als das vom Revisionswerber ins Treffen geführte Erkenntnis Ra 2014/01/0117, in dem eine "bloß vorübergehende, der Asylerlangung dienende Annahme des christlichen Glaubens" zur Debatte stand). Ein substantiiertes Vorbringen enthält dazu die Revision, die bloß ohne Bezugnahme auf die konkreten Umstände des vorliegenden Falles abstrakt Fragen in den Raum stellt, nicht. Ebenso hat der Revisionswerber nur abstrakt in den Raum gestellt, welche Konsequenzen es hätte, wenn der nach der islamischen Rechtsprechung geforderte Widerruf des Konfessionswechsels nicht erfolgen würde. Dass er einen solchen Widerruf, selbst in jenem Fall, in dem dieser von ihm abverlangt werden würde, nicht aus innerer Überzeugung abzugeben bereit wäre, hat er nie behauptet. Am Boden der Feststellungen, denen zufolge die Annahme des christlichen Glaubens und ein Abfall vom Islam gerade nicht festgestellt wurden, bestand für das Bundesverwaltungsgericht ohne ein zu diesem Thema konkret erstattetes Vorbringen aber auch kein Anlass, dazu weitere Erhebungen vorzunehmen.
13 Wenn der Revisionswerber vorbringt, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass für ihn eine innerstaatliche Fluchtalternative vorliege, weil er sich nur bis zu seinem vierten Lebensjahr in Afghanistan aufgehalten habe und nicht mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut sei, entfernt er sich von den anderslautenden Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts, ohne darzulegen, weshalb diese in mangelhafter Weise zustande gekommen wären. Dass der Revisionswerber eine längere Zeit seines Lebens im Iran verbracht hat, steht der Annahme der Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Rückkehr nach Afghanistan nicht schlechthin entgegen. Der Revision gelingt es nicht, aufzuzeigen, dass sich die unter Bedachtnahme auf die Umstände des konkreten Einzelfalles - beim Revisionswerber handelt es sich nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts
um einen jungen, arbeitsfähigen und gesunden Mann, der über Berufserfahrung verfüge, mit den Gewohnheiten seines Heimatlandes vertraut sei und Sprachkenntnisse in Dari und Farsi aufweise - vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Beurteilung unvertretbar darstellen würde.
14 Soweit sich die Revision gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 25.6.2019, Ra 2019/14/0260, mwN). Entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung ist nicht zu sehen, dass das Bundesverwaltungsgericht, das sowohl die Dauer des Aufenthalts des Revisionswerbers als auch die für seine Integration sprechenden Umstände einbezogen hat, den im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umständen nicht das ihnen nach der Rechtsprechung zuzumessende Gewicht eingeräumt hätte. 15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.
Wien, am 28. August 2019
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