VwGH 95/18/1352

VwGH95/18/135215.10.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des O A in Wien, vertreten durch Dr. Reinhard Langner, Rechtsanwalt in Wien XIV, Hütteldorfer Straße 124, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 6. September 1995, Zl. SD 980/95, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1997 §114 Abs4;
FrG 1997 §35 Abs3;
FrG 1997 §36 Abs1;
StGB §87 Abs1;
AVG §58 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1997 §114 Abs4;
FrG 1997 §35 Abs3;
FrG 1997 §36 Abs1;
StGB §87 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 6. September 1995 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei im Mai 1986 nach Österreich gekommen und habe im August desselben Jahres eine türkische Staatsangehörige geheiratet. Im Jahr 1989 sei die Ehe geschieden worden. Das aus der Ehe stammende Kind lebe bei den Eltern der Gattin. 1990 habe der Beschwerdeführer eine türkische Staatsangehörige geheiratet, die er nach Österreich habe nachkommen lassen. Außer der nunmehrigen Gattin und dem dreijährigen ehelichen Kind des Beschwerdeführers lebe auch dessen Bruder in Österreich.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. September 1994 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung liege zugrunde, daß der Beschwerdeführer am 29. April 1994 dem 25-jährigen Thomas P. mit einem Messer einen Bauchstich versetzt habe. Der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG sei erfüllt und die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt. Aufgrund der schweren Straftat sei das Aufenthaltsverbot trotz des damit verbundenen erheblichen Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers zum Schutz der Gesundheit und der Rechte anderer sowie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, somit also zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele, dringend geboten und daher im Grund des § 19 FrG zulässig.

Es könne kein Zweifel bestehen, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie beträchtlich seien. Diese Auswirkungen seien jedoch nicht so schwerwiegend wie die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sei nämlich bei der Abwägung gemäß § 20 Abs. 1 FrG auf die Schwere der Straftat Bedacht zu nehmen. Bei einer so schweren Vorsatztat gegen Leib und Leben geböten die öffentlichen Interessen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch bei einem längeren Aufenthalt und bei der beim Beschwerdeführer gegebenen beträchtlichen Integration.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Mit dem - am 1. Jänner 1998 in Kraft getretenen - Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75, wurden die gesetzlichen Voraussetzungen zur Verhängung eines Aufenthaltsverbotes unterschiedlich zu jenen des FrG geregelt. Die Abs. 4 und 7 des § 114 Fremdengesetz 1997 lauten:

"(4) Aufenthaltsverbote, die beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Verfassungsgerichtshof angefochten sind, treten mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes außer Kraft, sofern der angefochtene Bescheid nicht offensichtlich auch in den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes eine Grundlage fände.

(7) In den Fällen der Abs. 4 und 5 ist die Beschwerde als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers einzustellen; mit dem Beschluß über die Gegenstandslosigkeit der Beschwerde tritt in diesen Fällen auch der Bescheid erster Instanz außer Kraft. Solchen Aufenthaltsverboten oder Ausweisungen darf für Entscheidungen, die nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes getroffen werden sollen, keine nachteilige Wirkung zukommen."

Gemäß § 36 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt

die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen

zuwiderläuft.

Damit wurde der Behörde - anders als nach § 18 Abs. 1 FrG - Ermessen eingeräumt.

Obwohl der Beschwerdeführer in dem zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes führenden Verfahren keine Möglichkeit hatte, erst im Rahmen der nunmehr vorgesehenen Ermessensentscheidung gemäß § 36 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 relevante, gegen diese Maßnahme sprechende Umstände aufzuzeigen, und der angefochtene Bescheid keine Begründungselemente, die eine Überprüfung der Ermessensübung ermöglichen würden, enthält, sind vorliegend die Voraussetzungen für die Erklärung der Beschwerde als gegenstandslos und die Einstellung des Verfahrens gemäß § 114 Abs. 4 und 7 Fremdengesetzes 1997 nicht erfüllt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich bereits in seinem Beschluß vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490, auf welchen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, daß bei rechtskräftiger Verurteilung eines Fremden u.a. wegen der in § 35 Abs. 3 Fremdengesetz 1997 genannten strafbaren Handlungen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig und daher eine gesonderte Begründung der Ermessensentscheidung entbehrlich ist. § 35 Abs. 3 Z. 1 Fremdengesetz 1997 nennt u.a. rechtskräftige Verurteilungen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr wegen eines Verbrechens. Da der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung gemäß § 87 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt wurde und der angefochtene Bescheid somit nicht gemäß § 114 Abs. 4 Fremdengesetz 1997 außer Kraft getreten ist, ist über die vorliegende Beschwerde auf Grundlage des FrG zu entscheiden.

2. In der Beschwerde bleibt die - auf unbestrittenen Sachverhaltsfeststellungen beruhende - Ansicht der belangten Behörde, daß die in Rede stehende rechtskräftige gerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG erfülle und die dieser Verurteilung zugrundeliegende Straftat die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertige, unbekämpft. Der Verwaltungsgerichtshof hegt gegen diese rechtliche Beurteilung keine Bedenken.

3. Die belangte Behörde hat angenommen, daß mit dem Aufenthaltsverbot ein erheblicher Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 19 FrG verbunden sei, und die Auffassung vertreten, daß diese Maßnahme dennoch im Grund dieser Bestimmung zulässig, weil (u.a.) zum Schutz der Gesundheit und der Rechte anderer sowie zur Verhinderung von strafbaren Handlungen (Art. 8 Abs. 2 EMRK) dringend geboten sei. Der Verwaltungsgerichtshof pflichtet der belangten Behörde bei, daß die vom Beschwerdeführer begangene Straftat eine nachhaltige Gefährdung der vorgenannten, im Art. 8 Abs. 2 EMRK umschriebenen Schutzgüter und damit maßgeblicher öffentlicher Interessen begründet, die es - unter gebührender Bedachtnahme auf die gegenläufigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers - notwendig macht, über ihn ein Aufenthaltsverbot zu verhängen. Die belangte Behörde hatte diese Beurteilung eigenständig, somit unabhängig von den die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe begründenden Erwägungen des Gerichtes, und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes zu treffen (vgl. die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Fremdenpolizeibehörde nicht an die gerichtlichen Erwägungen für die bedingte Strafnachsicht gebunden ist; etwa das Erkenntnis vom 4. Dezember 1997, Zl. 97/18/0563).

4. Die belangte Behörde führte im Rahmen der von ihr gemäß § 20 Abs. 1 FrG durchgeführten Abwägung aus, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie "beträchtlich" seien, und verwies hiezu auf den neunjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers und den Aufenthalt seiner Gattin, seiner Kinder und seines Bruders in Österreich. Dieser persönlichen Interessenlage des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde zutreffend die in dem gravierenden Fehlverhalten des Beschwerdeführers begründeten öffentlichen Interessen an der Beendigung seines Aufenthaltes bzw. die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von einer Aufenthaltsbeendigung gegenüber. Wenn sie dabei die maßgeblichen öffentlichen Interessen als schwerer wiegend wertete als die gegenläufigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers, so kann dieser Beurteilung im Hinblick auf das sich in der krassen Mißachtung der körperlichen Integrität anderer manifestierende Fehlverhalten des Beschwerdeführers nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers fällt die konkrete Möglichkeit der Erlangung einer Beschäftigung bei der Interessenabwägung nicht entscheidend zu seinen Gunsten ins Gewicht.

Soweit der Beschwerdeführer meint, die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, daß er außer der absichtlichen schweren Körperverletzung keine strafbaren Handlungen begangen habe, ist ihm zu entgegnen, daß ihm einerseits die belangte Behörde kein weiteres Fehlverhalten angelastet hat und daß andererseits die genannte Straftat ausreicht, um das Überwiegen der besagten öffentlichen Interessen zu begründen.

Dem Argument, der Beschwerdeführer erfülle aufgrund seines bereits mehr als neunjährigen inländischen Aufenthaltes beinahe die zeitlichen Voraussetzungen für die Unzulässigkeit des Aufenthaltsverbotes nach § 20 Abs. 2 FrG, kommt neben der von der belangten Behörde ohnehin berücksichtigten Aufenthaltsdauer kein zusätzliches Gewicht zu.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung daher sehr wohl nachvollziehbar.

5. Zu seiner Rüge, die belangte Behörde habe kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt, bringt der Beschwerdeführer nicht vor, zu welchen Feststellungen die Behörde bei seiner Ansicht nach pflichtgemäßem Verhalten gekommen wäre, und tut somit die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels nicht dar.

6. Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 15. Oktober 1998

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