Normen
WehrG 1978 §37 Abs2 litb;
WehrG 1978 §37 Abs2 litb;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 7. November 1989 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 13. Jänner 1989 auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes gemäß § 37 Abs. 2 lit. b Wehrgesetz 1978 abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Dem am 12. September 1965 in der UdSSR geborenen Beschwerdeführer wurde am 20. Februar 1986 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Am 20. März 1987 wurde er der Stellung unterzogen und seine Tauglichkeit festgestellt.
Mit Bescheid des Militärkommandos Wien vom 27. Oktober 1987 wurde der Beschwerdeführer auf Grund seines Antrages vom 12. Mai 1987, den er am 19. Oktober 1987 auf eine befristete Befreiung bis 15. Mai 1989 eingeschränkt hatte, gemäß § 37 Abs. 2 lit. b Wehrgesetz 1978 von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes bis 15. Mai 1989 befreit. Diesem Bescheid lag die Annahme besonders rücksichtswürdiger wirtschaftlicher Interessen des Beschwerdeführers infolge seiner "derzeitigen Unabkömmlichkeit" von seinem Handelsbetrieb zugrunde.
Mit Schreiben vom 13. Jänner 1989 beantragte der Beschwerdeführer neuerlich seine Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes. Er behauptete, daß sich an der im Antrag vom 12. Mai 1987 geschilderten Situation nichts geändert habe.
Diesen Antrag wies das Militärkommando Wien mit Bescheid vom 2. Mai 1989 ab. Die Behörde ging davon aus, daß der Beschwerdeführer auf Grund der Gewerbeanmeldung vom 31. Juli 1986 an einem näher genannten Standort den Textileinzelhandel und -großhandel betreibe. In diesem Unternehmen seien keine fremden Arbeitskräfte beschäftigt. Auf diesem Unternehmen, mit welchem im Jahre 1988 ein Umsatz von 1,5 Mio S erzielt worden sei, lasteten keine Schulden. Die besondere Rücksichtswürdigkeit der beim Beschwerdeführer gegebenen wirtschaftlichen Interessen sei zu verneinen, weil er durch die bis 15. Mai 1989 gewährte Befreiung die Möglichkeit gehabt habe, entsprechende Dispositionen zu treffen, die ihm die Ableistung des ordentlichen Präsenzdienstes ab Juli 1989 ermöglicht hätten. Familiäre Interessen seien nicht geltend gemacht worden und lägen nach der Aktenlage nicht vor.
In seiner dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, die Einstellung eines Geschäftsführers für die Zeit seiner präsenzdienstbedingten Abwesenheit sei ihm aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich. Die Schließung des Betriebes, der seine Existenzgrundlage darstelle, sei ihm nicht zumutbar. Er müsse an Miete für das Geschäftslokal und das Warenlager monatlich S 7.300,-- und S 2.300,-- bezahlen. Ferner seien Auslandschulden für die Anschaffung von Waren in der Höhe von S 150.000,--, Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt in der Höhe von S 40.000,-- und Kreditverbindlichkeiten in der Höhe von S 185.000,-- für die Anschaffung eines für das Unternehmen notwendigen Kleinbusses vorhanden. Außerdem sei er auf Grund seines Glaubensbekenntnisses und seiner Erziehung zur Unterstützung seiner Eltern verpflichtet, weshalb auch familiäre Interessen vorlägen.
Die belangte Behörde traf ergänzende Sachverhaltsfestellungen. Sie nahm als erwiesen an, daß der Beschwerdeführer mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt lebe und sein Vater, bei dem eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 80 % gegeben sei, eine Pension in der Höhe von S 7.000,-- monatlich beziehe. Seine Mutter, deren Erwerbsfähigkeit um 60 % gemindert sei, verfüge über kein Einkommen. In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Auffassung, daß die besondere Rücksichtswürdigkeit wirtschaftlicher Interessen dann zu verneinen sei, wenn ein Wehrpflichtiger die ihn treffende Obliegenheit, seine wirtschaftlichen Dispositionen so zu treffen, daß für den Fall der Einberufung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes vorhersehbare Schwierigkeiten vermieden oder möglichst verringert werden, nicht erfüllt habe. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer genannten Verbindlichkeiten habe er die Möglichkeit, im Einvernehmen mit den Kreditgebern eine Stundung der Rückzahlungsraten herbeizuführen. Auf Grund seiner befristeten Befreiung hätte er seine wirtschaftlichen Angelegenheiten einzurichten gehabt und keine Verpflichtungen eingehen dürfen. Der Beschwerdeführer hätte während der befristeten Befreiung Ersparnisse anlegen können, die ihm die Erfüllung laufender Verbindlichkeiten ermöglichen würden. Familiäre Interessen des Beschwerdeführers seien nicht besonders rücksichtswürdig, weil seine Eltern nicht mehr "in der Firma mitarbeiten" und der Vater eine Pension in der Höhe von S 7.000,-- monatlich beziehe.
Bei der Beurteilung des Beschwerdefalles ist zunächst festzuhalten, daß die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid dem Beschwerdeführer nicht zum Vorwurf gemacht hat, er habe durch den Erwerb des Unternehmens im Jahre 1986 seine Pflicht zur Harmonisierung seiner wirtschaftlichen Dispositionen mit der Wehrpflicht verletzt. Es ist daher nicht näher darauf einzugehen, ob Gründe vorlagen, nach denen die Unterlassung des Erwerbes für den Beschwerdeführer unzumutbar gewesen wäre. Die belangte Behörde erblickt die Verletzung der Harmonisierungspflicht durch den Beschwerdeführer in seinem Verhalten während der befristeten Befreiung. Diese Auffassung ist aber aus folgenden Erwägungen nicht entsprechend begründet:
Die belangte Behörde verweist den Beschwerdeführer unter Zitierung des hg. Erkenntnisses vom 16. Mai 1989, Zl. 88/11/0153, auf die Möglichkeit, hinsichtlich seiner offenen Verbindlichkeiten Stundungsvereinbarungen mit seinen Gläubigern zu schließen, ohne sich allerdings näher damit zu befassen, ob die Gläubiger des Beschwerdeführers einer Stundung für die Zeit des Präsenzdienstes zustimmen. In dem von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang zitierten Erkenntnis wurde der Wehrpflichtige auf die Möglichkeit hingewiesen, entweder den Versuch zu unternehmen, mit seinen Kreditgebern Stundungsvereinbarungen für die Zeit des Grundwehrdienstes zu schließen, oder im Hinblick auf die Höhe seines Einkommens entsprechende Ersparnisse anzulegen. Auf Grund der in jenem Verfahren festgestellten Höhe des Einkommens war jedenfalls von der Möglichkeit, bei entsprechender Lebensführung Ersparnisse anzulegen, auszugehen, sodaß eine konkrete Befassung mit der Möglichkeit von Stundungsvereinbarungen in jenem Verfahren nicht notwendig war.
Soweit die belangte Behörde in diesem Zusammenhang meint, der Beschwerdeführer hätte keine Verpflichtungen eingehen dürfen, die seiner Einberufung entgegenstehen, ist ihr zu erwidern, daß dies nur für solche Verpflichtungen gelten kann, die der Beschwerdeführer zur Aufrechterhaltung seines Unternehmens nicht hätte eingehen müssen, die also ohne Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz auf die Zeit nach Ableistung des Grundwehrdienstes hätten verschoben werden können. Daß dies hinsichtlich aller oder einzelner der angeführten Schulden der Fall gewesen ist, ist dem angefochtenen Bescheid und auch dem Akteninhalt nicht zu entnehmen.
Unter den Dispositionen, die der Beschwerdeführer während der befristeten Befreiung hätte treffen sollen, nennt die belangte Behörde die Anlegung von Ersparnissen und meint, der Beschwerdeführer hätte damit insbesondere die während der Dauer des ordentlichen Präsenzdienstes anfallenden Mietzinse für das Geschäftslokal bezahlen können.
Dieses Argument vermag den angefochtenen Bescheid schon deshalb nicht zu stützen, weil die belangte Behörde kein Ermittlungsverfahren betreffend die Höhe des vom Beschwerdeführer in den letzten Jahren erzielten Einkommens durchgeführt hat, sodaß nicht beurteilt werden kann, ob der Beschwerdeführer überhaupt in der Lage war, Ersparnisse anzulegen.
Der Beschwerdeführer macht außerdem mit Recht geltend, daß die belangte Behörde seine Behauptung, daß er im Falle seiner Einberufung zum ordentlichen Präsenzdienst sein Unternehmen aufgeben müsse, was ihm nicht zumutbar sei, nicht beachtet habe. Mit diesem Einwand hätte sich die belangte Behörde schon deshalb vorrangig befassen müssen, weil die allfällige Möglichkeit der Anlegung von Ersparnissen zur Bestreitung des Mietzinses für das Geschäftslokal dem Beschwerdeführer nicht schon den Erhalt seines Unternehmens gewährleisten könnte. Nur dann aber, wenn der Verlust des Unternehmens, das nach der Aktenlage für den Beschwerdeführer seine wirtschaftliche Existenzgrundlage darstellt, durch entsprechende Dispositionen vermeidbar wäre, könnte den wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers die besondere Rücksichtswürdigkeit abgesprochen werden.
Hinsichtlich der von der belangten Behörde verneinten besonderen Rücksichtswürdigkeit der geltend gemachten familiären Interessen enthält die Beschwerde keinerlei Ausführungen, sodaß sich diesbezüglich nähere Ausführungen erübrigen, zumal sich auch aus dem Akteninhalt kein Anhaltspunkt für das Vorliegen besonders rücksichtswürdiger familiärer Interessen im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu u.a. das Erkenntnis vom 22. Mai 1990, Zl. 89/11/0175) ergeben hat.
Aus den oben dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
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