VwGH 99/19/0061

VwGH99/19/006124.9.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zeller, über die Beschwerde des 1965 geborenen SC in W, vertreten durch Mag. M, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. September 1998, Zl. 106.342/4-III/11/98, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §8 Abs1;
FrG 1997 §8 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §8 Abs1;
FrG 1997 §8 Abs3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. September 1998 wurde der als solcher auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gewertete Antrag des Beschwerdeführers vom 15. (richtig wohl: 5.) Dezember 1997 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 und § 10 Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde in Ansehung des erstgenannten Versagungsgrundes aus, gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 könne die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels wegen Gefährdung öffentlicher Interessen insbesondere versagt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Der Beschwerdeführer habe über Wiedereinreisesichtvermerke mit Geltungsdauer vom 23. Jänner 1990 bis 10. März 1990 und vom 17. Februar 1992 bis 1. März 1993 verfügt.

In der Folge sei dem Beschwerdeführer ein Touristensichtvermerk mit Geltungsdauer vom 18. Oktober 1993 bis 18. Dezember 1993 ausgestellt worden, mit welchem der Beschwerdeführer (wieder) in das Bundesgebiet eingereist sei. Seither halte er sich durchgehend unrechtmäßig in Österreich auf. Der Beschwerdeführer sei am 3. August 1998 auch aufgefordert worden, zu seinem unerlaubten Aufenthalt Stellung zu nehmen. Mit Ausnahme der festgestellten gewöhnlichen Sichtvermerke habe der Beschwerdeführer entgegen seiner Behauptungen auch im Zeitraum zwischen 1987 und 1. März 1993 über keine weiteren Berechtigungen zum Aufenthalt in Österreich verfügt. Er halte sich daher wissentlich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Dieses Verhalten erfülle den Tatbestand des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997, weil es auf andere Fremde Beispielswirkung entfalten könne.

Gemäß § 37 FrG 1997 habe eine Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen nach den Kriterien des § 8 Abs. 3 FrG 1997 zu erfolgen. Im Falle des Beschwerdeführers sei den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen Priorität einzuräumen, weil die Bekämpfung der unrechtmäßigen Einwanderung im Interesse der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens und damit der öffentlichen Ordnung erforderlich sei. Diese öffentlichen Interessen überwögen die durch die Anwesenheit seiner österreichischen Lebensgefährtin im Bundesgebiet begründeten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers. Gleichermaßen rechtfertigten diese öffentlichen Interessen auch einen Eingriff in dessen Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 lautet:

"§ 10. ...

(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z 2) insbesondere versagt werden, wenn

...

3. der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"

Der Beschwerdeführer tritt den Feststellungen der belangten Behörde betreffend die ihm bisher erteilten Berechtigungen zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht mit einem konkreten Vorbringen entgegen.

Er verweist darauf, er sei von Oktober 1987 bis 1. März 1993 in Österreich niedergelassen gewesen. Es seien ihm auch vier Beschäftigungsbewilligungen zur unselbstständigen Erwerbstätigkeit erteilt worden. Erst durch die rechtswidrige Nichtanmeldung des Beschwerdeführers beim Sozialversicherungsträger seitens seines damaligen Arbeitgebers habe der Beschwerdeführer die Möglichkeit verloren, seine Beschäftigungsbewilligung zu verlängern. Dies habe dann auch zur Versagung der Erteilung eines weiteren Sichtvermerkes geführt, sodass der Beschwerdeführer in Schubhaft genommen und abgeschoben worden sei.

Durch eine nachfolgende Klagsführung gegen den ehemaligen Arbeitgeber, in der der Beschwerdeführer zur Gänze obsiegt habe, sei dieser Arbeitgeber verurteilt worden, ihn im Nachhinein für den Beschäftigungszeitraum anzumelden. Auch habe der Beschwerdeführer eine Geldleistung aus dem Titel des Schadenersatzes erlangt.

Erst mit seiner neuerlichen Einreise nach Österreich im November 1993 habe der Beschwerdeführer Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung stellen können, welche jedoch allesamt abgewiesen worden seien.

Auf Basis dieses Beschwerdevorbringens ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nach Ablauf des ihm zuletzt erteilten gewöhnlichen Sichtvermerkes nicht auf Dauer in Österreich niedergelassen geblieben ist, sondern erst in der Folge im November 1993 neuerlich einreiste und sich abermals hier niederließ.

Demnach wertete die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vom 5. Dezember 1997 zutreffend in Anwendung der Übergangsbestimmung des § 112 FrG 1997 als solchen auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung.

Der Beschwerdeführer bestreitet auch nicht, mit dem in Rede stehenden Touristensichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist zu sein und sich seit Ablauf desselben rechtswidrig in Österreich aufzuhalten.

Wie die Erläuterungen zum FrG 1997 (RV: 685 BlgNR 20. GP) zu § 10 zeigen, war es beabsichtigt, in § 10 Abs. 2 FrG 1997 die bisherigen Versagungsgründe wegen Gefährdung öffentlicher Interessen sprachlich adaptiert zusammenzufassen. § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 entspricht dem § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG 1992.

Zu dieser Bestimmung hat der Verwaltungsgerichtshof (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1999, Zl. 97/19/0155, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur) ausgesprochen, dass ein nicht bloß kurzfristiger unrechtmäßiger Aufenthalt im Anschluss an den Ablauf eines Touristensichtvermerkes die Annahme rechtfertigt, der weitere Aufenthalt des Fremden werde die öffentliche Ordnung gefährden. Den in diesem Zusammenhang vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten hg. Erkenntnissen vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0424, vom 21. September 1995, Zl. 95/19/0340, und vom 3. November 1994, Zl. 94/18/0708, ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen.

Die in dem zitierten Erkenntnis vom 26. Februar 1999 dargelegten Grundsätze sind auch auf den Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 anwendbar.

Die Annahme, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers werde die öffentliche Ordnung gefährden, wäre auch nicht bei Zutreffen der Behauptung des Beschwerdeführers entkräftet, die Unrechtmäßigkeit seines Aufenthaltes habe letztendlich ihre Ursache in einem rechtswidrigen Verhalten seines Arbeitgebers gehabt.

Auch wenn die Beendigung der Niederlassung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet auf ein solches Verhalten seines Arbeitgebers zurückzuführen gewesen wäre, was dahingestellt bleiben kann, hätte dies nichts daran geändert, dass der Beschwerdeführer verpflichtet gewesen wäre, anlässlich seiner neuerlichen Niederlassung in Österreich im November 1993 die hiefür erforderlichen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen einzuhalten.

Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, er habe in seiner Heimat den Militärdienst nicht abgeleistet, weshalb ihm im Falle seiner Abschiebung in seine Heimat ein Strafverfahren mit anschließender Haftstrafe drohe, sodass Abschiebungshindernisse im Sinne des § 57 FrG 1997 vorlägen.

Insoweit der Beschwerdeführer damit dartun wollte, die Unrechtmäßigkeit seines Aufenthaltes im Bundesgebiet sei ihm nicht vorwerfbar und rechtfertige deshalb nicht die in § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 getroffene Annahme, ist er auf die Möglichkeit der Ausreise in einen Drittstaat zu verweisen. Dass ihm eine solche Ausreise auch in einen Drittstaat nicht möglich gewesen wäre, wird in der Beschwerde nicht dargetan. Nur im Falle der Unmöglichkeit, auch in ein Drittland auszureisen, fehlte es aber an der Vorwerfbarkeit des unrechtmäßigen Aufenthaltes eines Fremden, bei dem die Voraussetzungen des § 57 FrG 1997 vorliegen (vgl. das zu § 10 Abs. 1 Z. 4 und § 37 FrG 1992 ergangene hg. Erkenntnis vom 12. September 1997, Zl. 95/19/1491).

Im Übrigen könnten aber die in § 57 Abs. 1 FrG 1997 dargelegten Umstände mit einem Antrag gemäß § 75 FrG 1997, jedoch gemäß Abs. 2 leg. cit. nur während eines Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes geltend gemacht werden. Es kann daher im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob beim Beschwerdeführer - wie er behauptet - überhaupt Abschiebungshindernisse vorliegen sollten.

Der Verwaltungsgerichtshof kann daher der belangten Behörde nicht entgegentreten, wenn sie im Falle des Beschwerdeführers vom Vorliegen des Grundes des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 ausging.

Der Beschwerdeführer führt weiters aus, dass das Vorliegen dieses Grundes nicht zwingend zur Versagung einer Bewilligung zu führen habe. Vielmehr stehe der belangten Behörde in dieser Frage ein Ermessen zu, welches nach den Kriterien des § 8 Abs. 3 FrG 1997 auszuüben sei. Dabei seien auch die in § 8 Abs. 3 Z. 1 und 3 FrG 1997 umschriebenen Umstände zu beachten. Der Beschwerdeführer lebe seit langem mit einer österreichischen Staatsangehörigen an einem gemeinsamen Wohnsitz in einer eheähnlichen Beziehung. Diese Beziehung sei dem Begriff der "familiären Bindung" im Verständnis des § 8 Abs. 3 Z. 1 FrG 1997 gleichzuhalten. Auch stehe sie unter dem Schutz des Art. 8 MRK. Die familiären Interessen des Beschwerdeführers in Österreich seien stärker ausgeprägt als jene in seinem Heimatstaat, der Türkei. Die belangte Behörde hätte daher ihr Ermessen zugunsten des Beschwerdeführers zu üben gehabt, zumal der Eingriff in sein Familienleben nicht im Sinne des Art. 8 MRK gerechtfertigt erscheine.

Diesen Ausführungen ist Nachstehendes entgegenzuhalten:

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 14. Mai 1999, Zl. 97/19/0651, mit näherer Begründung ausgeführt hat, ist der Ausdruck "kann" in § 10 Abs. 2 FrG 1997 dahingehend zu verstehen, dass die Behörde bei Anwendung eines der dort angeführten Versagungsgründe zu prüfen hat, ob ein durch diese Anwendung allenfalls erfolgter Eingriff in ein durch Art. 8 MRK geschütztes Recht des Antragstellers aus den in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Gründen gerechtfertigt ist.

Ein Eingriff in ein gedachtes, durch Art. 8 MRK geschütztes Recht des Beschwerdeführers auf neuerliche Zuwanderung zur Wahrung seiner durch die Anwesenheit seiner österreichischen Lebensgefährtin im Bundesgebiet begründeten Interessen in Österreich, erwiese sich vorliegendenfalls im Interesse der öffentlichen Ordnung jedenfalls so lange als gerechtfertigt, als sich der Beschwerdeführer weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die von ihm ins Treffen geführten Interessen den Schutz des Art. 8 MRK genießen oder nicht.

Der Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 war daher im Falle des Beschwerdeführers wirksam. Die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 8 Abs. 1 FrG 1997 erwies sich folglich als unzulässig. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf seine persönlichen Interessen an einer Niederlassung in Österreich vermag daher auch unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 3 FrG 1997 keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen, weil eine Ermessensentscheidung unter Heranziehung der in dieser Bestimmung umschriebenen Kriterien aufgrund des Wirksamwerdens des Versagungsgrundes des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 gar nicht in Betracht kam (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1999, Zl. 98/19/0271).

Schließlich vertritt der Beschwerdeführer ohne nähere Begründung die Auffassung, ihm komme nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zwischen der EWG und der Türkei (im Folgenden: ARB) ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu. Diesen Umstand hätte die belangte Behörde nach Meinung des Beschwerdeführers im Niederlassungsverfahren zu beachten gehabt.

Insoweit sich der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf Art. 6 Abs. 1 ARB beruft (die Anwendung anderer Bestimmungen dieses Rechtsaktes kommen sachverhaltsbezogen nicht in Betracht), ist ihm Folgendes entgegenzuhalten:

Wie der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ausgeführt hat, ist unter "ordnungsgemäßer" Beschäftigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB nur eine solche zu verstehen, die im Einklang mit den ausländerbeschäftigungsrechtlichen und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates steht. Verfügte aber ein türkischer Staatsangehöriger zu dem Zeitpunkt, in welchem durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union (1. Jänner 1995) der genannte Assoziationsratsbeschluss für ihn hätte wirksam werden können (und auch in der Folge) nicht über eine Aufenthaltsberechtigung und war er daher auch nicht im oben aufgezeigten Sinn ordnungsgemäß beschäftigt, so kommt ihm ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 ARB nicht zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. November 1998, Zlen. 97/19/1616, 1617, mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung).

Nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid verfügte der Beschwerdeführer jedoch seit dem 1. Jänner 1995 über keine Berechtigungen zum Aufenthalt in Österreich.

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, ohne dass zu untersuchen war, ob die belangte Behörde auch den Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 zu Recht herangezogen hat.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. September 1999

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