VwGH Ra 2016/13/0043

VwGHRa 2016/13/004326.7.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision der A GmbH in Liquidation in W, vertreten durch die Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP & Co KG in 1010 Wien, Schottenring 25, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 22. Mai 2015, Zl. RV/7103611/2011, betreffend u.a. Haftung für Lohnsteuer 2007 und 2008, Dienstgeberbeiträge zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen 2007 bis 2009 und Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag 2007 bis 2009, zu Recht erkannt:

Normen

31990R3037 Statistische Systematik Wirtschaftszweige EG;
31993R0696 Statistische Einheiten Beobachtung Analyse Wirtschaft Anh;
32006R1893 Statistische Systematik Wirtschaftszweige EG;
BAO §184;
BundesstatistikG 2000 §21;
EStG 1988 §15 Abs2;
EStG 1988 §15;
EStG 1988 §67 Abs10;
EStG 1988 §67 Abs8 litc;
EStG 1988 §68 Abs1;
EStG 1988 §68 Abs2;
NEUFÖGDV 1999 §2 Abs3;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang (Haftung für Lohnsteuer 2007 und 2008 sowie Dienstgeberbeiträge zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag 2007 bis 2009) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung vom 17. Juni 2011 enthält Ausführungen zu folgenden vier, auch im Revisionsverfahren noch strittigen Punkten:

2 a) Betreffend die Dienstnehmerin P sei ein verbilligter Erwerb eines Firmen-Pkws als Sachbezug zu berücksichtigen (Lohnsteuer sowie Dienstgeberbeitrag samt Zuschlag 2007).

3 b) Betreffend den Dienstnehmer E sei der Sachbezug für die Privatnutzung eines arbeitgebereigenen Fahrzeuges im Hinblick auf den Neupreis des Fahrzeugs zu erhöhen (Lohnsteuer sowie Dienstgeberbeitrag samt Zuschlag 2007).

4 c) Betreffend drei Dienstnehmer seien im Jahr 2008 Überstundenzuschläge nachgezahlt worden, diese seien gemäß § 67 Abs. 10 EStG 1988 zu versteuern (Lohnsteuer 2008).

5 d) Die Revisionswerberin habe bis 2008 Brech- und Siebanlagen auf Rädern geplant und habe damit gehandelt. Im August 2008 sei ein neues Produktions- und Montagewerk in Betrieb genommen worden; es sei sodann die Zusammenlegung auf einen Standort erfolgt. Ab diesem Zeitpunkt seien die bisher geplanten und gehandelten Maschinen auch selbst zusammengebaut worden. Die Wirtschaftskammer habe eine Neugründung eines Betriebes nach dem Neugründungs-Förderungsgesetz, BGBl. I Nr. 106/1999, (NeuFöG) mit Juli 2008 bestätigt. Die Prüferin anerkenne die in Anspruch genommene Befreiung von Lohnabgaben nach dem NeuFöG nicht. Es liege kein eigener Produktionsbetrieb, sondern ein einheitlicher Betrieb vor. Daraus ergäben sich für die Jahre 2008 und 2009 Nachforderungen an Dienstgeberbeiträgen und Zuschlägen hiezu.

6 Das Finanzamt schloss sich der Ansicht der Prüferin an und erließ Haftungsbescheide für Lohnsteuer 2007 und 2008 und Bescheide über die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages sowie des Zuschlags zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2007 bis 2009 samt Säumniszuschlägen.

7 Die Revisionswerberin erhob Berufung gegen diese Bescheide. 8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die (nunmehrige) Beschwerde als unbegründet ab und änderte die Bescheide betreffend Haftung Lohnsteuer 2007, Säumniszuschlag für Lohnsteuer 2007, Dienstgeberbeitrag 2007 und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2007 - jeweils zu Lasten der Revisionswerberin - ab.

9 Das Bundesfinanzgericht sprach aus, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

10 Begründend führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Dienstnehmerin P habe im September 2007 von der Revisionswerberin einen Pkw um 13.500 EUR erworben. Dieser Betrag sei wie folgt ermittelt worden: Ein Autohändler habe einen Einkaufspreis von 16.000 EUR angeboten. Zum Zeitpunkt des Ankaufs durch die Dienstnehmerin sei bereits bekannt gewesen, dass ein Wechsel der Steuerkette notwendig sein werde (Reparaturkosten ca. 2.500 EUR). Das Finanzamt habe einen Betrag in Höhe von 5.000 EUR nachversteuert (Händlereinkaufspreis laut eurotax-Bewertung 21.000 EUR abzüglich angebotener Einkaufspreis des Autohändlers 16.000 EUR). Aus der dem Bundesfinanzgericht vorliegenden eurotax-Bewertung des Fahrzeugs gehe hervor, dass dieser Bewertung die tatsächliche (80.000) und nicht eine durchschnittliche Kilometerleistung zu Grunde gelegt worden sei. Es habe sich ein Händlerverkaufspreis von 27.688 EUR ergeben; abzüglich der Reparaturkosten in Höhe von 2.500 EUR ergebe sich der übliche Mittelpreis des Verbrauchsortes mit 25.188 EUR, sodass ein steuerpflichtiger Vorteil in Höhe von 11.688 EUR vorliege. Daraus ergäben sich - gegenüber dem Bescheid des Finanzamts - für das Jahr 2007 höhere Beträge an Lohnsteuer, Dienstgeberbeiträgen und Zuschlägen zum Dienstgeberbeitrag.

11 Zur Privatnutzung eines Firmenfahrzeugs führte das Bundesfinanzgericht aus, die Revisionswerberin habe (auch) betreffend den Dienstnehmer E einen monatlichen Sachbezug versteuert. Im Zuge der Prüfung sei lediglich die Bemessungsgrundlage (Höhe des Sachbezugs) korrigiert worden. In der Berufung sei beantragt worden, (nur) betreffend diesen Dienstnehmer vom Ansatz eines Sachbezugs zur Gänze Abstand zu nehmen. Laut einer "Dienstanweisung" sei es allen Dienstnehmern untersagt gewesen, die firmeneigenen Fahrzeuge privat zu verwenden. Ein Sachbezug sei irrtümlich abgerechnet worden. Diesem Vorbringen sei entgegen zu halten, dass die Revisionswerberin in der Berufung behauptet habe, dass es allen Dienstnehmern - mit Ausnahme des E - untersagt gewesen sei, die Firmenfahrzeuge auch für private Zwecke zu verwenden. Erst nach der Konfrontation des Finanzamtes mit den gegenteiligen Fakten habe die Revisionswerberin eingestanden, dass auch andere Dienstnehmer die Firmenfahrzeuge vereinbarungsgemäß privat genutzt hätten. Von einem generellen, alle Dienstnehmer betreffenden Privatnutzungsverbot könne daher nicht die Rede sein. Auch dem (E betreffenden) Vorbringen, dass es im Zuge der Neuanschaffung von Firmenfahrzeugen zu einer Änderung der Dienstgepflogenheiten gekommen sei, könne nicht gefolgt werden: Bei der einem Dienstnehmer eingeräumten Möglichkeit, das arbeitgebereigene Kraftfahrzeug auch für private Zwecke zu verwenden, handle es sich nicht um eine bloße Dienstgepflogenheit, sondern um einen Gehaltsbestandteil. Der Wegfall einer vereinbarten Privatnutzungsmöglichkeit würde daher eine Gehaltskürzung bedeuten. Eine derartige Gehaltskürzung könnte nur einvernehmlich herbeigeführt werden. Dass eine derartige Vereinbarung abgeschlossen worden sei, habe die Revisionswerberin nicht einmal behauptet. Von einem allfälligen ernsthaften freiwilligen Verzicht auf eine Privatnutzung könne keine Rede sein. Es werde als erwiesen erachtet, dass E das Firmenfahrzeug auch für private Zwecke verwendet habe.

12 Unstrittig seien im Kalenderjahr 2008 auch aus dem Vorjahr resultierende Überstunden ausbezahlt worden; die diese Überstunden betreffenden Zuschläge seien steuerfrei belassen worden. Bei einer Nachzahlung für vergangene Kalenderjahre habe aber eine derartige Steuerfreistellung nicht zu erfolgen.

13 Gemäß § 2 Abs. 3 der zum NeuFöG ergangenen Verordnung liege keine Neugründung vor, wenn sich der Betriebsinhaber innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Zeitpunkt der Neugründung als Betriebsinhaber eines Betriebes vergleichbarer Art betätigt habe. Vergleichbare Betriebe seien solche der selben Klasse im Sinne der Systematik der Wirtschaftstätigkeiten "ÖNACE". Laut Auszug aus dem Unternehmensregister falle die Revisionswerberin seit dem 16. Oktober 2012 in die Klasse ÖNACE 46.63; davor in ÖNACE 46.69. Die Inbetriebnahme der Werkshalle am neuen Standort im August 2008 habe zu keiner anderen Klassifizierung im Sinne der ÖNACE geführt. Einem diesbezüglichen Vorhalt des Bundesfinanzgerichts habe die Revisionswerberin nicht widersprochen.

14 Eine Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG liege nicht vor. Sowohl zu der Frage, mit welchem Preis geldwerte Vorteile anzusetzen seien, als auch zur Privatnutzung von Firmenfahrzeugen sowie zur Nachzahlung von Überstundenzuschlägen liege einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vor. Dass die Frage, ob ein vergleichbarer Betrieb (und damit keine Neugründung) vorliege, an Hand der Klassifikation im Sinne der Systematik der Wirtschaftstätigkeiten (ÖNACE) zu beurteilen sei, gehe unmittelbar aus der zum NeuFöG ergangenen Verordnung hervor.

15 Die Revisionswerberin erhob zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 9. Juni 2016, E 1429/2015-5, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

 

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision, zu der das belangte Finanzamt keine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen:

17 Die Revision ist zulässig und begründet.

18 Eingangs ist zu bemerken, dass die Säumniszuschläge nicht

vom Revisionspunkt umfasst sind.

19 a) Sachbezug für den Erwerb eines firmeneigenen Kraftfahrzeugs

20 Gemäß § 15 Abs. 2 EStG 1988 (idF vor dem Steuerreformgesetz 2015/2016, BGBl. I Nr. 118/2015) sind geldwerte Vorteile mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsortes anzusetzen.

21 Mit dem Ansatz eines Sachbezugswertes im Sinne des § 15 EStG 1988 wird der Vorteil erfasst, der darin besteht, dass sich der Dienstnehmer jenen Aufwand erspart, der ihm erwachsen würde, wenn er für die Kosten einer vergleichbaren Leistung aus eigenem aufkommen müsste (vgl. das Erkenntnis vom 21. Mai 2014, 2010/13/0196). Der übliche Mittelpreis des Verbrauchsortes ist jener Betrag, den der Steuerpflichtige hätte aufwenden müssen, um sich die geldwerten Güter am Verbrauchsort im freien Verkehr zu beschaffen. Dieser Betrag ist jeweils in Bezug auf die betroffene Besteuerungsperiode zu ermitteln (vgl. das Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, 2002/15/0207).

22 Damit ist aber - entgegen dem Revisionsvorbringen - an sich der Händlerverkaufspreis entscheidend (vgl. Mayr/Hayden in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG19, § 15 Tz 108).

23 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass gerade gebrauchte Fahrzeuge nicht nur bei Fahrzeughändlern gekauft werden. Es besteht - notorisch - auch die Möglichkeit, gebrauchte Fahrzeuge von Privaten anzukaufen, wobei in der Regel schon im Hinblick auf in diesem Fall regelmäßig vereinbarte Gewährleistungsausschlüsse für dieselben Fahrzeuge geringere Kaufpreise erzielt werden (vgl. hiezu - wenn auch zu einer damals etwas abweichenden Rechtslage - das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17. Juni 2005, VI R 84/04, BStBl. 2005 II 795). Da es aber darauf ankommt, welchen Betrag der Dienstnehmer hätte aufwenden müssen, hätte er das Fahrzeug im freien Verkehr erworben, ist auch diese Möglichkeit des Erwerbs von Privaten zu berücksichtigen. Dies könnte durch einen Abschlag vom Händlerverkaufspreis berücksichtigt werden; allenfalls könnte auch ein Mischpreis zwischen Händlerverkaufspreis und Händlereinkaufspreis angesetzt werden, wird doch der Händlereinkaufspreis jenem Preis, zu dem ein Privater - etwa auch an einen Händler - verkauft, nahekommen (vgl. zum Mittelwert zwischen Händlerankaufspreis und Händlerverkaufspreis laut inländischer Eurotax-Notierung nochmals Mayr/Hayden, aaO).

24 Der Wert von Sachbezügen ist grundsätzlich nach einem objektiven Maßstab im Wege einer Schätzung zu ermitteln (vgl. das Erkenntnis vom 13. September 1988, 86/14/0022, ÖStZB 1989, 67). Im Rahmen des Schätzungsverfahrens muss die Behörde (bzw. das Gericht) auf alle vom Abgabepflichtigen substantiiert vorgetragenen, für die Schätzung relevanten Behauptungen eingehen (vgl. das Erkenntnis vom 24. September 2014, 2012/13/0107).

25 Wenn in der Revision in diesem Zusammenhang auf ein "Gutachten" eines Autohändlers verwiesen wird, so enthalten die vorgelegten Verfahrensakten kein Gutachten, sondern lediglich eine - zu einem späteren Zeitpunkt eingeholte und die Sonderausstattung nicht berücksichtigende - eurotax-Bewertung durch den Autohändler. Zu einer amtswegigen Einholung eines Gutachtens war das Bundesfinanzgericht im Rahmen des Schätzungsverfahrens nicht verpflichtet. Das Bundesfinanzgericht hat sich aber nicht mit dem - wenn auch wenig konkreten - Vorbringen der Revisionswerberin, es seien auch Lackschäden oder diverse Kleinschäden vorgelegen, auseinandergesetzt.

26 Die Revision erweist sich daher zu diesem Punkt als

begründet.

27 b) Privatnutzung eines Firmenfahrzeugs:

28 Hiezu wird im Rahmen der Revision lediglich die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts gerügt.

29 Das Bundesfinanzgericht ging davon aus, dass (auch) der Dienstnehmer E ein Firmenfahrzeug für private Zwecke verwendet habe.

30 Die Revision führt hiezu aus, es bleibe unerfindlich, wie das Bundesfinanzgericht angesichts des schlüssigen Vorbringens der Revisionswerberin und der angebotenen Beweismittel (Zeugenaussagen) zu diesem Ergebnis komme; die getroffenen Feststellungen seien unschlüssig und tendenziös.

31 Das Bundesfinanzgericht stützte diese Sachverhaltsannahme insbesondere darauf, dass im Unternehmen der Revisionswerberin kein generelles Privatnutzungsverbot bestanden habe. Unstrittig hätten mehrere Dienstnehmer die Fahrzeuge vereinbarungsgemäß auch für private Zwecke verwendet. Unstrittig sei, dass auch E das Fahrzeug in der Vergangenheit vereinbarungsgemäß privat genutzt habe. Eine Verschlechterungsvereinbarung sei nicht abgeschlossen worden.

32 Mit dem Revisionsvorbringen kann eine Unschlüssigkeit dieser Erwägungen nicht aufgezeigt werden. Die Revision legt auch nicht dar, welche von der Revisionswerberin angebotenen Zeugenbeweise nicht aufgenommen worden seien.

33 Die Revision erweist sich daher zu diesem Punkt als

unbegründet.

34 c) Überstundenzuschläge:

35 Gemäß § 68 Abs. 1 EStG 1988 sind u.a. Überstundenzuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit bis zu 360 EUR monatlich steuerfrei. Zusätzlich sind nach § 68 Abs. 2 EStG 1988 (in der hier anwendbaren Fassung vor BGBl. I Nr. 133/2008) Zuschläge für die ersten fünf Überstunden im Monat im Ausmaß von höchstens 50% des Grundlohnes, insgesamt höchstens 43 EUR monatlich steuerfrei.

36 Werden Überstunden für das laufende Jahr nachgezahlt, so bleibt die Steuerfreiheit für Überstundenzuschläge im Zeitpunkt der Leistung der Überstunden auch bei einer späteren Auszahlung der Überstundenentgelte im Wege einer Aufrollung durch den Arbeitgeber erhalten (vgl. Kirchmayr/Schaunig in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG19, § 67 Tz 126). Nach Ablauf des Kalenderjahres ausgezahlte Überstundenentlohnungen sind hingegen mangels Möglichkeit einer Aufrollung - im Allgemeinen - nach § 67 Abs. 10 EStG 1988 zu versteuern (vgl. Kirchmayr/Schaunig, aaO, Tz 110). Beruht die Nachzahlung aber nicht auf einer willkürlichen Verschiebung des Auszahlungszeitpunktes, ist nach Abzug der darauf entfallenden Beiträge im Sinne des § 62 Z 3, 4 und 5 EStG 1988 nach § 67 Abs. 8 lit. c EStG 1988 ein Fünftel steuerfrei zu belassen (vgl. das Erkenntnis vom 30. Jänner 1991, 90/13/0121; sowie Doralt, EStG14, § 68 Tz 42; Fellner in Hofstätter/Reichel, EStG 1988, 50. Lieferung, § 68 Tz 64).

37 Dem Bundesfinanzgericht ist daher nicht entgegenzutreten, wenn es die Nachzahlung der aus dem Vorjahr resultierenden Überstundenzuschläge im Jahr 2008 nicht zur Gänze als steuerfrei behandelt hat. Zutreffend ist aber das Revisionsvorbringen, dass sich das Bundesfinanzgericht mit der Frage hätte auseinandersetzen müssen, ob im Sinne des § 67 Abs. 8 lit. c EStG 1988 eine willkürliche Verschiebung des Auszahlungszeitpunktes vorlag.

38 Die Revision erweist sich daher in diesem Punkt als begründet.

39 d) Befreiung nach dem NeuFöG:

40 Gemäß § 1 Z 7 NeuFöG (insoweit in der Stammfassung BGBl. I Nr. 106/1999) werden zur Förderung der Neugründung von Betrieben u.a. die für beschäftigte Arbeitnehmer (Dienstnehmer) anfallenden Dienstgeberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds samt Kammerumlage nach § 122 Abs. 7 und 8 Wirtschaftskammergesetz 1988 ("Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag") für einen Zeitraum von 12 Monaten nicht erhoben.

41 Nach § 2 NeuFöG liegt die Neugründung eines Betriebes unter (u.a.) folgenden Voraussetzungen vor: Es wird durch Schaffung einer bisher nicht vorhandenen betrieblichen Struktur ein Betrieb neu eröffnet, der der Erzielung von Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 EStG 1988 dient (Z 1). Die die Betriebsführung innerhalb von zwei Jahren nach der Neugründung beherrschende Person (Betriebsinhaber) hat sich bisher nicht in vergleichbarer Art beherrschend betrieblich betätigt (Z 2).

42 Die Neugründungs-Förderungsverordnung, BGBl. II Nr. 278/1999, enthält hiezu u.a. folgende Regelungen:

Begriff der Neugründung

§ 2. (1) Unter einem Betrieb im Sinne des § 2 Z 1 NEUFÖG ist die Zusammenfassung menschlicher Arbeitskraft und sachlicher Betriebsmittel in einer organisatorischen Einheit zu verstehen. Ein Betrieb wird neu eröffnet, wenn die für den konkreten Betrieb wesentlichen Betriebsgrundlagen neu geschaffen werden. Der Betrieb muß der Erzielung von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Einkünften aus selbständiger Arbeit (einschließlich Einkünften aus sonstiger selbständiger Arbeit) oder von Einkünften aus Gewerbebetrieb dienen. Keine Neugründung eines Betriebes liegt bei Aufnahme einer Betätigung im Sinne des § 1 Abs. 2 der Liebhabereiverordnung, BGBl. Nr. 33/1993, vor.

(2) Betriebsinhaber ist die die Betriebsführung beherrschende natürliche oder juristische Person. Betriebsinhaber im Sinne des § 2 Z 2 NEUFÖG sind ungeachtet allfälliger gesellschaftsvertraglicher Sonderbestimmungen:

(3) Keine Neugründung liegt vor, wenn sich der Betriebsinhaber (Abs. 2) innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Zeitpunkt der Neugründung als Betriebsinhaber (Abs. 2) eines Betriebes vergleichbarer Art betätigt hat. Vergleichbare Betriebe sind solche der selben Klasse im Sinne der Systematik der Wirtschaftstätigkeiten, ÖNACE 1995 (herausgegeben vom Österreichischen Statistischen Zentralamt)."

43 Mit BGBl. II Nr. 288/2008 (ausgegeben am 12. August 2008) wurde in § 2 Abs. 3 der Verordnung die Wortfolge "ÖNACE 1995 (herausgegeben vom Österreichischen Statistischen Zentralamt)" durch die Wortfolge "ÖNACE in der geltenden Fassung (herausgegeben von der Bundesanstalt Statistik Österreich)" ersetzt.

44 Das Bundesfinanzgericht ging davon aus, dass die Inbetriebnahme der neuen Werkshalle im August 2008 zu keiner anderen Klassifizierung im Sinne der ÖNACE geführt habe; einem diesbezüglichen Vorhalt habe die Revisionswerberin nicht widersprochen.

45 Die Revisionswerberin machte hiezu geltend, für die Beurteilung, ob ein vergleichbarer Betrieb vorliege, könne es nicht ausschließlich auf die formale Klassifikation nach ÖNACE ankommen. Diese Einstufung müsse im Einzelfall auch widerlegt werden können. Eine solche Widerlegung sei im vorliegenden Fall auch erfolgt: Die Revisionswerberin habe umfangreiches Vorbringen dazu erstattet, dass ein Wechsel von einem Handels- zu einem Produktionsbetrieb erfolgt sei. Es sei daher unzutreffend, dass die Revisionswerberin in ÖNACE Klasse G 46.63-0 falle (Großhandel mit Bergwerks-, Bau- und Baustoffmaschinen); die richtige Einstufung sei vielmehr mit ÖNACE Klasse C 28.92-0 (Herstellung von Bergwerks-, Bau- und Baustoffmaschinen) vorzunehmen.

46 Bei der ÖNACE handelt es sich um die österreichische Version der NACE, also jener statistischen Systematik der Wirtschaftszweige in der EU, die nach der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates vom 9. Oktober 1990 für alle Mitgliedstaaten verbindlich anzuwenden ist (vgl. nunmehr die Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 zur Aufstellung der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige NACE Revision 2). Die ÖNACE ist eine alle Wirtschaftstätigkeiten umfassende Klassifikation. Jedes Unternehmen ist gemäß seinem wirtschaftlichen Schwerpunkt einer Unterklasse der ÖNACE zuzuordnen, die konkrete Zuordnung ist auch bekämpfbar (vgl. die Erkenntnisse vom 27. Februar 2003, 2002/09/0116, und vom 22. März 2007, 2005/09/0104, VwSlg. 17.143/A):

47 Das Bundesfinanzgericht hat nicht im Sinne des § 2 Abs. 1 Neugründungs-Förderungsverordnung geprüft, ob die für den konkreten Betrieb wesentlichen Betriebsgrundlagen neu geschaffen wurden, sondern ist davon ausgegangen, dass schon deswegen keine Neugründung vorliegt, weil sich der Betriebsinhaber bereits in vergleichbarer Art betätigt hat (§ 2 Abs. 3 Neugründungs-Förderungsverordnung).

48 § 2 Abs. 3 dieser Verordnung knüpft aber nicht an die von der Bundesanstalt vorgenommene klassifikatorische Zuordnung iSd § 21 Bundesstatistikgesetz 2002 an, sondern daran, ob sich der Betriebsinhaber innerhalb der letzten 15 Jahre als Betriebsinhaber eines Betriebes vergleichbarer Art betätigt hat, wobei hiezu auf die "Klasse" im Sinne der Systematik ÖNACE verwiesen wird. Dazu ist im Abgabenverfahren selbständig zu prüfen, ob der nunmehrige, neu eröffnete Betrieb mit einem bisherigen Betrieb in diesem Sinne vergleichbar ist (vgl. zu den Kriterien der Zuordnung Abschnitt II C des Anhangs zur Verordnung (EWG) Nr. 696/93 des Rates vom 15. März 1993).

49 Da eine derartige Prüfung unterblieben ist, erweist sich die Revision auch zu diesem Punkt als begründet.

50 Das angefochtene Erkenntnis war somit im angefochtenen Umfang (Haftung für Lohnsteuer 2007 und 2008 sowie Dienstgeberbeiträge und Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2007, 2008 und 2009) gemäß § 41 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

51 Von der von der Revisionswerberin beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

52 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. Juli 2017

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte