VwGH Ra 2016/05/0100

VwGHRa 2016/05/010024.4.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Perg gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 20. Juli 2016, Zl. LVwG-550726/6/Kü/BHu, betreffend Aufhebung eines Behandlungsauftrages nach § 73 Abs. 1 AWG 2002 (mitbeteiligte Partei: Dr. J K in W), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §309 erster Satz;
ABGB §309;
AWG 2002 §15 Abs5;
AWG 2002 §15 Abs5a;
AWG 2002 §15 Abs5b;
AWG 2002 §2 Abs6 Z1 litb;
AWG 2002 §73 Abs1;
AWG 2002 §73;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016050100.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft P. (im Folgenden: Bezirkshauptmannschaft) vom 13. Oktober 2015 wurde der mitbeteiligten Partei (im Folgenden: Mitbeteiligter) unter Spruchpunkt I. gemäß § 73 Abs. 1 Z 1 iVm § 74 Abs. 1 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 - AWG 2002 aufgetragen, bis spätestens 30. November 2015 den nachstehend angeführten Abfall von einer näher bezeichneten Liegenschaft als Lagerungsort zu entfernen und eine gesetzeskonforme Entfernung vorzunehmen sowie einen entsprechenden Entfernungs- und Entsorgungsnachweis vorzulegen:

"Zu entfernender Abfall: gefährlicher Abfall in Form von 1 Stück Fahrzeugkarosse, bestehend aus Bodenplatte, Vorder- und Hinterachse, Motor und Getriebe - mit Öl in der Motorauffangwanne;

1 Stück Fahrzeugkarosse des Typs Citroen, weiße Farbe, rundherum bereits starke Rostschäden bzw. Durchrostungen;

1 Stück PKW des Typs Citroen BX, Farbe silber-metallic, Nummer der Überprüfungsplakette TU 69 LC, LJJ1501, Ablaufdatum 08/2006;

2 Stück KFZ-Motorblöcke auf Holzpaletten gelagert, wenigstens in einem wurde Motoröl in der Auffangwanne festgestellt;

Rhombuseternitplatten in einer Menge von rund 0,3 m3 auf einer Holzpalette - mit Asbestzement gebundenes Material;

mindestens 10 Stück Leuchtstofflampen, bestehend aus Gehäuse und Leuchtmittel."

Ferner wurde unter Spruchpunkt I. dem Mitbeteiligten aufgetragen, der Bezirkshauptmannschaft unverzüglich einen entsprechenden Entfernungs- bzw. Entsorgungsnachweis vorzulegen, und unter Spruchpunkt II. gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde gegen diesen Bescheid ausgeschlossen.

2 Dazu führte die Bezirkshauptmannschaft (u.a.) aus, dass ein abfalltechnischer Amtssachverständiger auf der genannten, im Eigentum des Mitbeteiligten stehenden Liegenschaft auf unbefestigtem Boden im Grünland die im Spruch angeführten, dort gelagerten gefährlichen Abfälle festgestellt habe. Die objektive Abfalleigenschaft dieser Gegenstände sei insbesondere auch deshalb erfüllt und deren Lagerung und Behandlung als Abfälle im Sinne des § 1 Abs. 3 AWG 2002 im öffentlichen Interesse geboten, weil von ihnen eine Verunreinigung des Bodens und des Grundwassers ausgehen könne und durch die gegebene Art der Lagerung das Orts- und Landschaftsbild erheblich beeinträchtigt werde. "Verpflichteter" im Sinne des § 73 Abs. 1 AWG 2002 sei der Abfallbesitzer. Dies sei nach § 2 Abs. 6 Z 1 AWG 2002 jede Person, welche die Abfälle innehabe. Da sich die verfahrensgegenständlichen Abfälle auf Grundstücken befänden, die im Eigentum des Mitbeteiligten stünden, sei dieser nicht bloß Inhaber, sondern sogar Besitzer bzw. Eigentümer dieser Abfälle. Darüber hinaus normiere § 74 Abs. 1 AWG 2002, dass dem Eigentümer der Liegenschaft, auf der sich die Abfälle befänden, der Auftrag gemäß § 73 AWG 2002 zu erteilen sei, sollte der Verpflichtete nicht feststellbar sein, zur Erfüllung des Auftrages rechtlich nicht imstande sein oder aus sonstigen Gründen nicht beauftragt werden können. Nach § 74 Abs. 2 AWG 2002 bestehe eine Haftung des Liegenschaftseigentümers, wenn er der Lagerung oder Ablagerung entweder zugestimmt oder diese geduldet und ihm zumutbare Abwehrmaßnahmen unterlassen habe.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde. 4 Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde mit

dem angefochtenen Erkenntnis (unter Spruchpunkt I.) der Beschwerde gemäß § 28 VwGVG stattgegeben und der Bescheid aufgehoben sowie (unter Spruchpunkt II.) eine ordentliche Revision für unzulässig erklärt.

5 Dazu führte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) im Wesentlichen aus, dass der Mitbeteiligte bereits im Jahr 1989 damit begonnen habe, diverse Fahrzeuge, im Speziellen der Marke Citroen, zu sammeln. Zum Zweck der Aufbewahrung dieser Fahrzeuge bzw. auch sonstiger gesammelter Gegenstände habe er auf seinem Grundstück eine zweigeschossige Halle mit Betonboden errichtet, ohne dafür eine Baubewilligung erwirkt zu haben. Im Jahr 2010 sei diese Halle im Wege der Zwangsvollstreckung abgetragen worden. Die in der Halle gelagerten Gegenstände seien teilweise von der Behörde in einer anderen Halle gelagert worden. Eine Reihe von Gegenständen sei jedoch im Wege der Zwangsvollstreckung in einem vom Mitbeteiligten bereits im Jahr 2008 auf demselben Grundstück über unbefestigtem Grund errichteten Folientunnel gelagert worden. Im Wege der Zwangsräumung der Halle habe die Behörde die im gegenständlichen Behandlungsauftrag genannten Gegenstände an der Nordseite des Folientunnels zwischengelagert. Die drei Fahrzeugkarossen, die zwei KFZ-Motorblöcke, die Eternitplatten und die zehn Stück Leuchtstofflampen seien somit nicht vom Mitbeteiligten, sondern von der Behörde im Wege der Zwangsvollstreckung im Folientunnel gelagert worden.

6 Bei den Fahrzeugkarossen bzw. dem PKW des Typs Citroen BX (Farbe silber-metallic) handle es sich um Gegenstände, die der Mitbeteiligte von Bekannten bzw. Firmen übernommen habe, weil diese für die Fahrzeuge keine Verwendung mehr gehabt hätten und diese daher hätten loswerden wollen. Der Mitbeteiligte, der Fahrzeuge des Typs Citroen sammle, habe die Fahrzeugkarossen übernommen, weil er diese - ebenso wie die zwei KFZ-Motorblöcke, die am Grundstück auf Holzpaletten gelagert seien - als Ersatzteillager habe verwenden wollen.

7 Bei den asbesthaltigen Eternitplatten handle es sich um Reste einer Dacheindeckung, die vom Mitbeteiligten im Jahr 1976 vorgenommen worden sei, und bei den zehn Stück Leuchtstofflampen um die Beleuchtung der Halle, welche im Wege der Zwangsvollstreckung abgetragen worden sei. Diese Teile seien vom beauftragten Elektriker abmontiert und sodann ebenfalls im Folientunnel gelagert worden. Auch hinsichtlich des Folientunnels sei von der Bezirkshauptmannschaft ein Zwangsvollstreckungsverfahren zur Demontage geführt worden, weil dieser nicht die notwendigen Abstände zur Grundgrenze eingehalten habe. Im Wege der Zwangsvollstreckung sei die Metallkonstruktion, welche die Folie getragen habe, demontiert und mit der Folie die darunter auf unbefestigter Fläche gelagerten Gegenstände abgedeckt worden. Zwischenzeitig sei die Folie verrückt, sodass die Fahrzeugkarossen und die Motorblöcke wieder sichtbar und nicht zur Gänze abgedeckt seien.

8 Bei den drei Fahrzeugkarossen und den Motoren sei die subjektive Abfalleigenschaft gegeben, weil bei den Vorbesitzern eine Entledigungsabsicht anzunehmen sei, woran auch der Umstand nichts ändere, dass der Mitbeteiligte jene als Ersatzteillager zu verwenden beabsichtige. Darüber hinaus sei hinsichtlich der Fahrzeugkarossen und der Motoren auch der objektive Abfallbegriff des § 2 Abs. 1 AWG 2002 erfüllt, weil diese auf unbefestigtem Grund gelagert worden seien und sich allein dadurch eine Gefährdung der Umwelt über das unvermeidliche Ausmaß hinaus ergebe. Denn bei der Lagerung von Fahrzeugen bzw. Fahrzeugteilen, die noch nicht von sämtlichen Betriebsmitteln befreit seien, sei die Gefahrensituation im Sinne des § 1 Abs. 3 AWG 2002 jedenfalls zwingend anzunehmen. Nicht trockengelegte Autowracks (Motoren) seien aufgrund der vorhandenen umweltrelevanten Mengen an gefährlichen Anteilen und Inhaltsstoffen, wie

z. B. Bremsflüssigkeiten oder Motoröl, nach der Lebenserfahrung gefährlicher Abfall.

9 Auch die Lagerung von asbesthaltigen Eternitplatten und Leuchtstoffröhren, welche aufgrund der Abfallschlüsselnummern 31412 und 35339 den gefährlichen Abfällen zuordenbar seien, auf unbefestigter Fläche widerspreche den Schutzinteressen des § 1 Abs. 3 AWG 2002, zumal eine Verunreinigung der Umwelt über das unvermeidliche Ausmaß hinaus nicht auszuschließen sei. Diese Gegenstände erfüllten somit ebenfalls den objektiven Abfallbegriff des § 2 Abs. 1 AWG 2002.

10 Der abfallpolizeiliche Auftrag sei nach den verba legalia dem "Verpflichteten" und somit nicht dem Abfallbesitzer schlechthin aufzutragen. Der Verpflichtete nach § 73 AWG 2002 werde auch als Primärverpflichteter bezeichnet, subsidiär zu ihm hafteten der Liegenschaftseigentümer und dessen Rechtsnachfolger im Liegenschaftseigentum nach § 74 AWG 2002. Für einen abfallpolizeilichen Auftrag sei Voraussetzung, dass eine abfallrechtswidrige Handlung in zurechenbarer Weise gesetzt worden sei ("Verursacher"). Mangelnder Besitzwille an den Abfällen sei nicht verfahrensrelevant. Auf ein Verschulden des Verpflichteten komme es nicht an. Ob der Verpflichtete Eigentümer der Abfälle sei, sei für die Erteilung eines abfallpolizeilichen Auftrages ohne Bedeutung.

11 Tatsache sei, dass nicht durch eine Handlung des Mitbeteiligten, sondern behördlicherseits im Zuge eines Zwangsvollstreckungsverfahrens die in der abzutragenden Halle aufbewahrten, nunmehr gegenständlichen gefährlichen Abfälle innerhalb des Folientunnels, der auf unbefestigtem Grund errichtet gewesen sei, gelagert worden seien. Bei diesem Folientunnel handle es sich weder um eine genehmigte Abfallbehandlungsanlage noch - aufgrund der Tatsache der unbefestigten Fläche - um einen im Sinne des § 15 Abs. 3 AWG 2002 geeigneten Ort für die Lagerung von gefährlichen Abfällen. Mithin sei festzustellen, dass die spruchgegenständlichen Abfälle im Wege der Zwangsvollstreckung entgegen den Bestimmungen des § 15 Abs. 3 AWG 2002 gelagert worden seien.

12 Wie das Ermittlungsverfahren ergeben habe, könne dem Mitbeteiligten nicht entgegengetreten werden, wenn er ausführe, dass er die Lagerung der Abfälle auf unbefestigtem Grund nicht zu vertreten habe und ihm daher die entgegen § 15 Abs. 3 AWG 2002 erfolgte Lagerung nicht zurechenbar sei. Der Mitbeteiligte könne daher nicht als Primärverpflichteter nach § 73 Abs. 1 AWG 2002 in Anspruch genommen werden.

13 Die Bezirkshauptmannschaft gehe aufgrund der Zitierung des § 74 Abs. 1 AWG 2002 im angefochtenen Bescheid - ohne dies im Spruch zu konkretisieren - offensichtlich davon aus, dass der Mitbeteiligte als Liegenschaftseigentümer subsidiär zur Verantwortung zu ziehen sei. Erst durch die Begründung des angefochtenen Bescheides trete dieser Umstand zu Tage. Die subsidiäre Haftung des Liegenschaftseigentümers nach § 74 Abs. 1 AWG 2002 werde ausschließlich dann schlagend, wenn alle in Frage kommenden Primärverpflichteten nicht feststellbar seien, sie zur Erfüllung des Auftrages rechtlich nicht imstande seien oder sie aus sonstigen Gründen nicht beauftragt werden könnten. Da gegenständlich diese Voraussetzungen nicht erfüllt seien, treffe den Mitbeteiligten als Liegenschaftseigentümer keine subsidiäre Haftung im Sinne des § 74 Abs. 1 AWG 2002. Eine Prüfung der Frage, ob dieser gemäß § 74 Abs. 2 AWG 2002 entweder der Lagerung oder Ablagerung zugestimmt oder diese geduldet und ihm zumutbare Abwehrmaßnahmen unterlassen habe, sei bei diesem Ergebnis nicht geboten.

14 Zusammenfassend sei daher festzustellen, dass der Mitbeteiligte weder als Primärverpflichteter im Sinne des § 73 Abs. 1 AWG 2002 für die Lagerung der im Spruch des genannten Bescheides bezeichneten gefährlichen Abfälle verantwortlich zeichne, noch subsidiär als Liegenschaftseigentümer gemäß § 74 Abs. 1 AWG 2002 als Adressat des Behandlungsauftrages herangezogen werden könne.

15 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

16 Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

17 Die Revision ist in Anbetracht der in der Zulässigkeitsbegründung (§ 28 Abs. 3 VwGG) aufgeworfenen Frage, inwieweit die Bestimmung des § 15 Abs. 5, 5a und 5b AWG 2002 für die Stellung als Verpflichteter im Sinne des § 73 Abs. 1 AWG 2002 von Bedeutung sei und ob eine behördliche Vollstreckungshandlung die Verpflichtung des Abfallbesitzers gemäß § 15 Abs. 5, 5a und 5b AWG 2002 beseitige, zulässig. Ihr kommt auch Berechtigung zu.

18 Die Revision bringt im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe im angefochtenen Erkenntnis § 15 Abs. 5, 5a und 5b AWG 2002 außer Betracht gelassen und aus diesem Grund unrichtigerweise die Vollstreckungsbehörde als Verursacher der Abfalllagerung angesehen. Den in dieser Gesetzesbestimmung normierten Verpflichtungen sei der Mitbeteiligte als Abfallbesitzer nicht nachgekommen. Dieser habe die Gegenstände (Fahrzeugkarossen, PKW und Motorblöcke), die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes bereits zu jenem Zeitpunkt als subjektiver Abfall zu werten gewesen seien, von den bisherigen Eigentümern übernommen und hätte gemäß § 15 Abs. 5 AWG 2002 die Abfälle zur Beseitigung spätestens nach einem Jahr und jene zur Verwertung spätestens nach drei Jahren einem zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten übergeben müssen. Diese Übergabepflicht werde durch § 15 Abs. 5a und 5b AWG 2002 abgesichert. Somit hätten die Abfälle - entsprechend § 15 Abs. 5a leg. cit. - an einen berechtigten Abfallsammler oder Abfallhandler übergeben und die umweltgerechte Verwertung oder Beseitigung explizit beauftragt werden müssen. Eine Übergabe an einen Abfallsammler oder - behandler habe allerdings nie stattgefunden. Die Umlagerung durch die Behörde im Zuge der Zwangsvollstreckung könne jedenfalls nicht als "Übergabe" gewertet werden, und es könne dadurch die Verpflichtung des Abfallbesitzers nicht beseitigt werden. Da die gefährlichen Abfälle im Jahr 2010 vorhanden gewesen seien, sei die einjährige bzw. dreijährige Frist abgelaufen. Damit wäre § 15 Abs. 5b AWG 2002 anwendbar gewesen, wonach der Verpflichtete bis zur vollständigen umweltgerechten Verwertung oder Beseitigung mit Behandlungsauftrag gemäß § 73 Abs. 1 leg. cit. in Anspruch genommen werden könne. Es hätte daher als Rechtsgrundlage für den Behandlungsauftrag § 73 Abs. 1 AWG 2002 iVm § 15 Abs. 5, 5a und 5b leg. cit. angeführt werden müssen, und das Verwaltungsgericht hätte im Ergebnis den Behandlungsauftrag inhaltlich bestätigen sowie eine Anpassung in Bezug auf die Rechtslage und Begründung vornehmen müssen.

19 Die Verpflichtung des Abfallbesitzers gemäß § 15 Abs. 5, 5a und 5b leg. cit. könne nicht dadurch entfallen, dass eine Behörde im Zuge einer Zwangsräumung bzw. Zwangsvollstreckung die Abfälle (anstelle des Besitzers) anderweitig (auf demselben Grundstück) umlagere, und die sich aus dieser Gesetzesbestimmung ergebende Verpflichtung des Abfallbesitzers ende erst mit der vollständigen Verwertung oder Beseitigung des Abfalls.

20 Dieses Vorbringen führt die Revision zum Erfolg. 21 § 15 und § 73 AWG 2002, BGBl. I Nr. 102, in der hier

maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 103/2013 haben auszugsweise den folgenden Wortlaut:

"Allgemeine Behandlungspflichten für Abfallbesitzer

§ 15. (1) Bei der Sammlung, Beförderung, Lagerung und Behandlung von Abfällen und beim sonstigen Umgang mit Abfällen sind

1. die Ziele und Grundsätze gemäß § 1 Abs. 1 und 2 zu beachten und

2. Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) zu vermeiden.

...

(3) Abfälle dürfen außerhalb von

1. hiefür genehmigten Anlagen oder

2. für die Sammlung oder Behandlung vorgesehenen geeigneten

Orten

nicht gesammelt, gelagert oder behandelt werden. Eine

Ablagerung von Abfällen darf nur in hiefür genehmigten Deponien

erfolgen.

...

(5) Ist der Abfallbesitzer zu einer entsprechenden Behandlung nicht berechtigt oder imstande, hat er die Abfälle einem zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten zu übergeben. Die Übergabe hat so rechtzeitig zu erfolgen, dass Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) vermieden werden; Abfälle zur Beseitigung sind regelmäßig, mindestens einmal im Jahr, Abfälle zur Verwertung sind regelmäßig, mindestens einmal in drei Jahren, einem zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten zu übergeben.

(5a) Der Abfallbesitzer ist dafür verantwortlich, dass

a) die Abfälle an einen in Bezug auf die Sammlung oder

Behandlung der Abfallart berechtigten Abfallsammler oder -

behandler übergeben werden und

b) die umweltgerechte Verwertung oder Beseitigung dieser

Abfälle explizit beauftragt wird.

(5b) Wer Abfälle nicht gemäß Abs. 5a übergibt, kann bis zur vollständigen umweltgerechten Verwertung oder Beseitigung dieser Abfälle als Verpflichteter gemäß § 73 Abs. 1 mit Behandlungsauftrag in Anspruch genommen werden.

..."

"Behandlungsauftrag

§ 73. (1) Wenn

1. Abfälle nicht gemäß den Bestimmungen dieses

Bundesgesetzes, nach diesem Bundesgesetz erlassenen Verordnungen,

nach EG-VerbringungsV oder nach EG-POP-V gesammelt, gelagert,

befördert, verbracht oder behandelt werden oder

2. die schadlose Behandlung der Abfälle zur Vermeidung von

Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3)

geboten ist,

hat die Behörde die erforderlichen Maßnahmen dem

Verpflichteten mit Bescheid aufzutragen oder das rechtswidrige

Handeln zu untersagen.

..."

22 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VwGH 26.3.2015, Ra 2014/07/0067, dargelegt hat, kann seit der (am 16. Februar 2011 in Kraft getretenen) Novelle zum AWG 2002, BGBl. I Nr. 9/2011, ein Behandlungsauftrag nach § 73 Abs. 1 AWG 2002 auch bei Zuwiderhandeln gegen die in § 15 Abs. 5a AWG 2002 genannten Verpflichtungen erteilt und eine Stellung als "Verpflichteter" im Falle des § 15 Abs. 5b AWG 2002 mit der Verletzung der Verpflichtung zur Übergabe von Abfällen an einen in Bezug auf die Sammlung oder Behandlung der Abfallart berechtigten Abfallsammler oder -behandler nach § 15 Abs. 5a leg. cit. begründet werden. Ist nämlich der Abfallbesitzer zu einer entsprechenden Behandlung nicht berechtigt oder imstande, hat er gemäß § 15 Abs. 5 erster Satz leg. cit. die Abfälle einem zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten zu übergeben, wofür in § 15 Abs. 5 zweiter Satz leg. cit. bestimmte Fristen normiert sind.

23 Ferner wurde in diesem Erkenntnis bereits klargestellt, dass bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die Erlassung eines Behandlungsauftrages und aufgrund einer dagegen erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgericht die Bestimmung des § 15 Abs. 5a und 5b AWG 2002 zu beachten ist, wobei in der Heranziehung dieser Bestimmung durch das Verwaltungsgericht, wenn auf diese von der vor ihm belangten Behörde nicht Bedacht genommen wurde, keine Überschreitung der Sache des Verwaltungsverfahrens liegt.

24 Nach den der Beurteilung des Verwaltungsgerichtes zugrunde liegenden, im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Feststellungen wurden die vom gegenständlichen Behandlungsauftrag umfassten Sachen nicht durch eine Handlung des Mitbeteiligten, sondern behördlicherseits im Zuge eines Zwangsvollstreckungsverfahrens auf der genannten Liegenschaft des Mitbeteiligten, auf der sie sich jedenfalls bereits seit dem Jahr 2010 befunden haben, auf unbefestigtem Grund gelagert. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür und es wurde auch vom Mitbeteiligten nicht behauptet, dass er ein berechtigter Abfallsammler oder -behandler im Sinne des § 15 Abs. 5a lit. a AWG 2002 (vgl. dazu auch § 2 Abs. 6 Z 3 und 4 iVm § 24a Abs. 1 und 2 leg. cit.) sei.

25 Im Hinblick darauf ist die Revision mit ihrer Auffassung im Recht, dass das Verwaltungsgericht hätte prüfen müssen, ob der Mitbeteiligte unter dem Blickwinkel des § 15 Abs. 5, 5a und 5b AWG 2002 als Adressat des Behandlungsauftrages in Frage kam und ob er im Zeitpunkt der Erteilung des Behandlungsauftrages "Abfallbesitzer" war. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass, wie ebenso bereits im Erkenntnis VwGH 26.3.2015, Ra 2014/07/0067, ausgeführt wurde, die Abfallbehörde die Möglichkeit der Wahl zwischen mehreren Verpflichteten hat und ihr daher insoweit ein Ermessensspielraum zukommt.

26 Gemäß § 2 Abs. 6 Z 1 lit. b AWG 2002 ist Abfallbesitzer (u.a.) jede Person, welche die Abfälle innehat. Es reicht somit bereits die Innehabung der Abfälle aus (vgl. etwa VwGH 22.3.2012, 2008/07/0204, mwN), wobei der Begriff "Abfallbesitzer" weit auszulegen ist (vgl. dazu etwa VwGH 22.3.2012, 2010/07/0178, mwH auf Rechtsprechung des EuGH). Auf einen "Besitzwillen" (des Inhabers) kommt es somit nicht an (vgl. dazu auch Holzner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 309 Rz 1).

27 Gemäß § 309 erster Satz ABGB heißt, wer eine Sache in seiner Macht oder Gewahrsame hat, ihr Inhaber. Innehabung ist nicht bloß räumlich-körperlich zu verstehen, sondern als äußere Erscheinung der Herrschaft über den Gegenstand nach Maßgabe der Verkehrsauffassung (vgl. etwa Holzner in Lukas/Rummel, ABGB4 § 309 Rz 2). Vorausgesetzt ist somit nur, dass sich eine Sache in der Herrschaft einer Person befindet, wobei für die Gewahrsame die Nähe zur Sache und die Möglichkeit der Einflussnahme darauf erforderlich sind (vgl. dazu etwa Koziol/Welser/Klete?ka, Bürgerliches Recht I14 Rz 813).

28 Auf dem Boden der im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Feststellungen hätte sich das Verwaltungsgericht somit unter dem Blickwinkel des § 15 Abs. 5, 5a und 5b AWG 2002 damit auseinandersetzen müssen, ob sich die vom gegenständlichen Behandlungsauftrag umfassten Sachen, die sich jedenfalls bereits seit dem Jahr 2010 auf der Liegenschaft des Mitbeteiligten befanden und nach der hier in Rede stehenden behördlichen Zwangsvollstreckung auf seiner Liegenschaft verblieben sind, im Hinblick auf die Nähe des Mitbeteiligten zu diesen Sachen und die Möglichkeit der Einflussnahme darauf in seinem Herrschaftsbereich und seiner Gewahrsame befanden, sodass es sich bei ihm um einen Abfallbesitzer im Sinne des § 2 Abs. 6 Z 1 lit. b AWG 2002 handelte und ihn die in § 15 Abs. 5 und 5a AWG 2002 normierten Verpflichtungen trafen. Denn § 15 Abs. 5b AWG 2002 ermöglicht es, denjenigen, der Abfälle nicht gemäß § 15 Abs. 5a leg. cit. übergibt, bis zur vollständigen umweltgerechten Verwertung oder Beseitigung dieser Abfälle als Verpflichteten gemäß § 73 Abs. 1 AWG 2002 mit einem Behandlungsauftrag in Anspruch zu nehmen.

29 Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Wien, am 24. April 2018

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