Normen
BauO Tir 2001 §20 Abs1
BauO Tir 2001 §20 Abs2
BauO Tir 2011 §2 Abs16
BauO Tir 2011 §21 Abs1
BauO Tir 2011 §21 Abs2
BauO Tir 2018 §2 Abs17 lita
BauO Tir 2018 §28 Abs1
BauO Tir 2018 §28 Abs2
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018060221.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Zum bisherigen Gang des Verfahrens wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. März 2014, 2011/06/0024, verwiesen. Mit diesem wurde die Beschwerde der nunmehrigen Revisionswerber gegen einen Bescheid der Tiroler Landesregierung als Vorstellungsbehörde, mit dem ein näher bezeichneter Bescheid des Gemeindevorstands der Gemeinde M. wegen fehlender Nachvollziehbarkeit der Begründung zum Vorliegen eines Baukonsenses für den hier gegenständlichen Bauteil behoben worden war, als unbegründet abgewiesen.
2 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) wurde die Beschwerde der Revisionswerber gegen den im zweiten Rechtsgang ergangenen Bescheid des Gemeindevorstands der Gemeinde M. vom 20. Juli 2017, mit welchem ein Benützungsverbot gemäß § 39 Abs. 6 lit. b Tiroler Bauordnung 2011 (TBO 2011) in Bezug auf diesen näher bezeichneten Bauteil gegenüber den Revisionswerbern ausgesprochen worden war, mit einer Maßgabe im Spruch dieses Bescheides als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass für den als „Balkon 2“ bezeichneten, in die Mindestabstandsfläche ragenden Bauteil kein Baukonsens vorliege und der baulichen Ausführung nach auch keinesfalls ein Balkon vorliege, sondern eine oberirdische bauliche Anlage mit begehbarem Dach. Diese sei nicht als untergeordnet anzusehen und hätte jedenfalls der Zustimmung der Nachbarin gemäß § 6 Abs. 4 lit. a Tiroler Bauordnung 2018 (TBO 2018) bedurft. Der Bauteil sei in seinem Gesamtausmaß von 2,9 Metern mal 8,7 Metern als oberirdische bauliche Anlage im Mindestabstandsbereich auch bewilligungspflichtig nach § 28 Abs. 1 lit. e TBO 2018. Die Beschwerde sei abzuweisen und die Benützung gemäß § 46 Abs. 6 lit. a TBO 2018 mangels Vorliegen einer entsprechenden Bewilligung zu untersagen.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
5 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird unter Bezugnahme auf eine Verletzung des Rechts auf Nutzung des „Balkons“ zusammengefasst ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe die falsche Rechtslage angewendet und sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es sich mit der vorgebrachten Befangenheit der Mitglieder des Gemeindevorstands nicht befasst hätte. Es habe weiters gegen die Rechtsprechung zum Baukonsens verstoßen, zudem fehle Rechtsprechung zur Definition des Baukonsenses. Das Verwaltungsgericht habe weiters das Nutzungsverbot gesetzwidrig ausgedehnt und gehe entgegen der Rechtsprechung davon aus, dass es sich bei dem auf eine Garage aufgelegten Balkon um einen „übergeordneten Bauteil“ handle; auch fehle Rechtsprechung zur Qualifikation eines untergeordneten Bauteils. Schließlich stehe die Rechtskraft der ursprünglichen Baubewilligung, die den Balkon als untergeordneten Bauteil verstehe, der Entscheidung des LVwG entgegen und es fehle Rechtsprechung dazu, ob die fehlende Geltendmachung von Einwänden durch einen Nachbarn bzw. dessen Präklusion als Zustimmung zu werten sei.
6 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage dargetan, der grundsätzliche Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG zukäme.
7 Soweit die Revision rügt, das Verwaltungsgericht habe durch die Anwendung von § 46 Abs. 6 lit. a TBO 2018 die falsche Rechtslage angewandt, ist sie darauf zu verweisen, dass sich die Bestimmung des § 46 Abs. 6 lit. a TBO 2018 ‑ soweit für den gegenständlichen Fall anwendbar ‑ inhaltlich unverändert gegenüber den Vorgängerbestimmungen in § 39 Abs. 6 lit. a TBO 2011 und § 37 Abs. 4 lit. a TBO 2001 zeigt.
8 Mit den in der Revision vorgebrachten Überlegungen zum Vorliegen einer Befangenheit im Sinne des § 7 AVG übersehen die Revisionswerber, dass allfällige Verfahrensmängel infolge Mitwirkung befangener Organwalter im verwaltungsbehördlichen Verfahren durch ein vor dem Verwaltungsgericht geführtes Verfahren saniert werden (vgl. VwGH 19.1.2021, Ra 2019/05/0213, mwN).
9 Insofern die Revision zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, es sei sehr wohl ein Baukonsens für den gegenständlichen Bauteil vorgelegen, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Frage, ob für die vom vorliegenden Benützungsverbot erfasste bauliche Anlage ein baurechtlicher Konsens besteht oder nicht, grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes unterliegt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. etwa VwGH 26.8.2020, Ra 2020/05/0146, mwN).
10 Eine Unvertretbarkeit der seitens des Verwaltungsgerichtes unter Einbeziehung des gesamten Verwaltungsgeschehens angestellten Beurteilung, es liege kein Baukonsens vor, wird weder mit der in der Zulässigkeitsbegründung aufgestellten pauschalen Behauptung, es läge entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichtes ein Baukonsens vor, weil dieses sich lediglich auf die Projektunterlagen bezogen hätte, und eine Einvernahme aller Beteiligten unterlassen habe (vgl. zum Baubewilligungsverfahren als Projektgenehmigungsverfahren auch VwGH 19.12.2018, Ra 2018/06/0298, Rn. 11, mwN), noch mit dem Verweis auf die Rechtskraft der ursprünglichen Baubewilligung noch mit einer behaupteten Präklusion der Nachbarin dargetan.
11 Soweit im Zusammenhang mit der Rechtsstellung dieser Nachbarin das Fehlen von Rechtsprechung, ob die fehlende Geltendmachung von Einwänden durch einen Nachbarn bzw. dessen Präklusion in einem ‑ von der Revision auch nicht näher bezeichneten ‑ Bewilligungsverfahren als Zustimmung zu werten sei, vorgebracht wird, ist der Revision entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof für die Lösung abstrakter oder hypothetischer Rechtsfragen auf Grund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 1 B‑VG nicht zuständig ist (vgl. VwGH 12. 8.2014, Ra 2014/06/0015).
12 Wenn die Revision schließlich vorbringt, beim gegenständlichen „Balkon“ handle es sich um einen untergeordneten Bauteil, ist sie darauf hinzuweisen, dass auch untergeordnete Bauteile sowohl nach § 20 Abs. 1 und 2 TBO 2001 als auch nach § 21 Abs. 1 und 2 TBO 2011 sowie nach § 28 Abs. 1 und 2 TBO 2018 unter näher genannten Umständen bewilligungspflichtig sind bzw. jedenfalls einer Bauanzeige bedürfen. Insoweit die Revision das Fehlen von Rechtsprechung zu untergeordneten Bauteilen rügt, so ist sie auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 2 Abs. 16 TBO 2011 (vgl. VwGH 14.4.2016, 2013/06/0037, mwN) und § 2 Abs. 17 lit. a TBO 2018 (vgl. VwGH 23.4.2020, Ra 2018/06/0099; 28.5.2020, Ra 2018/06/0245) zu verweisen, aus der sich auch ergibt, dass die Frage, ob ein konkreter Bauteil als untergeordnet im Sinn des § 2 Abs. 17 lit. a TBO 2018 zu beurteilen ist, grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des VwG unterliegt.
13 Die Revision erweist sich damit aus all diesen Gründen als unzulässig und war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 29. Juni 2021
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