VwGH 94/05/0201

VwGH94/05/020116.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Margarete Prendl in St. Valentin, vertreten durch Dr. Erhard Hackl und Dr. Karl Hatak, Rechtsanwälte in Linz, Hofgasse 7, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 21. Juni 1994, Zl. R/1-V-93112/01, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. Ernst und 2. Mag. Waltraud Ehmayr, beide in St. Valentin, beide vertreten durch Dr. Josef Bock, Rechtsanwalt in Wien I, Eßlinggasse 17/2, 3. Stadtgemeinde St. Valentin, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauO NÖ 1976 §118 Abs9;
BauO NÖ 1976 §21 Abs4;
BauO NÖ 1976 §21 Abs5;
BauO NÖ 1976 §21 Abs7;
BauRallg;
AVG §8;
BauO NÖ 1976 §118 Abs9;
BauO NÖ 1976 §21 Abs4;
BauO NÖ 1976 §21 Abs5;
BauO NÖ 1976 §21 Abs7;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und dem Erst- und der Zweitmitbeteiligten zusammen Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Das Baugrundstück des Erst- und der Zweitmitbeteiligten (St. Valentin, Perovitstraße 1) und das Nachbargrundstück der Beschwerdeführerin (Eckparzelle, Langenharterstraße 9) befinden sich im Bauland-Kerngebiet; der seit 1992 gültige Bebauungsplan sieht offene oder gekuppelte Bebauungsweise vor. Das auf dem Grundstück der mitbeteiligten Bauwerber bestehende, seit 1938 konsentierte Wohngebäude ist an der seitlichen Grenze zum Grundstück der Beschwerdeführerin so nahe angebaut, daß es einen Minimalabstand von 30 cm und einen Maximalabstand von 1 m einhält. Das seit 1911 konsentierte Wohngebäude der Beschwerdeführerin ist so an der Nordgrenze

(= Straßenfluchtlinie Langenharterstraße) angebaut, daß zum Grundstück der Bauwerber ein Mindestabstand von 6 m eingehalten wird.

Die mitbeteiligten Bauwerber begehrten mit Ansuchen vom 11. März 1993 die Baubewilligung für einen einstöckigen Zubau (Atelier) zum bestehenden Wohnhaus. Der 4,8 m breite Zubau soll an der Ostseite des bestehenden Gebäudes, wo also das nordöstliche Gebäudeck 1 m von der Grundstücksgrenze zur Beschwerdeführerin entfernt ist, so errichtet werden, daß er über die gesamte Länge von 7,70 m an die Nachbargrundgrenze angebaut wird.

Bei der Bauverhandlung vom 25. März 1993 führte die Beschwerdeführerin folgendes aus:

"Ich möchte darauf hinweisen, auf den derzeitigen Bestand der Gebäude, wonach keines der Gebäude entlang der Grundgrenze

u. auch nicht parallel dazu errichtet ist. Ich sehe deshalb die Bauweise als offen festgelegt, wobei meiner Meinung nach derzeit von einer freien Anordnung der Gebäude zu sprechen ist. Die Außenmauern der best. Gebäude verhindern also eine gekuppelte Bauweise. Entsprechend der Nö Bauordnung § 21 Abs. 4 möchte ich auf den Bauwich hinweisen u. entsprechend der NÖ BO § 22 Abs. 8 auf die Belichtung hinweisen. Ich ersuche deshalb die Bewilligung zu versagen, da ich § 21 u. 22 verletzt sehe."

Der Bausachverständige trat in der Verhandlung für die Vorschreibung einer Auflage ein, wonach die geplante Gebäudehöhe von 5,39 m im Bereich der nordseitigen Grundstücksgrenze zur Erhaltung des Lichteinfallwinkels auf die Fenster von Aufenthaltsräumen auf dem Nachbargrundstück nicht überschritten werden dürfe.

Mit Bescheid vom 30. März 1993 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde die begehrte Baubewilligung unter Vorschreibung der in der Niederschrift über die Verhandlung angeführten Auflagen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Die bestehenden Gebäude wiesen keinerlei Merkmale einer gekuppelten Bebauungsweise (Brandwände an der Grundgrenze, harmonische Angleichung der Gebäudehöhe und Fassadengestaltung) auf; es sei nicht möglich, an der betreffenden Grundstücksgrenze anzubauen. Das bestehende Hauptgebäude des Grundstückes Perovitstraße 1 stehe schräg zur Grundgrenze im Bereich des Vorgartens der Liegenschaft der Beschwerdeführerin. Der kleinste Abstand der nordseitigen Außenmauer betrage ca. 30 cm, der größte ca. 2 m. In dieser Außenmauer befänden sich nicht nur Öffnungen, sondern sogar Hauptfenster.

Ein die Berufung abweisender Bescheid des Gemeinderates wurde von der Vorstellungsbehörde aus formellen Gründen behoben.

Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 24. März 1994 wurde der Berufung neuerlich keine Folge gegeben.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung, in der sie neben Begründungsmängeln rügte, daß bereits bei der Errichtung des Hauptgebäudes auf dem Baugrundstück ein Bauwich zur Grenze des Grundstückes der Beschwerdeführerin einzuhalten gewesen wäre. Aus der Tatsache, daß dieser Bauwich nicht eingehalten worden sei, könne nicht geschlossen werden, daß es nunmehr zulässig sei, ein Nebengebäude ebenfalls unter Mißachtung des Bauwiches auszuführen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Vorstellung keine Folge. Da ein Bauwich zumindest drei Meter betragen müsse, stellten sich die Altbestände (der Beschwerdeführerin und der mitbeteiligten Bauwerber) als in gekuppelter bzw. allenfalls einseitig offener Bebauungsweise errichtete Gebäude dar. Es sei unbestritten geblieben, daß für diese beiden Wohnhäuser eine Baubewilligung vorliege, sodaß das von der Beschwerdeführerin angesprochene Wahlrecht nicht mehr aufzwingbar sei: Die Frage des Wahlrechtes und die damit zusammenhängende Priorität könne sich nur bei unbebauten Grundstücken stellen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde; die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Einhaltung eines Bauwichs im Sinne des § 21 der NÖ Bauordnung 1976 verletzt. Sie begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, hilfsweise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, wie die mitbeteiligten Bauwerber, eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 118 Abs. 8 erster Satz der Nö Bauordnung 1976 in der Fassung der Novelle LGBl. 8200-9 (im folgenden: BO) genießen als Anrainer alle Grundstückseigentümer Parteistellung gemäß § 8 AVG, wenn sie in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten berührt werden. Gemäß § 118 Abs. 9 BO werden subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer durch jene Vorschriften begründet, welche nicht nur den öffentlichen Interessen dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer. Hiezu gehören insbesondere auch die Bestimmungen über die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung.

§ 5 BO lautet auszugsweise:

"§ 5

Regelung der Bebauung

(1) Unter Berücksichtigung der Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und 2 sind die Bebauungsregeln, insbesondere die Bebauungshöhe, Bebauungsweise und Bebauungsdichte festzulegen.

(2) Die Bebauungsweise ist auf eine der folgenden Arten der Anordnung der Gebäude zu den Grenzen der Bauplätze festzulegen:

1. Geschlossene Bebauung, wenn - unbeschadet der Regelung des Abs. 4 - die Gebäude beiderseits an die seitlichen Grundstücksgrenzen anzubauen sind;

an den oder gegen die Straßenfluchtlinien gelegene Gebäude und Gebäudegruppen mit geschlossener, einheitlicher Gestaltung gelten ebenfalls als geschlossene Bebauungsweise;

2. gekuppelte Bebauung, wenn die Gebäude auf je zwei Bauplätzen an derselben Grundstücksgrenze anzubauen sind und an allen anderen Grundstücksgrenzen ein Bauwich einzuhalten ist;

3. offene Bebauung, wenn nach beiden Seiten und nach hinten ein entsprechender Bauwich einzuhalten ist oder auch alle Gebäude an einer seitlichen, in derselben Straßenrichtung gelegenen Grundstücksgrenze anzubauen sind;

4. freie Anordnung der Gebäude, wenn nach beiden Seiten und nach hinten ein entsprechender Bauwich einzuhalten ist und wenn statt Bebauungsdichte und Bauklasse eine Geschoßflächenzahl und die höchstzulässige Höhe der Gebäude festgelegt sind. ..."

§ 21 Abs. 4 BO sieht vor, daß dann, wenn im Bebauungsplan nicht durch eine Baufluchtlinie ein größerer seitlicher (oder hinterer) Bauwich festgelegt ist, der Bauwich jeweils die Hälfte der Gebäudehöhe, mindestens aber 3 m beträgt. Bei der hier vorgesehenen Gebäudehöhe von 5,39 m käme daher ein Bauwich von 3 m in Betracht.

§ 21 Abs. 7 BO lautet:

"Der Bauwerber darf ein Wahlrecht zwischen offener und gekuppelter Bebauungsweise nur unter Bedachtnahme auf die bereits bestehenden und bewilligten Gebäude ausüben, sofern das Wahlrecht nicht schon durch frühere Bauvorhaben verbraucht ist."

Für die hier maßgeblichen Grundflächen ist die offene oder gekuppelte Bauweise festgesetzt. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet dies, daß der Nachbar aus § 21 Abs. 4 und 5 BO ein Recht auf Einhaltung eines Seitenabstandes ableiten kann (hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1989, Zl. 88/05/0201, m.w.N).

Den vorliegenden Planunterlagen ist zu entnehmen, daß bisher auf keinem der beiden seitlichen Nachbargrundstücke an den Grundgrenzen zum Baugrundstück angebaut wurde. Aufgrund der gemäß § 21 Abs. 7 BO geforderten Bedachtnahme auf die bereits bestehenden und bewilligten Gebäude war das Wahlrecht verbraucht und kam in bezug auf die Bauwerber nur mehr ein Anbau an der nordseitigen Grundstücksgrenze in Betracht, weil die bisherige Bebauung zwar nicht unmittelbar an dieser Grenze, aber auch nicht unter Einhaltung des gesetzlichen Bauwichs, sondern eines viel geringeren Abstandes besteht. Die bestehende Gesetzeslage erlaubt derartige Abstände nicht mehr, sondern nur mehr den unmittelbaren Anbau an die Grundstücksgrenze oder die Einhaltung eines Bauwichs. Im vorliegenden Fall ist zufolge der im Bebauungsplan vorgesehenen gekuppelten Bauweise der Anbau an die Nachbargrundgrenze erlaubt und infolge der Situierung des Altbestandes sogar geboten.

Der Hinweis der Beschwerdeführerin, daß nur die beiden gegenständlichen Grundstücke im Bauland-Kerngebiet liegen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch für das umgebende Betriebsbaugebiet ist im Bebauungsplan die offene oder gekuppelte Bebauungsweise vorgesehen. Auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin wäre daher grundsätzlich - ohne Bedachtnahme auf das gegenständliche Vorhaben - ein Anbau an der Grundgrenze zu den Bauwerbern oder an der ostseitigen Grundgrenze denkbar. An keiner dieser Grundgrenzen liegt jedoch ein Anbau vor.

Inwiefern der von der Beschwerdeführerin behauptete Begründungsmangel des Bescheides des Gemeinderates vom 24. März 1994 entscheidungserheblich sei, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf, obwohl die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid schon darauf hingewiesen hat, daß eine weitergehende Auseinandersetzung zu keinem im Ergebnis anderslautenden Bescheid geführt hätte.

Die Beschwerde erwies sich somit insgesamt als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994; dem Erst- und der Zweitmitbeteiligten waren Kosten im Rahmen ihres Begehrens zuzusprechen.

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