VwGH 95/19/0213

VwGH95/19/021317.10.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 1995, Zl. 300.920/2-III/11/95, betreffend Versagung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §13 Abs1;
AufG 1992 §4 Abs2;
AufG 1992 §5 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
AufG 1992 §13 Abs1;
AufG 1992 §4 Abs2;
AufG 1992 §5 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verfügte nach der Aktenlage zuletzt über einen am 4. Dezember 1991 ausgestellten Wiedereinreisesichtvermerk mit Geltungsdauer bis 4. Dezember 1994. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 16. November 1994 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) i.V.m. § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe folgende strafgerichtliche Verurteilungen erlitten:

1. am 17. Februar 1983 durch das Landesgericht für Strafsachen Wien wegen § 81 Abs. 1 StGB;

2. am 30. August 1984 durch das Landesgericht für Strafsachen Wien wegen § 83 Abs. 2 StGB;

3. am 16. Jänner 1985 durch das Strafbezirksgericht Wien wegen § 83 Abs. 1 StGB;

4. am 15. Jänner 1987 durch das Strafbezirksgericht Wien wegen § 125 StGB;

5. am 11. Dezember 1990 durch den Jugendgerichtshof Wien wegen § 198 Abs. 1 StGB;

6. am 21. September 1993 durch das Landesgericht für Strafsachen Wien wegen §§ 127, 129 Abs. 1 StGB.

Aufgrund dieser Verurteilungen sei anzunehmen, der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG. Die Erteilung einer Bewilligung sei aus dem Grunde des § 5 Abs. 1 AufG ausgeschlossen.

Unter Berücksichtigung der im speziellen Fall gegebenen Umstände seien die öffentlichen Interessen höher zu erachten als die privaten Interessen des Beschwerdeführers "auf Familienzusammenführung oder die Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, die von der belangten Behörde wiedergegebenen Verurteilungen erlitten zu haben. Die Vielzahl der ihm zur Last liegenden Straftaten, insbesondere jener gegen die körperliche Integrität und gegen fremdes Eigentum, rechtfertigt unabhängig von deren konkreter Ausgestaltung schon aufgrund ihrer Tatbildmäßigkeit die von der belangten Behörde getroffene Prognose einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch einen weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers. Die Zeit seines Wohlverhaltens seit der letzten Verurteilung ist zu kurz, um diese Beurteilung zu erschüttern. Bei einer auf § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG gestützten Entscheidung ist es durchaus dem Gesetz entsprechend, auch Handlungen bzw. Unterlassungen des Fremden, die Niederschlag in gerichtlichen Bestrafungen gefunden haben, welche bereits als getilgt zu gelten haben, zu berücksichtigen, dies insbesondere dann, wenn zu diesen Bestrafungen solche hinzutreten, die einer Tilgung noch nicht unterliegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/1833). Auch daß teilweise Delikte bereits vor der letzten Sichtvermerkserteilung (4. Dezember 1991) begangen wurden, stünde ihrer Heranziehung im Rahmen des zu beurteilenden Gesamtverhaltens des Fremden nicht entgegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. September 1995, Zl. 95/19/0340).

Zu beachten ist allerdings, daß der Beschwerdeführer von seinem Recht gemäß § 13 Abs. 1 zweiter Satz AufG Gebrauch gemacht hat, bis zum Ablauf der Geltungsdauer seiner Berechtigung aufgrund eines Wiedereinreisesichtvermerkes die Erteilung einer Bewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften (§ 4 Abs. 2 AufG) zu beantragen. Gemäß § 4 Abs. 2 zweiter Satz AufG kann eine Bewilligung um höchstens zwei weitere Jahre verlängert werden, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 AufG) EINGETRETEN IST. Wie sich aus dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, scheidet die Heranziehung von Tathandlungen, die bereits vor Erteilung der jeweils letzten Bewilligung begangen wurden, dann für die Versagung einer Bewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften aus, wenn der Fremde im Anschluß daran kein weiteres Verhalten setzt, welches im Zusammenhang mit den vorangegangenen Tathandlungen eine Gefährdungsprognose rechtfertigt. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß der von der belangten Behörde angenommene Versagungsgrund nur dann im Sinne des § 4 Abs. 2 zweiter Satz AufG EINGETRETEN wäre, wenn die der Verurteilung vom 21. September 1993 zugrundeliegende Tathandlung nach der am 4. Dezember 1991 erfolgten Erteilung eines Wiedereinreisesichtvermerkes begangen worden wäre (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 1996, Zl. 95/19/0169). Andernfalls wäre schon im Zeitpunkt der Erteilung dieses Sichtvermerkes der nach der damaligen Rechtslage anzuwendende gleichartige Versagungsgrund des § 25 Abs. 3 lit. d PaßG 1969 vorgelegen. Das Fehlen von Feststellungen zu diesem Umstand belastet den angefochenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG auf die privaten und familiären Interessen des Fremden in der Weise Bedacht zu nehmen, daß sie zu prüfen hat, ob sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. November 1995, Zl. 95/18/0826). Demgegenüber sind §§ 19 und 20 Abs. 1 FrG bei einer Entscheidung über die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung nicht unmittelbar anzuwenden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 25. Jänner 1996, Zl. 95/19/0366, und vom 26. März 1996, Zl. 95/19/0545).

Der Beschwerdeführer hat schon in der Berufung vorgebracht, er halte sich seit rund 20 Jahren in Österreich auf und sei bereits integriert. Darüberhinaus lebe seine gesamte Familie im Inland und er verfüge über einen festen Arbeitsplatz und einen Befreiungsschein. Im angefochtenen Bescheid wird nun zwar der Aufenthalt der Familie des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und seine Interessen an der "Aufnahme" einer unselbständigen Tätigkeit erwähnt, Feststellungen über Dauer und Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes sowie über das Ausmaß der Integration des Beschwerdeführers und seiner Familie in Österreich wurden jedoch nicht getroffen, weil die belangte Behörde ihrem Bescheid rechtsirrtümlich offenbar die Auffassung zugrundelegte, auch bei Einbeziehung der behaupteten äußerst intensiven privaten und familiären Interessen in Österreich in ihre Güterabwägung zu keinem anderen Ergebnis gelangen zu können.

Aus diesem Grunde war der angefochtene Bescheid wegen der - prävalierenden - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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