VwGH 88/08/0094

VwGH88/08/009415.12.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der A Gesellschaft m.b.H. & Co KG in O, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 20. Jänner 1988, Zl. VII/2-3474/6-1988, betreffend Beitragsnachverrechnung für Schmutzzulagen (mitbeteiligte Partei: Niederösterreichische Gebietskrankenkasse in 3100 St. Pölten,

Dr. Karl Renner-Promenade 14-16), zu Recht erkannt:

Normen

ArbVG §2;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs3 Z1;
ASVG §49 Abs3 Z11;
ASVG §49 Abs3 Z2;
ASVG §49 Abs3 Z6;
ASVG §49 Abs3;
ASVG §49 Abs4;
KollV Fleischwarenindustrie Pkt14;
VwRallg;
ArbVG §2;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs3 Z1;
ASVG §49 Abs3 Z11;
ASVG §49 Abs3 Z2;
ASVG §49 Abs3 Z6;
ASVG §49 Abs3;
ASVG §49 Abs4;
KollV Fleischwarenindustrie Pkt14;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Begehren auf Ersatz von Stempelgebühren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 30. März 1987 stellte die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse gemäß §§ 44, 49 und 58 ASVG sowie § 62 AlVG fest, daß die Nachtragsrechnungen der Gebietskrankenkasse Nr. 23 vom 11.3.1985 über S 399.635,34, Nr. 36 vom 28.3.1985 über S 273.592,05, Nr. 37 gleichen Datums über S 6.744,63, Nr. 14 vom 29.1.1987 über S 26.741,98, Nr. 15 gleichen Datums über S 158.420,52 und Nr. 16, ebenfalls gleichen Datums über S 512.387,79 zu Recht bestünden und die beschwerdeführende Partei als Dienstgeberin zur Zahlung der angeführten Beiträge verpflichtet sei. Nach der Begründung dieses Bescheides werde die den Nachtragsverrechnungen zugrundeliegende Schmutzzulage in Beachtung des § 12 des Rahmenkollektivvertrages für die Nahrungs- und Genußmittelindustrie Österreichs und des Kollektivvertrages für die Fleischwarenindustrie vom 26. Februar 1976 gezahlt. Punkt 2. des letztgenannten Kollektivvertrages sehe für Arbeiten, die im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine erhebliche Verschmutzung von Körper und Bekleidung des Arbeitnehmers zwangsläufig bewirkten, eine Schmutzzulage von mindestens 7,5 % des kollektivvertraglichen Wochenlohnes vor. Unter Bedachtnahme auf § 19 des vorerwähnten Rahmenkollektivvertrages (Schmutz- und Arbeitskleidung) sei für den Bereich der Fleischwarenindustrie noch die Beistellung und Reinigung von Arbeitsschürzen und Arbeitsjankern (Mäntel bzw. Arbeitsanzüge) durch den Arbeitgeber vereinbart. Mit Schmutzzulagen solle der Aufwand der Versicherten abgegolten werden, welcher im wesentlichen durch eine über die allgemein in Betracht kommende Verunreinigung hinausgehende Verschmutzung eintrete. Diese Überlegung sei bei der Anwendung des § 49 Abs. 3 Z. 2 ASVG auch im Falle des Vorliegens der formellen Voraussetzungen zu beachten. Der Gesetzgeber habe daher im § 49 Abs. 4 ASVG zur Vermeidung von Unklarheiten den Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger ermächtigt festzustellen, ob und inwieweit Bezüge, die in den im § 49 Abs. 3 Z. 1 lit. a bis c ASVG angeführten Regelungen vorgesehen und als Bezüge im Sinne des § 49 Abs. 3 Z. 1, 2, 6 und 11 ASVG anzusehen seien, nicht als Entgelt gemäß § 49 Abs. 1 und 3 ASVG gelten. Hinsichtlich der Fleischwarenindustrie bestehe eine derartige Feststellung bereits seit 1956, und zwar in der Form, daß die Schmutzzulage nur dann beitragsfrei zu behandeln sei, wenn die Berufskleidung nicht durch den Dienstgeber beigestellt werde. Da die beschwerdeführende Partei die Berufskleidung kostenlos beistelle (und auch für deren unentgeltliche Reinigung sorge), fehle der erforderliche Aufwand der Dienstnehmer für die Verschmutzung, was die Beitragsfreiheit der als Schmutzzulagen deklarierten Zuwendungen unter Einbeziehung der Feststellung des Hauptverbandes gemäß § 49 Abs. 4 ASVG verhindere.

Mit einem weiteren Bescheid vom 23. April 1987 stellte die mitbeteiligte Niederösterreichische Gebietskrankenkasse fest, daß auch die Nachtragsrechnung Nr. 347 vom 5. Dezember 1984 über S 832.938,71 zu Recht bestehe und die beschwerdeführende Partei zur Zahlung dieses Betrages verpflichtet sei. Nach der Begründung dieses Bescheides enthalte die Nachtragsrechnung Nr. 347 die Nachverrechnung der im Beitragszeitraum von 1979 bis 1983 (mit Ausnahme des bereits rechtskräftig erfaßten Jahres 1982) die auf die Schmutzzulagen entfallenen Beiträge.

Gegen die beiden zitierten Bescheide erhob die beschwerdeführende Partei Einspruch.

1.2. Mit Bescheid vom 20. Jänner 1988 wies der Landeshauptmann von Niederösterreich diese Einsprüche ab und bestätigte die Bescheide der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse. Nach der Begründung dieses Bescheides habe die Einspruchsbehörde die derzeitige, aktuelle Rechtslage und nicht jene Rechtslage, wie sie vor der teilweisen Aufhebung des § 49 Abs. 3 Z. 2 ASVG durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Juni 1984, Slg. Nr. 10.089, bestanden habe, anzuwenden.

Nach der Wiedergabe des § 49 Abs. 4 ASVG in der Fassung der 41. Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, heißt es in der Begründung dieses Bescheides weiter, aus einer Auskunft des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger vom 14. Juni 1984 gehe hervor, daß der Hauptverband laut Beschluß des Präsidialausschusses vom 24. September 1956 eine Feststellung im Sinne des § 49 Abs. 4 ASVG getroffen habe, deren Verlautbarung im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 2. Oktober 1956 vorgenommen worden sei. Darin sei hinsichtlich des Kollektivvertrages der Fleischwarenindustrie vom 1. Jänner 1953 die Feststellung getroffen worden, daß die Schmutzzulage gemäß Punkt XIV dieses Kollektivvertrages nicht zum Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 und 3 ASVG gehöre, wenn die Berufskleidung nicht durch den Dienstgeber beigestellt werde. Aus der Auskunft gehe in keiner Weise hervor, daß in der Zwischenzeit eine Aufhebung oder Abänderung dieser Feststellung erfolgt sei. Die Verlautbarung derselben im Amtsblatt zur Wiener Zeitung und nicht in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" habe der damaligen Gesetzeslage entsprochen. Bei der Entscheidung über die vorliegenden Einsprüche sei die zitierte Feststellung des Hauptverbandes im Sinne des § 49 Abs. 4 ASVG anzuwenden und entsprechend zu berücksichtigen.

Da die beschwerdeführende Partei die erforderlichen Arbeitsbekleidungen kostenlos beigestellt und unentgeltlich gereinigt habe, seien die Schmutzzulagen von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zu Recht als beitragspflichtiges Entgelt behandelt worden.

1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Nach der Begründung der Beschwerde wäre die Feststellung des Präsidialausschusses des Hauptverbandes vom 24. September 1956, wenn es sich um eine Verordnung handeln sollte, im Bundesgesetzblatt zu verlautbaren gewesen und nicht in der Wiener Zeitung oder in der "Sozialen Sicherheit". Eine derartige Rechtsqualität könne daher der Feststellung nicht zukommen. Es sei auch nicht denkbar, daß der Gesetzgeber den Hauptverband im § 49 Abs. 4 ASVG ermächtigt hätte, eine mit § 49 Abs. 3 Z. 2 ASVG kollidierende Feststellung zu treffen. Der Hauptverband könnte sohin nur bei unzulänglichen Formulierungen in einem Kollektivvertrag feststellen, daß trotz einer solchen bestimmte Teile der Bezüge doch nicht zum Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG gehörten.

Die "Feststellung" des Präsidialausschusses des Hauptverbandes, wonach die gegenständliche Schmutzzulage nur dann nicht zum Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 und 3 ASVG gehörte, wenn die Berufskleidung NICHT durch den Dienstgeber beigestellt werde, wäre eine Einschränkung des Begriffes der Schmutzzulage bzw. eine Umdeutung dieses Begriffes in ein Arbeitskleidungssreinigungspauschale. Zu einer derartigen Umdeutung sei der Hauptverband nicht ermächtigt, noch weniger sein Präsidialausschuß.

1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Niederösterreichische Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1.1. Der angefochtene Bescheid erfaßt Beitragszeiträume aus der Zeit vor dem Jahr 1985, aus dem Jahr 1985 und aus der Zeit nach dem 1. Jänner 1986. Im Hinblick auf die Zeitraumbezogenheit der Sozialversicherungsbeiträge ist - entgegen der unzutreffenden Auffassung der belangten Behörde, wonach "im Rahmen des gegenständlichen Einspruchsverfahrens die derzeitige, aktuelle Rechtslage zu berücksichtigen" sei - das in diesen Perioden geltende Beitragsrecht anzuwenden.

2.1.2. Strittig ist die Beitragsfreiheit kollektivvertraglich vorgesehener, von der beschwerdeführenden Partei ihren Dienstnehmern gezahlter Schmutzzulagen.

Der Beschwerdefall ist kein Anlaßfall des Gesetzesprüfungsverfahrens, in dem der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 28. Juni 1984, Slg. Nr. 10089 = ZfVB 1985/2/829, unter anderem die Wortfolge "oder kollektivvertraglicher Regelungen" im § 49 Abs. 3 Z. 2 ASVG in der Fassung der 29. Novelle, BGBl. Nr. 31/1973, als verfassungswidrig aufgehoben hat. Die Aufhebung trat mit 31. Mai 1985 in Kraft. Eine über die Anlaßfälle hinausgehende Rückwirkung der Aufhebung wurde in diesem Erkenntnis nicht ausgesprochen.

Es sind daher folgende Gesetzesfassungen anzuwenden:

Für die Zeiträume bis Ende Mai 1985 normierte § 49 Abs. 3 Z. 2 ASVG in der Fassung der 29. Novelle, BGBl. Nr. 31/1973, daß nicht als Entgelt gelten:

"2. Schmutzzulagen, wenn sie auf Grund gesetzlicher Vorschriften oder kollektivvertraglicher Regelungen gewährt werden und soweit sie von der Einkommensteuer (Lohnsteuer) befreit sind;"

Ab dem Beginn des Beitragszeitraumes Juni 1985 lautete diese Bestimmung des § 49 Abs. 3 Z. 2 ASVG in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 205, wie folgt:

"2. Schmutzzulagen, wenn sie auf Grund von Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder auf Grund von im § 68 Abs. 2 zweiter Satz des Einkommensteuergesetzes 1972 angeführten Regelungen gezahlt werden, soweit sie nach § 68 Abs. 1 oder 4 des Einkommensteuergesetzes 1972 nicht der Einkommensteuer-(Lohnsteuer-)Pflicht unterliegen;"

Beginnend mit dem Beitragszeitraum Jänner 1986 galt diese Bestimmung in der Fassung der 41. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 111/1986 (die neuerlichen Änderungen mit BGBl. Nr. 749/1988 und 660/1989 sind für den Beschwerdefall nicht mehr von Bedeutung), und hatte folgenden Wortlaut:

"2. Schmutzzulagen, wenn sie aufgrund von in Z 1 lit. a bis c angeführten Regelungen gezahlt werden, soweit sie nach § 68 Abs. 1 und 4 des Einkommensteuergesetzes 1972 nicht der Einkommensteuer(Lohnsteuer)pflicht unterliegen;"

§ 49 Abs. 4 ASVG in der Stammfassung BGBl. Nr. 189/1955 bestimmte:

"Der Hauptverband kann nach Anhörung der Interessenvertretungen der Dienstnehmer und Dienstgeber feststellen, ob und in welchem Ausmaß Bezüge, die in kollektivvertraglichen Regelungen vorgesehen und als Bezüge im Sinne des Abs. 3 Z. 1, 2, 6 oder 11 bezeichnet sind, als nicht zum Entgelt im Sinne der Abs. 1 und 3 gehörend gelten. Derartige Feststellungen sind im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" zu verlautbaren und sodann für alle Sozialversicherungsträger und Behörden verbindlich."

Mit der 29. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 31/1973, wurde die Verlautbarung statt im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" angeordnet.

Mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1986 erhielt § 49 Abs. 4 ASVG durch die 41. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, folgende Fassung (vor der neuerlichen Änderung mit BGBl. Nr. 660/1989):

"Der Hauptverband kann, wenn dies zur Wahrung einer einheitlichen Beurteilung der Beitragspflicht bzw. Beitragsfreiheit von Bezügen dient, nach Anhörung der Interessenvertretungen der Dienstnehmer und Dienstgeber feststellen, ob und inwieweit Bezüge, die in den im Abs. 3 Z 1 lit. a bis c angeführten Regelungen vorgesehen und als Bezüge im Sinne des Abs. 3 Z 1, 2, 6 oder 11 anzusehen sind, nicht als Entgelt im Sinne der Abs. 1 und 3 gelten. Die Feststellung hat auch das Ausmaß (Höchstausmaß) der Bezüge bzw. Bezugsteile zu enthalten, das nicht als Entgelt im Sinne der Abs. 1 und 3 gilt. Derartige Feststellungen sind in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" zu verlautbaren und für alle Sozialversicherungsträger und Behörden verbindlich. Die Feststellungen sind rückwirkend ab dem Wirksamkeitsbeginn der zugrundeliegenden Regelungen im Sinne des Abs. 3 Z 1 lit. a bis c vorzunehmen."

2.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bietet die Art des Zustandekommens lohngestaltender Vorschriften durch eine Vereinbarung zwischen den Interessenvertretungen der Dienstgeber und der Dienstnehmer im allgemeinen die Gewähr dafür, daß die Bezeichnung einer in der Vereinbarung festgesetzten Zulage zum Grundlohn der Zweckbestimmung dieser Zulage entspricht. Der Gesetzgeber hat aber nicht übersehen, daß bei der Vielfalt der in lohngestaltenden Vereinbarungen vorgesehenen Zulagen und Zuwendungen Zweifel auftreten könnten, ob tatsächlich in allen Fällen die Bezeichnung dieser Zulagen und Zuwendungen einen verläßlichen Schluß dahingehend zuläßt, daß allein schon auf Grund dieser Bezeichnung die Beitragsfreiheit im Sinne der in Betracht kommenden Bestimmungen des § 49 Abs. 3 Z. 1, 2, 6 oder 11 ASVG gegeben sei. Er hat daher in der Vorschrift des § 49 Abs. 4 ASVG festgesetzt, daß der Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger nach Anhörung der Interessenvertretungen der Dienstnehmer und der Dienstgeber feststellen kann, ob und in welchem Ausmaß Bezüge, die in kollektivvertraglichen Regelungen vorgesehen sind, als nicht zum Entgelt im Sinne des Abs. 1 und 3 gehörend gelten, wobei diese Feststellungen im Amtsblatt zur Wiener Zeitung zu verlautbaren und sodann für alle Versicherungsträger und Behörden verbindlich sind. Der Hauptverband kann im Grunde der Vorschrift des § 49 Abs. 4 ASVG sowohl eine positive als auch eine negative Feststellung treffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1965, Slg. NF Nr. 6729/A). Entsprechendes gilt auch für § 49 Abs. 4 ASVG in den späteren Fassungen, also sowohl für die Fassung der 29. Novelle, BGBl. Nr. 31/1973 - diese Fassung lag dem hg. Erkenntnis vom 7. Dezember 1989, Zl. 87/08/0081 = ZfVB 1990/5/2260, zugrunde - als auch für die Fassung der 41. Novelle, BGBl. Nr. 111/1986.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in den beiden zitierten Erkenntnissen weiters ausgeführt hat, steht dem Sozialversicherungsträger im Falle von kollektivvertraglich vorgesehenen und als Bezüge im Sinne des § 49 Abs. 3 Z. 1, 2, 6 oder 11 bezeichneten Bezügen - im vorliegenden Fall handelt es sich um Schmutzzulagen im Sinne der genannten Z. 2 - eine Prüfung, ob und in welchem Ausmaß die mit solchen Bezügen bezweckten Aufwandsabgeltungen dem tatsächlichen Aufwand entsprechen, nicht zu. Eine solche Prüfung kann nur generell durch den Hauptverband in Form einer verbindlichen - als Verordnung zu qualifizierenden (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juni 1962, Slg. Nr. 4207) - Feststellung nach § 49 Abs. 4 ASVG erfolgen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 1. Oktober 1958, Slg. NF Nr. 4762/A, und PUCK,

Zur Kompetenz des Hauptverbandes in Fragen des Entgeltbegriffes, Vortrag, gehalten bei der 21. Tagung der Österreichischen Gesellschaft zum Arbeits- und Sozialrecht am

20. und 21. März 1986 in Zell am See, zitiert in dem eine andere Ansicht vertretenden Beitrag von UHLENHUT, Die Kompetenz des Hauptverbandes zur Feststellung von nicht zum Entgelt gehörenden Bezügen (§ 49 Abs. 4 ASVG), Soziale Sicherheit 1987, 44, 49).

2.3. Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß die beschwerdeführende Partei ihren Dienstnehmern Schmutzzulagen nach dem Kollektivvertrag für die Fleischwarenindustrie vom 26. Februar 1976 gezahlt hat. Die Behörden des Beitragsverfahrens verneinten die Beitragsfreiheit dieser Bezüge. Sie stützten sich dabei ausdrücklich und ausschließlich auf die im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 2. Oktober 1956 verlautbarte Feststellung des Hauptverbandes nach § 49 Abs. 4 ASVG, derzufolge Schmutzzulagen nach dem Kollektivvertrag der Fleischwarenindustrie beitragspflichtig seien, wenn die Berufskleidung durch den Dienstgeber beigestellt werde.

2.3.1. Vor dem Hintergrund der im Punkt 2.2. dargestellten Rechtslage ist allein entscheidend, ob die zitierte Feststellung des Hauptverbandes aus dem Jahr 1956 dem angefochtenen Bescheid überhaupt zugrunde gelegt werden durfte. Diese Frage ist aus folgenden Überlegungen zu verneinen.

Die am 2. Oktober 1956 verlautbarte Feststellung des Hauptverbandes lautete auszugsweise:

"Feststellung gemäß § 49 Abs. 4 ASVG.

Nachstehende Bezüge, die in kollektivvertraglichen

Regelungen vorgesehen sind, gehören nicht zum Entgelt im Sinne

der Bestimmungen des § 49, Abs. 1 und 3, ASVG,

B.G.Bl.Nr. 189/1955.

...

14. Kollektivvertrag der Fleischwarenindustrie vom 1. Jänner 1953:

Überlandzulage in der Höhe von S 10,- pro Tag an Chauffeure, Mitfahrer, Monosfahrer und Kutscher gemäß Punkt IV.

Schmutzzulage gemäß Punkt XIV, wenn die Berufskleidung nicht durch den Dienstgeber beigestellt wird.

...

Diese Feststellung ist ab Beitragszeitraum Jänner 1956 wirksam und mit der Verlautbarung im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" gemäß § 49, Abs. 4, ASVG für alle Sozialversicherungsträger und Behörden verbindlich."

Diese Feststellung bezieht sich somit ausschließlich auf den Kollektivvertrag der Fleischwarenindustrie vom 1. Jänner 1953, und zwar auf die in seinem Punkt XIV vorgesehene Schmutzzulage. Damit ist der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung des Hauptverbandes eindeutig umschrieben. Unter Bezugnahme auf die konkrete Regelung des Punktes XIV des Kollektivvertrages vom 1. Jänner 1953 erfolgte die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß die dort als Schmutzzulagen bezeichneten Bezüge als nicht zum Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 und 3 ASVG gehörend gelten. Eine Deutung der Verordnung dahingehend, daß auch künftige (gleichartige oder ähnliche) kollektivvertragliche Regelungen über Schmutzzulagen in der Fleischwarenindustrie erfaßt wären, verbietet der eindeutige Verordnungswortlaut. Der gesetzliche Auftrag an den Verordnungsgeber, das "Ob" und das Ausmaß der Beitragsfreiheit von Bezügen, "die in kollektivvertraglichen Regelungen vorgesehen und als Bezüge im Sinne des Abs. 3 Z. 1, 2, 6 oder 11 bezeichnet sind", festzustellen, setzt seinem Wortlaut nach die Existenz dieser konkret zu beurteilenden kollektivvertraglichen Regelung voraus. Wie sich aus der dargestellten Rechtsprechung ergibt, ist den Sozialversicherungsträgern die Prüfung der Beitragsfreiheit und des Ausmaßes der Beitragsfreiheit von kollektivvertraglich gewährten Bezügen im Sinne des § 49 Abs. 3 Z. 1, 2, 6 oder 11 ASVG im Einzelfall verwehrt; die Beitragsfreiheit ist vielmehr bis zu einer allfälligen Feststellung des Hauptverbandes nach § 49 Abs. 4 ASVG gegeben. Mit diesem Regelungssystem stünde es im Widerspruch, die Beitragsfreiheit gleichartiger oder ähnlicher Zulagen, die erst nach künftigen Kollektivverträgen gewährt werden sollen, von vornherein generell dadurch auszuschließen, daß die Geltung einer nach § 49 Abs. 4 ASVG verlautbarten Feststellung auch für künftige Kollektivverträge angenommen würde.

Es ist daher festzuhalten, daß die im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 2. Oktober 1956 verlautbarte Feststellung, betreffend die Schmutzzulagen nach dem Kollektivvertrag der Fleischwarenindustrie vom 1. Jänner 1953, keine Anwendung auf Schmutzzulagen nach dem Kollektivvertrag für die Fleischwarenindustrie vom 26. Februar 1976 findet.

2.3.2. Die Auffassung, daß bei jeder Neufassung der kollektivvertraglichen Regelung eine neuerliche Feststellung erforderlich sei, wird auch von UHLENHUT, Soziale Sicherheit 1987, 49, für die Rechtslage ab 1986 mit dem Argument vertreten, daß die Feststellung auch das "Ausmaß (Höchstausmaß) der Bezüge bzw. Bezugsteile zu enthalten hat, das nicht als Entgelt gilt". Dies sei in der Fassung des § 49 Abs. 4 durch die 41. Novelle deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Der Autor meint aber zutreffend, daß das gleiche - wenngleich weniger deutlich - schon in der früheren Fassung des § 49 Abs. 4 ASVG zum Ausdruck gebracht gewesen sei ("... ob und in welchem Ausmaß"). Die von UHLENHUT berichtete Auffassung der Praxis, die bei vielen "alten" Feststellungen diesen strengen Standpunkt nicht immer vertreten habe, scheint noch im Punkt III der Feststellung des Hauptverbandes, Amtliche Verlautbarung Nr. 50/1989, Soziale Sicherheit 1989, 292, nachzuwirken. Es ist daher zu prüfen, ob diese Feststellung aus 1989 für den vorliegenden Beschwerdefall Relevanz hat.

Die eben zitierte Feststellung nach § 49 Abs. 4 ASVG lautet auszugsweise:

"Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger verlautbart gemäß § 49 Abs. 4 ASVG folgende Feststellung:

I. Der folgende im Kollektivvertrag für die Fleischwarenindustrie vom 26. Februar 1976 in der jeweils geltenden Fassung vorgesehene Bezug gehört nicht zum Entgelt gemäß § 49 Abs. 1 und 3 ASVG:

Schmutzzulage gemäß Z. 2 des Kollektivvertrages in der Höhe von mindestens 7,5 %, höchstens jedoch 15 % des kollektivvertraglichen Wochenlohnes.

II. Diese Feststellung gilt ab dem Beginn des Beitragszeitraumes, in den der auf die Verlautbarung in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" nächstfolgende Monatserste fällt. Sie ist gemäß § 49 Abs. 4 ASVG für alle Sozialversicherungsträger und Behörden verbindlich.

III. Die zuletzt in Geltung gestandene Feststellung von nicht zum Entgelt gehörenden Bezügen nach dem Kollektivvertrag für die Fleischwarenindustrie (Verlautbarung im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" vom 2. Oktober 1956, Nr. 229) tritt mit Wirksamkeit der neuen Feststellung außer Kraft.

..."

Wie sich aus Punkt II. dieser Feststellung Nr. 50/1989 ergibt, war diese auf die dem angefochtenen Bescheid vom 20. Jänner 1988 zugrundeliegenden Beitragszeiträume nicht anzuwenden.

Die Feststellung Nr. 50/1989 vermochte aber auch nicht zu bewirken, daß durch ihren Punkt III. die am 2. Oktober 1956 in der Wiener Zeitung verlautbarte Feststellung - deren Anwendungsbereich sich nach dem unter Punkt 2.3.2. Ausgeführten nur auf den Kollektivvertrag der Fleischwarenindustrie vom 1. Jänner 1953 erstreckte - auf den Anwendungsbereich und den Zeitraum der Geltung des Kollektivvertrages für die Fleischwarenindustrie vom 26. Februar 1976 - rückwirkend - ausgedehnt worden wäre. Eine solche rückwirkende Anordnung, für die es auch an einer gesetzlichen Ermächtigung mangeln würde, wird im Punkt III. nicht getroffen. Die Bestimmung über das Außerkrafttreten der Feststellung aus dem Jahr 1956 geht vielmehr im Hinblick darauf, daß der Kollektivvertrag aus dem Jahr 1953 bereits nicht mehr dem Rechtsbestand angehörte, ins Leere. Es kann daher im Beschwerdefall auch die Frage auf sich beruhen, ob die dynamische Verweisung auf den Kollektivvertrag "in der jeweils geltenden Fassung" zulässig ist.

2.3. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde die Verneinung der Beitragsfreiheit der auf Grund des Kollektivvertrages für die Fleischwarenindustrie vom 26. Februar 1976 von der beschwerdeführenden Partei ihren Dienstnehmern bezahlten Schmutzzulagen zu Unrecht auf die im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 2. Oktober 1956 verlautbarte Feststellung des Hauptverbandes gestützt hat. Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Ersatz der Stempelgebühren war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG nicht zuzusprechen.

2.5. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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