Normen
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
DPL NÖ 1972 §31 Abs1;
DPL NÖ 1972 §31 Abs2;
DPL NÖ 1972 §31 Abs3;
DPL NÖ 1972 §31 Abs4;
DPL NÖ 1972 §31;
DPL NÖ 1972 §33;
MRK Art6 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich.
2 Ein außerhalb der hier gegenständlichen "Sache" ergangenes orthopädisches Fachgutachten vom 20. Mai 2016, basierend auf einer Untersuchung des Revisionswerbers vom 27. April 2016, ergab dessen Dienstfähigkeit an seinem Arbeitsplatz als Techniker in der Bauabteilung. Ausdrücklich ungeprüft blieben Angaben des Revisionswerbers betreffend Schmerzen nach längeren Autofahrten, insbesondere beim Aussteigen.
3 Als Ergebnis dieses Gutachtens und einer diesbezüglichen Aufforderung der Dienstbehörde trat der Revisionswerber nach einem vorangegangenen Krankenstand am 28. Juni 2016 den Dienst wieder an.
4 Am 1. Juli 2016 meldete er sich unter Vorlage einer diesbezüglichen Bestätigung seiner Hausärztin krank. Entsprechend einer ihm seitens der Dienstbehörde erteilten Weisung suchte er am 1. Juli 2016 auch einen Amtsarzt auf, welcher an diesem Tag zu folgender Beurteilung des Gesundheitszustandes des Revisionswerbers gelangte:
"Der Revisionswerber hat sich heute am 1.7.2016 telefonisch bei mir gemeldet und mitgeteilt, dass er seit heutigem Tage im Krankenstand ist.
Gemäß Weisung der Abteilung Personalangelegenheiten vom 20.6.2016 ist er dann auch um ca. 10:30 Uhr zur amtsärztlichen Untersuchung in St. Pölten erschienen.
Eine schriftliche Krankmeldung von der Hausärztin wurde im Rahmen der Untersuchung vorgelegt.
Grund der neuerlichen Krankmeldung nach Angabe des Revisionswerbers:
‚Ich habe starke Schmerzen im Kreuz mit Ausstrahlung ins li Bein. In der Nacht hab ich zwei Schmerztabletten genommen, trotzdem habe ich nicht schlafen können. Der Fuß ist auch taub.
Die Arbeit in der Dienststelle kann ich schon verrichten, auch wenn das anstrengend und auch schmerzhaft ist. Was aber gar nicht geht, ist das lange Autofahren zur Dienststelle. Ich kann auch Positives berichten, mein Blutdruck hat sich mit der neuen Therapie wieder stabilisiert.'
Amtsärztliche Beurteilung:
Der neurologische Status am Untersuchungstag 1.7.2016 zeigte
sich unverändert zum Vorgutachten.
In Bezug auf seine berufliche Tätigkeit ist der Revisionswerber aus arbeitsmedizinischer Sicht daher nach wie vor als ‚dienstfähig' einzustufen-siehe auch orthopädisches Gutachten vom 20.5.2016.
Diese medizinische Beurteilung bezieht sich aber nicht auf die Fahrstrecke vom Wohnort zur Dienststelle (und retour).
Das Ergebnis der Untersuchung wurde dem Revisionswerber mitgeteilt."
5 Da der Revisionswerber ungeachtet dieser Beurteilung des Amtsarztes seinen Dienst nicht antrat, erließ die Niederösterreichische Landesregierung am 12. Juli 2016 ein Dienstrechtsmandat, in welchem ausgesprochen wurde, dass der Revisionswerber im Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis zum Wiederantritt seines Dienstes oder bis zum Nachweis seiner Dienstunfähigkeit durch Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens den Anspruch auf Bezüge und Nebengebühren verloren habe.
6 Begründend führte die Dienstbehörde aus, der Revisionswerber habe gegenüber dem Amtsarzt selbst zugestanden, in der Lage zu sein, die ihm an der Dienststelle abverlangten Arbeiten zu verrichten. Unter Hinweis auf § 33 der Dienstpragmatik der Landesbeamten 1972, LGBl. 2200 (im Folgenden: DPL 1972), sowie auf den hg. Beschluss vom 27. Mai 2015, Ra 2015/12/0018, vertrat die Dienstbehörde die Auffassung, die - nicht begutachtete - Reisefähigkeit des Revisionswerbers spiele für die Frage der Rechtfertigung seines Krankenstandes im Verständnis des § 31 DPL 1972 keine Rolle.
7 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Dienstrechtsmandat Vorstellung, in welcher er vorbrachte, sein Gesundheitszustand habe sich noch weiter verschlechtert. Es sei ihm physisch nicht mehr möglich, ohne fremde Hilfe selbst Auto zu fahren oder öffentliche Verkehrsmittel zu benützen.
8 Mit Verfügung vom 1. August 2016 leitete die Dienstbehörde auf Grund der Vorstellung ein Ermittlungsverfahren, beschränkt auf den Zeitraum vom 1. bis 13. Juli 2016 ein. Am 14. Juli 2016 habe der Revisionswerber nämlich eine auf psychische Probleme gestützte Krankmeldung abgegeben, welche eigenständig zu beurteilen sei.
9 Mit Bescheid vom 29. September 2016 stellte die Dienstbehörde fest, dass der Revisionswerber im Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis 13. Juli 2016 den Anspruch auf Bezüge und Nebengebühren verloren habe. Inhaltlich argumentierte die Dienstbehörde in gleicher Weise wie schon im Dienstrechtsmandat.
10 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber anwaltlich vertreten Beschwerde vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich. Eine mündliche Verhandlung wurde in dieser Beschwerde nicht ausdrücklich beantragt.
11 Der Revisionswerber rügte die amtsärztliche Stellungnahme vom 1. Juli 2016 als "unschlüssig". Insbesondere beruhe sie nicht auf einer aktuellen orthopädischen Untersuchung, zumal sich sein Gesundheitszustand seit dem 27. April 2016 verschlechtert habe. Bei mängelfreiem Verfahren wäre hervorgekommen, dass seine Dienstfähigkeit wegen der die Reisefähigkeit entscheidend beeinträchtigenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes nicht gegeben sei. Ausdrücklich betonte der Revisionswerber in diesem Zusammenhang, dass dies nicht nur in Ansehung der extrem weiten Distanz von seinem Wohnort zur Dienststelle gelte, sondern auch in Ansehung "jeder beliebigen kürzeren Reisebewegung kürzerer Distanzen". Zum Beweis für sein Vorbringen berief sich der Revisionswerber auf seine Einvernahme als Partei.
12 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich diese Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Es sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
13 Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nach Wiedergabe des Verfahrensganges und der angewendeten Gesetzesbestimmungen aus, auf Grund der schlüssigen Gutachten vom 20. Mai 2016 und vom 1. Juli 2016 sei von der Fähigkeit des Revisionswerbers auszugehen, die ihm unmittelbar an seiner Dienststelle erwachsenden Aufgaben auszuführen. Mit näherer Begründung wird ausgeführt, weshalb die Einwendungen des Revisionswerbers gegen die Schlüssigkeit des Gutachtens unzutreffend seien.
14 Auf den Einwand des Revisionswerbers, wonach es ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, seine Dienststelle überhaupt zu erreichen, komme es aus folgenden Gründen nicht an:
"Der Beschwerdeführer stützt seine Beschwerde im Ergebnis ausschließlich auf die Rechtsansicht, dass bei der medizinischen Beurteilung der Rechtfertigung einer Dienstverhinderung durch Krankheit auch die Reisefähigkeit von der Wohnung zur Dienststelle zu berücksichtigen sei.
Diese Rüge steht im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung, der zufolge diese Beurteilung ausschließlich anhand der Anforderungen gemäß der Verwendung des Beamten zu erfolgen hat: Ob eine Erkrankung Dienstunfähigkeit des Beamten bedingt, ist nach der Lage des konkreten Falles von der Dienstbehörde zu beurteilen und dann gegeben, wenn der Beamte wegen konkret bei ihm gegebener Folge einer Erkrankung den an seinem augenblicklichen Arbeitsplatz an ihn konkret gestellten dienstlichen Anforderungen nicht entsprechen kann. Daher kommt es darauf an, worin die Tätigkeiten bestehen, deren Ausübung angesichts der seinerzeitigen tatsächlichen Verwendung zu den Dienstpflichten des Beamten gehörten, und welche Tätigkeiten bei seinem Gesundheitszustand zumutbar waren (VwGH 21.02.2001, 98/12/0219). Demnach umfasst die Verwendung des Beamten nur die am Arbeitsplatz zu erbringenden Leistungen, nicht jedoch die zum Erreichen des Arbeitsplatzes notwendige - und somit vom Wohnort des Beamten abhängige - Anreise zum Arbeitsplatz. Dass die beiden Gutachter vom 20. Mai 2016 und vom 1. Juli 2016 jeweils von den korrekt angenommenen Anforderungen an die Verwendung des Beschwerdeführers auf seinem konkreten Arbeitsplatz ausgingen, wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Am 1. Juli 2016 gab er gegenüber dem Gutachter selbst an, dass er die Arbeit an der Dienststelle verrichten könne. Die Forderung nach zusätzlicher Berücksichtigung der Anreise von der Wohnung würde auf eine gesetzlich ausgeschlossene Begünstigung im Sinne des § 33 DPL 1972 hinauslaufen, wobei der VwGH zur gleichlautenden Bestimmung des § 55 Abs. 1 BDG 1979 ausgesprochen hat, dass vom Wortlaut ausgehend unter einer ‚Begünstigung' ein Entgegenkommen in Angelegenheiten des Dienstbetriebes zu verstehen ist (VwGH 15.01.1992, 91/12/0139). Nichts anderes als eben ein solches Entgegenkommen wäre die Berücksichtigung des Wohnortes bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit."
15 Schließlich vertrat das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich - zusammengefasst - die Rechtsauffassung, der Revisionswerber habe in der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation auch nicht auf die Richtigkeit der Bestätigung seiner Hausärztin vom 1. Juli 2016 vertrauen dürfen. Es lägen vorliegendenfalls nämlich ein solches Vertrauen ausschließende "besondere Umstände" im Verständnis der diesbezüglichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 51 BDG 1979 vor, weil dem Revisionswerber schon aus dem Gutachten vom 20. Mai 2016 bekannt gewesen sei, dass seine auch als Rechtfertigung für den hier in Rede stehenden Krankenstand ins Treffen geführten orthopädischen Beeinträchtigungen nicht geeignet seien, "Dienstunfähigkeit" zu begründen. Vor diesem Hintergrund könne es dahingestellt bleiben, ob die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 51 BDG 1979 auch auf § 31 DPL 1972 zu übertragen sei.
16 Der Revisionswerber habe zwar nicht ausdrücklich eine mündliche Verhandlung beantragt, jedoch Beweisanbote gestellt. Ein Verzicht auf eine mündliche Verhandlung liege daher nicht vor.
17 Dennoch habe eine solche aus folgenden Gründen unterbleiben dürfen:
"Wie bereits in den Erwägungen ausgeführt wurde, stützt der Beschwerdeführer seine Beweisanträge ausschließlich auf eine unzutreffende Rechtsansicht zur vermeintlichen Bedeutung seiner Reisefähigkeit als Beurteilungselement seiner behaupteten Dienstunfähigkeit. Abseits davon zeigt er keinen Ermittlungsmangel der belangten Behörde auf. Die bloße Wiederholung eines bestimmten Tatsachenvorbringens in der Beschwerde stellt weder ein substantiiertes Bestreiten der erstinstanzlichen Beweiswürdigung noch eine relevante Neuerung dar (zuletzt VwGH 15.03.2016, Ra 2015/19/0302).
Da jedoch die somit einzig zu beurteilende Schlüssigkeit des bescheidtragenden Gutachtens eine reine Rechtsfrage darstellt, konnte die Verhandlung entfallen."
18 Die Revision sei unzulässig, weil die Entscheidung weder von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche noch eine solche Rechtsprechung fehle. Auch sei die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den hier maßgeblichen Fragen nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Von der Frage der Übertragbarkeit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vertrauen auf eine ärztliche Bestätigung auf § 31 DPL 1972 hänge die Revision nach dem Vorgesagten nicht ab.
19 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der Revisionswerber macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Erkenntnisses sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, es aus diesen Gründen aufzuheben.
20 Die Niederösterreichische Landesregierung erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher die Zurückweisung der Revision, hilfsweise deren Abweisung als unbegründet beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
21 In der Zulässigkeitsbegründung wirft der Revisionswerber u. a. die Frage auf, ob das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vorliegendenfalls aus dem Grunde des Art. 6 EMRK eine mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt hätte. Diese Rüge wird in der Ausführung der Revision wiederholt.
22 Schon mit dem eben erwähnten Zulassungsgrund zeigt die Revision eine grundsätzliche Rechtsfrage auf, weil das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich - wie in der Folge zu zeigen sein wird - in Verkennung der Gesetzeslage (vgl. § 24 Abs. 4 letzter Halbsatz VwGVG) und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der aus Art. 6 Abs. 1 EMRK resultierenden Verhandlungspflicht zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.
23 Die Revision ist auch aus nachstehenden Gründen berechtigt:
24 § 31 Abs. 1 bis 4 DPL 1972 idF LGBl. 2200-78 lautet:
"§ 31
Abwesenheit vom Dienst
(1) Ist der Beamte am Dienst verhindert, so hat er dies dem Dienststellenleiter sobald als möglich unter Angabe des Grundes anzuzeigen.
(2) Ist die Dienstverhinderung durch Krankheit verursacht, so hat der Beamte dies durch ein ärztliches Zeugnis nachzuweisen, wenn es die Dienstbehörde verlangt oder wenn die Dienstverhinderung länger als drei Tage dauert. Der Beamte hat dafür vorzusorgen, daß seine Dienstverhinderung überprüft werden kann. Kommt der Beamte diesen Verpflichtungen nicht nach, entzieht er sich einer zumutbaren Krankenbehandlung oder verweigert er die zumutbare Mitwirkung an einer ärztlichen Untersuchung, so gilt die Abwesenheit vom Dienst nicht als gerechtfertigt.
(3) Wenn die Abwesenheit vom Dienst weder durch Krankheit oder andere zwingende Umstände gerechtfertigt, noch als Erholungsurlaub gemäß § 41 oder Sonderurlaub gemäß § 44 bewilligt ist, aber noch nicht länger als einen Tag gedauert hat, hat der Beamte die versäumte Dienstleistung - unvorgreiflich der disziplinären Ahndung - nach Weisung seines Vorgesetzten binnen einer Woche nachzuholen.
(4) Hat eine ungerechtfertigte Abwesenheit vom Dienst länger als einen Tag gedauert oder war der Beamte durch Haft, ausgenommen Untersuchungshaft, an der Dienstleistung verhindert, so verliert er für diese Zeit den Anspruch auf seine Bezüge und Nebengebühren. Der Dienststellenleiter kann an Stelle des Geldleistungsentfalles die Anrechnung der versäumten Diensttage auf den noch nicht verbrauchten Erholungsurlaub bewilligen, wenn dies aus sozialen Gründen geboten erscheint. Den schuldlosen Angehörigen eines in Haft befindlichen Beamten gebührt ab dem auf den Geldleistungsentfall folgenden Monatsersten ein Versorgungsgeld sinngemäß nach § 89 Abs. 2 und 11."
25 § 33 DPL 1972 idF LGBl. 2200-78 lautet:
"§ 33
Wohnsitz
Der Beamte hat seinen Wohnsitz so zu wählen, daß er in der Erfüllung seiner Dienstpflichten nicht behindert ist. Er kann aus der Lage seines Wohnsitzes keinen Anspruch auf Begünstigungen im Dienst ableiten."
26 Vorliegendenfalls ist unstrittig, dass - im Hinblick auf den vom Revisionswerber beantragten Personalbeweis - ein wirksamer Verzicht auf eine sonst nach Art. 6 Abs. 1 EMRK gebotene mündliche Verhandlung nicht vorlag.
27 Bei den hier strittigen Bezügen handelt es sich um "civil rights" im Verständnis der zitierten Konventionsbestimmung. Von einer mündlichen Verhandlung hätte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich unter diesen Voraussetzungen lediglich dann Abstand nehmen dürfen, wenn die nach der Rechtsprechung des EGMR zulässigen Ausnahmen von der Verhandlungspflicht gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK für nicht übermäßig komplexe Rechtsfragen oder hochtechnische Fragen Platz gegriffen hätten (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2016, Ra 2016/12/0067). Mit der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 letzter Halbsatz VwGVG beschäftigt sich die Begründung für die Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung überhaupt nicht. Sie erweist sich aus folgenden Erwägungen auch inhaltlich nicht als gerechtfertigt:
28 In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass die beiden Gutachten, auf welche sich das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich stützt, ausschließlich die Fähigkeit des Revisionswerbers zur Verrichtung seiner Arbeit an seiner Dienststelle, nicht aber jene zum Erreichen derselben beurteilt haben. Es kann hier dahinstehen, ob dem - diesbezüglich unklar gehaltenenen - Vorbringen des Revisionswerbers insoweit eine Bestreitung des Ergebnisses der Gutachten bzw. ihrer Schlüssigkeit zu entnehmen ist. Bejahendenfalls wäre die Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung schon deshalb unzulässig gewesen, weil die Frage, ob einem in seiner Schlüssigkeit bestrittenen Sachverständigengutachten zu folgen ist, eine Frage der Beweiswürdigung und nicht eine solche der rechtlichen Beurteilung darstellt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2016/12/0118).
29 Aber auch dann, wenn der Revisionswerber - entsprechend seinem Zugeständnis am 1. Juli 2016 - seine gesundheitliche Tauglichkeit zur Verrichtung der ihm an der Dienststelle erwachsenen Aufgaben nicht bestritten hätte, sondern lediglich jene zum Erreichen seiner Dienststelle, wäre das diesbezügliche Vorbringen entgegen der Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich keinesfalls aus rechtlichen Gründen bedeutungslos:
30 Wie eine Zusammenschau der beiden ersten Absätze des § 31 DPL 1972 mit dem dritten und vierten Absatz leg. cit. zeigt, verwendet die in Rede stehende Gesetzesbestimmung die "Verhinderung am Dienst", die "Dienstverhinderung" sowie die "Abwesenheit vom Dienst" als vom begrifflichen Inhalt her idente Phänomene, welche jeweils (u.a.) durch "Krankheit" gerechtfertigt sein können. Eine solche Fallkonstellation liegt aber - entgegen der vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vertretenen Rechtsauffassung - auch dann vor, wenn die Abwesenheit des Beamten vom Dienst darauf zurückzuführen ist, dass ihn eine Krankheit zwar nicht an der Dienstverrichtung selbst, wohl aber am Erreichen seiner Dienststelle hindert.
31 An diesem Auslegungsergebnis des § 31 DPL 1972 ändert § 33 DPL 1972 jedenfalls dann nichts, wenn die Abwesenheit des Beamten vom Dienst auf Grund der vorliegenden Krankheit auch bei Erfüllung der im ersten Satz der zuletzt zitierten Gesetzesbestimmung umschriebenen Verpflichtung eingetreten und gerechtfertigt gewesen wäre.
32 In diesem Zusammenhang hat der Revisionswerber in seiner Beschwerde vorgebracht, dass die mangelnde Erreichbarkeit seiner Dienststelle als Folge seiner orthopädischen Erkrankung nicht auf die "extrem weite Distanz" zwischen seinem Wohnort und seiner Dienststelle zurückzuführen war, sondern auch "in Ansehung jeder beliebigen kürzeren Reisebewegung kürzerer Distanzen" vorgelegen sei.
33 Bei Zutreffen dieser dem Sachverhaltsbereich zuzuordnenden Behauptung, mit der sich das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich als Folge seines oben umschriebenen Rechtsirrtums nicht auseinander gesetzt hat, wäre seine "Abwesenheit vom Dienst" infolge Krankheit keine "ungerechtfertigte" im Verständnis des § 31 Abs. 4 erster Satz DPL 1972.
34 Darüber hinaus gilt aber auch, dass eine ausschließlich die Reisefähigkeit von einem weiter entfernten Wohnort beeinträchtigende Erkrankung eine Verpflichtung des Beamten zur Wahl eines in der Nähe seiner Dienststelle gelegenen Wohnsitzes bzw. Aufenthaltsortes nicht sofort, sondern im Falle einer gewissen Dauerhaftigkeit der Erkrankung erst nach Ablauf einer für einen solchen Wechsel zumutbaren Frist auslösen könnte.
35 Diesen Aussagen steht das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 2001, 98/12/0219, welches im Übrigen auch nicht zur DPL 1972 ergangen ist, keinesfalls entgegen. Zwar definiert dieses Erkenntnis die durch Krankheit verursachte "Dienstunfähigkeit" anhand der an der Dienststelle zu verrichtenden Arbeitsplatzaufgaben, ohne sich freilich mit dem Fall der gesundheitlichen Unfähigkeit zur Erreichung der Dienststelle überhaupt zu beschäftigen. Die übrigen vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich und von der Dienstbehörde ins Treffen geführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes betrafen Fälle von Versetzungen, denen ein dadurch erforderlich werdender Wohnsitzwechsel im Hinblick auf die Obliegenheit nach § 33 DPL 1972 (oder diesem entsprechender Bestimmungen anderer Dienstrechte) nicht entgegen gehalten werden konnte. Dass eine auf Dauer angelegte dienstrechtliche Maßnahme wie eine Versetzung auch einen auf Dauer angelegten Wohnsitzwechsel erforderlich machen kann, steht der hier in Rz 34 für eine kurzfristig eingetretene krankheitsbedingte Unfähigkeit zum Erreichen der Dienststelle (als Folge der aktuellen Lage des Wohnsitzes) getroffenen Aussage nicht entgegen.
36 Aus all diesen Gründen hing der Ausgang der Rechtssache von - weder von der Verwaltungsbehörde noch vom Gericht konkret erörterten - Tatsachenfragen ab, sodass die nach der Rechtsprechung des EGMR für die Ausnahme von einer Verhandlungspflicht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK umschriebene Voraussetzung des ausschließlichen Vorliegens einer Rechtsfrage zu verneinen war.
37 Durch die Unterlassung der mündlichen Verhandlung belastete das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, durch die Verkennung des oben unter Rz 30 - 34 ausgeführten auch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Demnach war es auf Grund der - prävalierenden - inhaltlichen Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
38 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.
Wien, am 13. September 2017
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