Normen
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, ist am 22. August 1991 aus Ungarn kommend in das Bundesgebiet eingereist und hat am 28. August 1991 einen Asylantrag gestellt.
Bei seiner von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 9. September 1991 durchgeführten niederschriftlichen Befragung gab er hinsichtlich seiner Fluchtgründe an, er sei Mitglied der Organisation "All India Sikh Studenten Organisation"; seine Aufgabe habe seit 1981 darin bestanden, an Versammlungen teilzunehmen, Flugblätter zu verteilen und Leute zur Teilnahme an Versammlungen zu gewinnen. Der Beschwerdeführer habe auch andere Arbeiten für die Partei erledigt. Das Ziel dieser Organisation sei die Errichtung eines unabhängigen Staates namens "Khalistan" sowie die Erlangung der Gleichberechtigung bzw. rechtlichen Besserstellung für die Sikh. Seit 1984 habe es immer mehr Probleme mit der indischen Regierung gegeben, weil diese die Forderungen nicht anerkenne. Der Bruder des Beschwerdeführers sei 1988 bei einer Demonstration von der Polizei erschossen worden. Ende 1987/Anfang 1988 sei der Beschwerdeführer von der Polizei mit einem Bajonett im Bereich der Schambeingegend verletzt worden; er sei in ein Krankenhaus eingeliefert und dort eineinhalb Monate behandelt worden. 1988 sei der Beschwerdeführer nach Bajpur geflohen; er sei dort bis zu seiner Flucht im Jahre 1991 geblieben. Der Vater des Beschwerdeführers sei 1989 von der Polizei festgenommen worden; man habe ihm vorgeworfen, ein Staatsfeind zu sein. Die Polizei habe vom Vater des Beschwerdeführers wissen wollen, an welchem Ort sich der Beschwerdeführer versteckt halte und wer die Hintermänner der Partei seien. Der Vater des Beschwerdeführers befinde sich noch immer in Haft. Da der Beschwerdeführer sicherlich mit einer Strafe zu rechnen hätte, habe er Angst, nach Indien zurückzukehren.
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 7. November 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968) sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er brachte ferner am 16. Dezember 1991 und am 11. Februar 1993 schriftliche Berufungsergänzungen ein und erstattete darin weiteres Vorbringen hinsichtlich seiner Fluchtgründe.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 4. März 1993 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Anerkennung als Flüchtling (Asylgewährung) verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Da die gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung am 3. Dezember 1991 eingebracht wurde, das Asylverfahren am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres bereits anhängig war, hatte die belangte Behörde im vorliegenden Fall gemäß § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1991 dieses Gesetz anzuwenden.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit deshalb abgesprochen, weil er im Asylverfahren keine gleichbleibenden Angaben gemacht habe; zwischen seiner erstinstanzlichen Darstellung und seinem Berufungsvorbringen bestünden gravierende, unaufgeklärte Widersprüche.
Ungeachtet der insoweit vom Beschwerdeführer aufgezeigten Begründungsmängel hat die belangte Behörde hinsichtlich dieses Teiles der Beweiswürdigung jedoch übersehen, daß sie aufgrund der vorliegend anzuwendenden Bestimmung des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen hatte. Dieses Ermittlungsverfahren bestand aber lediglich in den - Widersprüche nicht aufweisenden - niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vom 9. September 1991, sodaß, da das Berufungsvorbringen von der belangten Behörde zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht herangezogen werden durfte, die angezogenen Widersprüche nicht vorliegen. Bereits aufgrund dieser auf gesetzwidrigem Weg gewonnenen negativen Aussagen über seine Glaubwürdigkeit wurde der Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt und ist der angefochtene Bescheid insoweit rechtswidrig (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1993, Zlen. 93/01/0234 und 0499).
Darüber hinaus macht der Beschwerdeführer mit Recht geltend, daß die von der belangten Behörde bei der Beweiswürdigung seiner erstinstanzlichen Angaben angestellten Erwägungen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Schlüssigkeitsprüfung nicht standhalten. So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, daß aus einer problemlosen (legalen) Ausreise eines Asylwerbers alleine ebensowenig der Schluß gezogen werden könne, diesem drohe in seinem Heimatland keine Verfolgung, wie auch der Umstand, daß ein Asylwerber einen gültigen Reisepaß seines Heimatstaates besitzt, für sich allein kein Hindernis für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft darstellt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 14. Oktober 1992, Zl. 92/01/0410, und vom 24. März 1994, Zl. 94/19/0059).
Mit Recht rügt der Beschwerdeführer, daß die belangte Behörde ihre hinsichtlich der Qualität von indischen Gerichtsverfahren gebrauchten Annahmen bloß auf ein bereits aus dem Jahr 1984 stammendes Beweismittel (das sich im übrigen nicht in den vorgelegten Verwaltungsakten befindet) gestützt hat. Abgesehen davon, daß damit noch nicht die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung herrschenden tatsächlichen Verhältnisse ermittelt und festgestellt wurden, hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer - wie dieser zutreffend in der Beschwerde rügt - entgegen der Bestimmung des § 45 Abs. 3 AVG jedenfalls keine Gelegenheit zur Stellungnahme dazu eingeräumt (vgl. die beiden hg. Erkenntnisse vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/0986, und Zl. 92/01/0987).
Die Wertung des Vorbringens des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde als "standardisiertes", "abstraktes" und "unüberprüfbares" ist nicht nachvollziehbar und durfte auch deshalb nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers verwendet werden, weil nicht festgestellt wurde, daß nähere Angaben über ein bestimmtes Beweisthema überhaupt erfolglos vom Beschwerdeführer erfragt wurden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 16. September 1993, Zl. 92/01/0787, und vom 27. Jänner 1994, Zl. 92/01/1117). Insoweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid mit der Verfassungsrechtslage und der demokratischen Struktur Indiens argumentierte, ist zu erwidern, daß damit die behaupteten Verfolgungshandlungen noch nicht widerlegt sind, weil für die asylrechtliche Beurteilung nicht die allgemeine Situation im Heimatland sondern die konkrete Situation des jeweiligen Asylwerbers maßgeblich ist.
Die von der belangten Behörde hinsichtlich einer nationalen Fluchtalternative und bezüglich der Zielsetzungen der Polizeieinsätze angestellten Erwägungen erweisen sich bloß als Mutmaßungen, denen entsprechende Sachverhaltsgrundlagen ebenso fehlen, wie auch hinsichtlich der Verletzungen des Beschwerdeführers die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nicht einmal versucht wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/0790). Nicht nachvollziehbar ist die Argumentation im angefochtenen Bescheid, daß die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Bajonettverletzung im Bereich der Schambeingegend von der belangten Behörde im Ergebnis als das Resultat eines bloß normalen und auch in anderen Staaten auftretenden Polizeieinsatzes zur Aufrechterhaltung der Ordnung anläßlich von Demonstrationen gewertet wurde. Ohne weitere Ermittlungen und ergänzende Feststellungen über die näheren Umstände, die zu dieser Verletzung des Beschwerdeführers führten und die folgenden Nachforschungen nach der Person des Beschwerdeführers, kann jedenfalls ein Vorgehen der Polizeikräfte gegen den Beschwerdeführer als Mitglied einer Separationsbewegung nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Auch die Annahme der belangten Behörde, staatliche Selbstverteidigungsmaßnahmen könnten generell nicht asylrechtsbegründend sein, weil diese mit unpolitischer Zielrichtung bzw. "ohne Ansehen der Person" gesetzt würden, nicht als eine schlüssige Begründung angesehen werden. Im Hinblick auf die dargelegte oppositionelle Betätigung des Beschwerdeführers gegen das herrschende Regime seines Heimatlandes und die damit verbundene Infragestellung der staatlichen Einheit Indiens kann seinen erstinstanzlichen Angaben die grundsätzliche Eignung, daraus seine - in seiner politischen Gesinnung begründete - Flüchtlingseigenschaft abzuleiten, jedenfalls nicht abgesprochen werden.
Angesichts der aufgezeigten Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Vermeidung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III.
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