VwGH 88/02/0009

VwGH88/02/000928.9.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des Dr. SM in W, vertreten durch Dr. Manfred Melzer, Rechtsanwalt in Wien I, Rudolfsplatz 12, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 9. Dezember 1987, Zl. MA 70‑11/78/87/Str, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2
StVO 1960 §4 Abs1
StVO 1960 §4 Abs1 lita
StVO 1960 §4 Abs5
VStG §22 Abs1
VStG §44a lita
VStG §44a Z1 implizit
VStG §5 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1988020009.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.960,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 9. Dezember 1987 wurde der Beschwerdeführer zweier Verwaltungsübertretungen nach § 4 Abs. 5 StVO 1960 schuldig erkannt und hiefür bestraft, weil er jeweils am 24. Mai 1986 um 20.00 Uhr, und zwar einerseits in Wien 19., Probusgasse 6, und andererseits in Wien 19., Probusgasse „vor Haus 5“, als Lenker eines dem Kennzeichen nach näher bestimmten Pkws an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden ursächlich beteiligt gewesen sei und es jeweils in der Folge unterlassen habe, diesen Verkehrsunfall der nächsten Polizeidienststelle ohne unnötigen Aufschub anzuzeigen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Mai 1988 wurde den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 41 Abs.1 letzter Satz VwGG bekanntgegeben, daß die Auffassung vertreten werden könnte, hinsichtlich beider (den Gegenstand des angefochtenen Bescheides bildender) Tatvorwürfe sei Tateinheit gegeben, was dazu führen würde, daß das im § 22 Abs. 1 VStG 1950 verankerte Kumulationsprinzip nicht Anwendung finde. Gehe man nämlich vom Vorliegen einer (einzigen) Tat aus, so käme hiefür jedenfalls nur die Strafdrohung des § 4 Abs. 5 StVO 1960 in Betracht. Daß es sich aber hiebei nicht um verschiedene selbständige Taten, durch die mehrere Verwaltungsübertretungen begangen wurden, gehandelt habe, könnte zunächst damit begründet werden, daß ‑ im Hinblick darauf, daß die Beschädigungen an beiden parkenden Fahrzeugen im Zuge einer Fahrt mit dem Taxi des Beschwerdeführers zeitlich und örtlich unmittelbar hintereinander erfolgt wären ‑ lediglich ein (einziger) Verkehrsunfall ‑ das ist ein plötzliches, mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängendes Ereignis, welches zumindest einen Sachschaden zur Folge gehabt habe (vgl. u.a. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Mai 1984, Zlen. 84/03/0080, 0081, und vom 9. Oktober 1985, Zl. 85/03/0132) ‑ vorgelegen sei, welcher daher auch keine mehrfache Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Meldung im Sinne des § 4 Abs. 5 StVO 1960 ausgelöst hätte. Meine man hingegen, daß sich ‑ auf Grund der entstandenen Sachschäden an zwei verschiedenen Fahrzeugen ‑ zwei Verkehrsunfälle ereignet hätten, weshalb zwei voneinander unabhängige Verpflichtungen zur Meldung im Sinne des § 4 Abs. 5 StVO 1960 bestanden hätten, so könnte das Verhalten des Beschwerdeführers als ein sogenanntes fortgesetztes Delikt gewertet werden, worunter eine Reihe von gesetzwidrigen Einzelhandlungen, die vermöge der Gleichartigkeit der Begehungsform sowie der äußeren Begleitumstände im Rahmen eines erkennbaren zeitlichen Zusammenhanges sowie eines diesbezüglichen Gesamtkonzeptes des Täters zu einer Tateinheit zusammentreten, zu verstehen sei (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. November 1984, Zl. 84/02/0190 und die dort beispielsweise angeführte weitere Judikatur). In beiden Fällen hätte demnach der Beschwerdeführer ‑ wenn überhaupt ‑ nur einmal gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 5 StVO 1960 verstoßen; er hätte daher auch nur einmal dafür bestraft werden dürfen.

Der Beschwerdeführer, der im übrigen bei dieser Gelegenheit seine Verantwortung, „daß eine Beschädigung von Fahrzeugen von ihm am 24.5.1986 nicht verursacht wurde“, wiederholte, äußerte sich nur dahingehend, daß „bei dem von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt davon auszugehen ist, daß ein einziger Verkehrsunfall vorliegt“, dies deshalb, weil „die beschädigten Fahrzeuge versetzt gegenüberstanden und nach den Feststellungen der belangten Behörde beide Fahrzeuge beim Durchfahren in einem Zug beschädigt wurden und die einvernommenen Kinder lediglich ein Kollisionsgeräusch hörten“. Es bestehe daher auf Grund eines solchen Sachverhaltes auch keine mehrfache Verpflichtung des Schädigers zur Meldung im Sinne des § 4 Abs. 5 StVO 1960, sondern „hätte hiefür eine einzige Meldung gereicht“.

Die belangte Behörde hat sich in ihrer Äußerung primär auf den Standpunkt gestellt, daß vom Vorliegen zweier Verkehrsunfälle ausgegangen werden müsse. Es handle sich um verschiedene Unfallsorte (nämlich Wien 19., Probusgasse 5 und Wien 19., Probusgasse 6), und es seien an zwei verschiedenen Fahrzeugen Sachschäden entstanden. Außerdem seien die Unfälle „durch zwei getrennte Fahrmanöver (einmal durch zu geringen Seitenabstand zu dem am linken Fahrbahnrand abgestellten Kraftfahrzeug und einmal zu geringer Seitenabstand zu dem am rechten Fahrbahnrand abgestellten Kraftfahrzeug) verursacht worden und daher von dem Fall zu unterscheiden, wo ein einziges Fahrverhalten (beispielsweise ein abruptes Bremsmanöver) zu einer Kollision mehrerer Fahrzeuge führt“.

Die belangte Behörde hat demnach richtig erkannt, daß auch die Beschädigung mehrerer (anderer) Fahrzeuge während einer Fahrt die Annahme, es liege lediglich ein einziger Verkehrsunfall vor, nicht von vornherein ausschließt. Hiebei kommt es aber entscheidend darauf an, ob auf Grund der konkreten Verkehrssituation ‑ im Sinne der bereits genannten Begriffsbestimmung eines Verkehrsunfalles ‑ vom Vorliegen eines oder mehrerer „Ereignisse“ gesprochen werden muß. Hätte der Beschwerdeführer, unabhängig voneinander, zufolge der Einhaltung eines zu geringen Seitenabstandes zu parkenden Fahrzeugen zuerst auf der linken und dann auf der rechten Fahrbahnseite Beschädigungen zweier Fahrzeuge herbeigeführt, so wäre die belangte Behörde damit im Recht, daß es sich um zwei verschiedene „Ereignisse“ und damit auch um zwei verschiedene Verkehrsunfälle gehandelt hätte. Eine derartige Sachverhaltsannahme, die diese rechtliche Schlußfolgerung zuläßt, hat aber die belangte Behörde dem angefochtenen Bescheid nicht erkennbar zugrundegelegt. Die Begründung des angefochtenen Bescheides läßt überhaupt Feststellungen über den Unfallshergang vermissen, wobei aber die Aktenlage eher dafür spricht, daß die Beschädigungen beider parkender Fahrzeuge nicht nur in zeitlichem und örtlichem Zusammenhang miteinander erfolgt, sondern darüberhinaus auf dieselbe Ursache zurückzuführen sind. Der Beschwerdeführer weist ‑ im Hinblick auf die in der Anzeige im Akt Pst 4469‑D/86 der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Döbling, enthaltene Handskizze des Meldungslegers und die im selben Akt (im Original sowie im Akt Pst 4463‑D/86 derselben Behörde in Ablichtung) befindlichen, offenbar anläßlich der dementsprechenden Aufstellung der beiden beschädigten Fahrzeuge am Unfallsort im Zuge der Befundaufnahme durch die MA 46 am 13. März 1987 angefertigten Lichtbilder ‑ zutreffend darauf hin, daß „die beschädigten Fahrzeuge versetzt gegenüberstanden“. Berücksichtigt man weiters, daß nach dem damals erstellten (im Gutachten vom 14. April 1987 verwerteten) Befund als Restfahrbahnbreite für das Fahrzeug des Beschwerdeführers nur eine solche von 203 cm verblieb, kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß die Durchfahrt des Beschwerdeführers zwischen beiden Fahrzeugen nicht in einem Zug erfolgte, und TW nach seinen Angaben nur „einen Kracher“ hörte, weshalb eine Beschädigung beider Fahrzeuge so rasch hintereinander erfolgt sein müßte, daß sie den akustischen Eindruck einer einzigen Kollision vermittelte, so läge der Schluß nahe, daß ein einheitlicher Lenkvorgang vorlag, in dessen Verlauf der Beschwerdeführer - immer unter der Annahme, daß er tatsächlich der Täter war und beide parkenden Fahrzeuge beschädigte ‑ mit seinem Taxi Schäden an beiden Fahrzeugen verursachte. Im diesem Falle hätte es sich nicht um „zwei getrennte Fahrmanöver“, sondern vielmehr „um ein einziges Fahrverhalten“ des Beschwerdeführers (im Sinne der Äußerung der belangten Behörde) gehandelt und könnte konsequent auch nur von einem einzigen Unfallsort (im weiteren Sinne, der sich über mehrere Tatorte im Sinne des § 44 a lit. a VStG 1950 erstrecken kann und den gesamten Unfallsbereich erfaßt) die Rede sein. Bei diesem Sachverhalt läge daher aus diesem Grunde Tateinheit im Sinne des § 22 Abs. 1 VStG 1950 vor, wobei der Verpflichtung nach § 4 Abs. 5 StVO 1960 nur dann mit schuldbefreiender Wirkung entsprochen worden wäre, wenn sich der Inhalt der Meldung auf die Beschädigung beider Fahrzeuge bezogen hätte.

Sollte sich hingegen herausstellen, daß der Beschwerdeführer ursächlich doch an zwei Verkehrsunfällen beteiligt war, würde sich die Frage stellen, ob dementsprechend daraus auch eine jeweilige Verpflichtung zur Meldung gemäß § 4 Abs. 5 StVO 1960 erwachsen ist. Die belangte Behörde bejaht in ihrer Äußerung diese Frage, indem sie meint, es sei nicht ohne weiteres davon auszugehen, daß der Unterlassung der Meldung zweier Verkehrsunfälle nur ein einziger Willensentschluß zugrundeliege. Es sei denkbar, daß jemand nur einen von zwei Verkehrsunfällen der nächsten Polizeidienststelle melden wolle, „da ja auch die Motive für die Unterlassung der Meldung eines Verkehrsunfalles verschieden sein können“, wobei als solche „Motive“ beispielsweise die nachteiligen Folgen einer Meldung bezüglich der Prämie der Haftpflichtversicherung („Bonus‑Malus‑System“) und die Verschuldensfrage genannt werden. Die Argumentation der belangten Behörde, daß aus diesem Grunde die Nichtmeldung zweier Verkehrsunfälle nicht auf einem „Gesamtkonzept“ des Täters beruhen müsse, erscheint dem Verwaltungsgerichtshof überzeugend, sodaß er insofern seine im Beschluß vom 18. Mai 1988 zum Ausdruck gebrachte, vorläufige Rechtsansicht, es könne das Verhalten des Beschwerdeführers als ein sogenanntes fortgesetztes Delikt gewertet werden, nicht mehr aufrecht erhalten kann.

Da es die belangte Behörde unterlassen hat, Feststellungen darüber zu treffen, wie es zu den Beschädigungen der beiden parkenden Fahrzeuge durch das Fahrzeug des Beschwerdeführers gekommen ist, nicht gesagt werden kann, daß solche Feststellungen auf Grund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung unterblieben sind, jedoch erst auf Grund solcher Feststellungen hinreichend beurteilt werden kann, ob ein einziger oder mehrere Verkehrsunfälle (verbunden mit der Verpflichtung zur Meldung) vorlagen, und die belangte Behörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der dem Beschwerdeführer bisher nicht vorgehalten wurde und auch durch die Aktenlage nicht gedeckt ist, bedarf der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung, sodaß der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben war, ohne daß noch auf das Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen wäre.

Es soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß der Gerichtshof einen weiteren wesentlichen Verfahrensmangel darin erblickt, daß sich die belangte Behörde mit den in den Verwaltungsstrafakten aufscheinenden, einerseits kurz nach dem Unfall (den Unfällen) und andererseits am 19. September 1986 gemachten, unvollständigen und widersprüchlichen Angaben der drei Kinder, die zur Tatzeit in der Nähe des Unfallsbereiches spielten und als einzige Tatzeugen in Betracht kamen, begnügt hat. Mag auch von ihrer (an sich zulässigen) Zeugenvernehmung allenfalls wegen ihres Alters (erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides ist eines der Kinder 14 Jahre alt geworden), auf Grund dessen sie nicht unter strafrechtlicher Sanktion hätte erfolgen können, Abstand genommen worden sein, so wäre doch eine eingehendere Befragung der Kinder geboten gewesen, und zwar auch mit Rücksicht darauf, daß der Beschwerdeführer eine andere, schlüssige Version hinsichtlich seiner damals durchgeführten Fahrt gegeben hat. Der aufzuklärende Widerspruch betrifft vor allem die Frage, ob die Kinder den Unfall (die Unfälle) optisch wahrgenommen oder erst akustisch darauf aufmerksam geworden sind, wobei das von EM registrierte „Quietschen“ (ob seine Schwester auch dieses Geräusch oder, wie von TW behauptet, „einen Kracher“ gehört hat, ist unklar) ohne nähere Beschreibung nicht eindeutig als Kollisionsgeräusch bezeichnet werden könnte. Dazu kommt, daß aus ihren bisherigen Angaben auch nicht hervorgeht, auf Grund welcher konkreten Umstände sie sonst auf die Beschädigung eines bzw. sogar zweier Fahrzeuge durch das Taxi des Beschwerdeführers geschlossen haben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil ein Ersatz des Schriftsatzaufwandes nur einmal (für die Einbringung der Beschwerde) zuerkannt werden kann, in diesem bereits die Umsatzsteuer enthalten ist, die Beschwerde lediglich in zweifacher Ausfertigung einzubringen und ihr nur eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides anzuschließen war.

Wien, am 28. September 1988

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte