Normen
AVG §40 Abs1;
AVG §42 Abs1;
AVG §43 Abs3;
GewO 1994 §356 Abs1;
GewO 1994 §356 Abs3;
GewO 1994 §77;
AVG §40 Abs1;
AVG §42 Abs1;
AVG §43 Abs3;
GewO 1994 §356 Abs1;
GewO 1994 §356 Abs3;
GewO 1994 §77;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Hinsichtlich des Verwaltungsgeschehens wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1996, Zl. 96/04/0090, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde der im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangene Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 23. Februar 1996 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Dies im wesentlichen mit der Begründung, die belangte Behörde sei zu Unrecht der Auffassung, die Beschwerdeführerin habe auf die (weitere) Geltendmachung ihrer subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte in Ansehung der von der mitbeteiligten Partei zur Genehmigung beantragten Betriebsanlage verzichtet, sodaß die von ihr erhobene Berufung abzuweisen wäre, ohne auf das weitere Berufungsvorbringen einzugehen. Die der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde zugeschriebene Erklärung, von der - mangels Vorliegens einer den Bestimmungen des § 14 AVG entsprechenden Verhandlungsschrift - noch nicht einmal (als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens) feststehe, ob sie tatsächlich abgegeben wurde, könne nämlich nicht in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise dahin gedeutet werden, die Beschwerdeführerin ziehe die von ihr erhobenen Einwendungen zurück.
Mit dem im fortgesetzten Verfahren gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Ersatzbescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 7. November 1997 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen. Hiezu wurde im wesentlichen ausgeführt, auch dem § 14 AVG nicht entsprechende Verhandlungsschriften stellten gleichwohl Beweismittel dar, die der freien Beweiswürdigung unterlägen. Insoweit kämen auch den in solchen Niederschriften enthaltenen Erklärungen rechtliche Wirkungen zu, was auch in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bestätigt worden sei. Da eine solche Niederschrift hinsichtlich ihrer Beweiskraft Privaturkunden gleichzuhalten sei und das AVG darüber keine Regelungen enthalte, sondern die ZPO diesbezüglich analog anzuwenden sei, liefere auch die Niederschrift über die Verhandlung vom 22. Juni 1992 vollen Beweis darüber, daß die darin enthaltene Erklärung der Beschwerdeführerin dieser zuzurechnen sei, zumal diese Niederschrift unbestrittener Weise ihre Unterschrift trage. Diese Schlußfolgerung bewege sich ausschließlich im Bereich der rechtlichen Beurteilung, welche nicht Gegenstand des Parteiengehörs sei, sodaß dieses daher auch nicht verletzt sein könne. Gehe man davon aus, daß sich die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 24. April 1991 auf den projektgemäßen Betrieb bezogen habe, dann habe sie durch die Erhebung von Einwendungen wegen Lärm-, Erschütterungs- und Geruchsimmissionen Parteistellung im gegenständlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren erlangt. Da keinerlei Hinweise darauf bestünden, daß die Betriebsanlage am 22. Juni 1992 in einem eingeschränkten Umfang betrieben worden sei, lasse die Erklärung der Nachbarn (unter ihnen auch die Beschwerdeführerin) in der Augenscheinsverhandlung vom selben Tag, "daß sie nunmehr durch die Betriebsanlage keiner Belästigung mehr ausgesetzt sind und sie daher gegen die Genehmigung nunmehr keine Einwendungen erheben", an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Es verbleibe vielmehr kein vernünftiger Grund für Zweifel, daß die Nachbarn damit auf Einwendungen verzichtet und der Errichtung und dem Betrieb der Betriebsanlage zugestimmt hätten. Diese Zustimmung sei aus folgenden Gründen nicht ohne rechtliche Wirkung: Für den Bereich des gewerblichen Betriebsanlagenrechtes sei zwischen dem Erwerb der Parteistellung durch Nachbarn gemäß § 356 Abs. 3 GewO 1994 und dem Verlust der Möglichkeit der rechtswirksamen weiteren Geltendmachung von Einwendungen wegen Präklusion gemäß § 42 AVG zu unterscheiden. Die Bestimmungen des § 42 AVG fänden jedenfalls auch für den Bereich des gewerblichen Betriebsanlagenrechtes Anwendung; sie seien nicht etwa durch die Bestimmung des § 356 Abs. 3 GewO 1994 verdrängt. Die Augenscheinsverhandlungen der Erstbehörde vom 29. April 1991 und vom 26. Juni 1992 seien entsprechend den Bestimmungen der GewO kundgemacht worden, die Beschwerdeführerin sei zu beiden Verhandlungen persönlich erschienen, ohne eine verspätete Ladung behauptet zu haben. Die Voraussetzungen des § 42 AVG seien daher gegeben. Wie ein Größenschluß aus § 42 Abs. 1 AVG ergebe, würden auch im Falle der Zustimmung die Präklusionsfolgen eintreten. Wenn anerkannt werde, daß die Zustimmungsfiktion des § 42 AVG auch dann wirksam werde, wenn ein Nachbar bedingte Einwendungen erhoben habe und diese Bedingungen vom Genehmigungswerber oder der Behörde erfüllt worden seien, so müsse dies umso mehr für die ausdrückliche Zustimmung zu einem Projekt gelten. Den Denkgesetzen entsprechend habe die Behörde jedenfalls von der späteren Erklärung der Nachbarn und nicht von nicht mehr aktuellen früheren Erklärungen auszugehen. Daß die Erklärung, keine Einwendungen zu erheben, zur Erlangung der Parteistellung i. S.d. § 356 Abs. 3 GewO 1994 nicht geeignet sei, ergebe sich schon aus dem Gesetzeswortlaut, aber auch aus der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Schließlich sei festzuhalten, daß die Nachbarn (unter ihnen die Beschwerdeführerin) in der dritten mündlichen Verhandlung vom 13. September 1993 übereinstimmend erklärt hätten, daß sich seit der letzten Verhandlung (vom 22. Juni 1992) nichts verändert habe und sich die Nachbarn hinsichtlich der Höhe der Ausblasöffnung mit der mitbeteiligten Partei geeinigt hätten. Die Berufung der Beschwerdeführerin sei daher - unter Berücksichtigung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Dezember 1996, Zl. 96/04/0090 - wegen Präklusion abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte. Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich - ihrem gesamten Vorbringen zufolge - durch den angefochtenen Bescheid im Recht auf Beachtung der Bindungswirkung des hg. Erkenntnisses vom 10. Dezember 1996, Zl. 96/04/0090, sowie in den ihr gewerberechtlich gewährleisteten Nachbarrechten verletzt. Sie bringt hiezu u.a. vor, die belangte Behörde sei unter Mißachtung der im genannten hg. Erkenntnis zum Ausdruck gebrachten Rechtsanschauung und daher ohne das Parteiengehör der Beschwerdeführerin zu wahren, zur Auffassung gelangt, daß die Beschwerdeführerin die ihr von der belangten Behörde zugeschriebene Erklärung in der Verhandlung vom 22. Juni 1992 tatsächlich abgegeben habe. Als aktenwidrig sei die Feststellung zu bezeichnen, daß dem Verwaltungsverfahren kein Hinweis darauf entnehmbar wäre, die Betriebsanlage sei am 22. Juni 1992 in einem nur eingeschränkten Umfang betrieben worden. So sei in der Verhandlung vom 21. Juni 1993 festgestellt worden, daß bis dato von einer wesentlich geringeren Menge an verarbeiteten Kunststoffen (10 kg im Quartal gegenüber 200 kg pro Tag) ausgegangen worden sei. Von einer Präklusion der Einwendungen der Beschwerdeführerin könne schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil das zur Genehmigung eingereichte Projekt im Zuge des Verfahrens laufend geändert worden sei. Jedenfalls habe die Beschwerdeführerin keinesfalls eine Zustimmung zum qualitativ und quantitativ veränderten Projekt der mitbeteiligten Partei erklärt. Die belangte Behörde hätte sich daher sehr wohl mit den Einwendungen der Beschwerdeführerin zu befassen gehabt.
Gemäß § 42 Abs. 1 AVG hat, wenn eine mündliche Verhandlung durch Anschlag in der Gemeinde oder auch durch Verlautbarung in der für Amtliche Kundmachungen der Behörde bestimmten Zeitung bekanntgemacht wurde, dies zur Folge, daß Einwendungen, die nicht spätestens am Tage vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung vorgebracht werden, keine Berücksichtigung finden und angenommen wird, daß die Beteiligten dem Parteienantrag, dem Vorhaben oder der Maßnahme, die den Gegenstand der Verhandlung bilden, zustimmen.
Von dieser Bestimmung ausgehend vertritt die belangte Behörde die Auffassung, die Beschwerdeführerin habe zwar mit Schreiben vom 24. April 1991 gegen die zur Genehmigung beantragte Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei Einwendungen erhoben, diese seien aber zufolge der - oben wiedergegebenen - Erklärung in der Augenscheinsverhandlung vom 22. Juni 1992 "nicht mehr aktuell", sodaß die Beschwerdeführerin mit diesen Einwendungen präkludiert sei. Daß die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwendungen aufgrund der Erklärung vom 22. Juni 1992 nicht mehr relevant seien, bringt allerdings nichts anderes zum Ausdruck, als daß der letztgenannten Erklärung die Bedeutung einer Zurückziehung der erhobenen Einwendungen beigemessen wird. Mit dieser Auffassung befindet sich die belangte Behörde daher im Widerspruch zu der im obzitierten hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1996 - für den vorliegenden Fall gemäß § 63 Abs. 1 VwGG bindend - geäußerten Rechtsanschauung. Schon aus diesem Grunde erweist sich der angefochtene Bescheid als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
Verfehlt wäre es freilich auch, wollte man die Annahme, die Beschwerdeführerin sei mit den erhobenen Einwendungen präkludiert, damit begründen, sie habe diese in der Augenscheinsverhandlung vom 22. Juni 1992 nicht wiederholt. Diese Auffassung würde nämlich verkennen, daß das über ein Ansuchen durchgeführte Verfahren - mögen im Gegenstande auch mehrere Verhandlungen stattgefunden haben - eine Einheit bildet (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 1984, Zl. 84/07/0012). Einer Wiederholung von Einwendungen bedarf es daher nicht.
Schließlich sei - der Vollständigkeit halber - noch darauf hingewiesen, daß die belangte Behörde zwar zu Recht davon ausgegangen ist, es handle sich bei der Verhandlungsschrift über die Verhandlung vom 22. Juni 1992 um ein Beweismittel; verfehlt ist jedoch die Auffassung, dieses Beweismittel liefere "vollen Beweis" dafür, daß die darin enthaltene Erklärung der Beschwerdeführerin zuzurechnen sei, weil die Verhandlungsschrift von ihr auch unterschrieben worden sei. Die belangte Behörde verkennt, daß die Verhandlungsschrift über die in Rede stehende Verhandlung - unbeschadet der Fertigung (auch) durch die Beschwerdeführerin gemäß § 14 Abs. 3 AVG - eine öffentliche Urkunde darstellt, die allerdings, wie im obzitierten hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1996 dargelegt, keinen vollen Beweis über Verlauf und Gegenstand der Verhandlung liefert. Sie begründet daher auch nicht die (widerlegbare) Vermutung, die Beschwerdeführerin habe die ihr zugeschriebene Erklärung in dieser Verhandlung abgegeben; gleichwohl ist sie als Beweis für eine entsprechende Tatsachenfeststellung geeignet, wobei das Ergebnis dieses Beweises - ebenso wie jedes sonstige Ergebnis des Beweisverfahrens - dem Parteiengehör zu unterziehen ist.
Der angefochtene Bescheid war - ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Stempelgebühren betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, weil dieses zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich war.
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