VwGH Ra 2016/15/0084

VwGHRa 2016/15/008418.12.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Landeck/Reutte in 6500 Landeck, Innstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 29. September 2016, Zl. RV/3100939/2016, betreffend u. a. Umsatzsteuer 2007 (mitbeteiligte Partei: W und M S in T, vertreten durch die Dkfm. Erwin Baldauf und Mag. Reinhard Eberle Wirtschaftstreuhandgesellschaft OG, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 6600 Reutte, Innsbrucker Straße 8), zu Recht erkannt:

Normen

62001CJ0487 Gemeente Leusden VORAB;
LiebhabereiV 1993 §1 Abs2;
UStG 1994 §12 Abs10;
UStG 1994 §12 Abs11;
UStG 1994 §12 Abs12;
UStG 1994 §12 Abs3;
UStG 1994 §12;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Gesellschafter der mitbeteiligten Partei sind - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts - deutsche Staatsbürger, die in Deutschland eine Gärtnerei betreiben. Sie erwarben im Jahr 2006 in Österreich ein Baugrundstück und errichteten darauf ein Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung, Carport und Schuppen.

2 Die Mitbeteiligte teilte mit Schreiben vom 24. April 2006 dem zuständigen Finanzamt mit (Fragebogen Verf 16), Einkünfte aus einer Vermietung des Objektes erzielen zu wollen, gab gegenüber dem Finanzamt eine Erklärung gemäß § 6 Abs. 3 UStG 1994 ab (Verzicht auf die Steuerbefreiung für Kleinunternehmer) und beantragte die Vergabe einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. In der Folge erklärte sie unter anderem in den Jahren 2006 bis 2010 negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

3 In der am 12. Juli 2007 eingereichten Umsatzsteuererklärung 2006 beantragte die Mitbeteiligte Vorsteuern in Höhe von 26.403,25 EUR.

4 Das Finanzamt fertigte am 16. Juli 2007 einen erklärungsgemäßen Umsatzsteuerbescheid 2006 aus, der in Rechtskraft erwuchs.

5 In der Folge fertige das Finanzamt für die Jahre 2007 und 2008 am 11. Jänner 2010, für 2009 am 19. Oktober 2010 und für 2010 am 10. Mai 2011 erklärungsgemäße vorläufige Bescheide betreffend Umsatzsteuer und über die Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO aus.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerden gegen die gemäß § 200 Abs. 2 BAO endgültigen Bescheide betreffend Umsatzsteuer 2008 bis 2010 und über die Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO der Jahre 2007 bis 2010 als unbegründet ab und änderte den gemäß § 200 Abs. 2 BAO endgültigen Bescheid betreffend Umsatzsteuer 2007 ab.

7 Begründend führte es nach Auseinandersetzung mit den jeweils vorgelegten Prognoserechnungen aus, das Finanzamt habe die Vermietungstätigkeit einkommensteuerlich zu Recht als Liebhaberei beurteilt. Bei den Gesellschaftern der Mitbeteiligten sei mit dem Erwerb des Grundstückes und dem Bau des Einfamilienhauses mit Einliegerwohnung nicht das marktgerechte Streben nach Erzielung von Einkünften beherrschend im Vordergrund gestanden, sondern seien Motive wie Kapitalanlage, späterer Wohnsitz und das Lukrieren der Vorsteuern für ihr Handeln maßgebend gewesen.

8 Der für das Einkommensteuerrecht entwickelte Begriff der Liebhaberei habe auch im Umsatzsteuerrecht grundsätzliche Bedeutung. Eine als Liebhaberei beurteilte typisch der Lebensführung zuzurechnende Betätigung sei auch umsatzsteuerlich stets insgesamt, also vom Beginn bis zu ihrer Beendigung bzw. bis zur Änderung der Art der Bewirtschaftung oder der Tätigkeit Liebhaberei.

9 Mit Ablauf des Jahres 2012 sei hinsichtlich der Umsatzsteuer 2006 die Festsetzungsverjährung eingetreten. Sei im Zeitpunkt der Feststellung, dass die ausgeübte Vermietungstätigkeit Liebhaberei darstellte, eine Korrektur der im Jahr 2006 geltend gemachten Vorsteuer aus den Gebäudeanschaffungskosten aufgrund der eingetretenen Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich gewesen, könne eine solche nicht im Folgejahr durch eine Vorsteuerberichtigung gemäß § 12 Abs. 11 UStG 1994 nachgeholt werden. § 12 Abs. 11 UStG 1994 regle die Vorsteuerberichtigung bei Gegenständen, die der Unternehmer für das Unternehmen hergestellt oder erworben habe, aber (derzeit) nicht als Anlagevermögen verwende (keine Anwendbarkeit des Abs. 10), und bei sonstigen Leistungen, die für das Unternehmen ausgeführt worden seien.

10 Eine Berichtigung gemäß § 12 Abs. 10 UStG 1994 sei im gegenständlichen Fall ebenso nicht zulässig, weil eine Tätigkeit, die nach der Liebhabereiverordnung umsatzsteuerrechtlich als Liebhaberei anzusehen sei (das seien Tätigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 2 der LVO, bei denen die Annahme der Liebhaberei nicht nach § 2 Abs. 4 LVO widerlegt werde), ex lege keine unternehmerische Tätigkeit sei. Die Entgelte seien nicht der Umsatzsteuer zu unterwerfen, ein Vorsteuerabzug stehe nicht zu. Der Übergang von einer unternehmerischen Tätigkeit zur Liebhaberei sei kein Anwendungsfall des § 12 Abs. 10 UStG 1994 (Hinweis auf Ruppe/Achatz, UStG 19944, § 2 Tz 261).

11 Der Beschwerde gegen den Umsatzsteuerbescheid 2007 werde daher insoweit Folge gegeben und der angefochtene Bescheid abgeändert, als ein Storno der Vorsteuerberichtigung gemäß § 12 Abs. 11 UStG 1994 in Höhe von 26.403,25 EUR erfolge. Die Beschwerde gegen die Umsatzsteuerbescheide 2008 bis 2010 werde als unbegründet abgewiesen.

12 Soweit das Erkenntnis Umsatzsteuer 2007 betrifft, wendet sich die vorliegende Revision des Finanzamts gegen das Erkenntnis. Zur Zulässigkeit macht die Revision geltend, das Bundesfinanzgericht weiche in seinem Erkenntnis von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur umsatzsteuerrechtlichen Liebhaberei bei der Vermietung von privat nutzbarem Wohnraum im Sinne des § 1 Abs. 2 LVO ab (Hinweise auf VwGH 2000/14/0035, 2004/14/0082, 2005/14/0125, 2006/15/0318 und Ra 2014/15/0015), indem es eine nichtsteuerbare statt - der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs folgend - eine steuerfreie Tätigkeit angenommen habe. Darüber hinaus bestehe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, ob eine Vorsteuerberichtigung auch dann vorzunehmen sei, wenn ein ursprünglich unrichtiger Vorsteuerabzug aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr rückwirkend berichtigt werden könne.

 

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet. 15 Strittig ist im Revisionsfall, ob im Falle einer als

Liebhaberei einzustufenden Vermietung eine Vorsteuerberichtigung in Folgejahren vorzunehmen ist, wenn ein ursprünglich unrichtiger Vorsteuerabzug aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr für das Veranlagungsjahr des Vorsteuerabzugs berichtigt werden kann.

16 Für den Vorsteuerabzug sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Leistung maßgeblich. Sind in diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen erfüllt, kann der Vorsteuerabzug in voller Höhe vorgenommen werden. Fallen die Voraussetzungen nachträglich weg, so berührt dies grundsätzlich nicht den vorgenommenen Vorsteuerabzug (vgl. VwGH 30.9.2009, 2008/13/0174).

17 Allerdings kann nach den Bestimmungen des § 12 Abs. 10 bis 11 UStG 1994 eine Änderung der Verhältnisse, die für den Vorsteuerabzug maßgeblich waren, nach den dort geregelten Voraussetzungen und innerhalb der dort angeführten Fristen zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzuges führen, wobei gemäß § 12 Abs. 12 UStG 1994 die Absätze 10 und 11 auch für Gegenstände gelten, die nicht zu einem Betriebsvermögen gehören (wie im Fall der revisionsgegenständlichen außerbetrieblichen Vermietung). Sowohl der Abs. 10 als auch der Abs. 11 verweisen auf den Abs. 3 des § 12 UStG 1994 und zeigen damit auf, dass die Änderung der "Verhältnisse" in einer Änderung der Verwendung von Vorleistungen zur Ausführung der in § 12 Abs. 3 Z 1 bis 4 UStG 1994 genannten Umsätze gelegen sein muss.

18 § 12 Abs. 10 bis 11 UStG 1994 lauten in der im Revisionsfall maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 24/2007:

"(10) Ändern sich bei einem Gegenstand, den der Unternehmer in seinem Unternehmen als Anlagevermögen verwendet oder nutzt, in den auf das Jahr der erstmaligen Verwendung folgenden vier Kalenderjahren die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebend waren (Abs. 3), so ist für jedes Jahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges durchzuführen.

Dies gilt sinngemäß für Vorsteuerbeträge, die auf nachträgliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten, aktivierungspflichtige Aufwendungen oder bei Gebäuden auch auf Kosten von Großreparaturen entfallen, wobei der Berichtigungszeitraum vom Beginn des Kalenderjahres an zu laufen beginnt, das dem Jahr folgt, in dem die diesen Kosten und Aufwendungen zugrunde liegenden Leistungen im Zusammenhang mit dem Anlagevermögen erstmals in Verwendung genommen worden sind.

Bei Grundstücken im Sinne des § 2 des Grunderwerbsteuergesetzes 1987 (einschließlich der aktivierungspflichtigen Aufwendungen und der Kosten von Großreparaturen) tritt an die Stelle des Zeitraumes von vier Kalenderjahren ein solcher von neun Kalenderjahren.

Bei der Berichtigung, die jeweils für das Jahr der Änderung zu erfolgen hat, ist für jedes Jahr der Änderung von einem Fünftel, bei Grundstücken (einschließlich der aktivierungspflichtigen Aufwendungen und der Kosten von Großreparaturen) von einem Zehntel der gesamten auf den Gegenstand, die Aufwendungen oder Kosten entfallenden Vorsteuer auszugehen; im Falle der Lieferung ist die Berichtigung für den restlichen Berichtigungszeitraum spätestens in der letzten Voranmeldung des Veranlagungszeitraumes vorzunehmen, in dem die Lieferung erfolgte.

(10a) Abweichend von § 12 Abs. 10 dritter und vierter Unterabsatz tritt bei Grundstücken, die nicht ausschließlich unternehmerischen Zwecken dienen und bei denen hinsichtlich des nicht unternehmerisch genutzten Teiles ein Vorsteuerabzug in Anspruch genommen werden konnte, ein Zeitraum von neunzehn Kalenderjahren und ein Berichtigungsbetrag von einem Zwanzigstel der Vorsteuern.

(11) Ändern sich bei einem Gegenstand, den der Unternehmer für sein Unternehmen hergestellt oder erworben hat oder bei sonstigen Leistungen, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, die Voraussetzungen, die für den Vorsteuerabzug maßgebend waren (Abs. 3), so ist, sofern nicht Abs. 10 zur Anwendung gelangt, eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges für den Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung eingetreten ist."

19 Ob die konkrete Betätigung, welche die mitbeteiligte Partei im Jahr 2006 (und in den Streitjahren) ausgeübt hat, nicht einmal als wirtschaftliche Tätigkeit zu beurteilen war, wie dies im angefochtenen Erkenntnis zum Ausdruck gebracht wird, oder ob eine unternehmerische Betätigung vorlag, die auf (unecht) steuerbefreite Umsätze abzielte, kann im gegenständlichen Fall dahingestellt bleiben.

20 Lag niemals eine unternehmerische Betätigung vor, kann auch keine Änderung der Verhältnisse iSd § 12 Abs. 10 oder 11, jeweils iVm § 12 Abs. 3 UStG 1994 eingetreten sein. Eine Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs. 10 und 11 UStG 1994 setzt von Anfang an eine unternehmerische Tätigkeit und eine entsprechende Zuordnung der Vorleistung zum Unternehmensbereich voraus (vgl. Schuchter/Kollmann, in Melhardt/Tumpel, UStG2 § 12 Rz 427).

21 Lag hingegen eine unternehmerische Betätigung vor, die zu unecht befreiten Umsätzen führte, weil umsatzsteuerliche Liebhaberei bei Vermietung von privat nutzbarem Wohnraum im Sinne des § 1 Abs. 2 LVO 1993 vor dem Hintergrund des Unionsrechts als Umsatzsteuerbefreiung (mit Vorsteuerausschluss) anzusehen ist (vgl. etwa VwGH 30.4.2015, Ra 2014/15/0015, mwN), ist es ebenfalls in den Streitjahren nicht zu einer Änderung der Verhältnisse iSd § 12 Abs. 3 UStG 1994, die für den Vorsteuerabzug maßgeblich waren (vgl. Ruppe/Achatz, UStG4, § 12 Rn. 293), gekommen.

22 Eine solche Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse kann einerseits in tatsächlichen Änderungen etwa hinsichtlich des Verwendungszwecks eines Gegenstandes bestehen (vgl. die Beispiele bei Ruppe/Achatz, UStG4 § 12 Rn. 302 sowie Schuchter/Kollmann, in Melhardt/Tumpel, UStG2 § 12 Rz 433). Sie kann aber andererseits auch in einer Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Rechtslage bestehen (vgl. VwGH 2.7.2002, 2001/14/0153, zur Einführung einer unechten Steuerbefreiung; ebenso EuGH 29.4.2004, Gemeente Leusden, C-487/01 , Rn. 53).

23 Eine bloße geänderte rechtliche Beurteilung eines unveränderten Sachverhalts durch die Abgabenbehörde nach einer ursprünglichen rechtlichen Fehlbeurteilung der Vorsteuerabzugsberechtigung stellt allerdings keine Änderung der Verhältnisse dar, die zu einer Vorsteuerberichtigung in den Folgejahren nach § 12 Abs. 10 bis 11 UStG 1994 führt. In einem solchen Fall sind nämlich die für den Vorsteuerabzug grundsätzlich maßgeblichen Verhältnisse iSd § 12 Abs. 3 UStG 1994 im Zeitpunkt der Leistung sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht gerade unverändert geblieben, weshalb nach der bestehenden Gesetzeslage kein Raum für eine Vorsteuerberichtigung bleibt (aA Mayr/Ungericht, UStG4 § 12 Anm. 56 lit. b).

24 Die Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs. 10 bis 11 UStG 1994 dient nämlich nicht der (teilweisen) Korrektur fehlerhafter Entscheidungen betreffend die ursprüngliche Vorsteuerabzugsberechtigung, die aufgrund rechtskräftiger Veranlagung verfahrensrechtlich unabänderlich geworden sind und hinsichtlich derer gerade keine Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse eingetreten ist.

25 Da das Bundesfinanzgericht somit im Ergebnis zu Recht eine Vorsteuerberichtigung im Streitjahr verweigert hat, war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

26 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Dezember 2017

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