Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der "Bundesrepublik Jugoslawien", die am 28. August 1998 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl. Sie wurde am 3. September 1998 niederschriftlich einvernommen.
Hiebei gab sie an, sie stamme aus dem Kosovo, gehöre der albanischen Volksgruppe an und sei moslemischen Glaubens. Sie stamme aus Stimlje.
Die Behörde erster Instanz gab ihr damaliges Vorbringen in
ihrem ua. den Asylantrag abweisenden Bescheid vom 17. September 1998 folgendermaßen wieder:
"Sie hätten Ihre Heimat wegen des Krieges verlassen, Ihr Heimatdorf wäre von serbischen Einheiten zerstört, Ihr Haus ebenso wie die Nachbarhäuser beschossen worden. Die Bewohner des Dorfes wären in die Berge geflüchtet, Sie hätten sich zu Ihren Eltern nach Petrove zu Fuß begeben.
Seit Kriegsbeginn wären ständig Einheiten der Serben in der Umgebung aufhältig gewesen, der Überfall auf das Dorf wäre jedoch das erste Mal gewesen, dass es zu Zerstörungen gekommen wäre.
Auch das Dorf Ihrer Eltern wäre von den Serben überfallen und die Häuser zerstört worden, die Bewohner wären geflüchtet, dieser Vorfall hätte kurz vor Ihrer Ausreise stattgefunden. Ihr Schwiegervater hätte Sie wieder nach Stimlje geholt, er hätte einen Schlepper organisiert.
Am Sonntag, den 23.08.1998 hätten Sie Stimlje als Mitfahrerin in einem LKW, in Begleitung Ihres Kindes und weiterer fünf bis sechs Flüchtlingen, verlassen und wären über ein unbekanntes Land oder über unbekannte Länder nach Österreich gefahren. Sie hätten keinerlei Grenzkontrollen wahrgenommen, der LKW wäre nie kontrolliert worden."
Die Behörde erster Instanz begründete ihre Entscheidung ua. damit, dass die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention sei. Sie stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nicht zulässig sei.
Auf Grund der gegen die Abweisung des Asylantrages erhobenen Berufung hielt die belangte Behörde mit Schreiben vom 9. November 1998 der Beschwerdeführerin die Beruhigung der Lage seit Ende September 1998, den Inhalt der "Einigung" zwischen Milosevic und Holbrooke vom 13. Oktober 1998, den von der serbischen Regierung am Abend dieses Tages beschlossenen "11-Punkte-Plan" und die folgende Umsetzung dieser Vereinbarung vor. Es sei "auf Grund des aufrechten Einsatzbefehles der NATO im Falle der Nichteinhaltung der Vereinbarung und der genauen Beobachtung des Fortschreitens deren Umsetzung ... davon auszugehen, dass den Kampfhandlungen nunmehr ein tatsächliches Ende gesetzt" worden sei. Flüchtlinge würden zurückkehren.
Die Beschwerdeführerin nahm hiezu mit Schreiben vom 25. November 1998 Stellung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 15. Februar 1999, erlassen durch Zustellung an das Bundesasylamt am 16. Februar 1999, wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab. Sie legte die schon vom Bundesasylamt dessen Bescheid als glaubwürdig zugrundegelegten Angaben der Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer individuellen Fluchtgründe auch den angefochtenen Bescheid zugrunde. Nach Wiedergabe des Inhaltes der Berufung, des Vorhaltes vom 9. November 1998, der Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 25. November 1998 und allgemeinen rechtlichen Ausführungen stellte die belangte Behörde fest:
"Als Folge des zwischen dem amerikanischen Sondervermittler Richard Holbrooke und Slobodan Milosevic abgeschlossenen Übereinkommens vom 13.10.1998 hatte sich die Lage im Kosovo weitgehend beruhigt. Bis auf vereinzelte Zwischenfälle gab es keine militärische Auseinandersetzungen. Die in die Wälder geflüchteten Angehörigen der albanischen Volksgruppe kehrten mit wenigen Ausnahmen in die Dörfer zurück. Obwohl das oa. Übereinkommen Straffreiheit für alle aktiv am Konflikt Beteiligten (zu ergänzen: enthält) (ausgenommen Verbrechen gegen die Menschlichkeit), haben serbische Gerichte präsumptive Mitglieder der UCK zu bis zu fünfjährigen Haftstrafen verurteilt. Seit Weihnachten 1998 kommt es wieder verstärkt zu Gefechten zwischen - die Hauptstraßen kontrollierenden - serbischen Einheiten und der UCK, die als Folge des (zumindest teilweisen) Rückzuges des jugoslawischen Militärs aufgrund des oa. Übereinkommens Gebietsgewinne verzeichnen konnte. Dabei dürften auch Zivilisten albanischer Nationalität getötet worden sein, was von serbischer Seite in Abrede gestellt wird und derzeit noch nicht eindeutig geklärt ist."
Ausgehend von den getroffenen Feststellungen liege eine "Gruppenverfolgung der albanischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo" derzeit nicht vor. Dass auf Grund der Kampfhandlungen des letzten Jahres die in die Wälder geflüchteten Kosovo-Albaner noch vor Wintereinbruch in Dörfer hätten zurückkehren können, sowie dass außerhalb des von den Kämpfen erfassten Gebietes lebende Kosovo-Albaner grundsätzlich (d.h. wenn ihnen nicht von den serbischen Behörden eine Verbindung zur UCK unterstellt werde) unbehelligt leben, zeige, das Vorgehen der serbischen Einheiten sei auf eine militärische Besiegung der UCK und Verhinderung einer Abspaltung des Kosovo von der Bundesrepublik Jugoslawien gerichtet, nicht aber Ausfluss eines die albanische Volksgruppe in ihrem Bestand gefährdenden staatlichen Verfolgungsprogrammes, auf Grund dessen jeder Angehörige der albanischen Volksgruppe des Kosovo allein wegen seiner Gruppenzugehörigkeit aktuell gefährdet sei, Eingriffe in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter zu erleiden.
Der Beschwerdeführerin komme die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 7 Asylgesetz 1997 (siehe Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention) nicht zu.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat bei behaupteter Zerstörung des Heimatdorfes eines albanisch-stämmigen Asylwerbers aus dem Kosovo bereits im Erkenntnis vom 21. April 1999, Zl. 98/01/0566 (auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) ausgesprochen, in einer solchen Situation könne asylrelevante Verfolgung aller Angehörigen der albanischen Volksgruppe im betreffenden Gebiet des Kosovo mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vorliegen.
Außerdem hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt erkannt, er sehe es insbesondere aufgrund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen habe. Diese Auseinandersetzungen gehen auch mit vermehrten Übergriffen insbesondere auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Es ist gleichfalls allgemein bekannt, dass sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo, sondern zunächst im Wesentlichen auf das Gebiet Zentralkosovo (Region Drenica bzw. "Drenicadreieck", wobei sich die Vorfälle von Srbica und Logovac bis Klina ausgedehnt haben) sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decani und Djakovica, erstreckten. Die Kampfhandlungen und ihre Folgen dehnten sich im September regional weiter aus.
Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als Spezialbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen.
Eine Verfolgungsgefahr kann nicht nur aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, sie kann vielmehr auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0370, mwN). Bei einem ethnischen Albaner, der behauptet, sein Wohnort sei von Vorfällen der obgenannten Art betroffen gewesen oder der aus der oben genannten Region bzw. aus einem angrenzenden Gebiet kommt, auf das eine Ausweitung der Aktionen nicht auszuschließen ist, kann daher - anders als für den Zeitraum vor dem 28. Februar 1998 - nicht von vornherein gesagt werden, dass die bloße Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. In einem solchen Fall ist es vielmehr erforderlich, bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft auch das genannte Amtswissen einzubeziehen. Dazu hat die Behörde dem Asylwerber - allenfalls im Rahmen einer gemäß § 67d AVG iVm Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG idF
BGBl. I Nr. 28/1998 erforderlichen Verhandlung - Gelegenheit einzuräumen, sich auch zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Umständen zu äußern (vgl. die in Hauer/Leukauf, Handbuch des Verwaltungsverfahrens5, Seite 96 wiedergegebene hg. Rechtsprechung zu § 45 Abs. 1 AVG). Eine asylrelevante Verfolgung wäre bereits dann zu bejahen, wenn sich dabei herausstellt, dass der Asylwerber aus einer Gegend stammt, in der Aktionen der genannten Art mit der für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind und keine besonderen Umstände vorliegen, die es unwahrscheinlich machen, dass der Asylwerber davon betroffen sein könnte (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287).
Es erübrigt sich im gegenständlichen Fall zu überprüfen, ob durch die festgestellte "Beruhigung der Lage" nach Ende September zwischenzeitig eine Änderung eingetreten ist, weil ebenfalls notorisch ist, dass ab dem "Massaker von Racak", verübt am 15. Jänner 1999 an Dutzenden albanischen Zivilpersonen, die Lage zumindest der Situation vor Ende September 1998 gleichzuhalten ist. Damit hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aber nicht auseinandergesetzt.
Die Beschwerdeführerin stammt nach ihren als glaubwürdig erachteten Angaben aus einem Ort, der von den genannten Vorfällen betroffen war. Es ist daher offensichtlich, dass die belangte Behörde, hätte sie auf das Massaker von Racak vom 15. Jänner 1999 in der dargestellten Weise von Amts wegen Bedacht genommen, zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 16. September 1999
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