Normen
AVG §45 Abs2
VwGVG 2014 §25
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019080149.L00
Spruch:
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Österreichische Gesundheitskasse hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von € 2.212,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 8. August 2012 sprach die Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK) aus, dass die Mitbeteiligten aufgrund ihrer Tätigkeiten für die revisionswerbenden Parteien in näher bezeichneten Zeiträumen in den Jahren 2007 bis 2011 gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sowie der Arbeitslosenversicherungspflicht bzw. der Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 und § 5 Abs. 1 Z 2 iVm. § 7 Z 3 lit. a ASVG unterlegen seien.
2 Begründend führte die SGKK aus, von den revisionswerbenden Parteien sei eine Snowboardschule mit mehreren Standorten betrieben worden, in der zwei Mitbeteiligte als „Store‑Manager“ und die übrigen Mitbeteiligten als Snowboardlehrer tätig gewesen seien. In Hinblick auf die näher festgestellten Umstände der Tätigkeiten ergebe sich, dass die Merkmale von Beschäftigungsverhältnissen nach § 4 Abs. 2 ASVG vorgelegen seien.
3 Mit weiterem Bescheid vom 8. August 2012 verpflichtete die SGKK die revisionswerbenden Parteien, Beiträge zur Sozialversicherung samt Verzugszinsen in der Höhe von insgesamt € 33.782,49 nachzuentrichten. Die Höhe der Beiträge gründe sich auf die näher aufgeschlüsselte Beitragsvorschreibung vom 9. Dezember 2011 unter Gegenverrechnung der für die als freie Dienstnehmer gemeldeten Snowboardlehrer geleisteten Beiträge.
4 Gegen diese Bescheide erhoben die revisionswerbenden Parteien ‑ mit Ablauf des 31. Dezember 2013 als Beschwerden zu behandelnde ‑ Einsprüche. Sie beantragten jeweils die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Einvernahme von Zeugen und brachten vor, entgegen den Annahmen der SGKK seien die Merkmale von Beschäftigungsverhältnissen nicht vorgelegen. Die Mitbeteiligten seien bei ihrer Tätigkeit insbesondere nicht an Arbeitszeiten oder Arbeitsorte gebunden und hinsichtlich des persönlichen Verhaltens bei der Verrichtung ihrer Arbeiten keinen Weisungen oder Kontrollen unterworfen gewesen. Bei den von ihnen übernommenen einzelnen Kursen hätten sich die Snowboardlehrer nach eigenem Gutdünken von jeder qualifizierten Person vertreten lassen können. Die Snowboardlehrer seien daher ‑ entsprechend ihrer Anmeldung ‑ freie Dienstnehmer gewesen. Die beiden als „Store‑Manager“ tätigen Mitbeteiligten, die ihre Tätigkeit gänzlich unabhängig und auf eigene Rechnung verrichtet hätten, seien Selbstständige gewesen. Auch die Berechnung der Höhe der Beiträge sei unrichtig. Insbesondere habe die SGKK der Bemessung der Beiträge zu Unrecht zugrunde gelegt, dass die Mitbeteiligten „geprüfte Snowboardlehrer“ gewesen seien, obwohl es sich um Berufsanwärter gehandelt habe. Auch stünden Sonderzahlungen nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag erst nach einer Beschäftigung von 52 Kalendertagen in der Saison zu; dieses Ausmaß einer Tätigkeit sei von den Snowboardlehrern nicht erreicht worden.
5 Mit dem angefochtenem Erkenntnis vom 26. August 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien betreffend die Feststellung der Pflichtversicherung der Mitbeteiligten nach dem ASVG als unbegründet ab. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Oktober 2019 gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde der revisionswerbenden Parteien hinsichtlich der Beitragsnachverrechnung teilweise Folge und sprach aus, dass die revisionswerbenden Parteien zur Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von insgesamt € 33.086,85 an die SGKK verpflichtet seien. Revisionen erklärte das Bundesverwaltungsgericht jeweils für nicht zulässig.
6 Das Bundesverwaltungsgericht traf Feststellungen zur Tätigkeit der Mitbeteiligten für die revisionswerbenden Parteien, die es beweiswürdigend auf den Akteninhalt gründete. Daraus folgerte es in rechtlicher Hinsicht, dass die Merkmale von Beschäftigungsverhältnissen nach § 4 Abs. 2 ASVG vorgelegen seien. Hinsichtlich der Beitragsnachverrechnung sei von den Mitbeteiligten zu Recht eingewandt worden, dass einzelnen Snowboardlehrern keine Sonderzahlungen zugestanden seien, sodass die Höhe der Beiträge insofern zu korrigieren sei. Im Übrigen seien die Einwände jedoch nicht berechtigt. Eine mündliche Verhandlung habe entfallen können, weil aufgrund des Akteninhaltes der maßgebliche Sachverhalt feststehe.
7 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die außerordentlichen Revisionen, die der Verwaltungsgerichtshof wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat. In ihren Revisionsbeantwortungen beantragte die SGKK, die Revisionen zurückzuweisen, in eventu abzuweisen. Die Mitbeteiligten erstatteten keine Revisionsbeantwortungen.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Zur Zulässigkeit der Revisionen machen die revisionswerbenden Parteien jeweils geltend, von ihnen seien die wesentlichen Tatsachenannahmen der SGKK, die das Bundesverwaltungsgericht nunmehr auch seiner Entscheidung zu Grunde gelegt habe, bestritten und die Einvernahme von Zeugen sowie ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt worden. Indem das Bundesverwaltungsgericht keine Verhandlung durchgeführt habe, sei es daher von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
10 Die Revisionen sind aus dem genannten Grund zulässig und berechtigt.
11 Die revisionswerbenden Parteien haben die Durchführung mündlicher Verhandlungen beantragt. Nach § 24 Abs. 4 VwGVG durfte das Verwaltungsgericht von der Verhandlung daher nur dann absehen, wenn die Akten erkennen hätten lassen, dass durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstanden.
12 Es gibt im vorliegenden Fall, in dem „civil rights“ zu beurteilen sind und die revisionswerbenden Parteien die Annahmen, die der Beurteilung einer Beschäftigung der Mitbeteiligten in persönliche Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG und der Festlegung der Höhe der Beitragsnachverrechnung zu Grunde gelegt worden sind, konkret bestritten haben, keinen Hinweis darauf, dass von vornherein angenommen werden könnte, die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlungen werde nichts zur Klärung der Rechtssache beitragen. Es gehört gerade im Fall zu klärender bzw. widersprechender prozessrelevanter Behauptungen nämlich zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichtes, dem auch im § 25 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen. Ist eine Verhandlung nach Art. 6 EMRK geboten, dann ist eine Prüfung der Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung einer solchen Verhandlung nicht durchzuführen (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2019/08/0032, mwN).
13 Da die Unterlassung der Durchführung mündlicher Verhandlungen auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, waren die angefochtene Erkenntnisse wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
14 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014. Zuzuerkennen war der von den revisionswerbenden Parteien begehrte Ersatz des Aufwandes für die Einbringung der beiden Revisionen. Der beantragte Ersatz der Eingabengebühr war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuzusprechen.
Wien, am 1. Juli 2020
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