VwGH Ra 2016/11/0063

VwGHRa 2016/11/00637.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 8. März 2016, LVwG 30.19- 2903/2015-18, betreffend Übertretung des Öffnungszeitengesetzes 200 3 (mitbeteiligte Partei: M S in G, vertreten durch die Kaufmann & Lausegger Rechtsanwalts OG in 8020 Graz, Mariahilferstraße 20/II), zu Recht erkannt:

Normen

GewO 1994 §111 Abs4 Z4
GewO 1994 §111 Abs4 Z4 idF 2013/I/125
GewO 1994 §376 Z14b Abs2
ÖffnungszeitenG 2003 §1 Abs1
ÖffnungszeitenG 2003 §2 Z2
ÖffnungszeitenG 2003 §3
VStG §5 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016110063.L00

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass die Beschwerde der Mitbeteiligten gegen das behördliche Straferkenntnis vom 7. September 2015 als unbegründet abgewiesen und die Mitbeteiligte zum Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von Euro 60.-- verpflichtet wird.

Der Antrag des Revisionswerbers auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz, der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht (nunmehriger Revisionswerber), vom 7. September 2015 war der Mitbeteiligten als gewerberechtlicher Geschäftsführerin der B GmbH (iF auch: B) angelastet worden, es zu verantworten, dass eine näher genannte Verkaufsstelle mit einem Standort in Graz

1. am Sonntag, den 13. Juli 2014, zumindest zwischen 13.10 Uhr und 14.00 Uhr offen gehalten wurde und verschiedene Waren wie z.B. Haribo um EUR 1,79, Vanilla Coke oder Cherry Coke um EUR 1,39, Kelly's Chips um EUR 1,69 Fa-Deo um EUR 2,29, Messerset von Royalty Line Switzerland um EUR 19,90, Grillkohle um EUR 3,89 zum Verkauf angeboten wurden und

2. am Sonntag, den 26. Juli 2015, zwischen 12.55 Uhr und

13. 55 Uhr offen gehalten wurde und verschiedene Waren wie z. B. Dan-Klorix um EUR 4,29, Haarspray Loreal um EUR 6,99, Essigreiniger Frosch um EUR 3,29, Grillkohle um EUR 3,89, zum Verkauf angeboten wurden,

obwohl Verkaufsstellen an Sonntagen geschlossen zu halten sind.

2 Die Mitbeteiligte habe dadurch § 368 iVm § 370 Abs. 1 GewO 1994 iVm §§ 3, 5 Abs. 1 und 11 Öffnungszeitengesetz 200 3 verletzt; über sie wurde gemäß § 368 GewO 1994 eine Geldstrafe in Höhe von EUR 300,-- bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.

3 Dem legte die belangte Behörde im Wesentlichen Folgendes zugrunde: Die Mitbeteiligte sei gewerberechtliche Geschäftsführerin der B, welche die Verkaufsstelle am Standort in Graz, Lgasse, "N", betreibe. Diese habe an den im Spruch genannten Sonntagen den Verkaufsbetrieb geöffnet gehalten und dabei alle Waren und Gegenstände zum Verkauf angeboten, die in einem N Markt angeboten würden. Die Verkaufsstelle bzw. der Handelsbetrieb sei eindeutig vom Gastgewerbebetrieb ("B"), der einen getrennten Eingang habe, getrennt. Zum Zeitpunkt der Erhebungen habe der Handelsbetrieb subjektiv nicht den Eindruck eines Gastgewerbebetriebs hinterlassen. Vom gegenständlichen Geschäftslokal komme man nur durch eine nicht versperrte Brandschutztüre oder durch einen extra angeschriebenen Eingang, der sich auf der Hauptstraße befinde, in den Gastgewerbebetrieb.

4 Die Mitbeteiligte berufe sich zu Unrecht auf § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994. Danach stünde den Gastgewerbetreibenden unbeschadet der ihnen gemäß § 32 zustehenden Rechte noch das Recht zu, während der Betriebszeiten des Gastgewerbebetriebs die von ihnen verabreichten Speisen und ausgeschenkten Getränke, halbfertige Speisen, die von ihnen verwendeten Lebensmittel sowie Reiseproviant verkaufen zu dürfen, weiters Waren des üblichen Reisebedarfes (z.B. Treib- und Schmierstoffe, Toiletteartikel, Badeartikel, Fotoverbrauchsmaterial, Ansichtskarten, Lektüre, übliche Reiseandenken) sowie Geschenkartikel. Beim Verkauf solcher Waren müsse der Charakter des Betriebes als Gastgewerbebetrieb gewahrt bleiben.

5 Dies sei vorliegend aber nicht der Fall gewesen. Vielmehr seien, wie auf den im Akt einliegenden, im Zuge der Kontrolle aufgenommenen Lichtbildern eindeutig ersichtlich sei, alle Waren und Gegenstände angeboten worden, die in einem N Markt angeboten würden. Zudem zählten Grillkohle, Küchenrolle und Messerset nicht zu den Waren gemäß § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994, weshalb das diesbezügliche Vorbringen der Mitbeteiligten ins Leere gehe.

6 Es sei auf Basis des im Betriebsanlagegenehmigungsverfahren genehmigten Plans und der dienstlichen Wahrnehmung der am 13. Juli 2014 und 26. Juli 2015 einschreitenden Organe erwiesen, dass im vorliegenden Fall die Verkaufsstelle eindeutig vom Gastgewerbebetrieb getrennt gewesen sei; dieser habe einen anderen Namen und einen deutlich getrennten Eingang.

7 Die Mitbeteiligte habe daher die ihr vorgeworfene Verwaltungsübertretung begangen. Hinsichtlich der subjektiven Tatseite sei auszuführen, dass es sich bei der gegenständlichen Verwaltungsübertretung um ein Ungehorsamsdelikt iSd § 5 VStG handle. Es wäre daher an der Mitbeteiligten gelegen, glaubhaft zu machen, dass sie an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden treffe; ihr wäre es insbesondere zumutbar gewesen, sich über die einschlägigen Verwaltungsvorschriften zu informieren und diese zu beachten, was sie aber unterlasse habe. Die Mitbeteiligte habe die ihr angelastete Verwaltungsübertretung daher auch subjektiv zu verantworten.

8 Mit dem nun in Revision gezogenen Beschluss (richtig:

Erkenntnis - vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. September 2016, Zl. Ra 2016/02/0137) vom 8. März 2016 gab das Verwaltungsgericht der gegen das Straferkenntnis erhobenen Beschwerde gemäß §§ 31 Abs. 1 und 50 VwGVG Folge, behob das Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein; unter einem wurde die ordentliche Revision für unzulässig erklärt.

9 In der Begründung gab das Verwaltungsgericht zusammengefasst den Verfahrensgang wieder und traf dann folgende Feststellungen:

10 Der Bürgermeister der Stadt Graz habe mit Bescheid vom 19. November 2013 der B über ihren Antrag die gewerbebehördliche Genehmigung zur Änderung der am Standort der weiteren Betriebsstätte in der L-Gasse genehmigten gastgewerblichen Betriebsanlage "Cafe S" durch Umbau und Hinzunahme eines Restaurants und eines Lebensmittelmarktes gemäß §§ 74, 77, 81 Abs. 1 und 359 GewO 1994 erteilt. Ausgehend vom Bereich Cafe S sei die Betriebsanlage in Richtung Osten erweitert worden und der Bereich "B" (bestehend aus Wintergarten, Raucherbereich, Nichtraucherbereich, Küche, Nebenräumen und Lagerhalle) hinzugekommen. Des Weiteren sei östlich anschließend ein Shop eingerichtet worden, bestehend aus einem Verkaufsbereich, einem Windfang, drei Kühlboxen, einem Lager, einem WC und einem zweiten auf den Parkplatz führenden Windfang. Die Betriebsanlage habe sich in Summe auf mehr als 800 m2 vergrößert, die Betriebszeiten seien mit 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr genehmigt worden.

11 Der Zugang zum Shop erfolge entweder von der L-Gasse kommend über den Windfang oder aber über den östlich gelegenen Parkplatz und den dortigen Windfang. Eine weitere Zugangsmöglichkeit, über den Eingang L-Gasse zur gastgewerblichen Betriebsanlage, im Windfang nach links abzweigend durch das Lager und dann weiter in den Shopbereich, sei nicht für Kunden gedacht. Die Verbindung zwischen Shop und gastgewerblicher Betriebsanlage erfolge durch eine in den Shopbereich aufgehende Innenraumtüre. Weder von der dem Shop zugewandten noch der dem Gastgewerbebetrieb zugewandten Seite sei ein Hinweisschild auf den jeweils anderen Teil der Betriebsanlage angebracht. Blicke man von der L-Gasse in Richtung Betriebsanlage, sei im Bereich der Eingänge zum Shop und zur gastgewerblichen Betriebsanlage eine Werbetafel angebracht, die den Schriftzug der B enthalte sowie die Aufschrift "N" und

"B".

12 Die Gesamtbetriebsfläche betrage 1.281,99 m2, davon entfielen 201,11 m2 auf den Shopbereich. Insgesamt seien im Betrieb 19 Arbeitnehmer beschäftigt, davon zwei im Shopbereich, wobei diesem keiner fix zugeordnet sei. Alle Arbeitnehmer würden nach dem Kollektivvertrag für das Gastgewerbe entlohnt. Von den Gesamteinnahmen des Betriebs entfielen etwa 90 % auf den Gastronomie- und 10 % auf den Shopbereich.

13 Die Mitbeteiligte sei sowohl handelsrechtliche wie auch gewerberechtliche Geschäftsführerin der B.

14 Am 13. Juli 2014 sei die Anlage durch Kontrollorgane der belangten Behörde, nämlich die Zeugen Ma und Kr, kontrolliert worden. Dabei seien vom Shopbereich zahlreiche Fotos angefertigt und ein sogenanntes Erhebungsformular ausgefüllt worden. Im Shopbereich sei eine Vielzahl verschiedener Produkte angeboten worden, u.a. auch jene, die im Straferkenntnis unter Punkt 1. angeführt seien. Auch sei eine "Postpartnerstelle" eingerichtet gewesen.

15 Am 26. Juli 2015 sei eine weitere Kontrolle durch die belangte Behörde, nämlich von den Zeugen Po und Pr, vorgenommen worden. Im "Erhebungsformular" seien wiederum beispielhaft Waren aufgelistet worden, die angeboten wurden, u.a. auch die im Straferkenntnis unter Punkt 2. angeführten. Die Kontrollorgane hätten auch feststellen können, dass während der Kontrollzeit Verkäufe getätigt worden seien und die Postpartnerstelle betrieben worden sei. Zum Zeitpunkt der Kontrolle sei die Verbindungstür zwischen Shop und Gastgewerbebetrieb geschlossen, aber nicht versperrt gewesen. Die Öffnungszeiten seien mit Montag bis Sonntag von 6:30 Uhr bis 22:00 Uhr kundgemacht gewesen.

16 Beweiswürdigend verwies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf den Akteninhalt in Zusammenhalt mit dem Vorbringen der Mitbeteiligten. Diese habe ihre Verantwortlichkeit als gewerberechtliche Geschäftsführerin nicht bestritten, die Aufschlüsselung der Gewinnerzielung bekannt gegeben und ausgeführt, dass für den Shopbereich keine eigenen Arbeitnehmer angestellt seien. Das Ergebnis der Kontrollen und das Anbieten von Waren, wie sie im Straferkenntnis angeführt worden waren, sei nicht bestritten worden.

17 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht nach einer Wiedergabe der wesentlichen Vorschriften des Öffnungszeitengesetzes 2003 und der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) zusammengefasst Folgendes aus:

18 Im vorliegenden Fall sei entscheidungswesentlich, ob der der Mitbeteiligten angelastete Warenverkauf im Rahmen des Gastgewerbes in dem im § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 bezeichneten Umfang erfolgt sei, weil ein solcher Verkauf gemäß § 2 Z 2 Öffnungszeitengesetz 2003 von den Bestimmungen dieses Gesetzes, insbesondere auch vom Verbot des § 3 leg. cit. betreffend Offenhalten an Sonntagen, ausgenommen sei.

19 Die Regelungen über die diesbezüglichen Rechte der Gastgewerbetreibenden seien mehrfach novelliert worden: § 144 GewO 1994 idF BGBl. Nr. 194/1994 habe Gastgewerbetreibenden, die Gäste beherbergen oder Speisen verabreichen und warme und angerichtete kalte Speisen verkaufen, das Recht eingeräumt, Waren des üblichen Reisebedarfs wie Treib- und Schmierstoffe, Toiletteartikel, Badeartikel, Fotoverbrauchsmaterial, Ansichtskarten, übliche Reiseandenken (§ 158 Z 2 GewO 1994) und die im § 158 Z 3 und 4 leg. cit. angeführten Druckwerke zu verkaufen. Zudem seien sie zum Verkauf von nichtangerichteten kalten Speisen, von halbfertigen Speisen, von im Gastgewerbebetrieb verwendeten Lebensmitteln und von Reiseproviant berechtigt gewesen. Gemäß § 144 Abs. 3 leg. cit. habe bei der Ausübung der Rechte gemäß Abs. 1 und Abs. 2 der Charakter des Betriebs als Gastgewerbebetrieb gewahrt bleiben müssen und hätten keine zusätzlichen Hilfskräfte und keine zusätzlichen Räumlichkeiten verwendet werden dürfen. Bei der Ausübung der Rechte gemäß Abs. 1 sei zudem eine straßenseitige Schaustellung der Waren verboten gewesen.

20 Die Gewerberechtsnovelle 1997 habe bei sonst gleichbleibenden Regelungen den Entfall des Verbots der straßenseitigen Schaustellung der Waren gebracht (BGBl. I Nr. 63/1997). Des Weiteren sei mit dieser Novelle die Produktgruppe nach § 144 Abs. 1 GewO um "Geschenkartikel" erweitert worden.

21 Mit der Gewerberechtsnovelle 2002, BGBl. I Nr. 111/2002, hätten Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Österreich umgesetzt und die Gewerbeordnung mit dem Ziel einer Liberalisierung von Berufszugang und Nebenrechten umfassend reformiert werden sollen. In diesem Zuge hätten auch die bisher gesondert für Erzeugungs-, Dienstleistungs- und Handelsgewerbe geregelten Nebenrechte vereinheitlicht und in einem Paragraph zusammengefasst werden sollen. Bei deren Ausübung müsse der wirtschaftliche Schwerpunkt und die Eigenart des Betriebs erhalten bleiben. Die den Gastgewerbetreibenden zustehenden Nebenrechte seien im § 111 Abs. 4 idF BGBl. I Nr. 111/2002 - unbeschadet der den Gastgewerbetreibenden gemäß § 32 noch zustehenden Rechte - geregelt worden. In dieser Bestimmung sei bei grundsätzlich gleichbleibenden Produkten die "Betriebscharakterwahrungsklausel" entfallen; die im § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 umschriebenen Verkaufsrechte seien daher schon dann zugestanden, wenn das Gastgewerbe tatsächlich betrieben worden sei.

22 Mit der Novelle 2013, BGBl. I Nr. 85/2013, sei schließlich dem § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 folgender Satz hinzugefügt worden:

"Beim Verkauf von Waren gemäß lit. a bis c muss der Charakter der Betriebes als Gastgewerbebetrieb gewahrt werden."

23 Gastgewerbetreibende, die in den letzten sechs Monaten vor Inkrafttreten des Gesetzes BGBl. I Nr. 85/2013 die Rechte des § 111 Abs. 4 Z 4 idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 85/2012 ununterbrochen zulässigerweise an einem bestimmten Standort ausgeübt haben, stünden diese Rechte an diesem Standort gemäß § 376 Z 14b Abs. 2 GewO 1994 idF BGBl. I Nr. 85/2013 weiterhin zu.

24 Aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ergäben sich keinerlei Erklärungen für die Wiedereinführung der "Betriebscharakterwahrungsklausel", die seit dem Inkrafttreten der Novelle 2013 mit 29. Mai 2013 wieder zu beachten sei, wenngleich ohne das Verbot der Verwendung zusätzlicher Hilfskräfte und zusätzlicher Räume und der straßenseitigen Schaustellung der Waren. Diese Wiedereinführung gehe auf einen Abänderungsantrag von Abgeordneten im Zuge einer parlamentarischen Beratung in zweiter Lesung zurück, wonach die Nebenrechte der Gastgewerbe "klargestellt" werden sollten, nämlich dahin, dass die Verkaufsrechte des § 111 Abs. 4 Z 4 lit. a bis c GewO 1994 nur jenen Gastgewerbebetrieben zustünden, die tatsächlich einen gastgewerblichen Charakter aufwiesen.

25 Im vorliegenden Fall habe die belangte Behörde vermeint, der Charakter des Betriebs als Gastgewerbebetrieb sei nicht gewahrt geblieben, weil alle üblicherweise in einem N Markt angebotenen Waren und Gegenstände angeboten worden seien. Bei den im Straferkenntnis genannten Waren handle es sich nicht um Waren gemäß § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994. Die Verkaufsstelle sei eindeutig vom Gastgewerbebetrieb getrennt, dieser trage auch einen anderen Namen und habe einen anderen Eingang als das Geschäft.

26 Als erster Schritt sei daher, so das Verwaltungsgericht weiter, zu prüfen, ob die angebotenen Waren den in § 111 Abs. 4 Z 4 lit. a bis c GewO 1994 angeführten Produktgruppen zugeordnet werden könnten. Sei dies der Fall, sei in einem weiteren Schritt der Betriebscharakter als Gastgewerbebetrieb zu prüfen.

27 Die im Spruch angeführten Lebensmittel - Haribo, Vanilla Coke, Cherry Coke, Kelly's Chips - seien als sofort genussfähige Lebensmittel jedenfalls unter die Produktgruppe Reiseproviant zu subsumieren. Fa Deo und Haarspray seien als Toiletteartikel der Produktgruppe üblicher Reisebedarf zuzuordnen. Auch die Reinigungsmittel (Dan Klorix, Essigreiniger Frosch) könnten der Produktgruppe üblicher Reisebedarf zugeordnet werden. Wenn Treib- und Schmierstoffe zum üblichen Reisebedarf zählten, könne nicht erkannt werden, dass dies auf die angegebenen Reinigungsmittel nicht zutreffe. Dasselbe gelte für Grillkohle: Aus dem Gesetz ergebe sich nicht, dass sich der Reisebedarf nur auf bestimmte Arten von Reisen erstrecken solle; vielmehr sei davon auszugehen, dass sich das Bestimmungsmerkmal "Reise" unterschiedlich definiere und auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Reisenden abzustellen sei; so werde etwa ein Pauschalreisender mit organisierter Rundumversorgung andere Bedürfnisse haben als etwa ein Camper oder Tramper.

28 Das Messerset Royalty Line Switzerland zum Preis von EUR 19,90 könne der Produktgruppe Geschenkartikel iSd § 111 Abs. 4 Z 4 lit. c GewO 1994, worunter Gegenstände geringen Wertes zu verstehen seien, zugeordnet werden. Fünf in einer Schachtel mit bildlichem Aufdruck ansprechend verpackte Messer zu einem Preis von unter EUR 20,-- seien jedenfalls unter den Begriff "Geschenkartikel" zu subsumieren.

29 Die angebotenen, im Straferkenntnis angeführten Waren entsprächen daher allesamt den in § 111 Abs. 4 Z 4 lit. a bis c GewO 1994 angeführten Waren.

30 Eine räumliche Trennung der "Verkaufsstelle" und der gastgewerblichen Betriebsanlage bedinge nicht das Verlustigwerden des Charakters der Anlage als gastgewerbliche Betriebsanlage. Zum einen liege im vorliegenden Fall eine direkte Verbindung über eine tatzeitlich auch nicht versperrte, wenngleich geschlossene Türe zwischen Gastgewerbebetrieb und Verkaufsstelle vor, zum anderen könne dies daraus abgeleitet werden, dass die seinerzeit (§ 144 Abs. 3 GewO idF BGBl. Nr. 194/1994) normierte Voraussetzung, es dürften keine zusätzlichen Räume eingerichtet sein, nunmehr entfallen sei. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall (bloß) ein Betriebsanlagenbescheid betreffend Gastronomie und Verkaufsstelle vorliege und anlagenrechtlich unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Einheit der Betriebsanlage von (bloß) einer gastgewerblichen Betriebsanlage auszugehen sei. Der verfahrensgegenständliche Shopbereich sei Teil des Änderungsgenehmigungsverfahrens gewesen. Die Verkaufsstelle weise im Vergleich zum Gesamtausmaß der Betriebsanlage wesentlich kleinere Flächen auf, es würden in dieser wesentlich weniger Arbeitnehmer benötigt und erwirtschafte das Unternehmen aus dem Shopbereich lediglich 10 % des Gesamterfolgs. Es sei daher davon auszugehen, dass auch durch den Betrieb der verfahrensgegenständlichen Verkaufsstelle "N" der Charakter des Betriebs als gastgewerbliche Betriebsanlage erhalten bleibe, weshalb insgesamt von einem Warenverkauf im Rahmen eines Gastgewerbes in dem in § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 bezeichneten Umfang auszugehen sei und die Bestimmungen des Öffnungszeitengesetzes 2003 nicht anwendbar seien.

31 Hinsichtlich der Zulässigkeit der ordentlichen Revision führte das Verwaltungsgericht abschließend aus, die Revision sei mangels höchstgerichtlicher Judikatur zur Bestimmung des § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 in der im Revisionsfall maßgebenden Fassung zulässig; zudem komme der Frage, ob einzelne Waren unter die im Gesetz angeführten Produktgruppen fallen und wann von einer Wahrung des Betriebscharakters auszugehen sei, grundsätzliche Bedeutung zu.

32 Gegen diesen Beschluss richtet sich die zusammen mit den Verfahrensakten vorgelegte (außerordentliche) Revision der belangten Behörde.

33 Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Zurückweisung, in eventu auf Abweisung der Revision erstattet.

34 Die Revision ist - unabhängig von der diesbezüglichen, den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Beurteilung des Verwaltungsgerichts - wegen Fehlens von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Bestimmung des § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 in der im Revisionsfall maßgebenden Fassung der Novelle 2013 zulässig; sie ist auch begründet.

35 Die maßgebenden Bestimmungen des Öffnungszeitengesetzes 200 3, BGBl. I Nr. 48/2003 idF BGBl. I Nr. 62/2007, lauten:

"Geltungsbereich

§ 1. (1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten, sofern sich nicht nach § 2 anderes ergibt, für alle ständigen und nichtständigen für den Kleinverkauf von Waren bestimmten Betriebseinrichtungen (Läden und sonstige Verkaufsstellen) von Unternehmungen, die der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) unterliegen.

...

§ 2. Von den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind ausgenommen

...

2. der Warenverkauf im Rahmen eines Gastgewerbes in dem im

§ 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 bezeichneten Umfang und eines Konditorgewerbes in dem im § 150 Abs. 11 GewO 1994 bezeichneten Umfang;

...

§ 3. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes regeln das Offenhalten der Verkaufsstellen (§ 1). An Samstagen nach 18 Uhr, an Sonntagen, an Feiertagen (§ 7 Abs. 2 des Arbeitsruhegesetzes) und an Montagen bis 6 Uhr sind die Verkaufsstellen, soweit sich nicht nach den folgenden Bestimmungen anderes ergibt, geschlossen zu halten.

...

Strafbestimmung

§ 11. Wer entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen seine Verkaufsstelle nicht geschlossen hält, Waren verkauft, Bestellungen entgegennimmt oder die für seine Verkaufsstelle geltenden Ladenöffnungszeiten nicht kundmacht, ist nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 zu bestrafen. Übertretungen von Verordnungen nach § 5 Abs. 3 sind nach den Bestimmungen des § 27 des Arbeitsruhegesetzes zu bestrafen."

36 Im Revisionsfall sind weiters folgende Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994, BGBl. Nr. 194/1994 idF BGBl. I Nr. 125/2013 (GewO 1994), von Bedeutung:

"Gastgewerbe

§ 111. (1) ...

(4) Unbeschadet der den Gastgewerbetreibenden gemäß § 32 zustehenden Rechte stehen ihnen noch folgende Rechte zu:

...

4. während der Betriebszeiten des Gastgewerbebetriebes der

Verkauf folgender Waren:

a) die von ihnen verabreichten Speisen und ausgeschenkten

Getränke, halbfertige Speisen, die von ihnen verwendeten

Lebensmittel sowie Reiseproviant;

b) Waren des üblichen Reisebedarfes (zB Treib- und

Schmierstoffe, Toiletteartikel, Badeartikel,

Fotoverbrauchsmaterial, Ansichtskarten, Lektüre, übliche

Reiseandenken);

c) Geschenkartikel.

Beim Verkauf von Waren gemäß lit. a bis c muss der Charakter des Betriebes als Gastgewerbebetrieb gewahrt bleiben. Liegt auch eine Berechtigung nach § 94 Z 3 oder Z 19 vor, genügt es, dass der Charakter des Betriebes als Bäcker oder Fleischer gewahrt bleibt, hiebei müssen Verabreichungsplätze bereit gestellt werden.

...

§ 368. Eine Verwaltungsübertretung, die mit einer Geldstrafe bis zu 1 090 Euro zu bestrafen ist, begeht, wer andere als in den §§ 366, 367 und 367a genannte Gebote oder Verbote dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen oder der Bescheide, die auf Grund der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassener Verordnungen ergangen sind, nicht einhält.

...

§ 376. ...

14b. (Gastgewerbe:)

...

(2) Gastgewerbetreibenden, die in den letzten sechs Monaten vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 85/2013 die Rechte des § 111 Abs. 4 Z 4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 85/2012 ununterbrochen zulässigerweise an einem bestimmten Standort ausgeübt haben, stehen diese Rechte an diesem Standort weiterhin zu.

..."

37 Im Revisionsfall ist strittig, ob sich die Mitbeteiligte auf die Ausnahmeregelung des § 2 Z 2 Öffnungszeitengesetz 2003 berufen kann. Danach ist der Warenverkauf im Rahmen eines Gastgewerbes in dem im § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 bezeichneten Umfang von den Bestimmungen des Öffnungszeitengesetzes 2003 und damit auch vom Gebot des § 3 leg. cit., an Sonntagen geschlossen zu halten, ausgenommen.

38 Die in § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 geregelte spezielle Nebenberechtigung (Verkaufsberechtigung) für das Gastgewerbe ist nicht unbeschränkt, sie steht nämlich nur den Gastgewerbetreibenden, nur während der Betriebszeiten des Gastgewerbebetriebes und letztlich nur hinsichtlich der taxativ aufgezählten Warengruppen zu (vgl. die - jeweils noch zur Rechtslage vor der Novelle 2013 ergangenen - hg. Erkenntnisse vom 26. April 2013, Zl. 2011/11/0009, und vom 2. März 2010, Zl. 2008/11/0126). Da im Revisionsverfahren nicht strittig ist, dass der Betrieb erst nach dem für die Übergangsbestimmung des § 376 Z 14b Abs. 2 GewO 1994 maßgeblichen Stichtag aufgenommen wurde, weshalb § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 in der Fassung der Novelle 2013 anzuwenden ist, muss, damit sich die Mitbeteiligte auf diese Nebenrechte berufen kann, beim Warenverkauf zudem der Charakter des Betriebes als Gastgewerbebetrieb gewahrt bleiben (was von den Parteien des Verfahrens insoweit auch nicht in Frage gestellt wird).

39 Wird der damit vom Gesetz vorgegebene Rahmen überschritten, wird durch das Geöffnethalten von Verkaufsstellen an Sonntagen § 3 Öffnungszeitengesetz 2003 überschritten.

40 Mit dem in Beschwerde gezogenen Straferkenntnis wurde der Mitbeteiligten eine Übertretung des § 3 Öffnungszeitengesetz 2003 angelastet, weil sie an den im Spruch genannten Sonntagen jeweils alle in dem N Markt erhältlichen Waren zum Verkauf angeboten habe, im Spruch konkretisiert durch beispielsweise Anführung verschiedener Waren. Dass die Feststellung, wonach nicht etwa bloß ein eingeschränktes Produktsortiment, vielmehr "alle Waren" angeboten worden wären, zutrifft, wurde in der gegen das Straferkenntnis erhobenen Beschwerde, die sich auf Sachverhaltsebene bloß gegen die Annahme einer räumlichen Trennung von Verkaufsstelle und Handelsbetrieb wandte, nicht bestritten.

41 Von daher greift die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, die im Spruch des Straferkenntnisses konkret genannten, beispielsweise herausgegriffenen Waren seien dem Produktkatalog des § 111 Abs. 4 Z 4 GewO 1994 zu unterstellen, zu kurz: Werden - so wie im vorliegenden Fall - ohne Einschränkung alle in einem Markt dieser Art erhältlichen Waren zum Verkauf angeboten, wird durch das Offenhalten der Verkaufsstelle an Sonntagen gegen § 3 Öffnungszeitengesetz 2003 verstoßen, unabhängig davon, ob einzelne Waren zu der fraglichen Gruppe gehören. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Zuordnung der genannten Produkte. Gleichfalls entbehrlich ist ein Eingehen auf die Frage, ob durch den gegenständlichen Warenverkauf der Charakter des Betriebs als Gastgewerbebetrieb gewahrt blieb.

42 Aus dem eben Gesagten ergibt sich, dass der objektive Tatbestand der der Mitbeteiligten vorgeworfenen Verwaltungsübertretung erfüllt ist. Wie die belangte Behörde zutreffend dargelegt hat, handelt es sich bei der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung um ein Ungehorsamsdelikt iSd § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG. Es wäre deshalb an der Mitbeteiligten gelegen gewesen, initiativ alles darzulegen, was für ihre Entlastung spreche. Sie traf jedenfalls die grundsätzliche Verpflichtung, sich mit den einschlägigen Normen ihres Betätigungsfelds ausreichend vertraut zu machen und gegebenenfalls, sollte sie Zweifel über den Inhalt der in Rede stehenden Vorschrift gehabt haben, bei der zuständigen Behörde Auskunft darüber einzuholen (vgl. den hg. Beschluss vom 22. Juni 2016, Zl. Ra 2016/03/0036, mwN). Vor dem Hintergrund der von der belangten Behörde dargelegten Strafbemessungsgründe und des bis 1.090.--Euro reichenden Strafrahmens (vgl. § 368 GewO 1994) wurde mit dem gegen die Strafhöhe gerichteten Beschwerdevorbringen, es seien bloß Waren von geringem Wert verkauft worden, nicht aufgezeigt, dass die von der belangten Behörde vorgenommene, in eine Geldstrafe von 300.-- bzw eine Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen mündende Strafbemessung nicht den Vorgaben des § 19 VStG entspreche.

43 Nach dem Gesagten wäre die Beschwerde daher abzuweisen gewesen.

44 Der angefochtene Beschluss erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig.

45 Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie - wie im vorliegenden Fall -

entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt.

46 Es war daher die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass die Beschwerde abgewiesen wird; zudem war die Mitbeteiligte gemäß § 52 Abs. 1 und 2 VwGVG zum Kostenersatz zu verpflichten.

47 Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 47 Abs. 4 VwGG. Ein Anspruch auf Aufwandersatz besteht danach für eine - hier vorliegende - Amtsrevision nicht.

Wien, am 7. Juni 2017

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte