VwGH Ra 2017/16/0070

VwGHRa 2017/16/007029.5.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann über die Revision der W GmbH in L, vertreten durch die Haslinger/Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 8. Februar 2017, Zl. LVwG-550705/10/KH/BBa, betreffend u.a. Versagung der Wiederaufnahme i.A. Feststellung nach § 10 ALSAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Perg; mitbeteiligte Partei: Bund, vertreten durch das Zollamt Linz Wels in 4020 Linz, Bahnhofplatz 7), den Beschluss gefasst:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51;
MRK Art6;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §34 Abs1a;
VwGVG 2014 §24;
VwGVG 2014 §32;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Zur Darstellung des Verfahrensganges wird zunächst in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 und 9 VwGG auf das in dieser Sache ergangene Erkenntnis vom 24. September 2015, 2013/07/0098, verwiesen, mit dem die Beschwerde der nunmehrigen Revisionswerberin gegen den Feststellungsbescheid nach § 10 ALSAG des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 29. April 2013 als unbegründet abgewiesen wurde.

2 Im Weiteren holte die Revisionswerberin eine gutachterliche Stellungnahme ein und beantragte zunächst in einem Schriftsatz vom 2. März 2016 bei der Bezirkshauptmannschaft Perg die Wiederaufnahme des Verfahrens des mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 29. April 2013 rechtskräftig abgeschlossenen Feststellungsverfahrens nach § 10 ALSAG.

In einer weiteren, beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich eingebrachten Eingabe vom 21. Oktober 2016 beantragte sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung eines Antrages auf Wiederaufnahme des genannten Verfahrens sowie die Wiederaufnahme dieses Verfahrens.

3 Mit Erkenntnis vom 8. Februar 2017 sprach das Verwaltungsgericht hierüber wie folgt ab:

"I. Gemäß § 31 Abs. 1 iVm § 32 Abs. 2 VwGVG wird der Antrag auf Wiederaufnahme vom 2. März 2016 als verspätet zurückgewiesen.

II. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 21. Oktober 2016 wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG stattgegeben.

III. Der Antrag auf Wiederaufnahme vom 21. Oktober 2016 wird gemäß § 31 Abs. 1 iVm § 32 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

IV. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig."

4 Begründend führte das Gericht - soweit für das Revisionsverfahren von Belang - zum Antrag auf Wiederaufnahme vom 21. Oktober 2016 aus:

"IV.3.1. Der Antrag auf Wiederaufnahme vom 21. Oktober 2016, der in seiner Begründung - bis auf geringfügigste Abweichungen - mit dem (ursprünglichen) Antrag vom 2. März 2016 ident ist, wurde von der (Revisionswerberin) sogleich mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand eingebracht. Durch die zu bewilligende Wiedereinsetzung (vgl. dazu soeben die Ausführungen unter Punkt IV.2.) tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat. Der Antrag auf Wiederaufnahme vom 21. Oktober 2016 ist somit unstrittig rechtzeitig. Des Weiteren ist das wiederaufzunehmende Verfahren auch rechtskräftig abgeschlossen ...

...

Es ist in weiterer Folge daher zu prüfen, ob der von der (Revisionswerberin) angeführte Wiederaufnahmegrund der 'neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel' gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG tatsächlich vorliegt, d.h. ob durch das vorgelegte Gutachten des Dipl.-Ing. Dr. X vom 29. Februar 2016 tatsächlich Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen sind, die bereits im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bestanden haben, aber erst nach Verfahrensabschluss hervorgekommen sind (‚nova reperta') und so von der (Revisionswerberin) - weil ihr nicht bekannt - gerade nicht schon vor Verfahrensabschluss 'geltend gemacht' werden konnten. Diese Voraussetzung erklärt sich damit, dass der Bescheid aufgrund der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Erlassung ergeht, seine Rechtskraft daher den in diesem Zeitpunkt bestehenden Sachverhalt erfasst, auch wenn dieser unvollständig ermittelt wurde. Stellt sich nachträglich heraus, dass der Sachverhalt anders beschaffen war, als die Behörde angenommen hat, muss die Rechtskraft beseitigt werden, um den Weg zu einer neuen Entscheidung zu eröffnen. Mit anderen Worten kann ein Wiederaufnahmeantrag also nur auf solche Tatsachen oder Beweismittel gestützt werden, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber erst nachträglich möglich wurde. Von neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismitteln kann folglich nur dann die Rede sein, wenn die Tatsachen oder Beweismittel zur Zeit des nunmehr abgeschlossenen Verfahrens bereits existent waren, aber im Verfahren nicht berücksichtigt worden sind.

IV.3.2. Gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 lit. c ALSAG idF BGBl. I Nr. 71/2003 unterliegen dem Altlastenbeitrag u.a. das Verfüllen von Geländeunebenheiten oder das Vornehmen von Geländeanpassungen mit Abfällen. Von der Beitragspflicht ausgenommen sind gemäß § 3 Abs. 1a Z 6 ALSAG idF BGBl. I Nr. 71/2003 mineralische Baurestmassen, wie Asphaltgranulat, Betongranulat, Asphalt/Beton-Mischgranulat, Granulat aus natürlichem Gestein, Mischgranulat aus Beton oder Asphalt oder natürlichem Gestein oder gebrochene mineralische Hochbaurestmassen, sofern durch ein Qualitätssicherungssystem gewährleistet wird, dass eine gleichbleibende Qualität gegeben ist und diese Abfälle im Zusammenhang mit einer Baumaßnahme im unbedingt erforderlichen Ausmaß zulässigerweise für eine Tätigkeit gemäß Abs. 1 Z 1 lit. c verwendet werden.

Das Vorliegen eines Qualitätssicherungssystems muss bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld gegeben sein. Die gesicherte gleichmäßige Qualität der Baurestmassen muss von Anfang der Verwendung des Materials an gewährleistet sein. Der Nachweis, dass bereits zu diesem Zeitpunkt ein solches System vorgelegen ist und dadurch damals die gleichmäßige Qualität der Baurestmassen gesichert wurde, kann aber entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch noch nachträglich erbracht werden (vgl. etwa konkret zum Verfahren der (Revisionswerberin) VwGH 24.09.2015, 2013/07/0098). Der nachträglich erfolgreich geführte Nachweis einer bereits im Zeitpunkt der Verwendung durchgeführten Qualitätssicherung bewirkt - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - ebenfalls die Beitragsfreiheit.

IV.3.2.1. Die (Revisionswerberin) will gerade diesen Nachweis, nämlich, dass bereits im gesamten Prüfzeitraum bis 2011 ein ausreichendes Qualitätssicherungssystem vorgelegen ist, mit dem im Februar 2016 - und somit erst lange nach Eintritt der Rechtskraft des Feststellungsbescheides - erstellten Gutachten erbringen. Das Gutachten soll somit Nachweis - d.h. BEWEIS - dafür sein, dass ein ausreichendes Qualitätssicherungssystem bereits von Anfang der Verwendung des Materials an vorgelegen ist. Sachverständigengutachten, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides eingeholt wurden, sind aber nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden. Folglich können derartige ‚nachträglich eingeholte Gutachten' keinesfalls als ‚neue Beweismittel' im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG qualifiziert werden und kein Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein (vgl. in diesem Sinn etwa bereits VwGH 25.07.2013, 2012/07/0131; 02.07.2007, 2006/12/0043). Das von der (Revisionswerberin) mit dem Wiederaufnahmeantrag vorgelegte Privatgutachten wurde erst im Februar 2016 erstellt und ist gerade kein neu hervorgekommenes, sondern ein völlig neu entstandenes Beweismittel, das keinen Grund für eine Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 29. April 2013 abgeschlossenen Verfahrens darstellt. Dass der Verwaltungsgerichtshof erstmals mit Erkenntnis vom 23. Oktober 2014, Ra 2014/07/0031, die spätere Möglichkeit der Vorlage des Nachweises einer bereits zum Zeitpunkt der Verwendung durchgeführten Qualitätssicherung bejaht hat, ändert nichts daran, dass das Gutachten erst nachträglich eingeholt wurde und nicht schon im Zeitpunkt der Entscheidung bestanden hat. Gleiches gilt für das Vorbringen der (Revisionswerberin), wonach sie im Ausgangsverfahren nicht gehalten gewesen war, ein Privatgutachten vorzulegen, zumal der Nachweis der Voraussetzungen für die Ausnahme nach § 3 Abs. 1a Z 6 ALSAG im Rahmen eines Feststellungsverfahrens lediglich auf Verlangen der Behörde vorzunehmen sei und es ein derartiges Verlangen weder im Ausgangsverfahren vor der Bezirkshauptmannschaft Perg noch im Berufungsverfahren vor dem Landeshauptmann von Oberösterreich gegeben habe. Zu letzterem ist zudem festzuhalten, dass auch neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen keine ‚Tatsachen' sind, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen können (VwGH 23.04.1988, 95/15/0108).

IV.3.2.2. Nun ist es aber denkbar, dass, wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheides ‚feststellt', diese bzw. die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als ‚neue Tatsachen' einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (vgl. beispielsweise VwGH 18.05.1994, 93/09/0226; 25.10.1994, 93/08/0123; 27.07.2001, 2001/07/0017). Dies ist im vorliegenden Fall aber entgegen der Auffassung der (Revisionswerberin) gerade auch nicht der Fall: Das ZT-Büro Dr. X wurde von der (Revisionswerberin) beauftragt, eine gutachterliche Stellungnahme zur Frage eines ausreichenden Qualitätssicherungssystems betreffend den Einbau von Baurestmassen-Recyclingmaterial in dem von der Auftraggeberin betriebenen Werksstandort X abzugeben. Die Sachverhaltsgrundlage (der Befund) des Gutachtens basiert zur Gänze auf bereits während dem Verwaltungsverfahren bekannten und hervorgekommenen Tatsachen bzw. Unterlagen. So wurde bereits im Verfahren von der (Revisionswerberin) vorgebracht, von welcher Baurestmassen-Recyclinganlage das Recycling-Material stammt, worin der Behandlungskonsens dieser liegt etc. und lagen auch der Bescheid des Bürgermeisters vom 30. November 1992, das Überwachungsübereinkommen zwischen U und B GmbH vom 9. Mai 2006 bzw. der Prüfbericht Nr. 143926/11 des Umweltlabors Dr. X vom 6. April 2011 schon vor. In der darauf basierenden ‚Stellungnahme' wurde nun vom Sachverständigen unter anderem festgestellt, dass ‚schlüssig davon ausgegangen werden (kann), dass ein ausreichendes Qualitätsmanagementsystem in der U GmbH bei der Herstellung von Recycling-Baustoffen zur Anwendung gekommen ist'. Eine ‚neue Tatsache', die laut (Revisionswerberin) voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid (Feststellung, dass die gegenständlichen Geländeanpassungsmaßnahmen keine altlastenbeitragspflichtige Tätigkeit darstellen) herbeiführen würde, wäre entsprechend den Ausführungen der (Revisionswerberin) somit, dass bereits zum Zeitpunkt der Verwendung ein entsprechendes Qualitätssicherungssystem bestand. Wie jedoch die (Revisionswerberin) selbst angibt, wurde dieser Umstand von ihr bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht; sie ‚hat im Ausgangsverfahren stets auf das Qualitätssicherungssystem in der Anlage der U GmbH hingewiesen' (vgl. Seite 15 des Wiederaufnahmeantrages vom 21. Oktober 2016). Es kann sich daher schon deshalb nicht um eine Tatsache handeln, die bei Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden war, aber erst danach hervorgekommen ist. Eine allenfalls unrichtige rechtliche Beurteilung bzw. Beweiswürdigung dieses Vorbringens durch die Behörde würde keinen Wiederaufnahmegrund darstellen (vgl. etwa zum nachträglichen Erkennen von Verfahrensmängeln VwGH 29.11.1994, 94/20/0077; hinsichtlich der unrichtigen rechtlichen Beurteilung 19.02.1992, 90/12/0224).

IV.3.3. Mangels Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes war dem Wiederaufnahmeantrag vom 21. Oktober 2016 somit nicht Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden. Aber selbst wenn ein derartiger Umstand als neue Tatsache in Frage kommen würde, müsste diese bei Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhandene, neu hervorgekommene Tatsache ‚ohne Verschulden der Partei' unbekannt geblieben sein und daher von ihr im Verfahren - allenfalls auch im Verfahren vor einer höheren Instanz - nicht geltend gemacht werden können, um eine Wiederaufnahme zu ermöglichen. Es kommt insofern gerade nicht auf ein Verschulden der Behörde am Ausbleiben gebotener Ermittlungsschritte im Verfahren an, sondern darauf, dass die Partei hinsichtlich der rechtzeitigen Geltendmachung der für ihren Verfahrensstandpunkt sprechenden Umstände kein Verschulden trifft (vgl. etwa VwGH 28.06.2006, 2006/08/0194). Versäumnisse der Partei, wie etwa die Unterlassung möglicher Beweisanträge oder der Einholung eines Gutachtens, sind ihr als Verschulden zuzurechnen und schließen daher eine Wiederaufnahme aus. Wenn die (Revisionswerberin) somit vorbringt, ein Nachweis wäre lediglich auf Verlangen der Behörde vorzunehmen, welches aber weder im Ausgangsverfahren noch im Berufungsverfahren ausgesprochen worden sei, so würde ein derartiges Unterlassen von Ermittlungsschritten durch die Behörde noch nicht umgekehrt ihr Verschulden ausschließen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die schon in diesem Zeitpunkt rechtsfreundlich vertretene (Revisionswerberin) es wohl zumindest im Verfahren vor der zweiten Instanz (d.h. in Kenntnis der von der Erstbehörde als nicht gegeben angenommenen Tatsachen) versäumt hat, noch weitere Beweise - wie eben das erst 2016 eingeholte Gutachten - der für ihren Verfahrensstandpunkt sprechenden Umstände vorzulegen. Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass die von der (Revisionswerberin) als Wiederaufnahmegrund ins Treffen geführte ‚neue Tatsache' im abgeschlossenen Verwaltungsverfahren nicht ohne ihr Verschulden im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG geltend gemacht werden konnte, weshalb eine (weitere) Voraussetzung für die Bewilligung der Wiederaufnahme nicht vorlag. Auf die weiteren Vorbringen der (Revisionswerberin) -

insbesondere, dass sich aus dem Gutachten zudem ergebe, dass auch sämtliche Bewilligungen im Sinne des § 3 Abs. 1a Z 6 ALSAG gegeben waren und es sich lediglich um eine Materialverwendung im unbedingt erforderlichen Ausmaß handle - war somit nicht weiter einzugehen."

5 Seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision begründete das Gericht damit, dass

"keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Im Hinblick auf die im vorliegenden Fall zu beurteilende Frage der Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmeantrages ist die Rechtslage insofern eindeutig und existiert, wie der Hinweis in der voranstehenden Begründung auf Judikate des Verwaltungsgerichtshofes zeigt, ausreichend Judikatur des Gerichtshofes; wodurch kein Fehlen an einer Rechtsprechung vorliegt. Auch weicht die gegenständliche Entscheidung von dieser zuvor dargelegten, bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ab. Die Frage, ob im vorliegenden Fall im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGVG ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden der Partei zur Versäumung der Antragsfrist geführt hat bzw. ob der Wiedereinsetzungsgrund ausreichend bescheinigt wurde, unterliegt grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre; dies ist jedoch nicht anzunehmen, da das Verwaltungsgericht in seiner Beurteilung nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor."

6 Gegen die Spruchpunkte III. und IV. des Erkenntnisses vom 8. Februar 2017 richtet sich die vorliegende Revision, die ihre Zulässigkeit wie folgt darlegt:

"Das LVwG hat in Spruchpunkt IV. des angefochtenen Erkenntnisses gemäß § 25a Abs 1 VwGG ausgesprochen, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig sei. Dieser Ausspruch, an den der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden ist, ist nach Auffassung der Revisionswerberin unzutreffend. Tatsächlich liegen die Voraussetzungen des Art 133 Abs 4 B-VG für die Zulässigkeit der Revision aus nachstehenden Gründen vor:

a) Das LVwG ist von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs insoweit iSd Art 133 Abs 4 B-VG abgewichen, als es entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (zit in Hengstschläger/Leeb, AVG, Rz 29 zu § 69 AVG) nicht berücksichtigt hat, dass mit ‚Tatsachen' iSd § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG Geschehnisse im Seinsbereich gemeint sind, welche von vornherein nur ein Umstand sein können, die den Sachverhalt bzw ein Element jenes Sachverhalts betreffen, der von der Behörde im wieder aufzunehmenden Verfahren zu beurteilen war und dem darin ergangenen Bescheid zugrunde gelegt wurde; wobei Gutachten von Sachverständigen bezüglich Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, als neue Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen können (VwGH 18.01. 1989, 88/03/0188, 04. 08.2004, 2002/08/0074; 25. 07. 2007, 2006/11/0147).

b) Es existiert keine Rechtsprechung zur Frage, ob auch in einem Fall, in dem eine Nachweispflicht der Partei von Gesetzes wegen (hier § 3 Abs 1a letzter Satz ALSAG) explizit nur auf Verlangen der Behörde besteht, auch dann von einem Verschulden der Partei iSd § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG ausgegangen werden kann, wenn kein solches Verlangen der Behörde erfolgte.

c) Das LVwG ist von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs insoweit iSd Art 133 Abs 4 B-VG abgewichen, als es entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH 02. 08.2016, Ra 2014/05/0058 mwN; 16. 02. 2017, Ra 2016/05/0038 mwN), wonach bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Beschwerdeführers sowie zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht durchzuführen ist; und obwohl nach der Rechtsprechung weiters eine mündliche Verhandlung grundsätzlich nicht nur der Klärung des Sachverhaltes und der Einräumung von Parteiengehör zu diesem, sondern auch dem Rechtsgespräch und der Erörterung der Rechtsfrage dient (VwGH 17. 02. 2015, Ra 2014/09/0007), keine mündliche Verhandlung durchgeführt hat.

Der Ausspruch des LVwG, wonach die Revision gegen sein Erkenntnis unzulässig sei, entspricht daher nicht dem Art 133 Abs 4 B-VG. Die gegenständliche Revision hängt sohin gemäß Art 133 Abs 4 B-VG von der Lösung einer bzw mehrerer Rechtsfrage(n) ab, der (denen) grundsätzliche Bedeutung zukommt."

7 Gemäß Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass eine Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision).

9 Soweit die vorliegende Revision ihre Zulässigkeit darin erblickt, das Verwaltungsgericht sei von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, legt sie - auch mit den Klammerzitaten "(zit in Hengstschläger/ Leeb, AVG, Rz 29 zu § 69 AVG)" und "(VwGH 18.01. 1989, 88/03/0188, 04. 08.2004, 2002/08/0074; 25. 07. 2007, 2006/11/0147)" - nicht konkret dar, von welchen Aussagen des Verwaltungsgerichtshofes sich das angefochtene Erkenntnis in eigenen Aussagen entfernt hätte (vgl. etwa den Beschluss vom 29. Oktober 2015, Ra 2015/16/0101);

vielmehr hat das Verwaltungsgericht unter Punkt IV.3.2.2. des

angefochtenen Erkenntnisses einleitend selbst ausgeführt, es sei "denkbar, dass, wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheides ‚feststellt', diese bzw. die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als ‚neue Tatsachen' einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (vgl. beispielsweise VwGH 18.05.1994, 93/09/0226; 25.10.1994, 93/08/0123; 27.07.2001, 2001/07/0017)" und damit ein Gutachten (respektive den Befundteil) unter bestimmten Voraussetzungen als tauglichen Wiederaufnahmegrund in Betracht gezogen und unter diesem Blickwinkel das verfahrensgegenständliche Gutachten vom 29. Februar 2016 auch einer eingehenden Prüfung unterzogen.

10 Wenn die Revision weiters ein Fehlen von Rechtsprechung (i.e. des Verwaltungsgerichtshofes) zur Frage ortet, ob auch in einem Fall, in dem eine Nachweispflicht der Partei von Gesetzes wegen explizit nur auf Verlangen der Behörde bestehe, auch dann von einem Verschulden der Partei im Sinne des § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG ausgegangen werden könne, wenn kein solches Verlangen der Behörde erfolgt sei, käme einer solchen Frage nur dann Relevanz im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel im Sinn des § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG hervorgekommen wären, was das Verwaltungsgericht jedoch verneinte, ohne sich damit, wie bereits erörtert, erkennbar in Gegensatz zu Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gesetzt zu haben.

11 Schließlich begründet die Revision ihre Zulässigkeit aus dem Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung heraus. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführte, fällt ein Verfahren über die Wiederaufnahme eines Verfahrens selbst grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 31. Juli 2009, 2007/09/0081, vom 16. Dezember 2009, 2009/12/0031, und vom 24. Juni 2014, Ro 2014/05/0059, mwN).

Das Unterbleiben einer (hier: beantragten) mündlichen Verhandlung kann eine Verletzung von Verfahrensvorschriften darstellen, jedoch ist ein solcher außerhalb der von Art. 6 EMRK (oder von Art. 47 iVm Art. 51 GRC) erfassten Verfahren kein absoluter. Abgesehen davon zeigt die Revision eine Verletzung des § 24 VwGVG durch die Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung nicht auf.

12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG entfaltet der Ausspruch des Verwaltungsgerichtes über die Zulässigkeit einer Revision nach § 25a Abs. 1 VwGG keine Bindungswirkung für den Verwaltungsgerichtshof. Vielmehr hat dieser die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision geltend gemachten Gründe zu überprüfen. Der Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist daher nicht gesondert anfechtbar.

13 Die vorliegende Revision ist daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 29. Mai 2017

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