VwGH 95/19/0523

VwGH95/19/052326.9.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde 1. der DT, vertreten durch die Mutter IT, beide in W, letztere vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, und 2. der ST, vertreten durch die Mutter IT, beide in W, letztere vertreten durch Dr. U, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres jeweils vom 2. März 1995, Zlen. 1. 300.293/4-III/11/95 und 2. 300.293/3-III/11/95, betreffend Versagung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §45 Abs1;
AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §45 Abs1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 2. März 1995 wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen.

In den gleichlautenden Begründungen dieser Bescheide ging die belangte Behörde jeweils davon aus, daß den Beschwerdeführerinnen eine Wohnung im Ausmaß von 19,31 m2 zur Verfügung stehe, welche von insgesamt sechs Personen bewohnt werde. Eine derartige Unterkunft sei nicht ortsüblich, weshalb die Anträge der Beschwerdeführerinnen gemäß § 5 Abs. 1 AufG abzuweisen gewesen seien.

Die Beschwerdeführerinnen bekämpfen diese Bescheide wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerden als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres sachlichen, persönlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

Gemäß § 5 Abs. 1 AufG darf Fremden eine Bewilligung nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 Fremdengesetz) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist.

Lediglich die Erstbeschwerdeführerin bekämpft die Tatsachenannahme der belangten Behörde, wonach die ihr zur Verfügung stehende Wohnung eine Fläche von 19,31 m2 aufweise und von sechs Personen bewohnt werde. Sie bringt in diesem Zusammenhang vor, daß die Wohnung tatsächlich eine Nutzfläche von 40 m2 aufweise und von insgesamt fünf Personen bewohnt werde.

Das Vorbringen zur Nutzfläche der Wohnung verstößt gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herrschende Neuerungsverbot, weil die Erstbeschwerdeführerin der schon im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen Feststellung, die Wohnung weise eine Nutzfläche von 19,31 m2 auf, in ihrer Berufung nicht entgegentrat. Auch die dort getroffene Feststellung, die Wohnung werde von insgesamt sieben Personen benutzt, blieb in der Berufung unbekämpft.

Beide Beschwerdeführerinnen machen geltend, der Begründung der angefochtenen Bescheide sei nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Ermittlungen die belangte Behörde zum Ergebnis gelangt sei, eine Unterkunft in der von ihr festgestellten Größe mit dem von ihr festgestellten Belag sei für Inländer nicht ortsüblich.

Gemäß § 45 Abs. 1 AVG bedürfen Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind, keines Beweises. Offenkundig ist eine Tatsache dann, wenn sie entweder allgemein bekannt (notorisch) oder der Behörde im Zuge ihrer Amtstätigkeit bekannt und dadurch bei der Behörde notorisch geworden ist. Allgemein bekannt sind Tatsachen, die aus der alltäglichen Erfahrung eines Durchschnittsmenschen - ohne besondere Fachkenntnisse - hergeleitet werden können (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6, Rz 318). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Judikatur die Ansicht, daß die These, eine für Inländer ortsübliche Unterkunft liege nur dann vor, wenn auf jede der dort gemeinsam wohnenden Personen mindestens 10 m2 an Nutzfläche entfielen, nicht offenkundig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. September 1994, Zl. 94/18/0362).

Im vorliegenden Fall entfielen, selbst bei Zutreffen der Behauptung der Erstbeschwerdeführerin, an der in Rede stehenden Adresse seien nur fünf Personen wohnhaft, auf eine Person weniger als 4 m2 Nutzfläche. Es entspricht der alltäglichen Erfahrung eines Durchschnittsmenschen, daß derartige Unterkünfte nicht von einem zahlenmäßig ins Gewicht fallenden Teil der inländischen Bevölkerung Wiens bewohnt werden (vgl. hiezu auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes zu einer von sieben volljährigen Personen bewohnten Wohnung im Ausmaß von 28 m2 im hg. Erkenntnis vom 23. November 1995, Zl. 95/18/0867). Die belangte Behörde ist daher zutreffend davon ausgegangen, daß eine ortsübliche Unterkunft für die Beschwerdeführerinnen für die Geltungsdauer der Bewilligung im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG nicht gesichert ist.

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 16. März 1995, B 2259/94, und vom 12. Juni 1995, B 1599/94, dargetan hat, ist die Behörde bei Heranziehung des im § 5 Abs. 1 AufG enthaltenen Versagungstatbestandes der für die Dauer der Bewilligung nicht ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art. 8 MRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens und des Familienlebens eingegriffen würde, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die privaten und familiären Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. September 1995, Zl. 95/18/0936).

Im gegenständlichen Fall haben die Beschwerdeführerinnen dargelegt, in Österreich geboren zu sein (vgl. Seite 2 der Verwaltungsakten). Aus den vorgelegten Meldebestätigungen (Seite 5 bzw. 4 und 5 der Verwaltungsakten) geht hervor, daß die Beschwerdeführerinnen jeweils kurz nach ihrer Geburt an einer Adresse in Wien angemeldet wurden, wobei die Meldung in Ansehung der Erstbeschwerdeführerin durchgehend aufrecht blieb, während die Zweitbeschwerdeführerin an dieser Adresse am 15. Jänner 1990 abgemeldet und am 4. Mai 1990 wieder angemeldet wurde.

Beide Beschwerdeführerinnen machen familiäre Interessen durch die Anwesenheit ihrer Mutter, die Erstbeschwerdeführerin auch durch die Anwesenheit ihres Vaters in Österreich, sowie persönliche Interessen durch den Besuch der Vorschule (Erstbeschwerdeführerin) bzw. der Hauptschule (Zweitbeschwerdeführerin) geltend.

Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK eine Interessenabwägung zwischen den privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerinnen einerseits und den öffentlichen Interessen an der Versagung einer Bewilligung vorzunehmen. Indem sie dies unterließ, hat sie ihre Bescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, sodaß diese gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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