VwGH Ra 2018/14/0375

VwGHRa 2018/14/037530.4.2019



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Dr. Eva Meusburger-Streicher, Rechtsanwältin in 4020 Linz, diese vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Oktober 2018, W104 2178788- 1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
FrPolG 2005 §61
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018140375.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Antragsteller, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 1. Juni 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er sei von seinem Vater gezwungen worden, für eine kriminelle Organisation zu rauben und Waffen zu schmuggeln. Als er diese Tätigkeiten beenden und zur Polizei gehen habe wollen, sei er von den Chefs der Organisation bedroht worden. 2 Mit Bescheid vom 18. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. 3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG). 5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit bringt die Revision vor, das BVwG habe sich in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat und Mazar-e Sharif im Zusammenhang mit der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz nicht hinreichend mit den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 auseinandergesetzt. Auch habe das BVwG die Intensität und Dauer des Familienlebens des Revisionswerbers mit seiner Lebensgefährtin und ein eventuell bestehendes Abhängigkeitsverhältnis nicht ermittelt und sich bei der Interessenabwägung von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfernt. Das BVwG habe nicht berücksichtigt, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch ein während eines unsicheren Aufenthaltsstatus begründetes Familienleben zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen könne.

8 Insoweit die Revision die mangelnde Auseinandersetzung mit den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 rügt, macht sie einen Verfahrensfehler geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0300, mwN). 9 Eine solche Relevanzdarstellung enthält die Zulassungsbegründung der vorliegenden Revision, die jedes Vorbringen dazu vermissen lässt, zu welchen anderen Feststellungen das BVwG bei der gebotenen Auseinandersetzung mit den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 kommen hätte können, nicht. 10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 4.3.2019, Ra 2018/14/0368, mwN).

11 Der Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG ("Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren") darf zwar nicht in unverhältnismäßiger Weise in den Vordergrund gestellt werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt klargestellt, dieser Aspekt habe schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen sei und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung (bzw. Rückkehrentscheidung) führen könne (vgl. VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0325, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat aber auch mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN).

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. VwGH 28.3.2019, Ra 2019/14/0058, mwN).

13 Das BVwG hat im Rahmen der Interessenabwägung alle entscheidungswesentlichen und auch die zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände berücksichtigt. Dabei hat es auf die Lebensgemeinschaft des Revisionswerbers mit einer in Österreich Asylberechtigten und ihren gemeinsamen Haushalt, aber auch darauf Bedacht genommen, dass die Lebensgemeinschaft erst in einem Zeitpunkt entstanden ist, als sich der Revisionswerber seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Die Revision zeigt nicht auf, dass das BVwG fallbezogen von den oben dargestellten Leitlinien der Rechtsprechung abgewichen wäre. 14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 30. April 2019

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