VwGH Ra 2019/11/0150

VwGHRa 2019/11/01502.11.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der P D in M (Slowenien), vertreten durch Dr. Roland Grilc, Mag. Rudolf Vouk, Dr. Maria Skof, MMag. Maja Ranc und Mag. Sara Julia Grilc, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 18. Dezember 2018, Zl. LVwG 30.12‑2414/2018‑23, betreffend Übertretungen des LSD‑BG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Hartberg‑Fürstenfeld), zu Recht erkannt:

Normen

AÜG §17 Abs2
EURallg
31996L0071 Entsende-RL Art1 Abs3
32014L0067 Durchsetzung-RL Entsendung Arbeitnehmern Art4 Abs1
62009CJ0307 Vicoplus VORAB
62013CJ0586 Martin Meat VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019110150.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 24. Mai 2018 wurde die Revisionswerberin schuldig erkannt, sie habe es als Verantwortliche der R s.p., einer (juristischen) Person mit Sitz in Slowenien zu verantworten, dass 1.) die Beschäftigung von sechs überlassenen Arbeitnehmern vor deren Einreise der Zentralen Koordinationsstelle (ZKO) nicht gemeldet worden sei und 2.) dem inländischen Beschäftiger für die sechs Arbeitnehmer keine Arbeitsaufzeichnungen, Lohnaufzeichnungen sowie Unterlagen betreffend die Lohneinstufung bereitgestellt worden seien. Dadurch habe die Revisionswerberin gegen 1.) § 19 Abs. 1 und 2 iVm. § 26 Abs. 1 Z 1 LSD‑BG sowie 2.) § 22 Abs. 2 iVm. § 28 Z 2 LSD‑BG, verstoßen, weswegen über sie ‑ pro betroffenem Arbeitnehmer ‑ jeweils eine Geldstrafe und eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und ein Beitrag zu den Verfahrenskosten vorgeschrieben wurde.

2 In der dagegen erhobenen Beschwerde machte die Revisionswerberin (zusammengefasst) geltend, es liege keine Überlassung an die niederländische K BV vor. Die Kontrolle habe zudem an den ersten unmittelbaren Arbeitstagen stattgefunden, weshalb Lohnkontoblätter, Lohnlisten sowie Gehaltsnachweise und dergleichen noch nicht hätten vorliegen können.

3 Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab, verpflichtete sie zur Leistung eines Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Das Verwaltungsgericht stellte begründend fest, bei der am 26. Juni 2017 durchgeführten Kontrolle der Finanzpolizei seien Mitarbeiter der niederländischen K BV und der slowenischen R s.p. beim Aufbau eines Metallgerüstes für ein Gewächshaus angetroffen worden. Die Arbeiter der K BV und der R s.p. hätten gemeinsam auf mehreren fahrbaren Hebebühnen Montagearbeiten durchgeführt. Die Arbeiter beider Unternehmen seien dabei teilweise auf derselben Hebebühne gestanden. Die Mitarbeiter der slowenischen R s.p. seien als Montagehilfskräfte der Mitarbeiter der K BV eingesetzt worden. Zwar seien für die Mitarbeiter der R ZKO3‑Meldungen vom 13. und 20. Juni 2017 sowie eine Entsendevereinbarung und Arbeitsverträge jeweils in deutscher Sprache bereitgehalten worden, jedoch hätten näher genannte Unterlagen über die Lohneinstufung sowie Arbeits- und Lohnaufzeichnungen gefehlt bzw. seien sie dem niederländischen Beschäftiger nicht bereitgestellt worden.

5 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin habe nachweislich keine ZKO4‑Meldung vor der Arbeitsaufnahme erstattet. Die getätigte ZKO3‑Meldung sei bei einer Arbeitskräfteüberlassung, wie im gegenständlichen Fall, nicht ausreichend. Die Revisionswerberin habe daher sechs Übertretungen gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 iVm. § 19 Abs. 1 und 2 LSD‑BG begangen. Überdies habe sie zu verantworten, dass für die sechs Arbeitnehmer keine Unterlagen im Sinne des § 22 Abs. 2 LSD‑BG bereitgestellt worden seien, und somit eine Verwaltungsübertretung nach § 28 Z 2 LSD‑BG begangen.

6 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B‑VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 11. Juni 2019, E 362/2019‑5, ab und trat sie über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

7 Die Revisionswerberin erhob daraufhin die vorliegende Revision, zu der die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattete.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

9 Die Revision ist schon deshalb zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von der hg. Rechtsprechung (Hinweis auf VwGH 22.8.2017, Ra 2017/11/0068) zur Abgrenzung einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung von einem Werkvertrag abgewichen. Die Revision ist auch begründet.

10 Die vom Verwaltungsgericht im Revisionsfall angewendeten Bestimmungen des Lohn- und Sozialdumping‑Bekämpfungsgesetzes ‑ LSD‑BG, BGBl. I Nr. 44/2016 idF BGBl. I Nr. 64/2017, lauten auszugsweise:

„§ 19. (1) Arbeitgeber und Überlasser mit Sitz in einem EU‑Mitgliedstaat oder EWR‑Staat oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft haben die Beschäftigung von nach Österreich entsandten Arbeitnehmern und nach Österreich überlassenen Arbeitskräften zu melden. Die Meldung hat für jede Entsendung oder Überlassung gesondert zu erfolgen. Nachträgliche Änderungen bei den Angaben gemäß Abs. 3 oder Abs. 4 sind unverzüglich zu melden. Ein Beschäftiger, der einen Arbeitnehmer zu einer Arbeitsleistung nach Österreich entsendet, gilt in Bezug auf die Meldepflichten nach diesem Absatz und den Abs. 2 und 3 als Arbeitgeber.

(2) Die Entsendung oder Überlassung im Sinne des Abs. 1 ist vor der jeweiligen Arbeitsaufnahme der Zentralen Koordinationsstelle zu melden. Im Fall von mobilen Arbeitnehmern im Transportbereich ist die Meldung vor der Einreise in das Bundesgebiet zu erstatten. Die Meldung hat ausschließlich automationsunterstützt über die elektronischen Formulare des Bundesministeriums für Finanzen zu erfolgen. Arbeitgeber haben im Fall einer Entsendung der Ansprechperson nach § 23 oder, sofern nur ein Arbeitnehmer entsandt wird, diesem die Meldung in Abschrift auszuhändigen oder in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen.

...

§ 22. ...

(2) Bei einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung trifft die Verpflichtung zur Bereithaltung der Lohnunterlagen nach Abs. 1 den inländischen Beschäftiger. Der Überlasser hat dem Beschäftiger die Lohnunterlagen nach Abs. 1 nachweislich bereitzustellen.

...

§ 26. (1) Wer als Arbeitgeber oder Überlasser im Sinne des § 19 Abs. 1

1. die Meldung oder die Meldung über nachträgliche Änderungen bei den Angaben (Änderungsmeldung) entgegen § 19 nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig erstattet oder ...,

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jeden Arbeitnehmer mit Geldstrafe von 1.000 Euro bis 10.000 Euro, im Wiederholungsfall von 2.000 Euro bis 20.000 Euro zu bestrafen.

§ 28. Wer als

...

2. Überlasser im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung nach Österreich entgegen § 22 Abs. 2 die Lohnunterlagen dem Beschäftiger nicht nachweislich bereitstellt, oder ...

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jeden Arbeitnehmer mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer betroffen, für jeden Arbeitnehmer mit einer Geldstrafe von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall von 4 000 Euro bis 50 000 Euro zu bestrafen.“

11 Nach der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union ist für die Beurteilung, ob ein Sachverhalt als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung zu beurteilen ist, aus unionsrechtlicher Sicht „jeder Anhaltspunkt“ zu berücksichtigen. Im Speziellen sind dabei entsprechend dem Urteil vom 18. Juni 2015, C‑586/13, Martin Meat, die Fragen, ob die Vergütung/das Entgelt auch von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt bzw. wer die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt, ob also der für einen Werkvertrag essenzielle „gewährleistungstaugliche“ Erfolg vereinbart wurde, wer die Zahl der für die Herstellung des Werkes jeweils konkret eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt und von wem die Arbeitnehmer die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeiten erhalten, von entscheidender Bedeutung (vgl. VwGH 22.8.2017, Ra 2017/11/0068).

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind in einem Fall wie dem vorliegenden eindeutige Sachverhaltsfeststellungen dahin zu treffen, ob und welche der für die Arbeitskräfteüberlassung ausschlaggebenden Kriterien verwirklicht sind, um im Rahmen einer rechtlichen Gesamtbeurteilung fallbezogen das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung bejahen oder verneinen zu können (vgl. erneut VwGH 22.8.2017, Ra 2017/11/0068).

13 Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass die Arbeiter des niederländischen und des slowenischen Unternehmens teilweise auf derselben Hebebühne gestanden seien und gemeinsam Montagearbeiten durchgeführt hätten und dass die slowenischen Arbeiter als Gehilfen eingesetzt worden seien, ist für die Annahme einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung und daraus folgende Verpflichtungen nach dem LSD‑BG nicht ausreichend, da keinerlei Sachverhaltsfeststellungen iSd. Erkenntnisses Ra 2017/11/0068 getroffen wurden.

14 Das angefochtene Erkenntnis war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

15 Sollte das Verwaltungsgericht neuerlich zu einer strafrechtlichen Verantwortung der Revisionswerberin gelangen, wird es bei der Strafbemessung die LSD‑BG‑Novelle BGBl. I Nr. 174/2021, welche mit 1. September 2021 in Kraft getreten ist, und deren §§ 26 bis 28 gemäß § 72 Abs. 10 letzter Satz auf alle am 1. September 2021 anhängigen Verfahren anzuwenden sind, zu beachten haben (vgl. dazu VwGH 12.10.2021, Ra 2019/11/0015, 0016).

16 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff. VwGG iVm. der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 2. November 2021

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