VwGH Ra 2018/22/0080

VwGHRa 2018/22/008029.3.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht) gegen das - am 25. Jänner 2018 mündlich verkündete und mit 12. Februar 2018 schriftlich ausgefertigte - Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/065/13487/2017-15, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: V S in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §94 Abs2
ASVG §293
ASVG §293 Abs1
EO §291a
FamLAG 1967 §2 Abs2
NAG 2005 §11 Abs2 Z4
NAG 2005 §11 Abs3
NAG 2005 §11 Abs5
NAG 2005 §2 Abs4 Z3
NAG 2005 §47 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
62008CJ0578 Chakroun VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220080.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1. Der Mitbeteiligte, ein serbischer Staatsangehöriger, stellte unter Berufung auf seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin (im Folgenden: Ehefrau) am 20. September 2016 beim Revisionswerber einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

2.1. Der Revisionswerber wies den Antrag mit Bescheid vom 12. Juli 2017 mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 und Abs. 2 Z 1 NAG ab. Nach der wesentlichen Begründung beziehe die Ehefrau ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.513,17, unter Berücksichtigung der Wohnungsmiete von EUR 400,58 und der freien Station von EUR 284,32 verblieben ihr (lediglich) EUR 1.396,91 monatlich, zudem befinde sie sich in einem Konkursverfahren (Abschöpfungsverfahren). Da der Richtsatz nach § 293 ASVG für ein Ehepaar und ein minderjähriges Kind (aus einer früheren Ehe der Ehefrau) EUR 1.471,47 betrage, sei ein ausreichender Unterhalt nicht nachgewiesen worden und folglich eine finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft durch den Aufenthalt nicht auszuschließen. Der Mitbeteiligte sei ferner am 2. März 2012 in Serbien wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden, sodass sein Aufenthalt auch öffentlichen Interessen widerstreite. Eine Abwägung nach § 11 Abs. 3 NAG falle zu seinen Ungunsten aus, weil er nicht unbescholten sei und eine erneute Straffälligkeit nicht auszuschließen sei. Der Mitbeteiligte könne sich auch nicht auf ein bestehendes Familienleben berufen und weise nur einen geringen Grad an Integration auf, er halte sich nur innerhalb der sichtvermerksfreien Zeit bei der Ehefrau in Österreich auf und lebe sonst in seinem Heimatland.

2.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde mit dem Vorbringen, das Einkommen der Ehefrau reiche aus, um seinen Unterhalt zu bestreiten; die zu seiner Verurteilung führende Straftat liege bereits neun Jahre zurück, er habe sich seitdem wohlverhalten, es sei eine günstige Zukunftsprognose anzustellen.

3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde Folge und sprach aus, dass dem Mitbeteiligten der beantragte Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 NAG mit Gültigkeitsdauer von zwölf Monaten erteilt werde.

3.2. Das Verwaltungsgericht traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Mitbeteiligte habe erstmals im Jahr 2011 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" unter Bezugnahme auf seine Ehefrau gestellt. Der Antrag sei im Jahr 2013 mangels eines ausreichenden Lebensunterhalts und einer ortsüblichen Unterkunft abgewiesen worden.

Am 16. Juni 2014 sei der Mitbeteiligte wegen unrechtmäßigen Aufenthalts in Österreich angezeigt worden und habe am 19. Juli 2014 das Bundesgebiet verlassen. Seitdem gebe es keine Vormerkungen mehr über ihn; auch Hinweise auf Sichtvermerksüberschreitungen lägen nicht vor. Der Mitbeteiligte lebe in Serbien bei seinen Eltern und übe Gelegenheitsjobs aus.

Die Ehefrau sei seit Oktober 2012 fortlaufend bei der J GmbH als Reinigungskraft beschäftigt und verdiene durchschnittlich EUR 1.494,49 netto monatlich (einschließlich Sonderzahlungen), dies bereits nach Abzug der von der Dienstgeberin im Abschöpfungsverfahren einbehaltenen Beträge, wobei jenes Verfahren im Jänner 2013 eingeleitet worden sei und voraussichtlich mit Jänner 2020 ende.

Die Ehefrau sei Hauptmieterin einer 61 m2 großen Gemeindewohnung, die Miete betrage EUR 413,84. Sie benütze die Wohnung gemeinsam mit ihrem 17-jährigen Sohn aus erster Ehe und vorübergehend auch mit dem Onkel des Mitbeteiligten. Sie erhalte für den Sohn Familienbeihilfe inklusive "Familienabsetzbetrag" (offenbar gemeint: Kinderabsetzbetrag) von rund EUR 194,--.

Der Mitbeteiligte sei mit Urteil des serbischen Kreisgerichts V vom 2. März 2012 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden, weil er im Jahr 2008 als (damaliger) "Direktor" einer Landwirtschaftsgenossenschaft 7.419.167,50 Dinar veruntreut habe.

3.3. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, dem Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels sei stattzugeben.

Unter Berücksichtigung ihres Einkommens und der bezogenen Familienbeihilfe sowie der zu zahlenden Wohnungsmiete abzüglich der freien Station stehe der Ehefrau ein Durchschnittseinkommen von EUR 1.563,52 monatlich zur Verfügung. Damit sei jedoch - zumal der Richtsatz für ein Ehepaar und ein Kind (lediglich) EUR 1.503,84 betrage - der Lebensunterhalt der dreiköpfigen Familie gesichert. Die Ehefrau sei seit Oktober 2012 laufend beschäftigt, es sei davon auszugehen, dass sie der Beschäftigung weiter nachgehe. Das Abschöpfungsverfahren ende in zwei Jahren, die Ehefrau werde dann als schuldenfrei zu betrachten sein. Im Hinblick darauf sei eine positive Zukunftsprognose zu erstellen. Insgesamt sei daher eine finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG nicht zu erwarten.

Was die strafgerichtliche Verurteilung betreffe, so habe der Mitbeteiligte seit der Tatbegehung vor beinahe zehn Jahren keine weiteren Straftaten begangen, es bestehe keine Wiederholungsgefahr. Es liege daher auch der Versagungsgrund des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG nicht (mehr) vor.

3.4. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts mit einem Aufhebungsantrag.

Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit und in Ausführung der Revision im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, indem es zu Unrecht davon ausgehe, dass der Lebensunterhalt unter Berücksichtigung der Familienbeihilfe gesichert sei. Es lasse außer Acht, dass die Familienbeihilfe - als Beitrag zu den mit dem Kindesunterhalt im Allgemeinen verbundenen Lasten - nur für jene Person, für die sie bezahlt werde (also den Unterhaltsberechtigten), zu verwenden sei. Vorliegend habe daher die Familienbeihilfe - mit Ausnahme des gemeinsam ausbezahlten Kinderabsetzbetrags (von EUR 58,40), auf den diese Erwägungen nicht zuträfen - bei der Prüfung des Nachweises ausreichender Unterhaltsmittel außer Betracht zu bleiben. Folglich ergäben sich Unterhaltsmittel von lediglich EUR 1.427,92, die unter dem Richtsatz von EUR 1.503,84 lägen, sodass die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG nicht erfüllt sei. Da es an der genannten Voraussetzung fehle, hätte das Verwaltungsgericht eine Interessenabwägung im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG in Verbindung mit Art. 8 EMRK vornehmen müssen, was nicht geschehen sei.

4.2. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

 

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision ist aus den vom Revisionswerber geltend gemachten Gründen zulässig und auch berechtigt.

6.1. Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Dies ist nach § 11 Abs. 5 NAG dann der Fall, wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und die der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 3 NAG) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a EO nicht zu berücksichtigen.

6.2. Wie aus den Akten hervorgeht, beabsichtigt der Mitbeteiligte, mit seiner Ehefrau im gemeinsamen Haushalt zu leben. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits dargelegt (vgl. VwGH 3.4.2009, 2008/22/0711; 17.12.2009, 2009/22/0231), dass bei einem geplanten gemeinsamen Haushalt unter Berücksichtigung der zu versorgenden Personen zu prüfen ist, ob das Haushaltsnettoeinkommen den "Haushaltsrichtsatz" nach § 293 Abs. 1 ASVG erreicht. In solchen Fällen ist auf das Existenzminimum des § 291a EO nicht Bedacht zu nehmen.

6.3. Dass der Mitbeteiligte selbst über feste und regelmäßige eigene Einkünfte verfügt, lässt sich dem angefochtenen Erkenntnis nicht entnehmen und wurde im Verfahren auch nicht vorgebracht. Wie sich aus § 11 Abs. 5 NAG ergibt, kann der Nachweis des Vorhandenseins der notwendigen Unterhaltsmittel auch durch das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs (§ 2 Abs. 4 Z 3 NAG) erbracht werden. Ein solcher kann unter anderem aus einem gesetzlichen - wie etwa einem ehe- oder familienrechtlichen - Titel herrühren (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2017/22/0186). Vorliegend müsste daher der Richtsatz des § 293 Abs. 1 ASVG von der - für die Mittelaufbringung allein aufkommenden - Ehefrau des Mitbeteiligten erreicht werden (vgl. VwGH 25.3.2010, 2009/21/0297).

6.4. Aus § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG (in der maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 29/2017, in Verbindung mit der entsprechenden Aufwertungsregelung BGBl. II Nr. 339/2017) ist abzuleiten, dass der Ausgleichszulagenrichtsatz für im gemeinsamen Haushalt lebende Ehegatten (für 2018) EUR 1.363,52 beträgt. Der Richtsatz erhöht sich nach § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG (für 2018) um EUR 140,32 für jedes Kind (§ 252 ASVG), dessen Nettoeinkommen den Richtsatz für einfach verwaiste Kinder bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres nicht erreicht. In Summe beläuft sich demnach - wie das Verwaltungsgericht ohne Rechtsirrtum erkannte - der fallbezogen maßgebliche Familienrichtsatz auf EUR 1.503,84.

6.5. Diesem Richtsatz stellte das Verwaltungsgericht das konstatierte Erwerbseinkommen der Ehefrau von durchschnittlich EUR 1.494,49 netto monatlich, zuzüglich der bezogenen Kinderbeihilfe (einschließlich Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs. 3 EStG) von rund EUR 194,--, abzüglich der - um den Wert der freien Station nach § 292 Abs. 3 ASVG (für 2018 EUR 288,87) verringerten -

Wohnungsmiete von EUR 413,84, gegenüber. Folglich gelangte es zu einem maßgeblichen Familieneinkommen von EUR 1.563,52, welches den bereits genannten Familienrichtsatz übersteige.

6.6. Die vom Verwaltungsgericht im Rahmen der soeben dargelegten Einkommensermittlung festgestellten Teilpositionen werden vom Revisionswerber der Höhe nach nicht bestritten. Dem Grunde nach wird ausschließlich die Einbeziehung der Familienbeihilfe - nicht jedoch des Kinderabsetzbetrags - bestritten. Die Bestreitung ist entscheidungserheblich, würde doch die Außerachtlassung der Familienbeihilfe - fallbezogen mit einem rechnerischen Betrag von "EUR 135,60" (= EUR 194,-- abzüglich EUR 58,40) - zur Verringerung des maßgeblichen Gesamteinkommens auf EUR 1.427,92 und damit zu einer Unterschreitung des erforderlichen Familienrichtsatzes um EUR 75,92 führen.

7.1. Vorliegend ist daher die Frage zu beantworten, ob die der Ehefrau für ihren minderjährigen Sohn ausbezahlte Familienbeihilfe zur Sicherstellung des notwendigen Unterhalts des Mitbeteiligten herangezogen werden darf. Zu dieser Frage wurde in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bereits wiederholt Stellung genommen.

7.2. So hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Familienbeihilfe als Betreuungshilfe gedacht ist, die ausschließlich für jene Person, für die sie bezahlt wird, zu verwenden ist (vgl. VfGH 23.9.1996, B 3419/95, VfSlg. 14.563/1996). Der Oberste Gerichtshof hat erkannt, dass ein Ehegatte über die von ihm bezogene Familienbeihilfe für in seinem Haushalt betreute Kinder nicht frei verfügen kann, sondern die Familienbeihilfe den Kindern für deren Unterhalt bzw. Pflege zuzuwenden hat, sodass sie auch den Einkünften im Sinn des § 94 Abs. 2 erster Satz ABGB nicht zugezählt werden kann (vgl. OGH RIS-Justiz RS0009783). Der Verwaltungsgerichtshof hat ebenso darauf hingewiesen, dass die Familienbeihilfe ausschließlich für den Unterhaltsberechtigten zu verwenden ist und der mit dem FLAG verfolgte Zweck in einem Beitrag zu den mit der Versorgung, Erziehung und Berufsausbildung von Kindern verbundenen Lasten durch die öffentliche Hand liegt (vgl. VwGH 28.4.2006, 2005/10/0180; 14.5.2007, 2006/10/0066). Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters festgehalten, dass der Grundbetrag der Familienbeihilfe gewährt wird, um einen Beitrag zu den Aufwendungen zu leisten, die mit dem Kindesunterhalt im Allgemeinen verbunden sind (vgl. VwGH 14.12.2007, 2006/10/0200; 22.3.2011, 2007/18/0689), sowie dass zwar das Kinderbetreuungsgeld als ein bei der Berechnung des "Haushaltseinkommens" nach § 11 Abs. 5 NAG zu berücksichtigender Einkommensbestandteil zu qualifizieren ist - was damit zu begründen ist, dass es jenen Eltern(teilen) zustehen soll, die bereit sind, die Berufstätigkeit im Hinblick auf die Kinderbetreuung einzuschränken oder ganz aufzugeben (vgl. VwGH 18.2.2010, 2009/22/0026) -, diese Begründung jedoch nicht auf die Familienbeihilfe, die andere Zwecke verfolgt, übertragbar ist (siehe neuerlich VwGH 2007/18/0689), vielmehr die Familienbeihilfe bei der Prüfung des Nachweises ausreichender Unterhaltsmittel für einen Fremden außer Betracht zu bleiben hat (vgl. VwGH 10.5.2011, 2007/18/0754; 22.9.2011, 2009/18/0121).

7.3. Aus der dargelegten Rechtsprechung ergibt sich somit, dass nach dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck die Familienbeihilfe ausschließlich für jene Person zu verwenden ist, für die sie bezahlt wird. Folglich ist es - in einem Fall wie dem hier gegenständlichen - nicht erlaubt, bei der Prüfung des Nachweises ausreichender Unterhaltsmittel für den Fremden die dem Zusammenführenden für ein Kind gewährte Familienbeihilfe zu berücksichtigen (vgl. zum Ganzen nochmals VwGH 2007/18/0689). Diese Überlegungen sollen indes für den Kinderabsetzbetrag nicht gelten (siehe erneut das soeben genannte Erkenntnis), was (auch) der Revisionswerber nicht bestreitet und daher hier nicht näher zu prüfen ist.

7.4. Bringt man vorliegend die Familienbeihilfe nicht in Ansatz, so verringert sich - wie schon gesagt - das maßgebliche Gesamteinkommen auf EUR 1.427,92 monatlich und wird daher der erforderliche Familienrichtsatz um EUR 75,92 unterschritten. Dies hat aber nicht jedenfalls zur Folge, dass der Aufenthalt des Mitbeteiligten zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG führen könnte. Vielmehr bedarf es einer - vom Verwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren nachzuholenden - individuellen Prüfung, um das Vorliegen der betreffenden Erteilungsvoraussetzung beurteilen zu können.

8.1. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat dazu in seinem - zwar zur Richtlinie 2003/86/EG ergangenen, jedoch in den Grundsätzen auch für die Familienzusammenführung durch Österreicher maßgeblichen (vgl. VwGH 21.12.2010, 2009/21/0002) - Urteil vom 4. März 2010, C-578/08  Chakroun, zum Ausdruck gebracht, dass die Unterschreitung eines vorgegebenen Mindesteinkommens nicht ohne konkrete fallbezogene Prüfung der Situation des einzelnen Antragstellers die Ablehnung der Familienzusammenführung zur Folge haben darf. Es ist daher eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall dahingehend geboten, ob der Lebensunterhalt trotz Unterschreiten der gesetzlich normierten Richtsätze gesichert ist. Dabei ist insbesondere auch beachtlich, wenn - wie vorliegend - der maßgebliche Richtsatz nur geringfügig unterschritten wird (vgl. neuerlich VwGH Ra 2017/22/0186; 2009/21/0002; weiters 19.11.2014, 2013/22/0009; u.a.).

8.2. Nicht zuletzt könnte - sollte sich die Erfüllung der Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht bereits aus dem Vorgesagten ergeben - auch nach § 11 Abs. 3 NAG ein Aufenthaltstitel bei Nichtvorliegen der im Blick stehenden Voraussetzung erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten wäre. Bei dieser Beurteilung wäre unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung des Aufenthaltstitels mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen unter Berücksichtigung der im § 11 Abs. 3 NAG näher angeführten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. etwa VwGH 26.1.2012, 2010/21/0346).

9. Insgesamt hat daher das Verwaltungsgericht aus den dargelegten Erwägungen das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet.

Der Revision war deshalb Folge zu geben und das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 29. März 2019

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