VwGH 99/08/0111

VwGH99/08/011118.12.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 14. Mai 1999, Zl. MA 15-II-BZ 71/98/P93, betreffend Beitragszuschlag gemäß § 113 Abs. 1 ASVG (mitbeteiligte Partei: Bund - Universität für Bodenkultur Wien, vertreten durch den Rektor), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §113 Abs1;
ASVG §59;
AVG §37;
AVG §58 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
KundmachungsreformG 2004 Art7 Abs1 Z7;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;
ASVG §113 Abs1;
ASVG §59;
AVG §37;
AVG §58 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
KundmachungsreformG 2004 Art7 Abs1 Z7;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Ein Kostenzuspruch findet nicht statt.

Begründung

Mit Bescheid der Beschwerdeführerin vom 14. Jänner 1998 wurde der mitbeteiligten Partei ein Beitragszuschlag gemäß § 113 Abs. 1 ASVG in Höhe von S 10.500,-- vorgeschrieben. Diese habe als Dienstgeberin Meldungen nicht innerhalb der gesetzlichen bzw. der in der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse festgesetzten Meldefrist erstattet (statt einem Meldedatum am 1. Oktober 1997 war bei 34 Dienstnehmern die Meldung erst am 23. Oktober 1997 und bei einem Dienstnehmer erst am 21. November 1997 eingelangt). Die mitbeteiligte Partei erhob Einspruch und brachte vor, ab 1. Oktober 1997 sei es durch die am 19. August 1997 im Bundesgesetzblatt verlautbarte zweite BDG-Novelle 1997, BGBl. I Nr. 109, zu einer Neuregelung der Abgeltung der Lehrtätigkeit von Universitätslehrern gekommen. Durch die Novelle sei ausgeschlossen worden, dass Assistenten unentgeltlich Lehrleistungen über den üblichen Rahmen hinaus erbringen. Deshalb hätten externe Lehrbeauftragte und Tutoren einen Teil der früheren Assistententätigkeiten übernehmen müssen. Die Bestellung dieser externen Lehrenden habe einen langwierigen Aufnahmeprozess erfordert, der erst nach dem 19. August 1997 habe begonnen werden können. Die Aufnahmen für das Wintersemester hätten sich bis in den November 1997 hingezogen. Die Universität habe die Beschwerdeführerin "auf die durch die Gesetzänderung entstandene einmalige Verzögerung der Anmeldung mehrerer Lehrbeauftragter" hingewiesen.

In ihrer Stellungnahme zu dem Einspruch verwies die Beschwerdeführerin auf die im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger im Jahr 1995 stattgefundene Besprechung mit Vertretern des Bundesministeriums für Wissenschaft, Verkehr und Kunst, in welcher vereinbart worden sei, dass alle Lehrbeauftragten grundsätzlich mit 1. März bzw. mit 1. Oktober zur Sozialversicherung anzumelden seien. In diesem Sinne habe das Bundesministerium für Wissenschaft, Verkehr und Kunst mit Erlass vom 27. September 1995 alle Hochschulen informiert. Nach § 15 Abs. 1 der Kassensatzung seien Meldungen bei der Kasse binnen sieben Tagen zu erstatten. Im gegenständlichen Fall sei für den Dienstgeber gemäß § 15 Abs. 2 der Kassensatzung die Meldefrist sogar auf 14 Tage erstreckt worden. Die gegenständlichen Anmeldungen seien jedoch erst nach diesem Zeitpunkt erfolgt. Die auf den Zeitraum der Verspätung entfallenden Beiträge sowie die sich ergebende Beitragsdifferenz betrage S 58.771,60. Der Dienstgeber (die mitbeteiligte Partei) habe "bereits wiederholt" gegen die Meldebestimmungen verstoßen (eine "Meldeverstöße-Auswahl", auf die die Beschwerdeführerin verwies, liegt dem Verwaltungsakt nicht bei). Für jede verspätet erstattete Meldung und deren gesonderte Bearbeitung entstünde ihr ein Verwaltungsmehraufwand von mindestens S 523,--.

Die mitbeteiligte Partei erwiderte, das Ausweichen auf externe Lehrbeauftragte und Tutoren habe einen finanziellen Mehraufwand erfordert, dessen Abdeckung lange in Schwebe geblieben sei. Die den Instituten für die Ausschreibung, Auswahl und Bestellung von externen Lehrbeauftragten und Tutoren zur Verfügung stehende Zeit sei mit einem Monat extrem gering gewesen. In einigen Fällen - "ca. 30 von insgesamt etwa 600 sind angesichts der beschriebenen Ausnahmesituationen nicht wirklich viele" - sei es daher zu einer Fristüberschreitung bei der Anmeldung gekommen. Der Verpflichtung, alle Lehrbeauftragten mit Semesterbeginn anzumelden, habe in Ausnahmefällen nicht nachgekommen werden können. Die Ausnahmesituation entschuldige dies.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch teilweise Folge und verpflichtete die mitbeteiligte Partei, einen Beitragszuschlag in der Höhe von S 523,-- an die Beschwerdeführerin zu entrichten. Sie stellte fest, "für verspätet erstattete Meldungen und deren gesonderte Bearbeitung" entstehe der Beschwerdeführerin "nach eigener Angabe ein Verwaltungsmehraufwand von zumindest 523,-- S." Durch § 15 Abs. 1 der Satzung der Beschwerdeführerin sei die Meldefrist "grundsätzlich auf sieben Tage erstreckt" worden. Die gegenständlichen Meldungen seien laut Eingangsstempel der Beschwerdeführerin erst am 23. Oktober bzw. am 21. November 1997 und somit nicht fristgerecht erstattet worden. Die Beschwerdeführerin sei dem Grunde nach zur Vorschreibung eines Beitragszuschlages berechtigt. Die Höhe des Zuschlages betreffend habe sie sich entschieden, den Beitragszuschlag auf S 523,-- herabzusetzen. Dabei sei neben der kurzen Dauer des Meldeverzuges insbesondere berücksichtigt worden, dass keine Verzugszinsen aufgelaufen seien. Eine weitere Herabsetzung des Beitragszuschlages habe "im Hinblick auf den der Kasse durch den Meldeverzug entstandenen Verwaltungsmehraufwand" nicht erfolgen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat Teile der Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 113 Abs. 1 ASVG lautet:

" (1) Beitragszuschläge können den in § 111 genannten Personen (Stellen) in folgenden Fällen vorgeschrieben werden:

1. Wenn eine Anmeldung zur Pflichtversicherung nicht erstattet worden ist oder wenn das Entgelt nicht gemeldet worden ist, kann ein Beitragszuschlag bis zum Doppelten jener Beiträge, die auf die Zeit ab Beginn der Pflichtversicherung bis zur Feststellung des Fehlens der Anmeldung bzw. bis zur Feststellung des Entgeltes durch den Versicherungsträger entfallen, vorgeschrieben werden.

2. Wenn eine Anmeldung zur Pflichtversicherung verspätet erstattet worden ist oder wenn das Entgelt verspätet gemeldet worden ist, kann ein Beitragszuschlag bis zum Doppelten jener Beiträge, die auf die Zeit ab Beginn der Pflichtversicherung bis zum Eintreffen der verspäteten Anmeldung bzw. bis zum Eintreffen der verspäteten Meldung des Entgeltes beim Versicherungsträger entfallen, vorgeschrieben werden.

3. Wenn ein zu niedriges Entgelt gemeldet worden ist, kann ein Beitragszuschlag bis zum Doppelten der Differenz zwischen den Beiträgen, die sich aus dem zu niedrig gemeldeten Entgelt ergeben, und den zu entrichtenden Beiträgen vorgeschrieben werden.

Bei der Festsetzung des Beitragszuschlages hat der Versicherungsträger insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners und die Art des Meldeverstoßes zu berücksichtigen. Der Beitragszuschlag darf jedoch die Höhe der Verzugszinsen nicht unterschreiten, die ohne seine Vorschreibung auf Grund des § 59 Abs. 1 für die nachzuzahlenden Beiträge zu entrichten gewesen wären."

Der Beitragszuschlag nach § 113 Abs. 1 ASVG ist nicht als Verwaltungsstrafe, sondern als eine (neben der Bestrafung nach den §§ 111 und 112 ASVG mögliche) wegen des durch die Säumigkeit des Meldepflichtigen verursachten Mehraufwandes in der Verwaltung sachlich gerechtfertigte weitere Sanktion für die Nichteinhaltung der Meldepflicht und damit als ein Sicherungsmittel für das ordnungsgemäße Funktionieren der Sozialversicherung zu werten. Wenn mit dem festgestellten Meldeverstoß auch eine Beitragsnachentrichtung verbunden ist, darf der Beitragszuschlag - bei Bedachtnahme auf den Regelungszusammenhang des § 113 ASVG mit § 59 ASVG - weder den durch den Meldeverstoß verursachten Verwaltungsmehraufwand zuzüglich der Verzugszinsen infolge der verspäteten Beitragsnachentrichtung noch das Doppelte der im § 113 Abs. 1 ASVG näher umschriebenen Beiträge übersteigen; er darf in solchen Fällen nach dem klaren Wortlaut des § 113 Abs. 1 ASVG aber auch - unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beitragsschuldners und der Art des Meldeverstoßes - eine Untergrenze nicht unterschreiten, nämlich die Höhe der Verzugszinsen, die ohne Vorschreibung eines Beitragszuschlages auf Grund des § 59 Abs. 1 ASVG für die nachzuzahlenden Beiträge zu entrichten gewesen wären (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. August 2002, Zl. 99/08/0074, mwN).

Die Anmeldung des Versicherten erfolgt im Sinne des § 113 Abs. 1 und 2 ASVG verspätet, wenn sie nach Ablauf der nach § 33 Abs. 1 ASVG bzw. nach der Kassensatzung festgesetzten Meldefrist beim Versicherungsträger einlangt. Dies ist hier bei 35 anzumelden gewesenen Dienstnehmern unstreitig der Fall. Die Voraussetzung für die Vorschreibung eines Beitragszuschlages ist daher erfüllt.

Bei der Festsetzung der Höhe des Beitragszuschlages innerhalb der oben genannten objektiven Grenzen ist der Behörde Ermessen eingeräumt. Art. 130 Abs. 2 B-VG normiert für die Überprüfung von Ermessensentscheidungen einen besonderen Prüfungsmaßstab. Die Ermessensübung kann nur dann als rechtswidrig erkannt werden, wenn die Behörde nicht "im Sinne des Gesetzes", also im Sinne der im Gesetz festgelegten Kriterien der Ermessensübung entschieden hat. Im Hinblick auf diese Einschränkung seiner Befugnis hat der Verwaltungsgerichtshof nur zu prüfen, ob die Behörde unter Einbeziehung der im Gesetz festgelegten Kriterien (noch) eine vertretbare Lösung gefunden hat oder ob ihr ein Ermessensfehler zum Vorwurf gemacht werden muss, das heißt, ob sie bei der Ermessensübung zu berücksichtigende Umstände unbeachtet gelassen, unsachliche Ermessenskriterien herangezogen, die gebotene Abwägung überhaupt unterlassen oder dabei das Gewicht der abzuwägenden Sachverhaltselemente grob verkannt hat. Die Prüfung setzt voraus, dass alle für diese Entscheidung wesentlichen tatsächlichen Umstände unter Einhaltung der maßgebenden Verfahrensvorschriften ermittelt und in der Bescheidbegründung festgestellt wurden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2002, Zl. 97/08/0442, mwN).

Es kann im Hinblick auf das Folgende im Beschwerdefall jedoch auf sich beruhen, ob sich der Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes in Ermessensfragen seit der Kundmachung des (an sich nur der Rechtsbereinigung dienenden) Bundesverfassungsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/2003, erweitert hat:

Durch Art. 7 Abs. 1 Z. 7 dieses Bundesverfassungsgesetzes wurden "soweit sie noch in Geltung stehen" die Bestimmungen des Bundesverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 211/1946, rückwirkend mit 31. Dezember 1999 aufgehoben. Art. 130 Abs. 2 B-VG, auf Grund dessen dem Verwaltungsgerichtshof in Ermessensangelegenheiten nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz zukommt, beruht (ausschließlich) auf dem aufgehobenen Bundesverfassungsgesetz. Art. 130 Abs. 2 B-VG könnte seither als nicht mehr dem Rechtsbestand angehörig angesehen werden, wenn nicht der Wortlaut des Gesetzes angesichts von dessen Zweckbestimmung bloß als völlig verfehlt - weil überschießend - zu erachten und dementsprechend teleologisch zu reduzieren wäre (so mittlerweile VfGH vom 12. Dezember 2003, A 2/01 ua).

Da keine Verspätung von Beitragszahlungen vorliegt und damit keine Verzugszinsen nach § 59 Abs. 1 ASVG angefallen wären, besteht für die festzusetzenden Beitragszuschläge keine Untergrenze. Eine Begrenzung der Höhe des Beitragszuschlages nach oben ergibt sich - zusätzlich zu dem hier nicht zum Tragen kommenden Doppelten der auf den Zeitraum der Verspätung entfallenden Beiträge von S 58.771,60 (Angabe in der Beschwerde) - aus dem durch die Meldeverstöße verursachten Verwaltungsmehraufwand. Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, dass für "jede verspätet erstattete Meldung und deren gesonderte Bearbeitung" ein Aufwand von S 523,-- anzusetzen sei. Die Bearbeitung von 35 verspätet erstatteten Meldungen erfordere demnach einen Verwaltungsaufwand von S 18.305,--. Die belangte Behörde habe den gesamten Verwaltungsaufwand in aktenwidriger Weise aber nur mit S 523,-- beziffert.

Damit ist ihr schon bei der Ermittlung der objektiven Grenzen, innerhalb derer die Ermessensübung zu erfolgen hat, ein Fehler unterlaufen.

Bei der Ermessensübung gemäß § 113 Abs. 1 ASVG ist weiters nicht nur auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners und auf die Art des Meldeverstoßes, sondern im Hinblick auf den erwähnten Regelungszusammenhang mit § 59 (Abs. 2) ASVG (vgl. hiezu das einen Ordnungsbeitrag nach § 56 Abs. 3 ASVG betreffende hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 95/08/0331) auch auf das Ausmaß der Verspätung sowie auf den Umstand Bedacht zu nehmen, inwieweit der Dienstgeber bisher seinen Meldeverpflichtungen nachgekommen ist.

Der Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Verhältnisse der mitbeteiligten Partei als Dienstgeber konnte im vorliegenden Fall - beim Beitragsschuldner handelt es sich um den Bund - nicht für eine niedrige Bemessung des Beitragszuschlages sprechen (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 97/08/0442). Betreffend die Art des Meldeverstoßes und damit das Verschulden des Meldepflichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 1989, Zl. 87/08/0034) hat die belangte Behörde nur berücksichtigt, dass die mitbeteiligte Partei auf Grund einer kurzfristig in Kraft getretenen Gesetzesänderung mit der Einstellung von externen Lehrbeauftragten und Tutoren in Zeitnot geraten ist, sie hat aber die behaupteten früheren Meldeverstöße ("Meldeverstöße-Auswahl") der mitbeteiligten Partei außer Acht gelassen. Bei der Feststellung, welche Meldungen in welchem räumlichen und organisatorischen Bereich von wem und für wen verspätet vorgenommen worden sind, muss eine aussagekräftige Beziehung zwischen dem Umfang der üblicherweise vom Dienstgeber wahrzunehmenden Meldeverpflichtungen und den dabei unterlaufenen Meldeverstößen hergestellt werden können. Im Hinblick darauf, dass die Dienstgeberfunktion der mitbeteiligten Partei (§ 35 Abs. 1 ASVG) im vorliegenden Fall vom Rektor der Universität für Bodenkultur Wien wahrzunehmen war (§ 2 UOG idF BGBl. Nr. 805/1993), kommt es hier darauf an, ob und in welchem Ausmaß die vom Rektor vertretene Universität für Bodenkultur Wien Meldepflichtverletzungen begangen hat.

Der angefochtene Bescheid war wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a und b VwGG aufzuheben.

Der Schriftsatzaufwand für die Beschwerde war nicht zu ersetzen, weil die Beschwerdeführerin nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war.

Wien, am 18. Dezember 2003

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