VwGH Ra 2018/18/0212

VwGHRa 2018/18/02129.5.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des O alias E N, in W, vertreten durch Mag. Wolfgang Auner, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2018, Zl. W266 2189295- 1/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §18;
AVG §46;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180212.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 25. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet und führte dazu im Wesentlichen aus, er sei von Leuten entführt worden, welche von seinem Onkel hätten Lösegeld erpressen wollen.

2 Mit Bescheid vom 31. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 Asylgesetz 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte I. bis V.). Gemäß § 55 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkte VI. und VII.).

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4 Begründend führte es - zusammengefasst - aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer konkreten Verfolgung ausgesetzt wäre. Seinem Fluchtvorbringen mangle es an Glaubwürdigkeit und - selbst bei dessen Wahrunterstellung - an Asylrelevanz, weil kein Konnex zwischen der versuchten Entführung des Revisionswerbers und den in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Gründen hergestellt werden könne. Zudem stehe dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung. Auch subsidiärer Schutz sei ihm nicht zu gewähren, weil er in seine Herkunftsregion Mazar-e Sharif, welche zu den sichersten Städten Afghanistans zähle, zurückkehren könne und ihm überdies die besagte innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen stehe. Er sei ein arbeitsfähiger, gut ausgebildeter, junger Mann, der bereits über Arbeitserfahrung verfüge. Zudem könne er durch seine in Mazar-e Sharif wohnhafte Familie, vor allem seinen Onkel, finanziell unterstützt werden. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung führte das BVwG aus, der Revisionswerber verfüge zwar über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 und habe über mehrere Monate gemeinnützige Arbeit geleistet, gehe aber sonst keiner Beschäftigung nach. Er habe einen besten Freund und noch einige Bekannte in Österreich. Im Hinblick auf die kurze Aufenthaltsdauer von beinahe drei Jahren in Österreich, der starken Bindungen an sein Herkunftsland, weil dort seine Familie lebe, bei gleichzeitiger Abwesenheit von Familienangehörigen in Österreich falle die Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK zuungunsten des Revisionswerbers aus.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen einen Verstoß des BVwG gegen die Verhandlungspflicht geltend macht. Auch habe es das BVwG unterlassen, Ermittlungen zur Entführung des Revisionswerbers durchzuführen und eine aktuelle Bewertung der Gefahrenlage in Mazar-e Sharif und Kabul vorzunehmen. Zudem sei bei der im Rahmen der Rückkehrentscheidung vorzunehmenden Interessenabwägung nicht berücksichtigt worden, dass er österreichische Freunde und Bekannte habe.

6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Soweit die Revision einen Verstoß des BVwG gegen die Verhandlungspflicht geltend macht, ist zunächst festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum auch hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt ist, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017-0018).

11 Die Revision vermag mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht aufzuzeigen, dass das BVwG von diesen Leitlinien abgewichen wäre. So richtete sich die Beschwerde des Revisionswerbers hinsichtlich der Ermittlungen und der Beweiswürdigung des BFA lediglich gegen die Außerachtlassung näher genannter Länderberichte, womit der Revisionswerber der Annahme des BFA, ihm stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen, jedoch nicht substantiiert entgegenzutreten vermochte. Die Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber als arbeitsfähiger, gut ausgebildeter, junger Mann mit Arbeitserfahrung finde aufgrund der aufgezeigten Umstände des Einzelfalles in Kabul eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative, begegnet auch im Lichte der insoweit einheitlichen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes keinen Bedenken (vgl. VfGH 12.12.2017, E 2068/2017, sowie VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0351).

12 Insoweit die Revision moniert, das BVwG habe - nicht näher spezifizierte - Ermittlungen zur Entführung des Revisionswerbers unterlassen und keine aktuelle Bewertung der Gefahrenlage in Mazare Sharif und Kabul vorgenommen, rügt sie (vermeintliche) Verfahrensmängel. Die Zulässigkeit der Revision setzt in einem solchen Fall neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird. Das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für den Revisionswerber günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. VwGH 9.10.2014, Ra 2014/18/0036). Indem die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht konkret aufzeigt, aus welchen Gründen vom Vorliegen eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens auszugehen sei, bzw. inwiefern sich die aktuelle Situation hinsichtlich einer Gefahrenlage im Vergleich zu den Feststellungen des BVwG konkret verschlechtert habe, ist eine solche Relevanzdarlegung dem Zulässigkeitsvorbringen nicht zu entnehmen.

13 Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass eigenen hoheitlichen Ermittlungen der Asylbehörden im Herkunftsstaat des Asylwerbers allgemeine Prinzipien des Völkerrechts entgegenstehen. Danach sind Staaten grundsätzlich verpflichtet, in fremden Hoheitsräumen keine Amtshandlungen ohne Genehmigung des Territorialstaates vorzunehmen. Dieser Grundsatz wird meist streng gehandhabt und gestattet nicht einmal eine hoheitliche Tätigkeit, die keine unmittelbare Auswirkung im Territorialstaat hat, z.B. polizeiliche Erhebungen oder amtliche Vorladungen. Ermittlungen, die diesen Prinzipien widersprechen, sind von den Ermittlungspflichten des § 18 AsylG 2005 daher nicht umfasst und den Asylbehörden auch nicht erlaubt (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

14 Soweit die Revision schließlich die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK beanstandet, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0416, mwN). Eine solche Mangelhaftigkeit der vom BVwG fallbezogen vorgenommenen Interessenabwägung hat die Revision jedoch nicht aufgezeigt.

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 9. Mai 2018

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