VwGH 90/03/0251

VwGH90/03/025120.11.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Baumgartner und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des Thomas R in K, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 8. August 1990, Zl. IIb2-V-8413/2-90, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
B-VG Art9 Abs1;
KFG 1967 §103 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs2a idF 1986/105;
StVO 1960 §99 Abs1 litb idF 1986/105;
VStG §25 Abs2;
VwRallg;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
B-VG Art9 Abs1;
KFG 1967 §103 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs2a idF 1986/105;
StVO 1960 §99 Abs1 litb idF 1986/105;
VStG §25 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Übertretungen des § 16 Abs. 2 lit. b StVO und des § 16 Abs. 1 lit. c StVO einschließlich der damit verbundenen Kostenaussprüche wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Hinsichtlich der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 4.197,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 8. August 1990 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 28. Oktober 1989 einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw in Sölden auf der Interessentschaftsstraße von Hochsölden talwärts gelenkt und

1) um 16.45 Uhr ca. 130 m vor dem Kiessilo oberhalb des Innerwaldparkplatzes vor der do. unübersichtlichen Linkskurve überholt, obwohl vor und in unübersichtlichen Kurven nicht überholt werden dürfe, 2) das Überholmanöver an dieser Stelle durchgeführt, obwohl er nicht einwandfrei habe erkennen können, daß er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen könne, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern, wodurch er beim Einordnen in die talwärts fahrende Kolonne einen blauen Pkw mit französischem Kennzeichen zum starken Abbremsen bzw. Ablenken des Fahrzeuges gezwungen habe, und 3) um 17.10 Uhr in Sölden, Pitze, auf der Kreuzung

B 186 - Hochsölderstraße, nach Aufforderung durch ein besonders geschultes und von der Behörde hiezu ermächtigtes Straßenaufsichtsorgan den Alkotest verweigert, obwohl vermutet habe werden können, daß er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befanden habe. Der Beschwerdeführer habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach zu 1) § 16 Abs. 2 lit. b StVO, zu 2) § 16 Abs. 1 lit. c StVO und zu 3) § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO begangen, weshalb über ihn Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt wurden.

Gegen diesen dem Beschwerdeführer laut Zustellschein am 4. Oktober 1990 zugestellten Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsstrafakten durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift erwogen hat:

Vorweg ist zu dem in der Beschwerde gestellten Antrag, auch das Straferkenntnis der Erstinstanz zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen, zu bemerken, daß das im Art. 131 Abs. 1 B-VG aufgestellte Erfordernis der Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges zur Folge hat, daß immer nur der Bescheid, der von der nach der gesetzlichen Ordnung des Instanzenzuges im Einzelfall in Betracht kommenden Behörde der höchsten Organisationsstufe erlassen worden ist, nicht aber ein in der Angelegenheit ergangener Bescheid einer Verwaltungsbehörde niederer Instanz, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochten werden kann, und daß gemäß § 42 Abs. 1 VwGG dem Verwaltungsgerichtshof - abgesehen von Säumnisbeschwerden - lediglich die Befugnis zusteht, entweder die Beschwerde als unbegründet abzuweisen oder den angefochtenen Bescheid aufzuheben, nicht aber etwa - wie im Gegenstande - das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

Der gegen den Beschwerdeführer erstatteten Anzeige und der damit übereinstimmenden Zeugenaussage des Meldungslegers (eines Beamten des Gendarmeriepostens Sölden) ist zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer im Zuge einer Amtshandlung, die mit ihm wegen eines von ihm durchgeführten Überholmanövers abgeführt wurde, zum Alkotest auf der Dienststelle aufgefordert wurde, den der Beschwerdeführer zunächst verweigerte. Nach einer neuerlichen Aufforderung erklärte der Beschwerdeführer, daß er auf die Dienststelle nur dann kommen und den Alkotest durchführen werde, wenn er den bei der Amtshandlung dem Straßenaufsichtsorgan ausgehändigten Führerschein sofort zurückbekomme. Hierauf wurde die Amtshandlung für beendet erklärt und dem Beschwerdeführer mitgeteilt, daß er wegen der Verweigerung des Alkotests angezeigt werde. Diese Angaben des Meldungslegers werden in der hier wesentlichen Frage auch durch die schriftliche Aussage einer vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugin bestätigt, die überdies angab, sie sei mit dem Beschwerdeführer nach der Erklärung eines "Polizisten", daß der Beschwerdeführer den Alkotest verweigert habe, zur Dienststelle gefahren, wo der Beschwerdeführer den Alkotest habe machen wollen, was ihm aber verweigert worden sei. Vom Beschwerdeführer wurde im gesamten Verwaltungsstrafverfahren, auch auf einen diesbezüglich ausdrücklichen Vorhalt der belangten Behörde hin, nie bestritten, daß er die Einwilligung zum Alkotest von der sofortigen Rückgabe des Führerscheines abhängig machte, wovon schon die Erstinstanz in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausging. Auch in der vorliegenden Beschwerde wird die Feststellung der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides, daß der Beschwerdeführer seine Einwilligung zum Alkotest davon abhängig gemacht hat, daß ihm der Führerschein wieder ausgehändigt werde, vom Beschwerdeführer nicht bekämpft, sondern hiezu lediglich auf die Angabe der vorstehend angeführten Zeugin verwiesen, die "sowohl deponiert, daß der Beschuldigte den Alkotest angeboten habe, als auch bestätigt, daß sie den ganzen Tag mit ihm zusammen war und mit 100 %iger Gewißheit beschwören könne, daß er absolut keinen Alkohol zu sich genommen habe". Schon auf Grund dieses unbestrittenen Sachverhaltes durfte die belangte Behörde, ohne daß es weiterer Ermittlungen bedurft hätte und ohne daß ihr eine Rechtswidrigkeit anzulasten ist, als erwiesen annehmen, daß vom Beschwerdeführer der Alkotest verweigert wurde, weil dem Beschwerdeführer kein Recht zustand, die Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt von der Wiederausfolgung des Führerscheines abhängig zu machen. Zutreffend wurde von der belangten Behörde dargelegt, daß die später bekundete Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Durchführung des Alkotestes nichts mehr an der Strafbarkeit der Verweigerung änderte. Daß die Alkoholisierungssymptome des Beschwerdeführers vom Meldungsleger nicht sofort am Beginn seines Einschreitens, sondern erst im Laufe der Amtshandlung festgestellt wurden, stand weder einer berechtigten Aufforderung des Beschwerdeführers zum Alkotest entgegen noch wurde der Beschwerdeführer dadurch seiner Verpflichtung, der Aufforderung Folge zu leisten, enthoben. Auf welche Ursachen aber die Symptome, die einen durch Alkohol beeinträchtigten Zustand vermuten lassen, zurückzuführen sind, ist nach § 5 Abs. 2 StVO ohne Belang.

Hinsichtlich der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO erweist sich demnach die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Hinsichtlich der Übertretungen des § 16 Abs. 2 lit. b und des § 16 Abs. 1 lit. c StVO wurden vom Beschwerdeführer zum Nachweise seiner Schuldlosigkeit vier in der Bundesrepublik Deutschland wohnhafte Zeugen angeboten. Zwei dieser Zeugen gaben eine schriftliche Stellungnahme ab. Aus der Stellungnahme der einen Zeugin könne nach der Begründung des angefochtenen Bescheides im Beschwerdefall nur wenig gewonnen werden. Aber auch der Stellungnahme der zweiten Zeugin wurde von der belangten Behörde kein Glauben geschenkt. Abgesehen davon, daß diese Aussage - so führte die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides dazu aus -, im Widerspruch zum gesamten Akteninhalt stehe, sei zu berücksichtigen gewesen, daß der als Zeuge einvernommene Gendarmeriebeamte verpflichtet gewesen sei, die Wahrheit anzugeben und nichts zu verschweigen. Im Falle einer vorsätzlichen falschen Zeugenaussage hätte er mit strafrechtlichen Sanktionen zu rechnen. Hingegen hätten die vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Auskunftspersonen mangels einer förmlichen Einvernahme vor der Behörde auch im Falle von bewußt wahrheitswidrigen Angaben keine Rechtsnachteile zu befürchten. Eine Einvernahme der angebotenen Zeugen im Rechtshilfewege sei nämlich mangels eines entsprechenden Rechtshilfeabkommens mit der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich gewesen. In der Gegenschrift bringt die belangte Behörde hiezu vor, daß der Vertrag über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen mit der Bundesrepublik Deutschland erst am 1. Oktober 1990, somit erst nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft getreten sei.

Die belangte Behörde übersieht mit diesem Vorbringen zunächst, daß der angefochtene Bescheid ungeachtet seiner Datierung erst mit der am 4. Oktober 1990 erfolgten Zustellung als erlassen gilt, sohin entgegen ihrer Ansicht erst nach dem am 1. Oktober 1990 in Kraft getretenen Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen, BGBl. Nr. 526/1990, erlassen wurde. In diesem Zusammenhang ist ferner auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juni 1991, Zl. 90/18/0091, zu verweisen, in dem sich der Verwaltungsgerichtshof damit befaßt hat, welche Ermittlungspflichten die Behörde in einem Verwaltungsstrafverfahren treffen, wenn als Entlastungszeuge eine im Ausland lebende Person namhaft gemacht wird. Er ist darin unter Bedachtnahme auf § 25 Abs. 2 VStG, wonach die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen sind wie die belastenden, zu der Auffassung gelangt, daß die Behörde in einem solchen Fall - sofern nicht ein Rechtshilfeabkommen eine andere Vorgangsweise gebietet - den Versuch wird unternehmen müssen, mit dieser Person in der Form in Verbindung zu treten, daß die Behörde an sie ein Schreiben mit dem Ersuchen um schriftliche Stellungnahme richtet, vom Ergebnis eines derartigen Ersuchens die weitere Vorgangsweise der Behörde bei Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes abhängt und eine gesetzliche Grundlage dafür, eine schriftliche Erklärung des im Ausland befindlichen Entlastungszeugen in gerichtlich oder notariell beglaubigter Form zu fordern, nicht gegeben sei. Des näheren genügt diesbezüglich ein Hinweis auf § 43 Abs. 2 VwGG.

Im Beschwerdefall war die nach dem Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen mögliche Einvernahme der vom Beschwerdeführer angebotenen vier Zeugen im Rechtshilfeweg schon deswegen geboten, weil die belangte Behörde nach der Begründung des angefochtenen Bescheides den schriftlich gemachten Äußerungen von zwei dieser Zeugen unter anderem deswegen geringere Glaubwürdigkeit als der Aussage des Meldungslegers beimaß, weil sie "mangels einer förmlichen Einvernahme vor der Behörde auch im Falle von bewußt wahrheitswidrigen Angaben keine Rechtsnachteile zu befürchten" hätten. Der Anwendung des Vertrages stand auch nicht die Bestimmung des § 51 Abs. 5 VStG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 358/1990 entgegen, derzufolge der angefochtene Bescheid als aufgehoben gilt und das Verfahren einzustellen ist, wenn eine Berufungsentscheidung nicht innerhalb eines Jahres ab Einbringung der Berufung erlassen wird, zumal diese Frist nach Lage der Akten erst am 8. Mai 1991 abgelaufen wäre.

Hinsichtlich der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Übertretungen des § 16 Abs. 2 lit. b StVO und des § 16 Abs. 1 lit. c StVO bedarf demnach der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung und wurden Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. In Ansehung dieser Übertretungen war demnach der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, wobei die Kosten nur in der beantragten Höhe zuzusprechen waren.

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