Normen
FSG 1997 §24 Abs1 Z2
FSG 1997 §8 Abs2
FSG-GV 1997 §1 Z2
FSG-GV 1997 §14 Abs5
FSG-GV 1997 §2 Abs1
VwGVG 2014 §28 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019110135.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit am 7. Februar 2019 verkündetem Bescheid der belangten Behörde wurde die Lenkberechtigung der Revisionswerberin gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 FSG durch eine Befristung bis 29. Jänner 2020 und durch die Auflage, alle drei Monate für die Dauer eines Jahres eine Harnprobe unter näher bezeichneten Bedingungen abzugeben und sich nach Ablauf des Jahres einer Nachuntersuchung durch den Amtsarzt zu unterziehen, eingeschränkt.
2 Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf ein entsprechendes amtsärztliches Gutachten vom 29. Jänner 2019 verwiesen und ausgeführt, die Revisionswerberin habe bei der Untersuchung „mehrjährigen Cannabiskonsum zur Therapie einer Essstörung zugegeben, Letztkonsum 10/2018.“
3 In der Beschwerde vom 28. Februar 2019 führte die Revisionswerberin aus, dass sie „seit Oktober 2018 ...völlig clean“ sei und davor „nur gelegentlich“ Cannabis konsumiert habe. Eine Abhängigkeit oder ein gehäufter Missbrauch habe nicht bestanden. Die Essstörungen bestünden nun nicht mehr und es gehe ihr ohne Cannabis gut.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 7. Februar 2019 auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an die belangte Behörde zurück. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.
5 In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht, soweit hier relevant, fest, die Revisionswerberin habe im Rahmen der (insoweit aktenmäßig belegten) ärztlichen Untersuchung vom 15. Jänner 2019 angegeben, im Zeitraum November 2016 bis Oktober 2018 aufgrund einer Essstörung ein bis zwei Mal pro Woche Cannabis konsumiert zu haben, sodass nicht von einem bloß gelegentlichen Cannabiskonsum in der Vergangenheit auszugehen sei. Seither habe kein Cannabiskonsum stattgefunden, eine Harnprobe aus dem Jänner 2019 sei negativ auf Cannabinoide gewesen.
6 Auf Basis dieser Feststellungen ging das Verwaltungsgericht in der rechtlichen Beurteilung davon aus, der Cannabiskonsum der Revisionswerberin in der Vergangenheit sei als gehäufter Suchtmittelmissbrauch einzustufen. In einem solchen Fall verlange § 14 Abs. 5 FSG‑GV jedenfalls die Einholung einer fachärztlichen (psychiatrischen) Stellungnahme zur Abklärung der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen. Die belangte Behörde habe die zwingend vorgesehene fachärztliche Stellungnahme nicht eingeholt, sodass dem amtsärztlichen Gutachten diesbezüglich die Grundlage fehle und dieses der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden könne.
7 In einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem die belangte Behörde völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt und das vermutlich wichtigste Beweismittel gar nicht erhoben habe, sei die Zurückverweisung der Sache an die belangte Behörde nach näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig.
8 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Diesem Erfordernis wird insbesondere nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) oder zu den Rechten, in denen sich der Revisionswerber verletzt erachtet (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), Genüge getan (vgl. aus vielen die Beschlüsse VwGH 23.3.2017, Ra 2017/11/0014, und VwGH 1.9.2017, Ra 2017/11/0225, jeweils mwN).
12 Das Führerscheingesetz (FSG) lautet auszugsweise:
„§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder
2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken.
....“
13 § 14 der Führerscheingesetz‑Gesundheitsverordnung (FSG‑GV) lautet auszugsweise:
„Alkohol, Sucht- und Arzneimittel
§ 14. ...
(5) Personen, die alkohol-, suchtmittel- oder arzneimittelabhängig waren oder damit gehäuften Mißbrauch begangen haben, ist nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme und unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 zu erteilen oder wiederzuerteilen.“
14 § 14 Abs. 5 FSG‑GV gilt nach der hg. Rechtsprechung nicht nur für die (Wieder‑)Erteilung der Lenkberechtigung, sondern auch für den Fall einer bereits bestehenden Lenkberechtigung hinsichtlich ihrer Einschränkung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2016, Ra 2016/11/0088). Ist daher ein gehäufter Suchtmittelmissbrauch in der rezenten Vergangenheit zu bejahen (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 11. Oktober 2016, Ra 2016/11/0109 [mit Verweis auf das letztzitierte Erkenntnis] zum Cannabiskonsum bis 9 Monate vor der Entscheidung über die Einschränkung der Lenkberechtigung), so ist die Belassung der Lenkberechtigung unter der Auflage (näher zu präzisierender) ärztlicher Kontrolluntersuchungen (sowie gemäß § 2 Abs. 1 letzter Satz iVm der Befristung der Lenkberechtigung und einer amtsärztlichen Nachuntersuchung) nur nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme zulässig.
15 Fallbezogen ist das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Aktenlage davon ausgegangen, die Revisionswerberin habe im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung angegeben, dass sie im Zeitraum November 2016 bis Oktober 2018 ‑ somit über fast zwei Jahre ‑ Cannabis zur Therapie einer Essstörung konsumiert hat. Dies wird in der Revision nicht bestritten. Eine im Wesentlichen gleichlautende Feststellung findet sich schon im Bescheid vom 7. Februar 2019. Auch in der Beschwerde wurde der Cannabiskonsum bis Oktober 2018 bestätigt, in diesem Zusammenhang wurden auch die Essstörungen der Revisionswerberin erwähnt.
16 Das genannte, auf den Angaben der Revisionswerberin beruhende Konsumverhalten konnte das Verwaltungsgericht daher (entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen der Revision) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zugrunde legen. Mit der bloß allgemein gehaltenen Behauptung der Beschwerde, der Cannabiskonsum habe „nur gelegentlich“ stattgefunden, wurde nämlich der zugestandene fast zwei Jahre dauernde Konsum zur Therapie einer Essstörung nicht konkret in Frage gestellt.
17 Ebenso wenig kann die auf der Grundlage der Angaben der Revisionswerberin getroffene Feststellung einen Verstoß gegen das im Zulässigkeitsvorbringen ins Treffen geführte Überraschungsverbot darstellen.
18 Auch die ‑ rechtliche Beurteilung ‑ dieses Konsumverhaltens als gehäufter Missbrauch iSd § 14 Abs. 5 FSG‑GV bedurfte, anders als die Revision vorbringt, nicht der vorherigen Durchführung einer Verhandlung oder der Einräumung von Parteiengehör (vgl. etwa VwGH 2.5.2016, Ra 2016/11/0043, mwN).
19 Das behauptete Abgehen von der hg. Rechtsprechung liegt demnach nicht vor.
20 Konnte das Verwaltungsgericht aber nach dem Gesagten vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung des gehäuften Suchtmittelmissbrauchs iSd § 14 Abs. 5 FSG‑GV ausgehen, so bedurfte es nach dieser Bestimmung ‑ zwingend ‑ der Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme (des entsprechenden Sonderfaches; § 1 Z 2 FSG‑GV), um die Lenkberechtigung der Revisionswerberin zwar zu belassen, aber gleichzeitig durch näher zu bestimmende Auflagen und eine näher zu bestimmende Befristung einzuschränken. Angesichts dieser klaren Rechtslage bedurfte es keiner zusätzlichen Begründung für die Notwendigkeit der fachärztlichen Stellungnahme, die sich nach dem Verordnungswortlaut auch nicht durch das Vorhandensein der in der Revision angesprochenen Harnproben der Revisionswerberin erübrigte. Die behauptete Abweichung von der hg. Rechtsprechung zur Begründungspflicht des Verwaltungsgerichts liegt somit ebenfalls nicht vor.
21 Die Revision behauptet in den Zulässigkeitsausführungen schließlich die Abweichung von näher zitierter hg. Rechtsprechung (u.a. VwGH 14.4.2016, Ra 2015/06/0096) betreffend die Voraussetzungen der Zurückverweisung der Sache an die belangte Behörde, die nach der Judikatur nur bei Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit oder völlig ungeeigneten Ermittlungsschritten der belangten Behörde rechtens sei.
22 Zwar stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. dazu etwa VwGH 15.12.2017, Ra 2016/11/0132, mit Verweis auf VwGH 30.6.2015, Ra 2014/03/0054) eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
23 Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht nicht von dieser Rechtsprechung abgewichen, weil es vertretbar davon ausgehen konnte, dass aufgrund des Fehlens der fachärztlichen Stellungnahme, die gemäß § 14 Abs. 5 FSG‑GV die zentrale Entscheidungsgrundlage bzw. erst die Basis für das amtsärztliche Gutachten (§ 8 Abs. 2 FSG) betreffend (zunächst) die Frage der Belassung der Lenkberechtigung und (bejahendenfalls) betreffend die Modalitäten ihrer Einschränkung (durch konkrete Auflagen und einen konkreten Befristungszeitraum) darstellt, bestenfalls von bloß ansatzweise vorhandenen Ermittlungsergebnissen gesprochen werden kann und deshalb nach Lage des Falles die Voraussetzungen für die Zurückverweisung der Sache an die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG erfüllt sind.
24 Die im Zulässigkeitsvorbringen der Revision angeführte Behauptung, das angefochtene Erkenntnis weiche von zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den genannten Fragen ab, trifft somit insgesamt nicht zu.
25 Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 28. Mai 2020
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