VwGH Ra 2018/19/0478

VwGHRa 2018/19/04788.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie Hofrat Dr. Pürgy und Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. August 2018, W236 2202064‑1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: E F in K), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §18
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §55 Abs1
FrPolG 2005 §55 Abs1a
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §42 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018190478.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich Spruchpunkt A.II. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1 Der aus der Russischen Föderation stammende Mitbeteiligte stellte am 2. Juni 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Dieser Antrag wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 1. Juli 2013 zurückgewiesen, weil eine Zuständigkeit Ungarns vorliege. Nach Weiterreise des Mitbeteiligten in die Niederlande und Deutschland wurde der Mitbeteiligte nach Ungarn überstellt und schließlich von den ungarischen Behörden in die Russische Föderation abgeschoben.

3 Am 2. August 2018 stellte der Mitbeteiligte nach neuerlicher Einreise in das Bundesgebiet einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

4 Das BFA wies diesen Antrag des Mitbeteiligten mit Bescheid vom 20. Juni 2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Unter einem sprach es aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.), setzte keine Frist zur freiwilligen Ausreise fest (Spruchpunkt VI.), erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.) und sprach aus, dass der Mitbeteiligte sein vorläufiges Aufenthaltsrecht ab dem 20. April 2018 verloren habe (Spruchpunkt VIII.).

5 Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

6 Mit Teilerkenntnis vom 1. August 2018 hob das BVwG Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde) ersatzlos auf.

7 Diese Entscheidung des BVwG wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 18. März 2019, Ro 2018/20/0011, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

8 Mit dem gegenständlich in Revision gezogenen Teilerkenntnis (ebenfalls vom 1. August 2018) wies das BVwG die Beschwerde des Mitbeteiligten hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis V. sowie VIII. als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Hinsichtlich Spruchpunkt VI. des bekämpften Bescheids gab das BVwG der Beschwerde statt und hob diesen Spruchpunkt (Nichtfestsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise) ersatzlos auf (Spruchpunkt A.II.). Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG wurde für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B.).

9 In seiner Begründung führte das BVwG ‑ soweit für das gegenständliche Revisionsverfahren relevant ‑ gestützt auf § 55 Abs. 1 und Abs. 1a FPG aus, dass es durch die Behebung des Spruchpunktes VII. des angefochtenen Bescheids (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde) an einer Rechtsgrundlage für die Nichtfestsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise fehle. Dieser Spruchpunkt sei daher ersatzlos zu beheben gewesen.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ‑ gegen Spruchpunkt A.II. dieses Erkenntnisses gerichtete ‑ Amtsrevision nach Einleitung eines Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Die Amtsrevision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das BVwG übersehe, dass in Fällen, in denen es zu einer Bestätigung der ausgesprochenen Rückkehrentscheidung komme, im Spruch eine Frist für die freiwillige Ausreise festzusetzen sei.

12 Die Revision ist zulässig und auch begründet.

13 § 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, lautet:

Frist für die freiwillige Ausreise

§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA‑VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA‑VG aberkannt wurde.

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.“

14 Mit dem im Zuge des Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz (FNG), BGBl. I Nr. 87/2012, eingefügten § 55 Abs. 1a FPG sollte ‑ schon wie bisher in § 10 Abs. 7 AsylG 2005 ‑ klargestellt werden, dass im Fall von zurückweisenden Entscheidungen gemäß § 68 AVG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht. Dies gelte ‑ so die Gesetzesmaterialien weiter ‑ auch für Fälle, in denen eine Entscheidung durchführbar wird (vgl. RV 1803 BlgNR 24. GP  66).

Der erwähnte § 10 Abs. 7 AsylG 2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011, der bereits eine Frist von vierzehn Tagen für die freiwillige Ausreise vorsah, ordnete an, dass eine solche Frist nicht besteht, wenn gegen den Fremden ein Rückkehrverbot erlassen wurde und für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 oder § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 38 durchführbar wird. In diesen Fällen hatte der Fremde ‑ so § 10 Abs. 7 letzter Satz AsylG 2005 ‑ unverzüglich auszureisen.

15 Das BVwG begründete die ersatzlose Behebung der durch das BFA erfolgte Nichtfestsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise (Spruchpunkt VI. des Bescheides vom 20. Juni 2018) damit, dass die von der Behörde ausgesprochene Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde vom BVwG mit dem Teilerkenntnis vom 1. August 2018 aufgehoben worden sei und somit eine Rechtsgrundlage für die Nichtfestsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise fehle.

16 Wie in der Zulässigkeitsbegründung aber zutreffend aufgezeigt wird, wäre auf Basis der Annahmen des BVwG gemäß § 55 Abs. 1 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen gewesen (vgl. etwa Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl‑ und Fremdenrecht [2016] § 55 FPG K 9). Auf Grund der somit zulässigen Revision ist aber nunmehr vorrangig folgende Rechtswidrigkeit aufzugreifen:

17 Die Entscheidung des BVwG betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde vom Verwaltungsgerichtshof zwischenzeitlich mit Erkenntnis vom 18. März 2019, Ro 2018/20/0011, aufgehoben, und zwar gemäß § 42 Abs. 3 VwGG mit Wirkung „ex tunc“.

Das hat zur Folge, dass der Rechtszustand zwischen der Erlassung des Erkenntnisses und seiner Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob das aufgehobene Erkenntnis von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet auch, dass allen Rechtsakten und Vollzugsakten, die während der Geltung der vom Verwaltungsgerichtshof danach aufgehobenen Erkenntnisse auf deren Grundlage gesetzt worden sind, im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen worden ist (vgl. etwa VwGH 5.10.2017, Ra 2017/21/0161).

18 Die ‑ auf § 55 Abs. 1a FPG gestützte ‑ Behebung der behördlich ausgesprochenen Nichtfestsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise durch das BVwG erweist sich somit schon aus diesem Grund als rechtswidrig.

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich Spruchpunkt A.II. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 8. Juni 2020

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