VwGH Ra 2018/19/0268

VwGHRa 2018/19/026815.11.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Mag. Stickler sowie Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. März 2018, W264 2189843- 1/3E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: W H K), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190268.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 14. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Erstbefragung brachte der - zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige - Mitbeteiligte vor, er gehöre der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung an. Seine Flucht nach Österreich habe einer seiner Onkel finanziert. Afghanistan habe er wegen des Krieges und aus Furcht vor den Taliban verlassen. Seine Familie habe auch einen "Grundstücksstreit" mit dem Onkel seines Vaters gehabt.

2 Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 23. Jänner 2018 gab der - inzwischen volljährige - Mitbeteiligte im Wesentlichen an, seine Familie sei, als er drei Jahre alt gewesen sei, aus Afghanistan nach Pakistan geflohen, weil in Afghanistan Krieg geherrscht habe und sie in Gefahr gewesen seien, von den Taliban getötet zu werden. Die Frage, ob er bzw. seine Familie sonst in Afghanistan einer "persönlichen Verfolgung" ausgesetzt gewesen seien, verneinte der Mitbeteiligte. In Pakistan, wo der Mitbeteiligte aufgewachsen sei, habe er als Teppichknüpfer, als Maurer und als Arbeiter im Bergbau gearbeitet. In Afghanistan kenne er sich nicht aus und habe dort auch keine Bekannten.

Er glaube, dass er in Afghanistan noch Familienangehörige habe, kenne diese aber nicht.

3 Mit Bescheid vom 19. Februar 2018 wies das BFA diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Unter einem erkannte das BFA einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise, stellte fest, dass der Mitbeteiligte sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 11. April 2017 verloren habe und erließ ein auf acht Jahre befristetes Einreiseverbot.

4 Begründend traf das BFA Feststellungen zur Lage in Afghanistan und führte - soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung - zusammenfasst aus, dem Mitbeteiligten drohe bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung. Er könne sich jedenfalls in den sicheren Provinzen Kabul oder Herat niederlassen, wobei diese Provinzen für ihn auch sicher erreichbar seien. Der Mitbeteiligte sei jung, arbeitsfähig und verfüge über Berufserfahrung als Teppichknüpfer, Maurer und als Arbeiter im Bergbau. Er könne in Afghanistan auf die Unterstützung durch lokale Organisationen und die finanzielle Unterstützung durch seine in Pakistan aufhältige Familie vertrauen. Trotz Fehlens eines familiären Netzwerkes werde der Mitbeteiligte bei einer Rückkehr nach Afghanistan daher nicht in eine ausweglose Lage geraten. Der Antrag auf internationalen Schutz sei daher abzuweisen und eine Rückkehrentscheidung zu treffen gewesen. Die weiteren Aussprüche gründete das BFA auf eine strafgerichtliche Verurteilung des Mitbeteiligten.

5 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den Bescheid auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Es sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 In seiner Begründung gab das BVwG den Verfahrensgang wieder und führte aus, das BFA habe das Verfahren mangelhaft geführt. Die Minderjährigkeit des Mitbeteiligten zum Zeitpunkt der Erstbefragung sei nicht beachtet worden. In der Erstbefragung habe der Mitbeteiligte - anders als in der Einvernahme vor dem BFA - in Zusammenhang mit seinen Fluchtgründen noch "Grundstückstreitigkeiten" angegeben und einen Onkel genannt, der seine Flucht nach Österreich finanziert habe. Das BFA habe es unterlassen, dem Mitbeteiligten diese Aussagen aus der Erstbefragung in seiner Einvernahme vorzuhalten. In Hinblick darauf, dass der Mitbeteiligte zum Zeitpunkt der Flucht aus Afghanistan erst drei Jahre alt gewesen sei, hätte auch "näher beleuchtet" werden müssen, woher der Mitbeteiligte sein Wissen über die Gründe, durch die seine Familie zur Flucht bewogen worden sei, habe. Hinsichtlich der Frage, ob der Mitbeteiligte bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose oder existenzbedrohende Situation geraten würde, sei nicht ausreichend erhoben worden, ob der Mitbeteiligte in Afghanistan aus eigener Arbeit ein Einkommen erwirtschaften könne bzw. ob ein ausreichendes familiäres Netzwerk vorhanden sei. Das BFA habe wohl festgestellt, über welche berufliche Erfahrung der Mitbeteiligte verfüge, habe es aber unterlassen zu eruieren, ob er dadurch auch tatsächlich ein Einkommen erzielen könne, mit dem seine grundlegenden Lebensbedürfnisse befriedigt werden könnten. Es sei auch nicht ausreichend gewesen, die Aussage des Mitbeteiligten, wonach er glaube, in Afghanistan noch Familienangehörige zu haben, diese aber nicht zu kennen, bloß "hinzunehmen", ohne dies näher zu hinterfragen. Das BFA werde daher im weiteren Verfahren insbesondere die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach § 8 AsylG 2005 sowie die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nach § 11 AsylG 2005 zu prüfen haben.

 

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revision des BFA nach Einleitung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Das BFA bringt zur Zulässigkeit seiner Revision im Wesentlichen vor, das BVwG sei von der (in der Revision näher dargestellten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für Behebungen und Zurückverweisungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen.

9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

10 Nach ständiger Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 3.5.2018, Ra 2017/19/0585, mwN).

11 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 6.7.2016, Ra 2015/01/0123; 14.12.2016, Ro 2016/19/0005, jeweils mwN).

12 Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung der Sache, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind. Auch wenn das Verwaltungsgericht die beweiswürdigenden Erwägungen einer Verwaltungsbehörde nicht teilt, führt dies allein noch nicht dazu, dass von einem Unterlassen gebotener Ermittlungsschritte im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGVG gesprochen werden könnte (vgl. etwa VwGH 20.6.2017, Ra 2017/18/0103, mwN).

13 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027, mwN).

14 Im vorliegenden Fall ergeben sich keine krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken, die im Sinn der dargestellten Rechtsprechung eine Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA zur Durchführung notwendiger Ermittlungen rechtfertigen könnten. Die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bzw. das Erfordernis einer ergänzenden Einvernahme im Rahmen dieser Verhandlung können - ebenso wie auch das Erfordernis der Ergänzung der Länderfeststellungen - für sich eine kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht rechtfertigen (vgl. VwGH 20.6.2017, Ra 2017/18/0117, mwN). Soweit das BVwG daher eine Konkretisierung bzw. Vervollständigung der Angaben des Mitbeteiligten vermisst, wäre es verpflichtet gewesen, den Mitbeteiligten dazu selbst im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einzuvernehmen.

15 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 15. November 2018

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