VwGH Ra 2018/21/0191

VwGHRa 2018/21/019124.1.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das am 11. Juli 2018 mündlich verkündete und am 1. August 2018 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, G301 2190844-1/12E, betreffend Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: Y M in S, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich in 1090 Wien, Alser Straße 20), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3;
AsylG 2005 §55 Abs1;
AsylG 2005 §57;
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z1;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018210191.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkt A.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte, eine 1983 geborene kubanische Staatsangehörige, die sich bereits im Jahr 2013 aufgrund eines entsprechenden Visums etwa drei Monate in Österreich aufgehalten hatte, reiste (über München) am 27. Juni 2017 mit einem bis 25. September 2017 gültigen Schengen-Visum neuerlich nach Österreich ein. In der Folge wohnte sie bei ihrer Cousine, einer mit einem österreichischen Staatsbürger verheirateten kubanischen Staatsangehörigen, in Salzburg.

2 Vor Ablauf der Gültigkeit des Visums stellte die Mitbeteiligte am 2. September 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 7. März 2018 zur Gänze abwies (Spruchpunkte I. und II.). Unter einem sprach das BFA (von Amts wegen) aus, dass der Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.). Des Weiteren erließ das BFA gegen die Mitbeteiligte gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung nach Kuba zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich setzte das BFA die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).

3 Die dagegen erhobene Beschwerde zog die Mitbeteiligte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 11. Juli 2018 in Bezug auf die Spruchpunkte I. und II. wieder zurück. Hinsichtlich des übrigen, aufrecht erhaltenen Teils der Beschwerde erkannte das BVwG mit dem am Ende dieser Verhandlung verkündeten und sodann am 1. August 2018 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis dahin, dass der Beschwerde "hinsichtlich der Spruchpunkte III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides" stattgegeben und gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt werde, eine Rückkehrentscheidung sei auf Dauer unzulässig. Demzufolge wurde des Weiteren ausgesprochen, dass der Revisionswerberin gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt werde (Spruchpunkt A.). Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B.). Unter einem wurde vom BVwG noch das Beschwerdeverfahren zu den Spruchpunkten I. und II. des BFA-Bescheides vom 7. März 2018 mit unbekämpft gebliebenem Beschluss eingestellt (Spruchpunkte C. und D.).

4 Gegen Spruchpunkt A. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

5 Die Amtsrevision erweist sich - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Fall einer Aufenthaltsdauer von zwei Jahren und acht Monaten dem Vorbringen in der dort erhobenen Amtsrevision des BFA erwidert, es könne nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen "kann" und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen sei. Da es sich bei der Aufenthaltsdauer um einen von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstand handle, sei die Annahme eines "Automatismus", wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Aufenthaltsdauer von nur drei Jahren jedenfalls abzuweisen wäre, verfehlt. Allerdings habe der Verwaltungsgerichtshof - so heißt es daran anschließend unter Zitierung von VwGH 23.6.2015, Ra 2015/22/0026, 0027 - bereits zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukomme. Die zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht vorliegende Aufenthaltsdauer von knapp unter drei Jahren könne daher - so resümierte der Verwaltungsgerichtshof fallbezogen - für sich genommen keine maßgebliche Verstärkung der persönlichen Interessen der mitbeteiligten Parteien an einer Titelerteilung bewirken (VwGH 30.7.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058). Damit im Einklang meinte der Verwaltungsgerichtshof etwa auch zuletzt in VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0143 bis 0147, Rn. 7, zu einem dort gegebenen Inlandsaufenthalt von eineinhalb Jahren, es könne von einer ins Gewicht fallenden Aufenthaltsdauer im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG keine Rede sein und somit könnte ein mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung verbundener Eingriff in das Privatleben nur unter außergewöhnlichen Umständen die Unzulässigkeit dieser Maßnahme bewirken.

7 Das muss umso mehr für einen erst rund ein Jahr dauernden Aufenthalt, wie ihn die Mitbeteiligte aufweist, gelten, zumal auch bei ihr nur ein Eingriff in das Privatleben und nicht auch in ein Familienleben zur Debatte steht. Nun wird nicht verkannt, dass die unbescholtene Mitbeteiligte - wie das BVwG ins Treffen führte - besondere Bemühungen bei der Erlangung von Deutschkenntnissen und einer Beschäftigung zeigte, bisher keine staatlichen Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen musste und Anstrengungen zur sozialen Integration unternommen hat. Allerdings besteht insgesamt trotzdem keine derartige Verdichtung ihrer persönlichen Interessen, dass von "außergewöhnlichen Umständen" gesprochen werden kann, und ihr allein deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste.

8 Insgesamt bewegte sich das BVwG somit bei seiner Entscheidung nicht innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof zu der bei einer Rückkehrentscheidung vorzunehmenden Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG entwickelten Grundsätze. Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb hinsichtlich der Beschwerdestattgebung in Bezug auf Spruchpunkt IV. und die darauf aufbauenden Spruchpunkte V. und VI. des Bescheides des BFA vom 7. März 2018, sowie hinsichtlich der daraus folgenden Aussprüche betreffend die dauernde Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

9 Im Übrigen blieb das BVwG eine Begründung dafür schuldig, weshalb es auch der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des genannten BFA-Bescheides betreffend die (amtswegige) Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 Folge gegeben hat, obwohl keine Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen zur Erteilung dieser Aufenthaltsberechtigung bestanden. Auch insoweit war das angefochtene Erkenntnis daher - in Stattgebung der auch dies geltend machenden Amtsrevision - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

10 Zur Vollständigkeit ist zu der in der Amtsrevision noch thematisierten Frage der Wirksamkeit des Antrags des BFA vom 12. Juli 2018 auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses anzumerken, dass der Mangel des Fehlens einer Amtssignatur jedenfalls durch die auf diesen Antrag rekurrierende amtssignierte Revision geheilt ist, zumal von Anfang an kein Zweifel im Sinne des § 13 Abs. 4 AVG iVm § 17 VwGVG an der Authentizität des Anbringens bestehen musste und beim BVwG, das dem Antrag ohne Weiteres durch Herstellung einer vollständigen Ausfertigung mit 1. August 2018 entsprach, offenbar auch nicht bestand.

Wien, am 24. Jänner 2019

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