VwGH 98/11/0287

VwGH98/11/028724.8.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde der Ärztekammer für Wien, vertreten durch Braunegg, Hoffmann & Partner, Rechtsanwälte in Wien I, Gonzagagasse 9, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 28. September 1998, Zl. MA 15-II-H/5/261/96, betreffend Errichtung eines Zahnambulatoriums (mitbeteiligte Partei: P GmbH in Edlitz), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs1;
KAG Wr 1987 §4 Abs2 lita;
AVG §37;
AVG §45 Abs1;
KAG Wr 1987 §4 Abs2 lita;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Kostenbegehren der beschwerdeführenden Partei wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der mitbeteiligten Partei auf Grund eines Antrages vom 29. Mai 1996 gemäß § 4 des Wiener Krankenanstaltengesetzes 1987 die Bewilligung zur Errichtung einer privaten Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde mit sechs Behandlungsstühlen an einem näher bezeichneten Standort im

5. Wiener Gemeindebezirk unter einer Vielzahl von Vorschreibungen erteilt.

In ihrer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten, auf § 4 Abs. 6 Wr. KAG 1987 in Verbindung mit Art. 131 Abs. 2 B-VG gestützten Beschwerde macht die beschwerdeführende Partei Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; sie beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 4 Abs. 2 lit. a Wr. KAG 1987 darf eine Bewilligung zur Errichtung einer Krankenanstalt unter anderem nur dann erteilt werden, wenn nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem vorgesehenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbstständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen, bei Zahnambulatorien auch im Hinblick auf niedergelassene Dentisten mit Kassenvertrag, ein Bedarf gegeben ist.

Ein Bedarf in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn durch die Errichtung des Ambulatoriums die ärztliche Betreuung der Bevölkerung wesentlich erleichtert, beschleunigt, intensiviert oder in anderer Weise wesentlich gefördert wird. Bei der Prüfung daraufhin sind andere als die in § 4 Abs. 2 lit. a Wr. KAG 1987 genannten Ärzte (Dentisten) und Einrichtungen nicht zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1999, Zl. 98/11/0280 mwH).

Die belangte Behörde hat zur Frage des Vorliegens eines Bedarfes ein Ermittlungsverfahren durchgeführt und diesen bejaht. Im Hinblick auf das durch § 4 Abs. 6 Wr. KAG 1987 begründete, auf die Bedarfsfrage eingeschränkte Beschwerderecht der beschwerdeführenden Partei, die das Vorliegen eines Bedarfes in Abrede stellt, hat der Verwaltungsgerichtshof zu prüfen, ob die Bejahung eines Bedarfes am gegenständlichen Ambulatorium zu Recht erfolgt ist.

Die belangte Behörde begründete die Bejahung des Bedarfes zum einen im Hinblick auf die vorgeschriebenen Öffnungszeiten in den Nachmittags- und Abendstunden sowie am Wochenende (Öffnungszeiten laut Punkt 31 der Bescheidauflagen: zumindest an drei Werktagen von 9.00 Uhr bis 22.00 Uhr, an zwei Werktagen von 9.00 Uhr bis 20.00 Uhr und an Samstagen von 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr; in Ausnahmefällen und nach vorheriger Vereinbarung Möglichkeit der Vereinbarung von Behandlungsterminen auch an Sonn- und Feiertagen) und zum anderen unter Hinweis auf die behindertengerechte Ausführung des gegenständlichen Ambulatoriums. Dadurch werde die zahnmedizinische Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich wesentlich erleichtert und intensiviert.

Die belangte Behörde stützte sich hiebei auf das Gutachten eines ärztlichen Amtssachverständigen vom 1. Oktober 1997 (ergänzt am 29. Oktober 1997). Danach würden im 4., 5. und 6. Wiener Gemeindebezirk 62 Vertragszahnärzte und 6 Vertragsdentisten ordinieren. Außerdem befänden sich in diesen drei Bezirken insgesamt zwei Zahnambulatorien von Sozialversicherungsträgern und ein Zahnambulatorium der Ärztekammer für Wien, in welchen ebenfalls auf Sozialversicherungskosten Zahnbehandlungen vorgenommen würden. Dem in einer Studie des Österreichischen Bundesinstitutes für Gesundheitswesen errechneten Sollstand von 36 "§ 2-Zahnbehandlern" in diesem Bereich stünden tatsächlich insgesamt 68 Zahnbehandler gegenüber. Die vorhandenen Einrichtungen deckten dementsprechend den gegebenen Bedarf während der üblichen Büro- und Geschäftszeiten von Montag bis Donnerstag. Selbst unter Bedachtnahme auf die in diesen Bezirken tätigen Pendler könne von den vorhandenen Ordinationen in ca. 80 % der Fälle ein Termin binnen Wochenfrist angeboten werden. Es sei aber nur ausnahmsweise möglich, außerhalb der üblichen Büro- und Geschäftszeiten einen Behandlungstermin zu bekommen. Die meisten Zahnarztpraxen nähmen Patienten bis spätestens 17.30 Uhr. Einige wenige hätten bis 18.00 Uhr geöffnet und nur ausnahmsweise fänden sich Vertragsordinationen mit Öffnungszeiten bis 19.00 Uhr. Nahezu unmöglich sei es, einen Behandlungstermin an einem Freitag zu bekommen, da nur ca. 10 % der Zahnbehandler freitags ordinierten. Laut Auskunft der beschwerdeführenden Partei hätten in den Bezirken 4., 5. und 6. lediglich 6 der insgesamt 62 Vertragszahnarztordinationen an Feiertagen geöffnet. Dem Amtssachverständigen sei für einen Freitag ein frühestmöglicher Termin mit einer Wartezeit von drei Wochen angeboten worden. An Samstagen seien Patienten auf den zahnmedizinischen Notfalldienst angewiesen. Von den 62 Vertragszahnarztordinationen in den drei Bezirken seien lediglich 5 behindertengerecht ausgeführt. Solche Ordinationen seien daher krass unterrepräsentiert.

Aus diesem Gutachten ergibt sich, dass die zahnmedizinische Versorgung durch Vertragszahnbehandler und vertrags- bzw. kasseneigene Einrichtungen an sich ausreichend gewährleistet ist. Die belangte Behörde bejahte dennoch - dem Gutachten des Amtssachverständigen folgend - einen Bedarf zum einen im Hinblick auf die "ungewöhnlichen" Öffnungszeiten, nämlich in den Abendstunden und an Samstagen, und zum anderen wegen der behindertengerechten Ausführung des Ambulatoriums. Diese Beurteilung kann sich allerdings nicht auf einwandfreie Ermittlungsergebnisse stützen. Die "ungewöhlichen" Öffnungszeiten allein sagen darüber, ob außerhalb der sonst üblichen Öffnungszeiten eine erhebliche Versorgungslücke und damit ein Bedarf im Sinne des Gesetzes besteht, nichts aus. Zu ermitteln wäre insoweit zumindest gewesen, ob zu diesen "ungewöhnlichen" Zeiten tatsächlich eine Nachfrage besteht, die bisher nicht befriedigt wird. Darüber finden sich allerdings in den Ausführungen des medizinischen Amtssachverständigen keine auf überprüfbare Erhebungs- bzw. Beweisergebnisse gegründete Feststellungen. Sie können nicht durch nicht hinreichend untermauerte Behauptungen ersetzt werden, wie sie sich in der Argumentation des Amtssachverständigen bzw. der belangten Behörde finden, dass die Angst von Patienten, durch häufige Arztbesuche in der Dienstzeit Nachteile zu erfahren, zum Unterbleiben notwendiger Behandlungen führe, oder dass insoweit nach allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen bei berufstätigen Patienten von einer keinesfalls zu vernachlässigenden Nachfrage auszugehen sei. Ein derartiger allgemeiner Erfahrungsgrundsatz ist dem Verwaltungsgerichtshof nicht bekannt. Dazu kommt, dass selbst eine nicht bloß vereinzelte Nachfrage nach solchen Behandlungszeiten noch nicht zwingend die Annahme einer erheblichen Versorgungslücke und damit eines Bedarfes im Sinne des Gesetzes nahelegte. Ebensowenig lässt das vom Amtssachverständigen berichtete Umfrageergebnis betreffend eine Wartefrist von drei Wochen für einen Behandlungstermin an einem Freitag den Schluss auf das Bestehen eines Bedarfes im besagten Sinn zu. Davon könnte erst dann die Rede sein, wenn Schmerzpatienten deshalb nicht innerhalb angemessen kurzer Frist versorgt werden könnten. Davon ist aber im Gutachten des Amtssachverständigen mit keinem Wort die Rede. Im Übrigen wäre auch unter der Annahme eines Bedarfes in diesen Zeiten die erteilte Bewilligung überschießend, weil nicht auf den gegebenen Bedarf abgestellt, entfallen doch die vorgesehenen Öffnungszeiten vorwiegend auf Zeiten, in denen der Bedarf ohnedies ausreichend gedeckt ist.

Zutreffend wurde im gegebenen Zusammenhang von der beschwerdeführenden Partei u.a. auch auf das Vorhandensein eines täglichen zahnärztlichen Nachtdienstes in der Zeit von 20 Uhr bis 1 Uhr früh hingewiesen, wozu noch der Wochenend- (Samstag und Sonntag) bzw. Feiertagsdienst von 9 bis 18 Uhr kommt.

Was zum anderen das Argument anlangt, angesichts von nur 5 behindertengerechten Ordinationen in den drei Bezirken seien solche Ordinationen "krass unterrepräsentiert", lässt das Gutachten einerseits nicht erkennen, ob auch die in Rede stehenden drei Ambulatorien behindertengerecht ausgeführt sind und damit die Anzahl behindertengerechter Einrichtungen entsprechend erhöhen. Andererseits führt das Gutachten nicht aus, welche Anzahl behindertengerechter Ordinationen in diesem Bereich insgesamt vorhanden sein müsste, um den gegebenen Bedarf zu decken. Das Gutachten bietet damit auch insoweit keine taugliche Grundlage für die Beurteilung der Bedarfsfrage.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Das Kostenersatzbegehren der beschwerdeführenden Partei war gemäß § 47 Abs. 4 VwGG abzuweisen.

Wien, am 24. August 1999

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