VwGH 96/19/1636

VwGH96/19/163618.9.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde des 1966 geborenen YS in Wien, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Dezember 1995, Zl. 115.154/2-III/11/95, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheit einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs4;
AVG §22;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs2;
ZustG §17;
ZustG §21 Abs1;
ZustG §4;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs4;
AVG §22;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs2;
ZustG §17;
ZustG §21 Abs1;
ZustG §4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 23. August 1994 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung mangels rechtzeitiger Antragstellung gemäß § 6 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) zurück. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde vom Bundesminister für Inneres mit dem angefochtenen Bescheid vom 19. Dezember 1995 gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurückgewiesen.

Begründend führte der Bundesminister für Inneres aus, Berufungen seien gemäß § 63 Abs. 5 AVG binnen zwei Wochen nach erfolgter Zustellung einzubringen. Die Zustellung sei rechtswirksam am 26. September 1994 erfolgt, die Berufung erst am 17. März 1995 und daher verspätet eingebracht worden, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung dieser Beschwerde ablehnte und sie zur Entscheidung dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.

In seiner im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzten Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, wie aus dem Rückschein hervorgehe, sei am 26. September 1994 ein Zustellungsversuch an seiner damaligen Abgabestelle im 15. Wiener Bezirk unternommen worden, welcher jedoch erfolglos geblieben sei. Die Sendung sei daher beim Postamt 1150 mit Beginn der Abholfrist am 27. September 1994 hinterlegt worden. Der im angefochtenen Bescheid genannte Zustellungszeitpunkt sei daher jedenfalls unrichtig, denn selbst bei einer wirksamen Hinterlegung wäre die Sendung erst am ersten Tag der Abholfrist, somit am 27. September 1994, rechtswirksam zugestellt worden. Darüberhinaus erklärt der Beschwerdeführer, es sei unrichtig, daß eine Verständigung über die Hinterlegung in das Hausbrieffach eingelegt worden sei, weil es gar kein Hausbrieffach für die Abgabestelle des Beschwerdeführers gegeben habe. Die gesamte Post der in diesem Haus wohnenden Parteien sei vielmehr regelmäßig in das Hausbrieffach des Büros des Vermieters des Beschwerdeführers eingelegt worden. Wenn es aber nicht möglich sei, die Verständigung über die Hinterlegung in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten einzulegen oder an der Abgabestelle zurückzulassen, so sei diese gemäß § 17 Abs. 2 Zustellgesetz zwingend an der Eingangstüre der Abgabestelle anzubringen. Da dies nicht erfolgt sei, sei die Zustellung auch nicht rechtswirksam. Zu dem Hausbrieffach, in das die Verständigung vermutlich eingelegt worden sei, habe nur der Vermieter des Beschwerdeführers einen Schlüssel, weshalb dieser normalerweise die Post entnommen und in seinem Büro auf einen Tisch zur freien Entnahme durch die Mieter des Hauses gelegt habe. Der Vermieter sei sich jedoch ganz sicher, daß in der fraglichen Zeit keine solche Verständigung für den Beschwerdeführer, den er gut gekannt habe, dabeigewesen sei. Es werde daher auch bestritten, daß eine Verständigung über die Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides jemals ins Hausbrieffach eingelegt worden sei. Daher sei die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides nicht am 26. September 1994 rechtswirksam durch Hinterlegung erfolgt, sondern erst am 9. März 1995 durch tatsächliches Zukommen gemäß § 7 Zustellgesetz, als der damalige Rechtsvertreter des Beschwerdeführers beim Amt der Wiener Landesregierung Akteneinsicht genommen habe. Die am 17. März 1995 eingebrachte Berufung sei somit rechtzeitig eingebracht worden, weshalb die Berufungsbehörde die Berufung nicht als verspätet hätte zurückweisen dürfen.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Der Beschwerdeführer stützt seine Beschwerde unter dem Aspekt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes darauf, daß die Behörde erster Instanz aus Gründen der Zweckmäßigkeit eine Zustellung zu eigenen Handen des Beschwerdeführers anordnen hätte müssen. Dies sei nicht geschehen und es seien auch nicht die Vorschriften über die Zustellung zu eigenen Handen eingehalten worden, weshalb keine rechtswirksame Zustellung vorliege. Dazu ist zu bemerken, daß gemäß § 22 zweiter Satz AVG die Zustellung zu eigenen Handen nur bei Vorliegen wichtiger Gründe oder im Fall einer gesetzlichen Anordnung stattzufinden hat. Eine derartige Anordnung einer Zustellung zu eigenen Handen findet sich nicht. Daher wäre die belangte Behörde gemäß § 22 zweiter Satz AVG nur dann verpflichtet gewesen, die Zustellung zu eigenen Handen des Beschwerdeführers zu bewirken, wenn die mit dem Bescheid verbundenen Rechtsfolgen im Vergleich zu anderen Bescheiden in ihrer Bedeutung und Gewichtigkeit über dem Durchschnitt lägen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1990, Zl. 89/02/0201), was jedoch bei Abweisung einer beantragten Aufenthaltsbewilligung nicht der Fall ist. Die Behörde erster Instanz war somit nicht verpflichtet, ihren Bescheid dem Beschwerdeführer zu eigenen Handen zuzustellen; mangels einer derartigen Anordnung konnte die Nichteinhaltung der für diesen Fall vorgesehenen besonderen Vorschriften des § 21 ZustellG nicht zur Unwirksamkeit des Zustellvorganges führen.

Die Beschwerde erweist sich jedoch aus folgenden Gründen als berechtigt:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Berufungsbehörde grundsätzlich das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen, wenn sie von der Feststellung der Versäumnis der Rechtsmittelfrist ausgeht, diese Feststellung aber - wie im Beschwerdefall - dem Rechtsmittelwerber vor ihrer Entscheidung nicht vorgehalten hat (vgl. dazu u.a. das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1995, Zl. 95/21/0017). Zwar ist zuzugeben, daß der äußere Tatbestand (Rückschein) der belangten Behörde den Gedanken einer Gesetzwidrigkeit des nach der Aktenlage am 26. September 1994 erfolgten Zustellversuches nicht nahegelegt hat, doch hat die Berufungsbehörde die von ihr angenommene offenbare Verspätung des Rechtsmittels dem Berufungswerber vorzuhalten. Unterläßt sie dies, so kann der Berufungswerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dartun (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. März 1988, Zl. 88/18/0048, und die dort angegebene Rechtsprechung).

Existiert über die Zustellung durch Hinterlegung eine öffentliche Urkunde (Rückschein), die zunächst vollen Beweis darüber macht, daß die darin beurkundeten Zustellvorgänge auch eingehalten wurden, so ist es die Sache dessen, demgegenüber die Zustellung nicht wirksam sein soll, den Gegenbeweis der Vorschriftswidrigkeit der Hinterlegung zu führen, was das Aufstellen entsprechender Behauptungen über die beim Zustellvorgang unterlaufenen Fehler voraussetzt. Eine derartige Behauptung stellt der Beschwerdeführer zulässigerweise in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof auf, wenn er vorbringt, entgegen den Angaben auf dem Rückschein sei die Verständigung über die Hinterlegung in das Hausbrieffach seiner Abgabestelle deshalb nicht eingelegt worden, weil es überhaupt kein Hausbrieffach für seine Abgabenstelle gebe. Nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten verfügte der Vermieter des Beschwerdeführers über eine Abgabestelle (Top 7) an der gleichen Adresse wie der Beschwerdeführer, der nach seinen Angaben Top 12 dieses Hauses bewohnt (vgl. den unter Blz. 4 des Verwaltungsaktes vorgelegten Meldezettel des Beschwerdeführers). Träfe die Behauptung des Beschwerdeführers zu, wonach die gesamte Post der in diesem Haus wohnenden Parteien regelmäßig in das Hausbrieffach des Büros des Vermieters eingelegt worden wäre, wäre die Hinterlegung rechtsunwirksam. Die in den Briefkasten einer anderen als im Rückschein angegebenen Abgabestelle eingelegte Verständigung (§ 17 Abs. 2 ZustellG) entspricht nämlich nicht dem Zustellgesetz, weil auch im § 17 Abs. 2 ZustellG unter der "Abgabestelle" nur die auf der Sendung und dem Rückschein angeführte Abgabestelle gemeint ist.

Hätte der Beschwerdeführer dieses Vorbringen bereits im Berufungsverfahren erstatten können, so wäre es der belangten Behörde möglich gewesen, durch entsprechende Zeugeneinvernahmen (des Zustellers sowie des Vermieters des Beschwerdeführers und des Beschwerdeführers selbst) klarzustellen, an welcher Abgabestelle die Hinterlegungsanzeige tatsächlich in das Hausbrieffach eingelegt wurde. Der belangten Behörde, die ihre Feststellung der Versäumung der Berufungsfrist des Beschwerdeführers vor Erlassung des die Berufung zurückweisenden Bescheides aber nicht vorgehalten hat, ist damit ein Verfahrensfehler unterlaufen, bei dessen Vermeidung im Hinblick auf die Darlegungen der Beschwerde nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Neben dem

pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes konnte ein Ersatz weiterer Kosten unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht zugesprochen werden.

Wien, am 18. September 1998

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