VwGH 90/11/0083

VwGH90/11/00839.10.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des W gegen den Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 5. Februar 1990, Zl. 671.984/2-2.5/89, betreffend Befreiung von der Präsenzdienstpflicht, zu Recht erkannt:

Normen

WehrG 1978 §37 Abs2 litb;
WehrG 1978 §37 Abs2 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.590,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des im Jahre 1956 geborenen Beschwerdeführers vom 6. April 1989 auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes gemäß § 37 Abs. 2 lit. b des Wehrgesetzes 1978 abgewiesen.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer brachte im Verwaltungsverfahren vor, er sei als Arbeitskraft in dem 44 ha großen landwirtschaftlichen Betrieb seiner Ehefrau unentbehrlich. Diese habe drei Kinder (davon ein neun Monate altes Kleinkind), eine durch einen Schlaganfall bettlägrig gewordene Magd zu betreuen und den Haushalt zu führen, womit sie vollkommen ausgelastet sei. Die ebenfalls im Haushalt lebenden Schwiegereltern des Beschwerdeführers seien asthmaleidend und arbeitsunfähig und bedürften zeitweise der Betreuung durch seine Frau. In der Berufung geht der Beschwerdeführer auf das Argument der Behörde erster Instanz, daß er in den "außenarbeitsärmeren" Wintermonaten einberufen werden könne, ein und zählt die täglich, auch in den Wintermonaten anfallenden Arbeiten für die Zuchtschweinehaltung von 25 Tieren und die Mastschweinehaltung von ca. 160 Tieren, weiters die Reinigungs-, Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten und die Holzarbeiten (2 ha Wald) auf.

Im angefochtenen Bescheid werden besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche Interessen des Beschwerdeführers verneint, da nicht der Beschwerdeführer selbst, sondern seine Ehefrau Eigentümerin des Betriebes sei. Zu den familiären Interessen wird ausgeführt, daß diese vorliegen, weil die Schwiegereltern asthmaleidend sind. Da diese jedoch weder Betriebsinhaber sind noch im Betrieb auf Grund ihres Gesundheitszustandes mitarbeiten, liege keine besondere Rücksichtswürdigkeit dieser Interessen vor. Bezüglich der Betreuung der Schwiegereltern und der Magd könne während der Abwesenheit des Beschwerdeführers seine Ehefrau Hilfestellung leisten. Es sei ihr weiters als Eigentümerin zumutbar, geeignete wirtschaftliche Dispositionen zu treffen, wie etwa das Heranziehen fremder Arbeitskräfte, z.B. des Maschinenringes, um einer gesundheitsgefährdenden Überbelastung ihrerseits während der Abwesenheit ihres Mannes vorzubeugen. Gegebenenfalls könne vorübergehend die Tierhaltung eingeschränkt werden. Eine Unterstützung bei der Beaufsichtigung der drei Kinder sowie eine Mithilfe im Haushalt könne wechselseitig durch die Schwiegereltern vorgenommen werden. Es sei daher seiner voll arbeitsfähigen Ehefrau die Aufrechterhaltung der Landwirtschaft zumutbar. Auch eine Existenzgefährdung unterhaltsberechtigter Personen sei auf Grund der Regelungen des Heeresgebührengesetzes 1985 nicht gegeben.

Gemäß § 37 Abs. 2 lit. b des Wehrgesetzes 1978 (idF vor seiner Wiederverlautbarung als Wehrgesetz 1990) können Wehrpflichtige auf deren Antrag von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes befreit werden, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.

Die belangte Behörde geht in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes davon aus, daß wirtschaftliche Interessen des Beschwerdeführers an seiner Befreiung im Sinne des Gesetzes nicht bestehen. Der Beschwerdeführer ist nicht Betriebsinhaber; der "faktische Besitz der gesamten Verfügungs- und Entscheidungsgewalt" ist im gegebenen Zusammenhang unbeachtlich.

Von einem familiären Interesse im Sinne des § 37 Abs. 2 lit. b des Wehrgesetzes 1978 kann - unabhängig von der besonderen Rücksichtswürdigkeit - nur dann gesprochen werden, wenn ein Familienangehöriger in seinen eigenen Belangen der Unterstützung durch den Wehrpflichtigen bedarf, die ihm dieser aber wegen der Ableistung des ordentlichen Präsenzdienstes nicht gewähren könnte. Als besonders rücksichtswürdig ist dieses Interesse nur dann zu werten, wenn durch die Nichtunterstützung des Angehörigen durch den Wehrpflichtigen eine Gefährdung der Gesundheit des Angehörigen oder sonstiger lebenswichtiger Interessen des Angehörigen zu befürchten ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Dezember 1987, Zl. 87/11/0094).

Somit liegen familiäre Interessen des Beschwerdeführers an seiner Befreiung vor, weil seine Frau als Betriebsinhaberin seiner Unterstützung bedarf. Daß die belangte Behörde das Vorliegen familiärer Interessen zunächst mit dem Asthmaleiden der Schwiegereltern begründet hat, ist kein relevanter Verfahrensmangel, da der angefochtene Bescheid sich in weiterer Folge auch mit der Situation der Ehefrau des Beschwerdeführers befaßt.

Der Beschwerdeführer bringt in diesem Zusammenhang vor, daß im Falle des Ausfalles seiner Arbeitskraft eine unverantwortbare und unzumutbare körperliche und seelische Überbelastung seiner Frau eintreten würde. Die belangte Behörde vertrat dagegen im angefochtenen Bescheid die Auffassung, der Ehefrau des Beschwerdeführers sei die Aufrechterhaltung des landwirtschaftlichen Betriebes während seiner Abwesenheit zumutbar. Allerdings gab sie dazu keine für den Verwaltungsgerichtshof nachvollziehbare Begründung. Immerhin handelt es sich der Aktenlage nach nicht um einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb. Vom Beschwerdeführer wurden in der Berufung konkret die auch noch in der "außenarbeitsärmeren" Periode anfallenden Arbeiten angeführt. Dies hätte die Behörde zu Feststellungen über den hiefür nötigen Arbeitseinsatz veranlassen müssen. Nur wenn dies geschehen wäre, hätte sie auch beurteilen können, ob die Übernahme dieser Arbeiten für die Ehefrau des Beschwerdeführers möglich und zumutbar ist, insbesondere ob durch eine wirtschaftlich zumutbare Einschränkung der Tierhaltung eine ausreichende Entlastung erzielbar wäre, zumal die in der Berufung genannten Holzarbeiten und Instandhaltungsarbeiten trotz eingeschränkter Tierhaltung im vollen Ausmaß anfallen. Dazu kommt, daß der Beschwerdeführer keinen Rechtsanspruch darauf hat, zu einer bestimmten Jahreszeit zur Präsenzdienstleistung eingezogen zu werden.

Mit dem Argument, die Schwiegereltern könnten die Kinderbetreuung übernehmen und im Haushalt mitarbeiten, hat die belangte Behörde übersehen, daß in einem der Berufung angeschlossenen ärztlichen Zeugnis nicht nur deren Arbeitsunfähigkeit attestiert wurde, sondern daß sie als schwer leidend bezeichnet wurden, was ebenfalls nähere Feststellungen über ihren Gesundheitszustand und die ihnen mögliche und zumutbare Unterstützung ihrer Tochter erfordert hätte.

Die belangte Behörde geht - offenbar auf Grund der Feststellung im erstinstanzlichen Verfahren, daß der Schwager des Beschwerdeführers fallweise über den Maschinenring im Betrieb mitarbeitet - davon aus, daß es der Ehefrau des Beschwerdeführers als Eigentümerin zumutbar ist, geeignete wirtschaftliche Dispositionen zu treffen, wie etwa das Heranziehen fremder Arbeitskräfte, z.B. des Maschinenringes. Grundsätzlich kann jedoch nicht angenommen werden, daß jedem Betriebsinhaber die Heranziehung fremder Arbeitskräfte wirtschaftlich zumutbar ist. Feststellungen, in welchem Ausmaß dieser Einsatz notwendig wäre und ob dies für den Betrieb auch wirtschaftlich tragbar wäre, fehlen. Eine Unterstützungspflicht des Schwagers in seiner Eigenschaft als Bruder der Betriebsinhaberin wurde im Verwaltungsverfahren nie erörtert und von der Behörde erst in der Gegenschrift zum Ausdruck gebracht.

Da somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und auch dadurch, daß die belangte Behörde auf das Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren nicht ausreichend eingegangen ist, sind Verfahrensvorschriften verletzt worden; der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

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