VwGH Ra 2018/18/0138

VwGHRa 2018/18/013829.6.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision 1. des O D, 2. der N D, 3. der R D, 4. der R D, 5. der R D, 6. des K D, und 7. des M D, alle in O, alle vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2018, Zlen. 1) G305 2177024-1/15E, 2) G305 2177022- 1/16E, 3) G305 2177027-1/15E, 4) G305 2177026-1/15E,

5) G305 2177020-1/15E, 6) G305 2177016-1/15E und 7) G305 2177028- 1/15E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §3 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180138.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind Mitglieder einer Familie; der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind Ehegatten, die Drittrevisionswerberin ist deren (nunmehr) volljährige Tochter, die viert- bis siebtrevisionswerbenden Parteien sind deren minderjährige Töchter bzw. Söhne. Sie sind alle irakische Staatsangehörige, gehören der arabischen Volksgruppe an und sind Muslime sunnitischen Glaubens. Sie stammen aus einem sunnitischen Stadtviertel Bagdads und lebten dort bis zu ihrer Ausreise in einem Einfamilienhaus.

2 Die Zweitrevisionswerberin reiste zunächst gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern, den dritt- bis sechstrevisionswerbenden Parteien, in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte für sich sowie als gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Kinder am 11. Oktober 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstrevisionswerber reiste kurze Zeit später nach und stellte am 26. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Für den im Bundesgebiet nachgeborenen Siebtrevisionswerber stellte der Erstrevisionswerber als dessen gesetzlicher Vertreter am 8. November 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

3 Als Fluchtgrund gab der Erstrevisionswerber zusammengefasst an, er sei erstmals im Jahr 2008 wegen seines Berufs als Musiker von Angehörigen der schiitischen Miliz "Asa'ib Ahl al-Haqq" angegriffen und geschlagen worden. Im Jahr 2013 sei er erneut - aufgrund seines sunnitischen Vornamens - von Mitgliedern der Miliz bedroht und verletzt worden. Er habe in Folge seine Tätigkeit als Musiker aufgegeben und als Buchhalter gearbeitet. Ausschlaggebend für die Flucht sei jedoch der Vorfall seiner Ehegattin gewesen.

4 Die Zweitrevisionswerberin begründete ihren Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen damit, dass sie für etwa zwei Jahre in einem Kaffeehaus in Bagdad als Kellnerin gearbeitet habe. Der Lokalbesitzer sei mittels eines Drohbriefes zur Schließung des Lokals aufgefordert worden, da dieses eine "Sünde" sei. Am 16. April 2015 hätten mehrere bewaffnete Männer der schiitischen Miliz "Asa'ib Ahl al-Haqq" das Lokal überfallen und die Zweitrevisionswerberin sowie ihre Arbeitskolleginnen geschlagen. Die Zweitrevisionswerberin habe aus dem Lokal fliehen können. Etwa einen Monat später sei ihre Arbeitskollegin tot aufgefunden worden. Ende September 2015 habe die Zweitrevisionswerberin einen Anruf erhalten, in dem ihr gedroht worden sei, dass sie und ihre Töchter "die Nächsten" seien. Aus Angst um ihr Leben sei sie sodann aus dem Irak geflüchtet.

5 Mit Bescheiden vom 2. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der revisionswerbenden Parteien zur Gänze ab, erteilte keine Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

6 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision welche - auf das Wesentliche zusammengefasst - vorbringt, das BVwG habe seine Beweiswürdigung hinsichtlich der geltend gemachten Fluchtgründe in einer unvertretbaren Weise vorgenommen. Darüber hinaus drohe den revisionswerbenden Parteien aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sunnitischen Minderheit eine Gruppenverfolgung. Aufgrund der prekären Sicherheitslage in Bagdad wäre ihnen zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen. Hinsichtlich der vom BVwG angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative würden konkrete Feststellungen zur Zumutbarkeit fehlen. Das BVwG habe die Art. 8 EMRK-Abwägung nicht im Sinne der hg. aufgestellten Kriterien durchgeführt. Überdies sei dem BVwG ein Verfahrensfehler anzulasten, zumal die Verhandlungsniederschrift vom 19. Jänner 2018 nicht rückübersetzt worden sei.

8 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung wendet, ist zunächst auf die ständige hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen, soweit der Sachverhalt genügend erhoben ist und die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wäre nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht die Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 25.4.2018, Ra 2018/18/0184, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof ist jedoch nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, nämlich sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0107, mwN).

13 Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die Beweiswürdigung in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre. Entgegen dem Revisionsvorbringen berücksichtigte das BVwG die von der Zweitrevisionswerberin vorgelegten Beweismittel, würdigte das individuelle Fluchtvorbringen und setzte sich dabei mit den einschlägigen länderkundlichen Feststellungen über das Vorgehen der schiitischen Milizen gegenüber Cafes und Restaurants in Bagdad auseinander. Es kann dem BVwG im Ergebnis nicht entgegengetreten werden, wenn es davon ausgeht, dass eine konkrete individuelle Bedrohung der Zweitrevisionswerberin bei einer Rückkehr trotz Beendigung ihrer Tätigkeit als Kellnerin und der Schließung des Lokals nicht glaubhaft gemacht worden sei. Der Revision gelingt es mit ihren Ausführungen nicht, die für sich tragenden beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG zu erschüttern.

14 Soweit die Revision in diesem Zusammenhang die unterbliebene Rückübersetzung der Verhandlungsniederschrift moniert, wird damit ein Verfahrensmangel geltend gemacht, dessen Relevanz in konkreter Weise darzulegen ist (vgl. etwa VwGH 5.4.2018, Ra 2018/19/0154-0156, mwN). Angesichts des Umstandes, dass sich das BVwG nicht ausschließlich auf Ungereimtheiten in den Aussagen der Zweitrevisionswerberin im Rahmen der mündlichen Verhandlung stützt, sondern weitere, für sich tragende Argumente aufzeigt, wird eine Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dargelegt.

15 Der Revision gelingt es ferner nicht, die Einschätzung des BVwG, dass den weiblichen revisionswerbenden Parteien - auch vor dem Hintergrund ihrer Schulbildung und Berufstätigkeit im Irak und des von ihnen gelebten moderaten Islams - keine Verfolgung aufgrund einer angenommenen "westlichen Orientierung" droht, zu entkräften. Aus dem Revisionsvorbringen ist auch nicht zu sehen, inwieweit die revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat einer grundrechtsbeschränkenden Behandlung unterworfen wären.

16 Soweit in der Revision auf den sunnitischen Vornamen des Erstrevisionswerbers und die Zugehörigkeit der revisionswerbenden Parteien zur Minderheitengruppe der Sunniten hingewiesen wird, wird damit ebenso wenig eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt. Das BVwG berücksichtigte die maßgeblichen länderkundlichen Berichte und kam nachvollziehbar und vertretbar begründet zum Ergebnis, dass sich daraus eine systematische Verfolgung der Sunniten nicht ableiten lässt (vgl. ebenso zu einem Sunniten aus Bagdad, VwGH 25.4.2017, Ra 2017/18/0014).

17 Hinsichtlich der monierten Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ist auszuführen, dass im vorliegenden Einzelfall - auch unter Berücksichtigung der besonderen Vulnerabilität der minderjährigen Kinder - eine Verletzung der durch Art. 2, 3 EMRK geschützten Rechte im Ergebnis nicht ersichtlich ist. Das BVwG stützte seine Einschätzung insbesondere auf die im gegenständlichen Fall gesicherte Unterkunfts- und Versorgungssituation der revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr aufgrund der noch bestehenden zahlreichen familiären Anknüpfungspunkte in der Heimatstadt, des in deren Eigentum stehenden Einfamilienhauses in einem mehrheitlich von Sunniten bewohnten Stadtviertel Bagdads, der Berufserfahrung der erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien sowie der wirtschaftlich stabilen Verhältnisse vor ihrer Ausreise. Angesichts dieser in der Revision unbestritten gebliebenen Feststellungen kann dem BVwG nicht entgegengetreten werden, wenn es die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten verneint. Soweit die Revision die prekäre Sicherheitslage in Bagdad moniert und sich dabei auf die vom BFA herangezogenen Länderberichte stützt, übersieht sie, dass sich diese vor allem auf schiitische Stadtviertel in Bagdad beziehen, die revisionswerbenden Parteien jedoch unbestritten aus einem sunnitischen Stadtteil Bagdads stammen. Die Revision zeigt damit im Ergebnis nicht konkret auf den vorliegenden Fall bezogen auf, warum entgegen der festgestellten Situation eine Rückkehr zu einer Art. 3 EMRK-Verletzung führen würde.

18 Zu dem gegen die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative gerichteten Vorbringen genügt es darauf hinzuweisen, dass diese - wie von der Revision selbst vorgebracht -

durch das BVwG nur hilfsweise herangezogen wurde und sich das Erkenntnis tragend auf eine fehlende Glaubhaftmachung der behaupteten Verfolgung stützen konnte, weshalb die nur hilfsweise herangezogene innerstaatliche Fluchtalternative nicht maßgeblich ist (vgl. VwGH 30.4.2018, Ra 2018/01/0172, mwN).

19 Was schließlich die als unzureichend gerügte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK anlangt, so zeigen die revisionswerbenden Parteien nicht auf, dass die vom BVwG im Einzelfall durchgeführte Interessenabwägung nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt oder nicht in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden sei, sodass sich diese als nicht revisibel erweist (vgl. VwGH 9.5.2018, Ra 2018/18/0212, mwN).

20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 29. Juni 2018

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