VwGH Ra 2016/21/0219

VwGHRa 2016/21/021914.11.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des Y N in W, vertreten durch MMag. Roman Rericha, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2016, Zl. W140 2128277- 1/4E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Normen

32013L0033 Aufnahme-RL;
AsylG 2005 §12a Abs2;
EURallg;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016210219.L00

 

Spruch:

1. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Spruchpunkte A.I. bis A.III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen (betreffend Spruchpunkt A.IV.) wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein marokkanischer Staatsangehöriger, stellte am 13. März 2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 19. März 2016 vollinhaltlich abgewiesen, und es erging eine Rückkehrentscheidung samt Ausspruch gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Marokko zulässig sei. Der Bescheid wurde durch Hinterlegung im Akt zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

2 Am 14. Juni 2016 wurde der Revisionswerber aufgrund eines gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) erlassenen Festnahmeauftrages des BFA festgenommen.

3 Mit Mandatsbescheid vom 14. Juni 2016 ordnete das BFA sodann gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung an.

4 Die gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde gemäß § 22a BFA-VG vom 17. Juni 2016 wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Juni 2016 gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG abgewiesen (Spruchpunkt A.I.). Mit Spruchpunkt A.II. dieses Erkenntnisses stellte das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Danach traf es eine diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidung (Spruchpunkt A.III.) und wies einen Antrag des Revisionswerbers auf Ersatz der Eingabegebühr als unzulässig zurück (Spruchpunkt A.IV.). Schließlich wurde gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).

5 In der Begründung seiner Entscheidung stellte das BVwG insbesondere fest, dass sich der vom Revisionswerber vor der Verhängung der Schubhaft gestellte Asylfolgeantrag "in Bearbeitung" befinde.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage durch das BVwG und Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z 1 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision erweist sich - entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG - als zulässig und berechtigt.

8 Der Revisionswerber war nämlich nach den Annahmen im angefochtenen Erkenntnis zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft und auch noch bei Erlassung des Fortsetzungsausspruches (mit Zustellung am 22. Juni 2016) ein Fremder bzw. Asylwerber mit faktischem Abschiebeschutz; dass ihm aufgrund seines Folgeantrages gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 der faktische Abschiebeschutz aberkannt worden sei, hat das BVwG nicht festgestellt. Jedenfalls ausgehend davon galt für ihn die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung vom Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung), sodass die Verhängung von Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG gegen ihn nicht in Betracht kam. Dazu wird des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0009, verwiesen (vgl. insbesondere zusammenfassend Rn. 29 und Rn. 31; die in Rn. 14 in Bezug auf Folgeanträge gemachte Einschränkung wird in der vorliegenden Konstellation jedenfalls nicht schlagend).

9 Im Übrigen ist noch anzumerken, dass im vorliegenden Fall auch § 76 Abs. 6 FPG nicht als Rechtsgrundlage für die Verhängung von Schubhaft in Frage gekommen wäre, weil diese Bestimmung schon nach ihrem Wortlaut ("während einer Anhaltung in Schubhaft") eine vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz bereits in Vollzug befindliche Schubhaft voraussetzt, die dann (ohne Erlassung eines Bescheides - vgl. § 76 Abs. 6 zweiter Satz) aufrechterhalten werden kann (vgl. nochmals VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0009, Rn. 30; siehe in diesem Sinn auch schon VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0004, Rn. 20).

10 Sowohl die Abweisung der Schubhaftbeschwerde mit Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses als auch der Fortsetzungsausspruch (Spruchpunkt A.II.) sowie die damit zusammenhängende Kostenentscheidung (Spruchpunkt A.III.) erweisen sich demnach als rechtswidrig.

11 Das angefochtene Erkenntnis war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

12 Soweit sich die Revision jedoch auch gegen Spruchpunkt A.IV. des angefochtenen Erkenntnisses (Zurückweisung des Antrags auf Ersatz der Eingabegebühr) richtet, zeigt sie keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auf. Insoweit war die Revision daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

13 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 5 VwGG abgesehen werden.

14 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auch § 50 VwGG, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. November 2017

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