VwGH 93/17/0071

VwGH93/17/007114.7.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Kramer und die Hofräte Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schidlof, über die Beschwerde der U in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 22. Februar 1993, Zl. UVS-08/13/00062/93, betreffend Übertretung nach dem Wiener Parkometergesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37 Abs1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZPO §292 Abs2;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs3;
ZustG §22 Abs1;
AVG §37 Abs1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZPO §292 Abs2;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs3;
ZustG §22 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Strafverfügung des Magistrates der Stadt Wien vom 2. Juni 1992 wurde die Beschwerdeführerin unter Angabe des Tatortes und der Tatzeit schuldig erkannt, sie habe ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt, ohne für seine Kennzeichnung mit einem richtig entwerteten Parkschein gesorgt zu haben, weil der Parkschein gefehlt habe. Sie habe dadurch § 1 Abs. 3 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 des Parkometergesetzes verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über die Beschwerdeführerin gemäß § 4 Abs. 1 des Parkometergesetzes eine Geldstrafe von S 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 7 Stunden) verhängt.

Gegen diese Strafverfügung erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 23. Juli 1992 Einspruch. Darin wird u.a. ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe die Strafverfügung erst am 21. Juli 1992 erhalten, weil sie bis zu diesem Tag urlaubsbedingt ortsabwesend gewesen sei; die Hinterlegung und damit die Zustellung sei somit "rechtswidrig und nichtig" gewesen.

Im Vorhalt des Magistrates der Stadt Wien vom 24. September 1992 heißt es, der Einspruch gegen die Strafverfügung sei nach Ablauf der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist eingebracht worden. Die Beschwerdeführerin habe Gelegenheit, hiezu binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens Stellung zu nehmen. Sollte die Beschwerdeführerin einen Zustellmangel geltend machen, habe sie innerhalb der gleichen Frist die Möglichkeit, "diesen durch Belege (Reiserechnungen, Namhaftmachung von Zeugen etc.) glaubhaft zu machen".

Mit Schriftsatz vom 30. September 1992 brachte die Beschwerdeführerin (wie bereits in ihrem Einspruch) vor, sie habe die Strafverfügung erst am 21. Juli 1992 erhalten, weil sie bis zu diesem Tag urlaubsbedingt ortsabwesend gewesen sei. Die Zustellung sei "rechtswidrig und nichtig" gewesen. Der Einspruch sei daher rechtzeitig gewesen. Dazu wurde die Einvernahme der Beschwerdeführerin als Beweis angeboten.

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 8. Jänner 1993 wurde der Einspruch gegen die Strafverfügung vom 2. Juni 1992 "wegen entschiedener Sache" zurückgewiesen.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde den bekämpften Bescheid mit der Maßgabe, daß der Spruch zu lauten habe: "Der Einspruch gegen die Strafverfügung vom

2. 6. 1992 ... wird gemäß § 49 Abs. 1 VStG als verspätet

zurückgewiesen." In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin behaupte Ortsabwesenheit, ohne jedoch nähere Umstände wie z.B. Dauer, Tag der Abfahrt, Tag der Rückkunft, Ort des Aufenthaltes bekanntzugeben. Der Zustellschein habe als öffentliche Urkunde gemäß § 47 AVG in Verbindung mit § 292 ZPO die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich. Diese Vermutung sei zwar widerlegbar, doch bedürfe es dazu konkreter Darlegungen. Der Beschwerdeführerin sei die Verspätung ihres Einspruches in ausreichender Weise vorgehalten worden. Es sei nicht hervorgekommen, daß ein Zustellmangel vorgelegen sei, zumal der Rückschein keine äußeren Mängel und Fehler aufweise und somit eine unbedenkliche Urkunde darstelle. Damit habe die belangte Behörde auch keinen Grund, an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieses Rückscheines zu zweifeln. Die "Abänderung im Spruche" diene "der genaueren Tatumschreibung und Anpassung an den Straftatbestand".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in dem Recht verletzt, "daß unter Zugrundelegung des vorliegenden Sachverhaltes meinem Einspruch gegen die Strafverfügung Rechtzeitigkeit und damit Rechtswirksamkeit zuerkannt wird, seine Zurückweisung wegen angeblicher Verspätung nicht erfolgt, sondern mir mein Recht auf Parteiengehör nicht verweigert wird und ich nicht nach §§ 1, 4 des Parkometergesetzes schuldig erkannt und bestraft werde".

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 17 Abs. 1 Zustellgesetz ist, wenn die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 Zustellgesetz regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen beim zuständigen Gemeindeamt oder der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

Nach § 17 Abs. 3 Zustellgesetz ist die hinterlegte Sendung mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten jedoch nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 Zustellgesetz wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.

Nach § 22 Abs. 1 Zustellgesetz ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden.

Die Beschwerdeführerin ist insofern im Recht, als es die belangte Behörde unterlassen hat, den im Beschwerdefall maßgebenden Sachverhalt festzustellen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 25. März 1988, Zl. 87/11/0275), ist der Umstand, daß der Zustellempfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle von einem Zustellvorgang nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte, von der Behörde von Amts wegen zu prüfen. Daran ändert auch nichts, daß mit dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verwaltungsverfahrens eine Verpflichtung der Partei zur Mitwirkung bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes korrespondiert, was insbesondere dann der Fall ist, wenn der amtswegigen behördlichen Erhebung faktische Grenzen gesetzt sind. Wirkt die Partei im Ermittlungsverfahren nicht mit, steht es der Behörde frei, aus diesem Verhalten gemäß § 45 Abs. 2 und § 46 AVG im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung eventuell auch für die Partei negative Schlüsse zu ziehen (vgl. u. a. die hg. Erkenntnisse vom 12. Dezember 1978, Slg. N. F. Nr. 9721/A, und vom 14. Mai 1986, Zl. 86/03/0044). Die Mitwirkungspflicht der Partei geht aber jedenfalls nicht so weit, daß sich die Behörde die Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie gemäß § 39 AVG von Amts wegen verpflichtet ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 1984, Zl. 81/05/0019). Derart belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, wenn sie, ohne auf das angebotene Bescheinigungsmittel der Einvernahme der Beschwerdeführerin überhaupt einzugehen, davon ausging, die Beschwerdeführerin habe die näheren Umstände der Ortsabwesenheit nicht bekanntgegeben (vgl. dazu auch das in einem gleichgelagerten Fall ergangene hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1994, Zl. 93/04/0064).

Zu einer anderen Beurteilung vermag auch nicht zu führen, daß die vom Zusteller erstellten Zustellnachweise öffentliche Urkunden sind, die den Beweis dafür erbringen, daß die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, jedoch der Gegenbeweis gemäß § 292 Abs. 2 ZPO zulässig ist (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 25. September 1990, Zl. 90/04/0073). Die durch einen Gegenbeweis zu widerlegende - vom Gesetz aufgestellte - Vermutung bezieht sich im gegebenen Zusammenhang (nur) darauf, daß der Zusteller "Grund zur Annahme" hatte, daß sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (§ 17 Abs. 1 Zustellgesetz), nicht jedoch (auch) darauf, ob es (im Sinne des § 17 Abs. 3 dritter Satz Zustellgesetz) "sich ergibt", daß der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (vgl. nochmals das vorzitierte hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1994).

Verfehlt ist allerdings das Beschwerdevorbringen, der Berufung hätte "schon wegen des den gesetzlichen Erfordernissen nicht genügenden Spruchs des Bescheides vom 8. 1. 1993 ('wegen entschiedener Sache') stattgegeben werden müssen, ebenso wegen des Verjährungseinwandes". Im Falle einer Berufung gegen einen Bescheid, mit dem ein Rechtsmittel zurückgewiesen worden ist, ist "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG und demnach Gegenstand des Berufungsverfahrens nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Die Berufungsbehörde kann und darf demnach nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1976, Zl. 1177/74). Die belangte Behörde hat die Grenzen ihrer diesbezüglichen Zuständigkeit nicht überschritten, wie sich dies aus dem Spruch des angefochtenen Bescheides eindeutig ergibt. Daran vermag auch nichts zu ändern, wenn in der Begründung des angefochtenen Bescheides - mißverständlich - davon die Rede ist, "die Abänderung im Spruche diente der genaueren Tatumschreibung und Anpassung an den Straftatbestand". Im Hinblick auf den eindeutigen Spruch des angefochtenen Bescheides wurde die Beschwerdeführerin durch dieses überschießende Begründungselement nicht in ihren Rechten verletzt.

Aus den oben dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere auch auf deren Art. III Abs. 2.

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