Normen
AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §37;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §37;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der aus Afghanistan stammende Revisionswerber stellte am 30. Jänner 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Mit Bescheid vom 17. März 2014 wurde ihm vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine bis 12. März 2015 gültige Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2015 erteilt (diese wurde mittlerweile über Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 5. März 2015 bis 12. März 2017 verlängert). Hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde der Antrag des Revisionswerbers jedoch von der Behörde gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.
2 In ihrer Begründung stellte die Verwaltungsbehörde tragend darauf ab, dass es dem Revisionswerber nicht gelungen sei, sein Vorbringen "zur behaupteten Bedrohungssituation" glaubhaft zu machen. Daher habe die von ihm "ins Treffen geführte Bedrohungssituation für (seine) Person" nicht als maßgeblicher Sachverhalt festgestellt werden können.
3 Die gegen den abweisenden Spruchteil des Bescheides vom 17. März 2014 erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung gestützt auf § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab. Die Revision gegen diese Entscheidung wurde vom Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zugelassen.
4 Als Feststellungen legte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren maßgeblich - seiner Entscheidung unter der Überschrift "1.2. Zu den Asylgründen" zugrunde, dass der Revisionswerber keine asylrelevante Verfolgung vorgebracht habe. Im Rahmen der beweiswürdigenden Überlegungen hielt es dazu fest, es könne dahinstehen, ob die Verwaltungsbehörde den Tatsachen entsprechende Feststellungen getroffen habe. Man komme nämlich selbst dann, wenn man der rechtlichen Beurteilung die (auf ihren Wahrheitsgehalt ungeprüften) Angaben des Revisionswerbers zugrunde lege, zu keinem anderen Ergebnis. Daher erübrige sich auch das Eingehen auf die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Beweiswürdigung der Behörde richte.
5 Der Revisionswerber habe - so das Bundesverwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung - vorgebracht, dass sein Vater von regierungsfeindlichen Truppen getötet worden wäre. In der "ausgeführten Fluchtgeschichte" würde der Revisionswerber auch von seinem Onkel bedroht. Dieser hätte gewollt, dass der Revisionswerber Mullah werden solle. Der Onkel wäre auch für das Verschwinden der Schwestern des Revisionswerbers verantwortlich. Damit beschreibe der Revisionswerber lediglich eine Privatverfolgung, die in keinem Zusammenhang mit einem Konventionsgrund stehe. Auf die Frage, ob der Staat seiner Schutzpflicht nachkommen könne, käme es aber nur dann an, wenn die staatlichen Einrichtungen diesen Schutz aus Konventionsgründen nicht gewähren würden. Verfolgungshandlungen gegen Verwandte könnten nur dann eine Ursache für begründete Furcht vor Verfolgung bilden, wenn aufgrund der im Verfahren glaubhaft dargelegten konkreten Situation davon ausgegangen werden müsste, dass gegen ein Familienmitglied gesetzte oder von diesem zu befürchtende Verfolgungshandlungen auch zu - die Intensität asylrechtlich relevanter Verfolgungshandlungen erreichenden - Maßnahmen gegen andere Familienmitglieder führen würden.
6 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht lediglich damit, dass die in Art. 133 Abs. 4 B-VG genannten Tatbestände nicht erfüllt seien.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Revision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:
8 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit - mit näherer Begründung - vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es im Rahmen seiner "Wahrunterstellung" nicht vom gesamten Vorbringen des Revisionswerbers ausgegangen sei, sondern maßgebliche Aussagen unbeachtet gelassen habe.
9 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. 10 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis
vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0069, ausführlich mit der rechtlichen Einordnung der sog. "Wahrunterstellung" sowie den in diesem Zusammenhang an die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu stellenden Anforderungen auseinandergesetzt. Es kann daher an dieser Stelle sein Bewenden haben, gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses zu verweisen.
11 Die angefochtene Entscheidung wird den in diesem Erkenntnis festgehaltenen Anforderungen nicht gerecht. Bei der rechtlichen Beurteilung im Rahmen einer "Wahrunterstellung" ist nämlich - soweit nicht ausdrücklich anderslautende Feststellungen getroffen werden - vom gesamten Vorbringen auszugehen (vgl. wiederum das genannte Erkenntnis vom 12. November 2014 sowie aus der daraufhin ergangenen ständigen Judikatur etwa die hg. Erkenntnisse vom 25. März 2015, Ra 2014/18/0168, und vom 23. Februar 2016, Ra 2015/20/0161).
12 Das Bundesverwaltungsgericht hat - entgegen dieser Rechtsprechung - wesentliche Teile des Vorbringens des Revisionswerbers - und zwar auch solches, das es sogar bei der Darstellung des Verfahrensganges durch wörtliches Anführen der vom Revisionswerber in der Verhandlung gemachten Angaben wiedergegeben hat - bei seiner rechtlichen Beurteilung gänzlich ausgeblendet. So hat der Revisionswerber (ua. auch) angegeben, dass sein Onkel ein Talib sei, seine Schwestern von den Taliban - weil sie gegen einen Talib hätten ausgetauscht werden sollen - entführt und letztlich, weil der Talib nicht freigelassen worden sei, getötet worden seien. Die Taliban seien im Namen der Religion zu allem bereit, auch ihre Familie zu verkaufen. Der Onkel habe wohl mit dem Verschwinden der Schwestern zu tun. Er sei ein aggressiver Mensch und habe die Mutter des Revisionswerbers vor seinen Augen immer wieder geschlagen. Er habe gewollt, dass man ihm gehorche. Dieser Onkel, der selbst aus dem Koran vorgelesen, aber viele Verse falsch übersetzt habe, habe auch gewollt, dass der Revisionswerber ebenfalls ein Talib und zudem auch Mullah werde. Auch habe er zum Revisionswerber gesagt, er werde ins Paradies kommen und dort seinen Vater sehen, wenn er bei einem Selbstmordattentat Ungläubige töte. Nach Auffassung des Onkels sei es die Pflicht des Revisionswerbers als Moslem, sein Land gegen die Amerikaner und Deutschen zu verteidigen. Der Revisionswerber sei aber niemals in der Lage, ein Attentat durchzuführen und Familien zu zerstören.
13 Berücksichtigt man auch diese Angaben, kann vom Fehlen jeglicher Asylrelevanz nicht ausgegangen werden. Dem Vorbringen ist nämlich ohne jeden Zweifel zu entnehmen, dass damit (auch) zum Ausdruck gebracht wurde, dem Revisionswerber werde, weil er dem Ansinnen des den Taliban zugehörigen Onkels nicht gefolgt sei, von diesem unislamisches Verhalten - und damit deren Auffassung entsprechend auch eine gegen die Taliban eingestellte politische Haltung - (zumindest) unterstellt werden (vgl. in diesem Zusammenhang die zu den Anforderungen der Prüfung bei behaupteter Zwangsrekrutierung ergangenen hg. Erkenntnisse vom 28. Jänner 2015, Ra 2014/18/0090, und vom 19. April 2016, Ra 2015/01/0079, jeweils mwN). Dann aber kann nicht gesagt werden, aus dem Vorbringen des Revisionswerbers ergebe sich keinerlei Zusammenhang mit einem in Art. 1 Abschn. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Grund.
14 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich somit mit einem für das Ergebnis des Verfahrens relevanten Verfahrensmangel behaftet. Es war daher - ohne dass auf das übrige Revisionsvorbringen hätte eingegangen werden müssen - gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 30. Juni 2016
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