VwGH 89/08/0331

VwGH89/08/033119.3.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde der Wiener Gebietskrankenkasse in 1101 Wien, Wienerbergstraße 15-19, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 2. Oktober 1989, Zl. MA 14 - M 27/89, betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: I),

zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §5;
ASVG §58 Abs3;
ASVG §67 Abs10 idF 1986/111;
ASVG §67 Abs10 idF 1989/642;
ASVG §67 Abs10;
AVG §56;
ABGB §5;
ASVG §58 Abs3;
ASVG §67 Abs10 idF 1986/111;
ASVG §67 Abs10 idF 1989/642;
ASVG §67 Abs10;
AVG §56;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 19. Juni 1989 stellte die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse fest, daß der Mitbeteiligte als ehemaliger Geschäftsführer und nunmehriger Liquidator gemäß § 67 Abs. 10 in Verbindung mit § 83 ASVG verpflichtet sei, der Beschwerdeführerin die auf dem Beitragskonto des Beitragsschuldners prot. Firma U-GmbH rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 12. Juni 1989) im Betrag von S 122.547,71 zuzüglich Verzugszinsen seit 13. Juni 1989 in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, berechnet von S 118.432,14 binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.

Nach der Begründung seien die im angeschlossenen Rückstandsausweis vom 12. Juni 1989 ausgewiesenen Beiträge samt Nebengebühren bisher trotz Fälligkeit und Mahnung nicht entrichtet worden. Der Mitbeteiligte sei als ehemaliger Geschäftsführer und nunmehriger Liquidator zur Vertretung des Beitragsschuldners berufen. Zu den Pflichten des Geschäftsführers gehöre es, dafür zu sorgen, daß die Beiträge bei Fälligkeit entrichtet würden. Da dies schuldhaft unterblieben sei, habe die Haftung für die Beiträge samt Nebengebühren ausgesprochen werden müssen.

Gegen diesen Bescheid hat der Mitbeteiligte Einspruch erhoben.

1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 stattgegeben und ausgesprochen, daß der Mitbeteiligte nicht verpflichtet sei, die mit Bescheid der Beschwerdeführerin vorgeschriebenen Beiträge zu bezahlen.

In der Begründung wurde zunächst auf den Einspruch des Mitbeteiligten verwiesen, in dem dieser im wesentlichen vorgebracht habe, daß sich der Rückstandsausweis gegen eine Firma richte, die nicht mehr existiere, da sie mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 23. Dezember 1988 gelöscht worden sei und jede geschäftliche Tätigkeit aufgegeben habe.

In der weiteren Folge ihrer Begründung vertrat die belangte Behörde die Auffassung, daß dem Mitbeteiligten an der Nichtabfuhr von Sozialversicherungsbeiträgen kein Verschulden angelastet werden könne, da zum Zeitpunkt der Zustellung des Rückstandsausweises am 23. März 1989 das gelöschte Unternehmen längst seine geschäftliche Tätigkeit aufgegeben habe. Im gegenständlichen Fall habe es sich um einen Betrieb gehandelt, dem die beschwerdeführende Kasse die Beiträge vorschreibe. Diese würden gemäß § 58 Abs. 1 ASVG mit Ablauf des zweiten Werktages nach der Aufgabe der Beitragsvorschreibung zur Post fällig. Im Hinblick darauf, daß die vorgeschriebenen Nachtragszahlungen am 17. Februar 1989 zur Post gegeben worden seien, sei mit Ablauf des 20. Februar 1989 Fälligkeit eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt sei die Firma U-GmbH aber schon mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 23. Dezember 1988 (Eintragsdatum im Handelsgericht 2. Jänner 1989) gelöscht worden. Zu diesem Zeitpunkt habe das Unternehmen jede geschäftliche Tätigkeit aufgegeben. Wenn die Gebietskrankenkasse vorbringe, es habe sich bei den Nachträgen um Beiträge gehandelt, die infolge von Meldeverstößen vom Jänner 1985 bis Juli 1987 aufgelaufen und erst im Wege einer Nachtragsprüfung im Februar 1988 festgestellt worden seien, so sei festzuhalten, daß die Bestimmung des § 67 Abs. 10 ASVG auf ein Verschulden der zu der Vertretung juristischer Personen berufenen Personen zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge abstelle. Da die genannte Gesellschaft zum Zeitpunkt der Fälligkeit der nunmehr vorgeschriebenen Beiträge rechtlich nicht mehr existiert habe, sei eine Haftung des Mitbeteiligten zu verneinen gewesen.

1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

1.4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift erstattet.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. § 67 Abs. 10 ASVG in der Fassung der 41. Novelle, BGBl. 1986/111, hat folgenden Inhalt:

"Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haften im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge aus Verschulden des Vertreters nicht bei Fälligkeit entrichtet werden."

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 9. März 1989, G 163/88 und Folgezahlen, die Worte "zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die" in § 67 Abs. 10 ASVG als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, daß die Aufhebung mit Ablauf des 28. Februar 1990 in Kraft tritt. Da der dem Beschwerdefall zugrunde liegende Tatbestand jedoch vor der Aufhebung verwirklicht worden ist und es sich um keinen Anlaßfall handelt, ist die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Gesetzesstelle im Beschwerdefall gemäß Art. 140 Abs. 7 BVG weiterhin anzuwenden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB. die Erkenntnisse vom 13. März 1990, Zlen. 89/08/0198 und 89/08/0217 und vom 24. April 1990, Zl. 89/08/0290, und die darin jeweils zitierte Vorjudikatur) können für die Frage des Verschuldens des Vertreters an der Nichtentrichtung der Sozialversicherungsbeiträge sinngemäß die von Lehre und Rechtsprechung zu den §§ 9 und 80 der Bundesabgabenordnung (BAO) entwickelten Grundsätze herangezogen werden.

Die Haftung des Geschäftsführers gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ist dabei eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, die den Geschäftsführer deshalb trifft, weil er seine gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehenden gesetzlichen Pflichten zur rechtzeitigen Abfuhr der Sozialversicherungsbeiträge verletzt hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 13. März 1990, Zl. 89/08/0198).

Voraussetzung für die Haftung sind die Nichtentrichtung der Beiträge, die Stellung als Vertreter, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung, die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Nichtentrichtung der Beiträge und ein Rechtswidrigkeitszusammenhang (vgl. zB. für den Bereich der auch insoweit vergleichbaren abgabenrechtlichen Haftung die Erkenntnisse vom 19. Juni 1985, VwSlg. 6012/F und vom 28. Mai 1986, VwSlg. 6123/F).

Bei den Pflichten, deren Verletzung eine der Voraussetzungen für die Haftung des Vertreters ist, handelt es sich um die Pflicht zur rechtzeitigen Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge namens des Beitragschuldners, und aus dieser Verpflichtung allenfalls resultierende Nebenpflichten (vgl. dazu etwa der Erkenntnis vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0016). Es kommt dabei auf das im Zeitpunkt der Fälligkeit der jeweiligen Beiträge gesetzte Verhalten des Geschäftsführers und (gegebenenfalls) auf die dabei unterlaufene Pflichtverletzung an, wobei leichte Fahrlässigkeit bereits für die Haftung ausreicht (vgl. etwa das Erkenntnis vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0045, und die darin zitierte Vorjudikatur).

2.2. Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen übereinstimmend davon aus, daß die Fälligkeit der dem Mitbeteiligten vorgeschriebenen Beiträge erst mit der Vorschreibung durch die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse mit Ablauf des 20. Februar 1989 eintrat. Unbestritten ist, daß es sich bei der Beitragsschuldnerin (der GmbH.) um einen Betrieb handelte, bei dem der Träger der Krankenversicherung die Beiträge vorschreibt.

Während die belangte Behörde auf ein Verschulden zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge (20. Februar 1989) abstellt und im Hinblick darauf, daß die GmbH. bereits mit Bescheid des Handelsgerichtes Wien vom 23. Dezember 1988 gelöscht worden ist und jede geschäftliche Tätigkeit aufgegeben hat, ein Verschulden des Mitbeiteligten für die Nichtentrichtung der Beiträge verneint, verweist die Beschwerdeführerin auf den Umstand, daß die Beiträge für die Zeit von Jänner 1985 bis Juli 1987 deshalb erst am 17. Februar 1989 vorgeschrieben worden seien, weil der Mitbeteiligte die Meldevorschriften der §§ 33 und 34 ASVG verletzt habe. Der Meldeverstoß sei erst auf Grund einer Beitragsprüfung festgestellt worden; die Beiträge hätten daher nicht zur Zeit der ursprünglichen Fälligkeit, zu der die Beitragsschuldnerin noch über entsprechende Mittel verfügt habe, vorgeschrieben werden können. Im Sinne der abgabenrechtlichen Judikatur zu den §§ 9 und 80 ff BAO wäre der Mitbeteiligte verpflichtet gewesen, sich darüber zu infomieren, ob die den Dienstnehmern gewährten Entgelte nach den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen beitragspflichtig bzw. meldepflichtig gewesen wären. Da er dies nicht getan habe, liege eine schuldhafte Pflichtverletzung vor. Nach § 67 Abs. 10 ASVG genüge es, wenn das Verschulden des Vertreters lediglich ursächlich für das Nichtentrichten der Beiträge bei Fälligkeit gewesen sei. Nicht erforderlich sei, daß nur ein im Zeitpunkt der Fälligkeit vorliegendes Verschulden haftungsauslösend sei.

Der Mitbeteiligte vertritt in seiner Gegenschrift die Auffassung, daß die Beiträge vor ihrer Vorschreibung nicht fällig gewesen seien. Zum Zeitpunkt der Vorschreibung sei er jedoch auf Grund der vorangegangenen Liquidation des Unternehmens schuldlos nicht mehr in der Lage gewesen, die vorgeschriebenen Beiträge zu entrichten. Der Mitbeteiligte verweist auch darauf, daß es in der Vergangenheit immer wieder auf Grund von Beitragsprüfungen zu hohen Nachzahlungsvorschreibungen gekommen sei. Im Rahmen von einvernehmlichen Regelungen mit der Kasse habe es aber immer wieder erhebliche Reduzierungen der Beiträge gegeben. Ursache für die Nachzahlungen seien unter anderem Auffassungsunterschiede über den Betriebsort von nach dem Arbeitskräfteüberlassungsgesetz zur Verfügung gestellten Dienstnehmern gewesen. Eine andere, denkmögliche Rechtsauffassung als die Kasse zu haben, stelle kein schuldhaftes Verhalten eines Geschäftsführers dar.

2.3. Die Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge regelt § 58 ASVG.

Gemäß § 58 Abs. 1 ASVG in der Fassung der 41. Novelle, BGBl. 1986/111, sind die allgemeinen Beiträge am letzten Tag des Kalendermonates fällig, in den das Ende des Beitragszeitraumes fällt, sofern die Beiträge nicht gemäß Abs. 3 vom Träger der Krankenversicherung dem Beitragsschuldner vorgeschrieben werden.

Nach § 58 Abs. 3 ASVG in der Fassung der genannten Novelle hat der Beitragsschuldner die Beiträge an den zuständigen Träger der Krankenversicherung unaufgefordert einzuzahlen, sofern die Beiträge nicht von diesem dem Beitragsschuldner vorgeschrieben werden. Der Träger der Krankenversicherung kann die Beiträge in den Fällen vorschreiben, in denen dies zur Erleichterung der Beitragseinzahlung zweckmäßig erscheint.

2.4. Nach der grundsätzlichen Regelung des § 58 Abs. 1 erster Halbsatz ASVG sind die allgemeinen Beiträge am letzten Tag des Kalendermonates fällig, in den das Ende des Beitragszeitraumes fällt. Von dieser Regelung sieht der zweite Halbsatz eine Ausnahme hinsichtlich der Vorschreibungsfälle vor. Diese Beiträge sind mit Ablauf des zweiten Werktages nach der Aufgabe der Beitragsvorschreibung zur Post bzw. mit dem Zeitpunkt der Zustellung durch Organe des Trägers der Krankenversicherung fällig. Gemäß § 58 Abs. 3 ASVG kann der Träger der Krankenversicherung die Beiträge in den Fällen vorschreiben, in denen dies zur Erleichterung der Beitragseinzahlung zweckmäßig erscheint. Die Vorschreibung der Beiträge durch den Träger der Krankenversicherung gemäß § 58 Abs. 3 ASVG - wodurch es zu einem Hinausschieben der Fälligkeit kommt - setzt jedoch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes eine ordnungsgemäße Meldung des Beitragsschuldners voraus. Werden - wie im Beschwerdefall - geleistete Zahlungen vom Beitragsschuldner nicht ordnungsgemäß gemeldet, so sind die auf Grund einer Beitragsprüfung (tatsächlich) vorgeschriebenen Beiträge keine im Sinne des § 58 Abs. 3 ASVG "vorgeschriebenen" Beiträge. In diesen Fällen tritt die Fälligkeit entsprechend der grundsätzlichen Regelung des § 58 Abs. 1 erster Halbsatz ASVG ein. Für dieses Auslegungsergebnis sprechen auch die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der 41. ASVG-Novelle, BlgNR. 774 16. GP, Seite 26, die darauf verweisen, daß in den Fällen der Vorschreibung von Beiträgen eine eigene Fälligkeitsregelung getroffen wurde, da dem Beitragsschuldner die zur Beitragsentrichtung notwendigen Angaben vielfach erst nach dem Fälligkeitzeitpunkt bekanntgegeben werden.

2.5. Da die belangte Behörde auf Grund ihrer verfehlten Rechtsansicht auf das Verschulden des Mitbeteiligten im Zeitpunkt der Fälligkeit der Beitragsnachentrichtung abstellte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.6. Aus Gründen der Verfahrensökonomie verweist der Gerichtshof darauf, daß im fortgesetzten Verfahren

§ 67 Abs. 10 ASVG in der Fassung der 41. Novelle, BGBl. 1986/111, weiterhin anzuwenden sein wird (vgl. dazu die Ausführungen im Erkenntnis vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0177).

2.7. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. 1991/104, deren Art. III Abs. 2 anzuwenden war.

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