VwGH 93/07/0004

VwGH93/07/000422.6.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1) des J K und 2) der M K in G, beide vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 30. November 1992, Zl. 512.861/02-I 5/92, betreffend wasserrechtliche Bewilligung (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde Z, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §14 Abs1;
AVG §14 Abs3;
AVG §37;
AVG §42 Abs1;
AVG §63 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §14 Abs1;
AVG §14 Abs3;
AVG §37;
AVG §42 Abs1;
AVG §63 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei beantragte beim Landeshauptmann von Niederösterreich die Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung für eine Abwasserbeseitigungsanlage in der KG G. Über diesen Antrag beraumte der Landeshauptmann mit Kundmachung vom 18. April 1991 eine mündliche Verhandlung für 23. Mai 1991 an, zu der auch die Beschwerdeführer geladen wurden.

In der über diese Verhandlung aufgenommenen Niederschrift scheint im Verzeichnis der Anwesenden u.a. der Erstbeschwerdeführer mit dem Zusatz "auch für seine Ehegattin M" auf. Am Ende dieser Verhandlungsschrift findet sich folgender Satz: "Abschließend wird festgehalten, daß sich die im folgenden nicht unterfertigten, aber in der Anwesenheitsliste aufscheinenden Personen vor Schluß der Verhandlung entfernt haben." Dazu gehört auch der Erstbeschwerdeführer. Ob dieser im Zuge der Verhandlung Einwendungen erhoben hat, ist der Verhandlungsschrift nicht zu entnehmen.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes vom 30. Juli 1991 wurde der mitbeteiligten Partei die beantragte wasserrechtliche Bewilligung erteilt.

Gegen diesen Bescheid brachte eine Reihe von Personen eine als "Resolution der Bürger der Katastralgemeinde G gegen den Kanalbau" bezeichneten Schriftsatz ein, der überdies den handschriftlichen Vermerk "Berufung des Bescheides Kennzeichen III-1-27.289/11-91" trägt. Darin wird u.a. geltend gemacht, durch die große Kanaltiefe bestehe die Gefahr, daß das Grundwasser abgesenkt werde und die Hausbrunnen austrockneten. Dieser Schriftsatz ist auch von den Beschwerdeführern unterzeichnet.

Mit Bescheid vom 30. November 1992 wies die belangte Behörde u.a. die Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG mit der Begründung ab, es liege Präklusion vor. Die Beschwerdeführer hätten in der Verhandlung am 23. Mai 1991 keine Einwendungen erhoben. Erst in der Berufung brächten sie Bedenken hinsichtlich der Absenkung des Grundwassers und der Austrocknung der Hausbrunnen vor. Die Beschwerdeführer seien daher mit ihrem Berufungsvorbringen präkludiert, weshalb es der belangten Behörde verwehrt sei, inhaltlich auf das Berufungsvorbringen einzugehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführer erachten sich erkennbar in ihrem Recht auf eine meritorische Behandlung ihres Berufungsvorbringens verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die mitbeteiligte Partei hat ebenfalls eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, der Verwaltungsgerichtshof möge der Beschwerde keine Folge geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer bringen vor, die Zustellung des angefochtenen Bescheides sei in gesetzwidriger Weise erfolgt. Dieser sei nur dem Erstbeschwerdeführer als gemeinsamem Zustellbevollmächtigten zugestellt worden. Aus der Berufung (Resolution) ergebe sich keinesfalls zweifelsfrei im Sinne des § 9 Abs. 3 des Zustellgesetzes, daß der Erstbeschwerdeführer als Zustellbevollmächtigter in Frage komme.

Mit diesem Vorbringen vermögen die Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun. Es kann dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde zu Recht den Erstbeschwerdeführer als gemeinsamen Zustellbevollmächtigten angesehen hat. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, würde das nicht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nach sich ziehen, sondern könnte allenfalls für die Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerde - die im Beschwerdefall aber unbestritten ist - von Bedeutung sein.

Die Beschwerdeführer bringen weiters vor, der Erstbeschwerdeführer habe - wie auch alle übrigen Brunnenbesitzer der Ortschaft G - bei der mündlichen Verhandlung schwere Bedenken gegen die Errichtung der Abwasserbeseitigungsanlage vorgebracht; insbesondere seien die in der Resolution (Berufung) angegebenen Umstände ausdrücklich geltend gemacht worden, vor allem, daß durch die große Kanaltiefe die Gefahr bestehe, daß der Grundwasserspiegel absinke und die Hausbrunnen austrockneten. Dies könne von einer Reihe namentlich angeführter Personen bezeugt werden. Diese Einwendungen seien aber nicht protokolliert worden.

Die belangte Behörde verweist in ihrer Gegenschrift darauf, daß ein gemäß § 14 AVG aufgenommenes Protokoll, soweit nicht Einwendungen erhoben wurden, was im vorliegenden Fall nicht geschehen sei, über Verlauf und Gegenstand der Verhandlung vollen Beweis liefere. Gemäß § 15 AVG sei wohl der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges zulässig, doch hätten die Beschwerdeführer diesen Beweis in der Berufung nicht angetreten. Für das verwaltungsgerichtliche Verfahren stelle die Behauptung der Beschwerdeführer eine unzulässige Neuerung dar.

Denselben Standpunkt vertritt auch die mitbeteiligte Partei in ihrer Gegenschrift.

Die Verhandlungsschrift entspricht nicht den Bestimmungen des § 14 Abs. 3 (§ 44) AVG. Danach ist jede Niederschrift den vernommenen oder sonst beigezogenen Personen, wenn sie nicht darauf verzichten, vorzulesen und von ihnen durch Beisetzung ihrer eigenhändigen Unterschrift zu bestätigen. Kann eine Person nicht oder nur mittels Handzeichens fertigen, hat sie die Fertigung verweigert oder sich vor Abschluß der Niederschrift entfernt, so ist unter Angabe des Grundes, aus dem die Fertigung nicht erfolgte, die Richtigkeit der schriftlichen Wiedergabe von dem die Amtshandlung leitenden Organ ausdrücklich zu bestätigen.

Der Erstbeschwerdeführer hat sich laut Verhandlungsschrift vor Schluß der Verhandlung - ob vor oder während der Abfassung der Niederschrift ist nicht ersichtlich - entfernt. Die im Akt erliegende Niederschrift enthält jedoch nicht den im § 14 Abs. 3 AVG vorgesehenen ausdrücklichen Vermerk über die Richtigkeit der Wiedergabe dieses Geschehens und entspricht daher insoweit nicht dem Gesetz (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. September 1987, Zl. 87/05/0117; vom 4. November 1986, Zl. 86/05/0036 u.a.). Daraus folgt, daß die Niederschrift auch dann keinen vollen Beweis für die Richtigkeit des bezeugten Vorganges liefert, wenn gegen sie keine Einwendungen im Sinne einer Protokollrüge erhoben worden sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1986, Zl. 86/04/0058).

Aber auch abgesehen von diesem formellen Gesichtspunkt stellt die Verhandlungsschrift keine geeignete Grundlage für die von der belangten Behörde gezogenen Schlußfolgerungen dar.

Der Niederschrift über die Verhandlung vom 23. Mai 1991 ist lediglich zu entnehmen, daß der Erstbeschwerdeführer an der Verhandlung teilgenommen hat und daß er sich vor Schluß der Verhandlung entfernt hat. Ob er im Zuge der Verhandlung Einwendungen erhoben hat, läßt sich der Verhandlungsschrift nicht entnehmen. Der Umstand allein, daß sich der Erstbeschwerdeführer vor Schluß der Verhandlung entfernt hat und daß im Protokoll keine Einwendungen festgehalten sind, sagt nichts darüber aus, ob der Erstbeschwerdeführer bei der Verhandlung, bei der er auch die Zweitbeschwerdeführerin vertreten hat, das von ihm behauptete Vorbringen erstattet hat, da in der Verhandlungsschrift nicht davon die Rede ist, daß er sich entfernt habe, ohne Einwendungen zu erheben. Den Behauptungen in der Beschwerde steht daher die Verhandlungsschrift nicht entgegen.

Nach § 14 Abs. 1 AVG sind mündliche Anbringen von Beteiligten erforderlichenfalls ihrem wesentlichen Inhalte nach in der Niederschrift festzuhalten. Niederschriften über Verhandlungen (Verhandlungsschriften) sind derart abzufassen, daß bei Weglassung alles nicht zur Sache Gehörigen der Verlauf und Inhalt der Verhandlung richtig und verständlich wiedergegeben wird. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, daß jedes wesentliche Vorbringen eines Beteiligten in die Niederschrift aufzunehmen ist. Hiezu gehört zweifellos auch ein Vorbringen, das erkennen läßt, daß ein Beteiligter oder eine Partei gegen das Vorhaben, das den Gegenstand der Amtshandlung bildet, Einwendungen erhebt. Die Formulierung eines Parteivorbringens ist Sache des Verhandlungsleiters und nicht Sache der Parteien. Dafür, daß jemand, der sich vor Schluß der Verhandlung entfernt, obwohl er zu dem Gegenstand der Verhandlung Stellung genommen hat, sich seines Rechtes, sich gegen das Vorhaben zur Wehr zu setzen, begeben hat, findet sich im AVG kein Anhaltspunkt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 1963, Zll. 862/62, 2024/62). Die Beschwerdeführer konnten daher - wenn es zutrifft, daß der Erstbeschwerdeführer bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen erhoben hat - darauf vertrauen, daß ihr Vorbringen in der Verhandlungsschrift festgehalten werde; es bestand für sie keine Veranlassung, in der Berufung darauf hinzuweisen. Daß die belangte Behörde davon ausging, der Erstbeschwerdeführer habe in der mündlichen Verhandlung keinerlei Einwendungen erhoben und es sei daher Präklusion eingetreten, gelangte den Beschwerdeführern erstmals durch den angefochtenen Bescheid zur Kenntnis. Die belangte Behörde hat in ihre rechtliche Würdigung damit Sachverhaltselemente einbezogen, die den Beschwerdeführern nicht bekannt waren und damit gegen das auch im Verwaltungsverfahren anerkannte "Überraschungsverbot" verstoßen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1993, Zl. 91/08/0142 und die dort angeführte Vorjudikatur). Die belangte Behörde hätte vor Erlassung ihres Bescheides den Beschwerdeführern Gelegenheit geben müssen, zu ihrer Annahme, der Erstbeschwerdeführer habe in der mündlichen Verhandlung keine Einwendungen erhoben, Stellung zu nehmen. Da dies nicht geschehen ist und die Beschwerdeführer mit der Annahme der belangten Behörde, bei der mündlichen Verhandlung seien keine Einwände erhoben worden, erstmals im angefochtenen Bescheid konfrontiert wurden, steht ihrem diesbezüglichen Vorbringen in der Beschwerde nicht das Neuerungsverbot des § 41 VwGG entgegen (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. S. 555, angeführte Rechtsprechung).

Aus den dargestellten Erwägungen ergibt sich, daß die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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