VwGH Ra 2017/21/0041

VwGHRa 2017/21/004131.8.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des A (auch: A) H, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Jänner 2017, Zl. G301 1257844- 7/8E, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

62009CJ0034 Zambrano VORAB;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §52;
FrPolG 2005 §53;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein kosovarischer Staatsangehöriger, stellte am 8. August 2003 einen ersten und am 27. Juni 2008 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, denen nicht stattgegeben wurde. Am 28. Dezember 2009 stellte er einen dritten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamts vom 15. Jänner 2010 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde der Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 in den Kosovo ausgewiesen. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 9. Februar 2010 wurde die dagegen erhobene Beschwerde, soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz richtete, als unbegründet abgewiesen. Soweit sich die Beschwerde gegen die Ausweisung in den Kosovo richtete, wurde ihr stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Auf Basis dieser Entscheidung sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 30. November 2016 letztlich aus, dass dem Revisionswerber kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt werde und erließ eine mit einem zehnjährigen Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung samt Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung in den Kosovo zulässig sei. Weiters stellte es fest, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und dass der Revisionswerber gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verloren habe. Einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) die aufschiebende Wirkung aberkannt. Mit Beschluss des BVwG vom 12. Jänner 2017 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt und mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 24. Jänner 2017 die Beschwerde mit der Maßgabe abgewiesen, dass das Einreiseverbot auf sieben Jahre herabgesetzt werde.

2 Das BVwG stellte zunächst dem Strafregisterauszug folgend die Urteilsdaten der strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers fest. Zur letzten Verurteilung vom 17. März 2016 führte das BVwG aus, dass der Revisionswerber wegen Veruntreuung als Beitragstäter verurteilt worden sei. Er habe zur Veruntreuung dadurch beigetragen, dass er sich einen Plastiksack über den Kopf gezogen, mittels einer Schreckschusspistole einen schweren Raub auf eine Sportbar vorgetäuscht und das ihm vom Mitangeklagten übergebene Bargeld in Höhe von EUR 7.620,--, welches im Eigentum dieser Sportbar gewesen sei, mitgenommen habe. Bei der Strafbemessung seien das reumütige und zur Wahrheitsfindung beitragende Geständnis als mildernd, hingegen die neun Vorstrafen, davon eine einschlägige, sowie die Tatbegehung während Strafaufschubs als erschwerend gewertet worden. Er weise überdies unzählige, teils auch schwerwiegende Verwaltungsstrafen nach näher genannten Gesetzen auf. Er sei von der Finanzpolizei angezeigt worden, weil er Sandstrahlarbeiten ohne aufrechte Gewerbeberechtigung durchgeführt habe.

3 Der Revisionswerber leide an einer rezidivierend depressiven Störung und einer posttraumatischen Belastungsstörung, die überwiegend ambulant und medikamentös behandelt worden seien. Zuletzt habe er sich auch in stationärer Behandlung befunden.

4 Seit Oktober 2007 führe der Revisionswerber mit einer rechtmäßig in Österreich lebenden slowakischen Staatsangehörigen eine Lebensgemeinschaft. Er sei leiblicher Vater zweier 2008 und 2011 geborener gemeinsamer minderjähriger Kinder. Am 19. April 2016 seien die Kinder vorübergehend in einer Krisenstelle für Kleinkinder untergebracht worden, und mit Beschluss vom 9. September 2016 sei die Obsorge auf den Jugendwohlfahrtsträger übertragen worden. Die Kinder seien derzeit bei einer Pflegefamilie untergebracht.

5 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber führe zwar eine Lebensgemeinschaft. Den Lebensgefährten habe aber bereits zum Zeitpunkt der Begründung der Lebensgemeinschaft im Oktober 2007 bewusst sein müssen, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich während seines Asylverfahrens nur ein vorläufiger sei. Sowohl das Verhalten des Revisionswerbers als auch das der Kindesmutter stelle eine gravierende Gefährdung des Kindeswohls dar, weshalb die Obsorge für die Kinder nunmehr allein dem Jugendwohlfahrtsträger zukomme. Daran könne auch der Umstand, dass nach Ansicht des Pflegschaftsgerichts zwischen den Eltern und ihren Kindern eine innige Beziehung bestanden habe, nichts ändern. Was die Aufrechterhaltung der Beziehung des Revisionswerbers zu seiner Lebensgefährtin und - vorbehaltlich entsprechender pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung - zu den derzeit bei einer Pflegefamilie untergebrachten Kindern betreffe, sei nicht hervorgekommen, dass es der Lebensgefährtin allenfalls nicht möglich oder zumutbar wäre, selbst bei Aufrechterhaltung ihres Wohnsitzes und Lebensmittelpunkts in Österreich den persönlichen Kontakt mit dem Revisionswerber künftig über diverse Kommunikationsmittel (etwa über Telefon oder Internet) oder auch durch fallweise Besuche im Kosovo aufrechtzuerhalten, zumal auch nicht hervorgekommen sei, dass eine Reise von Österreich in den Kosovo für die Lebensgefährtin mit besonderen Schwierigkeiten oder Hindernissen verbunden wäre.

6 Der Revisionswerber halte sich seit Stellung seines ersten Asylantrags in Österreich auf und verfüge mittlerweile über gute Deutschkenntnisse sowie über gewisse private Bindungen in Österreich. Abgesehen davon seien aber keine Anhaltspunkte für eine nachhaltige berufliche und soziale Integration in Österreich ersichtlich. Vielmehr sei der Revisionswerber vorrangig durch sein gravierendes strafrechtliches Fehlverhalten negativ in Erscheinung getreten. Er sei insgesamt zehn Mal strafgerichtlich verurteilt und wegen unzähliger Verwaltungsübertretungen bestraft worden und habe auch immer wieder "schwarz" gearbeitet. Den strafgerichtlichen Verurteilungen lägen zahlreiche gegen unterschiedliche Rechtsgüter gerichtete Straftaten wie Nötigung, Körperverletzung, Gefährdung der körperlichen Sicherheit, Sachbeschädigung, gefährliche Drohung, Verleumdung, Diebstahl sowie zuletzt Beitrag zur Veruntreuung zugrunde.

7 Die hohe Zahl der in Österreich und auch Deutschland begangenen Straftaten, der lange Zeitraum von fast zehn Jahren, innerhalb dessen die Straftaten verübt worden seien, die Art und Schwere der zuletzt begangenen Straftat, bei welcher der Revisionswerber mit einer Schreckschusspistole einen schweren Raub in einer Sportbar vorgetäuscht und an ihn übergebenes Bargeld von mehr als EUR 7.000,-- mitgenommen habe, der Umstand, dass der Revisionswerber trotz des bereits mehrmals verspürten Haftübels immer wieder rückfällig geworden sei und ihn auch unbedingte Freiheitsstrafen nicht von der neuerlichen Begehung strafbarer Handlungen abhalten konnten, sondern er vielmehr in kurzer Zeit und während eines aufrechten Strafaufschubes erneut rückfällig geworden sei, die Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten sowie der Umstand, dass der Revisionswerber im Zeitraum ab dem letzten Urteil vom 17. März 2016 allein von der BH St. Johann im Pongau insgesamt neunmal wegen Verwaltungsübertretungen mit Geldstrafen in einer Gesamthöhe von über EUR 10.000,-- belegt worden sei, zeigten, dass das persönliche Verhalten des Revisionswerbers eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstelle, zumal die Straftaten und Verwaltungsübertretungen noch nicht lange zurücklägen und somit der seither verstrichene Zeitraum als zu kurz anzusehen sei, um von einem Wegfall der Gefährdung zu sprechen.

8 Allerdings sei die Dauer des vom BFA verhängten Einreiseverbots nicht angemessen, vielmehr sei unter Berücksichtigung insbesondere des Familienlebens des Revisionswerbers eine Herabsetzung auf sieben Jahre geboten.

9 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - über die Zulässigkeit der Revision erwogen:

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

12 Die diesbezüglichen Ausführungen in der Revision richten sich in erster Linie gegen die vom BVwG gemäß § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung und die für das Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose.

13 Damit gelingt es dem Revisionswerber aber nicht, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen. Die Interessenabwägung und die Gefährdungsprognose, denen jeweils eine einzelfallbezogene Beurteilung zugrunde liegt, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nämlich dann nicht revisibel, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurden (vgl. den hg. Beschluss vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0284, mwN).

14 Das Ergebnis dieser einzelfallbezogenen Beurteilung ist im vorliegenden Fall angesichts der vom BVwG getroffenen, im Wesentlichen unbestrittenen Feststellungen jedenfalls nicht als unvertretbar anzusehen. Zwar fehlen hinsichtlich der ersten neun gerichtlichen Verurteilungen spezifische Feststellungen zum persönlichen Verhalten des Revisionswerbers. Das BVwG hat aber zu Recht die hohe Zahl der Straftaten sowie die wiederholte rasche Rückfälligkeit des Revisionswerbers über einen langen Zeitraum - auch nach mehrfach verspürtem Haftübel und selbst während der Zeit eines Strafaufschubs - hervorgehoben. In Verbindung mit den Feststellungen betreffend die Art der Delikte - Nötigung, Körperverletzung, Gefährdung der körperlichen Sicherheit, Sachbeschädigung, gefährliche Drohung, Verleumdung, Diebstahl sowie Veruntreuung - und den konkreten Feststellungen zum der letzten Straftat zugrundeliegenden Fehlverhalten ist die daraus abgeleitete Gefährdungsprognose im Sinn des § 53 Abs. 3 FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") ausreichend begründet.

15 Auch die Annahme, dass eine Trennung des Revisionswerbers von seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern in Kauf zu nehmen sei, war vor dem Hintergrund der vom Revisionswerber ausgehenden Gefährdung jedenfalls nicht unvertretbar.

16 Entgegen dem weiteren Vorbringen des Revisionswerbers sind seine Kinder schon deswegen nicht im Sinn der mit dem Urteil vom 8. März 2011, Zambrano (C-34/09 ), eingeleiteten und mit dem Urteil vom 15. November 2011, Dereci u. a. (C-256/11 ), fortgesetzten Rechtsprechung des EuGH "de facto gezwungen", das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, weil ihm nicht die Obsorge über die Kinder zukommt.

17 Was die im Kosovo herrschenden schwierigeren Lebensumstände betrifft, so ist das BVwG in ebenfalls nicht unvertretbarer Weise davon ausgegangen, dass sie vom Revisionswerber im öffentlichen Interesse hinzunehmen seien, zumal es - vom Revisionswerber unbestritten - festgestellt hat, dass er uneingeschränkt arbeitsfähig sei.

18 Der Revision gelingt es schließlich auch nicht, einen entscheidungsrelevanten klärungsbedürftigen Sachverhalt darzutun, der das BVwG in diesem (eindeutigen) Fall verpflichtet hätte, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen (vgl. zur nicht gegebenen Verhandlungspflicht in eindeutigen Fällen etwa die hg. Beschlüsse vom 25. Februar 2016, Ra 2016/21/0022, und 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0179, und Ra 2016/21/0163). Der Revisionswerber macht in diesem Zusammenhang zwar noch geltend, er habe in einer Beschwerdeergänzung ein neues Vorbringen zu seiner akuten psychischen Erkrankung erstattet; er hat aber nicht substantiiert dargelegt, welche medizinische Behandlung notwendig sei und dass diese nur in Österreich möglich wäre, sodass sie in der von Art. 8 EMRK geforderten Interessenabwägung fallbezogen eine entscheidende Bedeutung haben könnte (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Juli 2015, Ra 2014/22/0055, mwN).

19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 31. August 2017

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte