VwGH 97/18/0115

VwGH97/18/011517.4.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Neumair, über die Anträge des M, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, auf 1. Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Juli 1996, Zl. SD 28/96, betreffend Ausweisung, sowie auf

2. Wiederaufnahme des diese Beschwerde betreffenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, den Beschluß gefaßt:

Normen

VwGG §34 Abs2;
VwGG §45 Abs1 Z4;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §45 Abs1 Z4;

 

Spruch:

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 46 Abs. 1 VwGG nicht stattgegeben.

2. Dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 und 4 VwGG wird nicht stattgegeben.

Begründung

I.

1. Mit hg. Beschluß vom 30. Jänner 1997, Zl. 96/18/0507, wurde das Verfahren über die Beschwerde des Antragstellers gegen den oben bezeichneten Bescheid gemäß § 34 Abs. 2 und § 33 Abs. 1 VwGG eingestellt, weil der Antragsteller dem Mängelbehebungsauftrag vom 13. November 1996, mit dem ihm die Behebung mehrerer näher bezeichneter Mängel (insbesondere die Vorlage von zwei weiteren Ausfertigungen) der zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichteten und von diesem dem Verwaltungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde aufgetragen worden war, nicht nachgekommen ist. Dies deshalb, weil er lediglich eine Kopie der (ursprünglich eingebrachten) Beschwerde vorgelegt hat, die überdies nicht mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes versehen war und somit keine (weitere) Ausfertigung der nach diesem Mängelbehebungsauftrag im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorzulegenden Beschwerde darstellte.

2. In dem nunmehr gestellten Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird ausgeführt, daß es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handle, wenn - anders als aufgetragen - lediglich eine und nicht zwei Ausfertigungen der ursprünglich an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde beigelegt worden seien; weiters habe die belangte Behörde (Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien) bereits im verfassungsgerichtlichen Verfahren eine Beschwerdeausfertigung erhalten. Weiters ergebe sich aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (verstärkter Senat) vom 13. November 1978, Zl. 822/78 (abgedruckt in der Amtlichen Sammlung unter Nr. 9689(A)), daß "das fehlende Original und Unterschrift auf der Kopie einer Beschwerdeausfertigung die Behandlung der Sache nicht hindere und kein Anlaß zu einem Verbesserungsauftrag oder zu einer Einstellung des Verfahrens wegen seiner Nichtbefolgung" bestünde; auf die Beibehaltung dieser Spruchpraxis habe der Antragsteller vertrauen dürfen. Ein Verschulden des Antragstellers (seines Vertreters) an die Versäumung der im Mängelverbesserungsauftrag gesetzten Frist verbleibe somit lediglich im Ausmaß eines nur minderen Grades des Versehens, sodaß § 46 Abs. 1 VwGG einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht widersprechen würde.

3. Im Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 und 4 VwGG wird begründend ausgeführt, daß der zitierte Einstellungsbeschluß des Verwaltungsgerichtshofes "schon in einem formalen Aspekt" nicht zutreffend sei, weil der Antragsteller mit hg. Verfügung vom 13. November 1996 nicht zur Übermittlung zweier Ausfertigungen, sondern lediglich dazu aufgefordert worden wäre, "eine weitere Ausfertigung der ursprünglichen Beschwerde für den Bundesminister für Inneres" beizubringen. Da die Verfassungsgerichtshofbeschwerde zweifach eingebracht worden sei, habe die belangte Behörde im übrigen bereits über eine Ausfertigung der Beschwerde verfügt. Weiters stelle der Mängelbehebungsschriftsatz vom 18. Dezember 1996, der in dreifacher Ausfertigung jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben worden sei, einen Teil der Beschwerde selbst dar, "sodaß auch die dritte Ausfertigung der Beschwerde (als ganze) mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes versehen" gewesen sei. Ferner hindere - unter abermaligem Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes VwSlg NF 9689/A - das Fehlen der "Originalunterschrift auf der Kopie einer Beschwerdeausfertigung ihre Behandlung nicht". Schließlich sei "in grundsätzlicher Hinsicht" auszuführen, daß an eine "(allenfalls gegebene) Fehlerhaftigkeit der Verbesserung eine sachlich nicht gerechtfertigte Folge geknüpft sei", weil sowohl die ursprünglich an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde als auch der Ergänzungsschriftsatz an den Verwaltungsgerichtshof jeweils mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes versehen gewesen seien und damit dem "telelogischen Regelungsinhalt des § 24 Abs. 2 VwGG vollständig entsprochen" worden "und sohin allenfalls lediglich ein Formmangel" verblieben sei. Damit sei davon auszugehen, daß der Einstellungsbeschluß des Verwaltungsgerichtshofes auf einer nicht vom Beschwerdeführer verschuldeten irrigen Annahme der Versäumung der Verbesserungsfrist beruhe. Jedenfalls sei durch die "Verfahrenseinstellung ohne Aufnahme der Verhandlung in die Sache selbst dem Beschwerdeführer das Parteiengehör abgeschnitten." Da im derzeitigen Stand des Verfahrens "keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorlägen", sei auch davon auszugehen, daß sonst das Erkenntnis oder der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes anders gelautet hätte. Es lägen sohin die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens vor.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. d und e VwGG gebildeten Senat erwogen:

A. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

1. Vorauszuschicken ist, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Beschluß des verstärkten Senates vom 21. Juni 1988, Zl. 87/07/0049) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch gegen die unvollständige Erfüllung eines verwaltungsgerichtlichen Verbesserungsauftrages zulässig ist.

2. Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ... eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei (siehe den hg. Beschluß vom 23. Februar 1995, Zl. 95/18/0176, mwH). Dabei stellt ein einem Rechtsanwalt widerfahrendes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Rechtsanwaltes, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den Beschluß vom 8. August 1996, Zl. 96/14/0072, 0078). Zu beurteilen ist somit das Verhalten des Rechtsanwaltes selbst (vgl. den hg. Beschluß vom 19. Jänner 1990, Zl. 89/18/0202, 0203). Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige, bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa die schon zitierten hg. Beschlüsse vom 23. Februar 1995 sowie vom 8. August 1996, mwH). (Vgl. zum Ganzen auch den hg. Beschluß vom 30. Jänner 1997, Zl. 97/18/0003.)

3. Auf dem Boden dieser Rechtslage ist das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nicht geeignet, einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darzutun.

Aus dem vom Antrag ins Treffen geführten Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes

VwSlg NF 9689/A/1978 kann für den Standpunkt des Antragstellers deswegen nichts gewonnen werden, weil in dem diesem Erkenntnis zugrundeliegenden Fall (wie der Antrag zutreffend wiedergibt) die Ablichtung des Beschwerdeschriftsatzes zwar nicht die Originalunterschrift enthielt, aber diese Unterschrift bildlich wiedergab, im Antragsfall hingegen auf der dem Verwaltungsgerichtshof übermittelten Ablichtung überhaupt keine Unterschrift - weder in Original noch in Kopie - aufscheint.

Bei Anwendung des bei beruflichen rechtskundigen Parteienvertretern gebotenen strengeren Maßstabes hätte es die dem Rechtsanwalt obliegende Sorgfaltspflicht erfordert, sich bei der Unterfertigung des Schriftsatzes zur Mängelbehebung von der ordnungsgemäßen Erfüllung des Mängelbehebungsauftrages zu vergewissern. Dabei hätte es dem Rechtsanwalt auffallen müssen, daß eine Übermittlung der ursprünglich an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof lediglich einfach in Aussicht genommen wurde und weiters die zur Vorlage an den Verwaltungsgerichtshof vorbereitete Ablichtung dieses Beschwerdeschriftsatzes nicht von ihm unterfertigt war. Da es der Rechtsanwalt im vorliegenden Fall unterließ, die Vorlage des Schriftsatzes in der aufgetragenen Anzahl von Ausfertigungen sowie die Unterfertigung der nachzubringenden Beschwerdeausfertigung selbst zu kontrollieren, unterlief ihm hiemit ein Versehen, das nicht minderen Grades ist; diesbezüglich kann auch auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hingewiesen werden, wonach ein Rechtsanwalt sich bei der Unterfertigung von Schriftsätzen zu vergewissern hat, was er unterschreibt und ob er damit einem Verbesserungsauftrag auch vollständig nachkommt (vgl. den schon zitierten hg. Beschluß vom 30. Jänner 1997).

Im übrigen kann die Frage, ob der Verwaltungsgerichtshof das Beschwerdeverfahren zurecht eingestellt hat, im Wiedereinsetzugsverfahren nicht aufgeworfen werden.

Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher nicht stattzugeben.

B. Zum Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 und 4 VwGG:

1. Gemäß § 45 Abs. 1 VwGG ist - soweit vorliegend vom Antragsteller herangezogen - die Wiederaufnahme eines durch Beschluß abgeschlossenen Verfahrens auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn der Beschluß auf einer nicht von der Partei verschuldeten irrigen Annahme der Versäumung einer im VwGG vorgesehenen Frist beruht (Z. 2) oder wenn im verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Vorschriften über das Parteiengehör nicht entsprochen wurde und anzunehmen ist, daß sonst der Beschluß anders gelautet hätte (Z. 4).

2.1. Diese Regelungen kommen vorliegend nicht zum Tragen. Die Begründung des Wiederaufnahmeantrages besteht zusammengefaßt in einer Kritik an der dem Einstellungsbeschluß vom 30. Jänner 1997 zugrundeliegenden Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes. Damit aber vermag der Antragsteller keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund in Ansehung des § 45 Abs. 1 Z. 2 VwGG ins Treffen zu führen, bezieht sich doch dieser Tatbestand nur auf den Sachverhalt und nicht auf die rechtliche Beurteilung (vgl. dazu etwa den hg. Beschluß vom 18. Dezember 1996, Zlen. 96/18/0526, 0527, 0587, mwH). Da ein Irrtum des Verwaltungsgerichtshofes im Sachverhalt nicht dargetan wird und ein solcher auch nicht vorliegt - der Antragsteller hat entgegen dem Auftrag zur Beschwerdeergänzung überhaupt keine Ausfertigung der ursprünglich an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde übermittelt, was der Antrag eingesteht, wenn er davon spricht, daß hinsichtlich der Mängelbehebung "lediglich ein Formmangel" verblieben sei - kann der Antragsteller nicht den Wiederaufnahmegrund des § 45 Abs. 1 Z. 2 VwGG in Anspruch nehmen.

2.2. Weiters wurden im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Vorschriften über das Parteiengehör im Sinn des § 45 Abs. 1 Z. 4 VwGG nicht verletzt. Die Parteirechte im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof richten sich nach dem VwGG. Der Antragsteller wurde gemäß § 34 Abs. 2 VwGG aufgefordert, für das verwaltungsgerichtliche Verfahren seine an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde entsprechend zu ergänzen. Eine darüber hinausgehende Kontaktnahme des Verwaltungsgerichtshofes mit der Partei sieht die genannte Bestimmung nicht vor. Schon aus diesem Grund liegt kein Verstoß gegen die Regelungen über das Parteiengehör vor. Dem Antrag kommt darüber hinaus aber auch deswegen keine Berechtigung zu, weil § 45 Abs. 1 Z. 4 VwGG keine Handhabe bietet, die vom Verwaltungsgerichtshof im Einstellungsbeschluß vorgenommene rechtliche Beurteilung zu bekämpfen (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, Wien 1987, S 642, zitierte Judikatur). Schließlich sei - lediglich der Vollständigkeit halber - angemerkt, daß der Antragsteller mit der bloßen Behauptung, daß "keine gegenteiligen Anhaltspunkte" vorlägen, auch nicht darzutun imstande war, warum anzunehmen wäre, daß der Verwaltungsgerichtshof - im Sinn der zuletzt genannten Regelung - zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, wenn der Antragsteller eine weitere Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hätte.

Dem Wiederaufnahmeantrag war daher nicht stattzugeben. C. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den weiteren Antrag, dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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