VwGH Ra 2019/11/0209

VwGHRa 2019/11/020923.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des B R in M, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 2. Oktober 2019, Zl. LVwG‑651508/4/JP, betreffend Zurückverweisung i.A. Einschränkung einer Lenkberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Perg), zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs1 Z2
FSG-GV 1997 §14 Abs5
FSG-GV 1997 §2 Abs1
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §28 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019110209.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Unstrittig war die Lenkberechtigung des Revisionswerbers mit rechtskräftigem Mandatsbescheid vom 2. Jänner 2019 für die Dauer von sechs Monaten entzogen worden, weil er am 15. Dezember 2018 ein Kraftfahrzeug mit einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,92 mg/l in Betrieb genommen hatte.

2 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17. Juni 2019 wurde dem Revisionswerber die Lenkberechtigung ‑ befristet bis 27. Mai 2021 und unter der Auflage der Vorlage von Befunden betreffend den „Abstinenznachweis“ (Haaranalysen auf Ethylglucuronid) in Abständen von jeweils 3 Monaten ‑ gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 FSG „erteilt“. Nach der Begründung sei die genannte Lenkberechtigung infolge des amtsärztlichen Gutachtens vom 27. Mai 2019 „einzuschränken“ gewesen, weil beim Revisionswerber von einer sog. Toleranzentwicklung und damit von einer verminderten Kontrollfähigkeit bezüglich des Konsums von Alkohol, mithin von einem „schädlichen Gebrauch von Alkohol“ auszugehen sei, was sich daraus ergebe, dass er trotz des genannten Alkoholisierungsgrades fähig gewesen sei, ein Kraftfahrzeug in Betrieb zu nehmen.

3 In der Beschwerde bekämpfte der Revisionswerber die Annahme einer Toleranzentwicklung, eine solche könne nicht mit dem Vorfall vom 15. Dezember 2018 begründet werden. An diesem Tag habe er nämlich, wie sich aus einem entsprechenden rechtskräftigen Straferkenntnis ergebe, das Kraftfahrzeug durch Starten (bloß) in Betrieb genommen, nicht aber gelenkt. Konkret habe er sich nach übermäßigem Alkoholgenuss bei einer Weihnachtsfeier in das Kraftfahrzeug gesetzt und dieses zum Beheizen des Fahrgastinnenraumes gestartet. Die Fähigkeit zum (bloßen) Starten eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand (0,92 mg/l) lasse jedenfalls nicht den Schluss auf eine Toleranzentwicklung zu.

4 Aufgrund der Beschwerde des Revisionswerbers wurde dieser Bescheid mit dem angefochtenen Beschluss aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.

5 In der Begründung ging das Verwaltungsgericht von der erwähnten Entziehung der Lenkberechtigung des Revisionswerbers für die Dauer von sechs Monaten mittels Mandatsbescheides vom 2. Jänner 2019 wegen der am 15. Dezember 2018 erfolgten Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeuges mit einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,92 mg/l aus. Der beim Verwaltungsgericht angefochtene Bescheid vom 17. Juni 2019 sei erlassen worden, nachdem dem Revisionswerber der Führerschein infolge Ablaufs der sechsmonatigen Entziehungsdauer ausgefolgt worden sei. Mit dem letztgenannten Bescheid sei daher eine (nachträgliche) Einschränkung der bestehenden Lenkberechtigung des Revisionswerbers gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 FSG erfolgt.

6 Im davor liegenden Zeitraum Jänner bis Mai 2019 habe der Revisionswerber der Behörde vier „unauffällige Blutbefunde“ („CDTect‑Werte“) und eine verkehrspsychologische Stellungnahme vorgelegt. Im amtsärztlichen Gutachten vom 27. Mai 2019 sei die befristete Eignung des Revisionswerbers zum Lenken von Kraftfahrzeugen festgestellt und vierteljährliche Haaranalysen empfohlen worden, weil aufgrund des Umstands, dass der Revisionswerber am 15. Dezember 2018 trotz des festgestellten hohen Alkoholisierungsgrades ein Fahrzeug in Betrieb habe nehmen können, von einer „Toleranzentwicklung“ ausgegangen werden müsse.

7 Dieser „von der Amtsärztin festgestellte schädliche Gebrauch von Alkohol“, so das Verwaltungsgericht weiter, entspreche dem „gehäuften Missbrauch“ von Alkohol iSd § 14 Abs. 5 FSG‑GV, sodass nach der letztgenannten Bestimmung die Einholung einer fachärztlichen (psychiatrischen) Stellungnahme zur Abklärung der gesundheitlichen Eignung erforderlich sei.

8 Da die gemäß § 14 Abs. 5 FSG‑GV erforderliche fachärztliche Stellungnahme das für die Beurteilung der Einschränkung der Lenkberechtigung entscheidende („vermutlich wichtigste“) Beweismittel darstelle, ohne welches die amtsärztlich vorgeschlagenen Einschränkungen nicht schlüssig seien, sei von erst ansatzweise vorliegenden Ermittlungsergebnissen auszugehen. Dies rechtfertige die Zurückverweisung der Sache an die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG. Auch das Gebot der Raschheit des Verfahrens spreche für die Zurückverweisung der Sache, weil die Amtsärztin, die im Anschluss an die ausstehende fachärztliche Stellungnahme ein neues Gutachten verfassen müsse, der belangten Behörde beigeordnet sei.

9 Die Durchführung einer Verhandlung habe „gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG“ unterbleiben können, weil „bereits aufgrund der Aktenlage feststeht“, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben sei.

10 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung (in der sie die Aufhebung ihres Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit verteidigt), der Revisionswerber gab dazu eine Äußerung ab.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, das Verwaltungsgericht sei, hinsichtlich seiner Verpflichtung zur Durchführung einer Verhandlung von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

13 Die Revision führt in den Revisionsgründen u.a. aus, das Verwaltungsgericht sei in seiner Entscheidung rechtswidrig ohne Verhandlung der Annahme der Amtsärztin hinsichtlich des schädlichen Gebrauchs von Alkohol durch den Revisionswerber und dadurch hervorgerufener Toleranzentwicklung gefolgt und habe deshalb zu Unrecht einen gehäuften Alkoholmissbrauch (§ 14 Abs. 5 FSG‑GV) des Revisionswerbers zugrunde gelegt (an diese Annahme sei die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG gebunden), obwohl der Revisionswerber bereits in der Beschwerde die Toleranzentwicklung bestritten habe.

14 Das Führerscheingesetz (FSG) lautet auszugsweise:

„§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken.

...“

15 § 14 der Führerscheingesetz‑Gesundheitsverordnung (FSG‑GV) lautet auszugsweise:

„Alkohol, Sucht‑ und Arzneimittel

§ 14. ...

(5) Personen, die alkohol‑, suchtmittel‑ oder arzneimittelabhängig waren oder damit gehäuften Mißbrauch begangen haben, ist nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme und unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 zu erteilen oder wiederzuerteilen.“

§ 14 Abs. 5 FSG‑GV gilt nach der hg. Rechtsprechung nicht nur für die (Wieder‑)Erteilung der Lenkberechtigung, sondern auch für den Fall einer bereits bestehenden Lenkberechtigung hinsichtlich ihrer Einschränkung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2016, Ra 2016/11/0088).

16 Wenn das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall die Zurückverweisung der Sache an die belangte Behörde damit begründet, es fehle für die Einschränkung der Lenkberechtigung die unbedingt erforderliche fachärztliche Stellungnahme gemäß § 14 Abs. 5 FSG‑GV und damit das entscheidende Beweisergebnis des Verfahrens, so legt es damit ‑ trotz Bestreitung durch den Revisionswerber ‑ zugrunde, dass bei diesem die Tatbestandsvoraussetzungen der letztgenannten Bestimmung (fallbezogen: gehäufter Missbrauch von Alkohol in der Vergangenheit) erfüllt seien, weil andernfalls die Einholung der fachärztlichen Stellungnahme nicht zwingend wäre, und überbindet diese Ansicht gleichzeitig der belangten Behörde (§ 28 Abs. 3 letzter Satz VwGVG).

17 Das Verwaltungsgericht irrt daher, wenn es meint, es stünde schon „aufgrund der Aktenlage fest“, dass der Bescheid vom 17. Juni 2019 zum Zwecke der Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme aufgehoben werden müsse, sodass die Durchführung einer Verhandlung gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG (gemeint: § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG) habe entfallen können. Angesichts der Bestreitung des Revisionswerbers (bzw. der festgestellten „unauffälligen Blutbefunde“) konnte nicht bereits „aufgrund der Aktenlage“ von einem vergangenen Alkoholmissbrauch seitens des Revisionswerbers ausgegangen werden, vielmehr mussten die Sachverhaltsvoraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 14 Abs. 5 FSG‑GV vom Verwaltungsgericht erst im Rahmen einer Verhandlung geklärt werden (anders daher die den hg. Beschlüssen jeweils vom 28. Mai 2020, Ra 2019/11/0135 und Ra 2019/11/0139, zugrunde liegenden Fallkonstellationen, in welchen schon aufgrund des eigenen Vorbringens des Revisionswerbers bzw. aufgrund von ihm selbst vorgelegter Befunde von einem gehäuften Missbrauch auszugehen war). Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung schließt es auch nicht von vornherein aus, danach die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen (vgl. VwGH 27.1.2016, Ra 2015/08/0171).

18 Die Verkennung der Verhandlungspflicht behaftet den angefochtenen Beschluss mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. Juni 2020

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