VwGH 94/01/0272

VwGH94/01/02725.4.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des A in L, vertreten durch M in W, dieser vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Februar 1994, Zl. 4.330.739/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
FlKonv Art1 AbschnB;
FlKonv Art43;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
FlKonv Art1 AbschnB;
FlKonv Art43;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. Februar 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers - eines Staatsangehörigen der "jugoslawischen Förderation", der am 10. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 11. Dezember 1991 den Asylantrag gestellt hat - gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 8. Jänner 1992, betreffend die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, abgewiesen und ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer nur deshalb kein Asyl gewährt, weil sie der Ansicht war, daß der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 gegeben sei.

Nach dieser Gesetzesstelle wird einem Flüchtling kein Asyl gewährt, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Die belangte Behörde ging von den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 13. Dezember 1991 aus, daß er sich vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in Slowenien aufgehalten habe. Dort sei der Beschwerdeführer insbesondere im Hinblick auf die Mitgliedschaft Sloweniens bei der Genfer Flüchtlingskonvention ("seit 27. September 1991") im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vor Verfolgung sicher gewesen und es spreche nichts dafür, daß dieser Staat seine aus dieser Konvention erfließenden Verpflichtungen, vor allem Art. 33 der Konvention, etwa vernachlässige.

Der Beschwerdeführer wirft zutreffend die Frage auf, ob Slowenien im Zeitpunkt seines Aufenthaltes bereits als Staatsgebilde in dem Sinne bestanden hat, daß es als "anderer Staat" gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 qualifiziert werden konnte. Slowenien sei erst am 15. Jänner 1992 von Österreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften anerkannt worden. Mit dieser Problematik hat sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht auseinandergesetzt, ohne daß daraus hervorgeht, ob dies allenfalls auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruht. Dies allein stellt schon einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Oktober 1994, Zl. 94/01/0352). Zur Auslegung des Begriffes "anderer Staat" in § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. wird im übrigen auf das hg. Erkenntnis vom 16. November 1994, Zl. 94/01/0264, verwiesen.

Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, daß Slowenien die Erklärung, sich rückwirkend mit dem 25. Juni 1991 an die Verpflichtungen der Genfer Flüchtlingskonvention und an das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge gebunden zu erachten (vgl. BGBl. Nr. 806, 807/1993), erst am 6. Juli 1992 beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt habe. Die Genfer Flüchtlingskonvention könne daher nicht als in der Zeit seiner Durchreise (am 9. und 10. Dezember 1991) effektiv in Kraft stehend angesehen werden. Die Erklärung des slowenischen Parlaments vom 27. September 1991, die Rechtsnachfolge der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien als vertragsschließender Staat der Genfer Flüchtlingskonvention zu übernehmen, - auf die sich die belangte Behörde im Bescheid stütze -, entspreche nicht dem Völkervertragsrecht. Sie habe daher völkerrechtlich keine Wirkung entfalten können. Die Geltung der Genfer Flüchtlingskonvention sei von Österreich weiters erst am 30. November 1993 im Bundesgesetzblatt kundgemacht worden (BGBl. Nr. 806/1993). In dieser Kundmachung des Bundeskanzlers finde sich betreffend Slowenien überdies der wenig überzeugende Satz, daß u.a. Slowenien erklärt habe, sich auch weiterhin mit Wirksamkeit vom 25. Juni 1991 an das Übereinkommen gebunden zu erachten.

Auch mit dieser Rüge ist der Beschwerdeführer im Recht. Sofern vom Vorliegen eines "anderen Staates" im vorliegenden Fall ausgegangen werden kann, wird die belangte Behörde auch zu klären haben, ob im Zeitpunkt der Durchreise des Beschwerdeführers durch Slowenien angenommen werden konnte, daß Slowenien in diesem Zeitpunkt bereits Mitglied der Genfer Flüchtlingskonvention war. Nach den Behauptungen des Beschwerdeführers ist eine entsprechende Erklärung Sloweniens gegenüber dem Generalsekretär der Vereinten Nationen erst im Juli 1992 abgegeben worden. Sollte Slowenien tatsächlich erst im Juli 1992 - wenn auch rückwirkend ab dem in BGBl. Nr. 806/1993 genannten 25. Juni 1991 - die Erklärung, sich an die Genfer Flüchtlingskonvention gebunden zu erachten, abgegeben haben, kann nicht ohne weitere Ermittlungen davon ausgegangen werden, daß Slowenien in der Zeit der Durchreise des Beschwerdeführers durch dieses Land die Verpflichtungen dieser Konvention, insbesondere deren Art. 33 eingehalten habe. Dies gilt auch dann, wenn man im Sinne der Völkerrechtslehre annimmt, daß ein neu entstandener Staat berechtigt ist, durch eine einseitige, an den Depositar gerichtete Erklärung in einen bereits in Kraft stehenden oder abgeschlossenen multilateralen Vertrag, der auch sein Gebiet umfaßt hatte, als Vertragsteil einzutreten (vgl. Verdross - Simma, Universelles Völkerrecht, 1976, 487), da für den vor einer solchen Erklärung liegenden Zeitraum nicht so ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, daß die aus diesem multilateralen Vertrag sich ergebenden Verpflichtungen eingehalten worden wären. Abschließend sei zu dieser Problematik bemerkt, daß die Völkerrechtslehre im Falle des Übergangens eines Gebietes eines Staates auf einen neuen Nachfolgestaat, insbesondere im Fall der gewaltsamen Losreißung und Unabhängigkeitserlangung eines Teiles eines Staates grundsätzlich davon ausgeht, daß der neue Staat (der Nachfolgestaat) nicht an die von dem früheren Staatsverband abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge gebunden ist (vgl. dazu insbesondere Verdross - Simma, a.a.O, 486 f, und Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 5. Auflage, Rz. 1042-1052; nicht so deutlich in diesem Sinne allerdings Seidl-Hohenveldern in Neuhold - Hummer - Schreuer (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Band 1, 1991, Rz. 752 - 758). Im übrigen wird angemerkt, daß für die Geltung der Genfer Flüchtlingskonvention für einen Nachfolgestaat, die an den Depositar des Abkommens abgegebene Erklärung, als Vertragsteil einzutreten, maßgeblich ist. Nach den Behauptungen in der Beschwerde ist diese maßgebliche Erklärung Sloweniens gegenüber dem Generalsekretär der Vereinten Nationen erst am 6. Juli 1992 erfolgt und nicht, worauf der Bescheid abstellt, am 27. September 1991. Auch dies wird im fortgesetzten Verfahren entsprechend zu klären sein.

Der Beschwerdeführer macht ferner auch geltend, in Slowenien sei bislang kein Asylgesetz verabschiedet worden. Gemäß Art. 34 des (slowenischen) Fremdengesetzes vom 25. Juni 1991 könne jedem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden, wenn er seinen Heimatstaat wegen Verfolgung aus politischen Gründen verlassen habe. Insbesondere habe nach Auffassung des UNHCR das in Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention bestimmte Refoulementverbot entgegen der Behauptung der belangten Behörde keine Entsprechung im Fremdengesetz und wäre somit auf den Beschwerdeführer auch nicht angewandt worden. "Der Umstand, daß in Slowenien dem UNHCR zufolge seit Verlautbarung des Fremdengesetzes zumindest bis zum 1. Juli 1994 keinem einzigen Antrag auf Gewährung von Asyl stattgegeben" worden sei, spreche "neben zahlreichen anderen Mängeln im slowenischen Asylrecht gegen die Rechtsansicht der belangten Behörde, die Genfer Flüchtlingskonvention wäre - auch wenn sie völkerrechtlich nicht in Kraft" gewesen sei - "in Slowenien eingehalten worden". Treffen diese Behauptungen zu, kann nicht mehr - wie dies die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid getan hat - davon die Rede sein, daß Slowenien - sollte von der Existenz dieses Staates im gegebenen Zusammenhang überhaupt ausgegangen werden können - die sich aus der Mitgliedschaft zur Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Verpflichtungen, insbesondere dessen Art. 33, einhalte.

Der Beschwerdeführer hat damit nach Maßgabe der ihn im Verwaltungsverfahren treffenden Mitwirkungspflicht, ohne daß es demnach noch einer weiteren Konkretisierung seines Vorbringens bedurft hätte, auch die Wesentlichkeit dieses weiteren der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels aufgezeigt (vgl. dazu des näheren das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413). Im Hinblick darauf, daß dem Beschwerdeführer im Berufungsverfahren kein Parteiengehör gewährt wurde, obwohl die belangte Behörde, anders als die Erstbehörde, nunmehr aufgrund des von ihm gemäß dessen § 25 Abs. 2 anzuwendenden Asylgesetzes 1991 von diesem Ausschließungsgrund Gebrauch gemacht hat, verstößt sein (erstmals in der Beschwerde erstattetes) Vorbringen diesbezüglich auch nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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