VwGH Ra 2016/21/0049

VwGHRa 2016/21/004923.3.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tanzer, über die Revision des A M K, zuletzt in W, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. Jänner 2016, W140 2119983-1/3E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Normen

BFA-VG 2014 §52 Abs2;
BuLVwG-EGebV 2015 §2 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
FrÄG 2015;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §76 idF 2015/I/070;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

1. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten A I. bis III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen, betreffend die Spruchpunkte A IV. und V., wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er reiste spätestens am 2. September 2015 nach Österreich ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Schon bei seiner Einvernahme durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 4. September 2015 machte er u.a. geltend, mit einer ursprünglich aus Afghanistan stammenden österreichischen Staatsbürgerin verheiratet zu sein. In einer nachfolgenden Einvernahme vom 3. Dezember 2015 deponierte er - mit der geplanten Überstellung nach Bulgarien gemäß der Dublin III-VO konfrontiert - , auf keinen Fall nach Bulgarien zu wollen; er liebe seine Frau und wolle nur bei ihr in Österreich bleiben. Die gleichfalls am 3. Dezember 2015 einvernommene "Ehefrau" (die Hochzeit sei über Skype erfolgt) gab an, sie wohne bei ihrer Familie und ihr Mann lebe in der Betreuungsstelle Klingenbach; sie bekomme (aber) eine eigene Wohnung in Kapfenberg und wünsche sich, dass sie dann dort gemeinsam mit ihrem Mann leben könne.

2 Mit Bescheid vom 11. Jänner 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den genannten Antrag des Revisionswerbers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück; für die Prüfung seines Antrages auf internationalen Schutz sei Bulgarien zuständig. Unter einem wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG gegen den Revisionswerber die Außerlandesbringung angeordnet und ausgesprochen, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Bulgarien zulässig sei.

3 Nachdem dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen war, wurde der Revisionswerber festgenommen. Mit Mandatsbescheid vom 21. Jänner 2016 verhängte das BFA hierauf gegen ihn gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung seiner Abschiebung.

4 Der Revisionswerber erhob Beschwerde. In dieser verwies er u. a. darauf, dass er in seiner aktuellen Flüchtlingsunterkunft festgenommen worden sei; er sei bis zu seiner Verhaftung durchgehend gemeldet gewesen und habe jeder Ladung durch die Behörde Folge geleistet. Zudem lebe seine "Ehefrau" in Österreich, die noch in der Vorwoche - wie schon angekündigt - eine gemeinsame Wohnung in Kapfenberg angemietet habe und ihn, ebenso wie sein Onkel, finanziell unterstütze. Er sei daher weder obdachlos noch mittellos und werde im Hinblick auf sein aufrechtes Familienleben in Österreich gegen den seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückweisenden Bescheid vom 11. Jänner 2016, iVm einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (gemeint: gegen die Versäumung der Beschwerdefrist), eine Beschwerde einbringen. (Das war dann am 25. Jänner 2016 der Fall.)

5 Der dargestellten Schubhaftbeschwerde angeschlossen war eine von der "Ehefrau" des Revisionswerbers gefertigte undatierte Erklärung, wonach sie den Revisionswerber jede Woche von seinem Quartier (derzeit in Wien) abhole; "wir verbringen" - so heißt es in dieser Erklärung weiter - "die zulässigen 48 Stunden gemeinsam, meist bei mir in Leoben - länger darf er sein Quartier nicht verlassen."

6 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 28. Jänner 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Schubhaftbeschwerde des Revisionswerbers gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z 2 FPG als unbegründet ab (Spruchpunkt A I.). Außerdem stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und wies den Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG ab (Spruchpunkte A II. und III.). Schließlich wies es die in der Schubhaftbeschwerde gestellten Anträge, dem Revisionswerber unentgeltlich einen Verfahrenshelfer beizugeben und ihn von der Eingabegebühr zu befreien, gemäß § 40 Abs. 5 VwGVG bzw. gemäß § 14 Tp 6 Abs. 5 Gebührengesetz 1957 als unzulässig zurück (Spruchpunkte A IV. und V.) und erklärte eine Revision gegen seine Entscheidung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

 

7 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch das BVwG und Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

8 Die Revision ist teilweise, betreffend die Spruchpunkte A I. bis III. des angefochtenen Erkenntnisses, zulässig und berechtigt.

9 Die unter diesen Spruchpunkten erfolgte Abweisung der Schubhaftbeschwerde sowie die Feststellung, dass im Entscheidungszeitpunkt die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen, begründete das BVwG im Ergebnis wörtlich wie folgt:

"Gegen den (Revisionswerber) besteht eine seit dem 20.01.2016 rechtskräftige und durchsetzbare Ausreiseentscheidung. Der (Revisionswerber) ist trotz Kenntnis der Entscheidung im Bundesgebiet verblieben und hat im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 21.01.2016 angekündigt, sich der Überstellung widersetzen zu wollen. Dem am 25.01.2016 aus dem Stande der Schubhaft gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde bis zum Entscheidungszeitpunkt keine aufschiebende Wirkung zuerkannt. Die erhebliche Fluchtgefahr im Fall des (Revisionswerbers) ist insbesondere durch eine qualifizierte Ausreiseunwilligkeit anzunehmen; qualifiziert insofern, als der (Revisionswerber) durch das Vorbringen ‚des Bestehens eines Familienlebens' offensichtlich alles daran setzen wird, seine Ausreise zu verhindern. Sohin handelt es sich bei der Äußerung des (Revisionswerbers), nicht nach Bulgarien überstellt werden zu wollen, nicht um die bloße Kundgabe von Ausreiseunwilligkeit. Zusätzlich verfügt der (Revisionswerber) in Österreich über keine gesicherte (stete) Unterkunft, verfügt über keine eigenen ausreichenden Existenzmittel und ist nicht erwerbstätig. Das offensichtliche Fehlen einer ausreichenden sozialen Verankerung zeigt die Angewiesenheit auf den Staat (Grundversorgung) auf. Mit dem Vorbringen, eine bereits angemietete Wohnung mit seiner Frau beziehen zu wollen, ist für den (Revisionswerber) insofern nichts gewonnen - der (Revisionswerber) war bis zu seiner Einvernahme am 21.01.2016 in der Grundversorgung gemeldet - als begründet davon auszugehen ist, dass er auch hinkünftig nicht gewillt sein wird, die Rechtsvorschriften/Ausreise nach Bulgarien einzuhalten."

10 Diese Ausführungen werden dem vorliegenden Fall nicht gerecht. Zwar trifft es zu, dass der Revisionswerber - wie vom BVwG zunächst angemerkt - auch nach der Zurückweisung seines Antrags auf internationalen Schutz im Bundesgebiet verblieben ist. Dass ihm bis zu seiner Festnahme andere - legale - Alternativen offen gestanden wären, lässt sich dem bekämpften Erkenntnis allerdings nicht entnehmen.

11 In dem Erkenntnis wird dann auf eine Passage in der niederschriftlichen Einvernahme des Revisionswerbers vom 21. Jänner 2016 unmittelbar vor Verhängung der Schubhaft Bezug genommen; der Revisionswerber habe angekündigt, sich der Überstellung (nach Bulgarien) widersetzen zu wollen. Im Gesamtzusammenhang stellt sich diese Passage aber wie folgt dar (F = Frage des Leiters der Amtshandlung, A = Antwort des Revisionswerbers):

"F: Haben sie vor sich ihrer Abschiebung zu widersetzen?

A: Ja da meine Ehefrau lebt in Österreich."

12 Der Erklärung des Revisionswerbers ging also eine Suggestivfrage voraus, deren allgemeine Bejahung für sich betrachtet noch keine tragfähigen Schlüsse auf ein zukünftiges Verhalten des Revisionswerbers zulässt.

13 Dem BVwG ist dann zwar zuzubilligen, dass die "familiären Bindungen" des Revisionswerbers allenfalls auf eine "qualifizierte Ausreiseunwilligkeit" schließen lassen könnten. Diese Bindungen sprechen umgekehrt aber auch dagegen, dass der Revisionswerber "untertauchen" werde, zumal seine "Ehefrau" nach dem vom BVwG nicht in Frage gestellten Vorbringen in der Schubhaftbeschwerde bereits eine gemeinsame Wohnung angemietet hat. In diesem Zusammenhang ist dann aber noch darauf zu verweisen, dass der Revisionswerber nach seinen Behauptungen - vom BVwG ebenfalls nicht in Abrede gestellt - durchgehend in Grundversorgungsquartieren untergebracht war, aufrechte Meldungen aufwies und allen behördlichen Ladungen Folge leistete. Er wurde zudem, schon nach Rechtskraft der Zurückweisung seines Antrags auf internationalen Schutz, in seiner Unterkunft festgenommen, und es stellt sich die Frage, warum mit dieser Festnahme nicht bis knapp vor die mit 8. Februar 2016 terminisierte Abschiebung zugewartet wurde.

14 Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. in Bezug auf die hier maßgebliche Rechtslage nach dem FrÄG 2015 die hg. Erkenntnisse vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0243, und vom 20. Dezember 2016, Ra 2016/21/0229). Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen trifft das auf die vorliegende Konstellation - jedenfalls ohne vom Revisionswerber einen unmittelbaren persönlichen Eindruck zu gewinnen, der Gegenteiliges indizieren könnte - nicht zu, weshalb das angefochtene Erkenntnis in den die Schubhaft betreffenden Spruchpunkten schon deshalb, ohne dass es weiterer Überlegungen bedurfte, sowie im damit im Zusammenhang stehenden Kostenausspruch (Spruchpunkte A I. bis III.) wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

15 Soweit sich die Revision auch gegen Spruchpunkt A IV. (Zurückweisung des Antrags auf Beigabe eines Verfahrenshelfers) sowie gegen Spruchpunkt A V. (Zurückweisung des Antrags auf Befreiung von der Eingabegebühr) richtet, erweist sie sich hingegen als unzulässig. Denn einerseits liegt, was die Entscheidung zu Spruchpunkt A IV. anlangt, keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG mehr vor. Mit Erkenntnis vom 23. Februar 2017, Ra 2016/21/0152, hat der Verwaltungsgerichtshof nämlich bezüglich der auch im vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtslage nach dem FrÄG 2015 festgehalten, dass es in Anbetracht der den Rechtsberatern nach § 52 Abs. 2 BFA-VG im Schubhaftbeschwerdeverfahren zukommenden Befugnisse bzw. Verpflichtungen nicht der Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer bedarf (vgl. im einzelnen Punkt 2. der Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses, auf die des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Davon weicht das gegenständliche Erkenntnis des BVwG im Ergebnis nicht ab.

16 Was andererseits Spruchpunkt A V. anlangt, so erachtet sich der Revisionswerber durch die damit vorgenommene Zurückweisung seines Antrags auf Gebührenbefreiung nur in seinem Recht auf "Nicht-Anwendung" von "§ 2 Abs. 1 BuLVwG-Eingabengebührverordnung" verletzt. In diesem, als Revisionspunkt im Sinn des § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG geltend gemachten Recht konnte der Revisionswerber durch die angefochtene Entscheidung aber gar nicht verletzt werden, weil ihm die Pauschalgebühr nach der genannten Bestimmung (EUR 30,--) damit gar nicht vorgeschrieben worden ist. Deren Vorschreibung und insoweit die Anwendung des § 2 Abs. 1 BuLVwG-Eingabengebührverordnung könnte vielmehr nur durch das zuständige Finanzamt erfolgen (in diesem Sinn vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2003, Zl. 2003/16/0066). Im Rahmen des durchzuführenden Abgabenverfahrens bliebe es dem Revisionswerber unbenommen, die von ihm für geboten erachtete Gebührenbefreiung geltend zu machen (vgl. zur Geltendmachung einer Gebührenbefreiung im Abgabeverfahren auch das hg. Erkenntnis vom 28. September 2016, Ro 2015/16/0041).

17 Zusammenfassend war die gegenständliche Revision, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte A IV. und V. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, daher - weil sie sich insoweit wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung "eignet" bzw. wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

18 Von der Durchführung der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und Z 5 VwGG abgesehen werden.

19 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 50 VwGG, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. März 2017

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