VwGH 85/18/0284

VwGH85/18/028419.2.1986

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Degischer und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberregierungsrat Dr. Schieferer, über die Beschwerde des KP in W, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt Dr. Margarethe Scheed‑Wiesenwasser in Wien XXII, Siebenbürgerstraße 48/11/8, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 4. März 1985, Zl. MA 70‑X/P 111/84/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960 und gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 4. März 1985, Zl. MA 70‑X/P 11/85/Str, betreffend Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2
StVO 1960 §38 Abs5
VStG §25 Abs2
VStG §44a lita
VStG §44a Z1 implizit
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1986:1985180284.X00

 

Spruch:

Die beiden angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund und die Bundeshauptstadt (Land) Wien haben dem Beschwerdeführer Aufwendungen je zur Hälfte in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 8. November 1984 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, am 13. August 1984 um 21.30 Uhr in Wien XXI, Kreuzung Floridsdorfer Brücke-Am Hubertusdamm-Floridsdorfer Hauptstraße 1. einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw gelenkt zu haben und bei Rotlicht der Verkehrslichtsignalanlage in die Kreuzung Floridsdorfer Brücke-Am Hubertusdamm eingefahren zu sein, ohne vor der dort befindlichen Haltelinie anzuhalten, 2. diesen Pkw gelenkt zu haben, ohne im Besitz einer gültigen Lenkerberechtigung der Gruppe „B“ zu sein und 3. sei an diesem Pkw keine Begutachtungsplakette angebracht gewesen. Er habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach 1. § 99 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit § 38 Abs. 5 StVO 1960, 2. § 64 Abs. 1 KFG 1967 und 3. § 36 lit. e KFG 1967 begangen; gemäß 1. § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 und 2. und 3. § 134 KFG 1967 wurden über ihn Geldstrafen (Ersatzarreststrafen) verhängt. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Tatbestand der Verwaltungsübertretungen sei aufgrund der Anzeige vom 13. August 1984 als erwiesen anzusehen. Da der Beschwerdeführer bis zum 30. Oktober 1984 keine schriftliche Stellungnahme abgegeben habe, sei das Verfahren ohne seine Anhörung durchzuführen gewesen.

In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, es sei ihm der geschilderte Sachverhalt in keiner Weise in Erinnerung und er sei auch sicher, sich zum Tatzeitpunkt wo anders aufgehalten zu haben. Die belangte Behörde vernahm daraufhin den Meldungsleger als Zeugen, welcher am 14. Jänner 1985 aussagte, er könne sich an die Amtshandlung noch erinnern. Der Angezeigte habe damals außer dem Zulassungsschein keine sonstigen Papiere bei sich gehabt. Insbesondere habe ihm der Angezeigte keinen Lichtbildausweis vorweisen können, er habe ihn aber um sein Nationale gefragt, aufgrund dessen er dann eine Meldeamtsanfrage durchgeführt habe. Die ihm genannten Daten hätten „vollinhaltlich übereingestimmt“. Soweit er sich erinnern könne, sei der Angezeigte ziemlich groß und zwar ca. 180 cm und ziemlich bullig gewesen. Er habe brünettes Haar gehabt. Ob er ihn bei einer Gegenüberstellung wieder erkennen würde, könne er nicht sagen, mit Sicherheit auf keinen Fall.

Bei seiner sodann am 15. Februar 1985 durchgeführten Vernehmung blieb der Beschwerdeführer auch nach Vorhalt der Zeugenaussage des Meldungslegers dabei, zur Tatzeit am Tatort nicht gefahren zu sein. Er könne allerdings im Moment nicht sagen, wem er zur Tatzeit den Pkw zur Lenkung überlassen habe, er müsse hiezu erst Einsicht in sein Fahrtenbuch nehmen. Der Aussage des Meldungslegers, der von ihm angehaltene Lenker sei ca. 180 cm groß gewesen, hielt der Beschwerdeführer entgegen, er sei nach den Angaben in seinem Personalausweis 190 cm groß. Sodann erklärte der Beschwerdeführer, auf einer Gegenüberstellung mit dem Meldungsleger zu bestehen.

Mit Bescheid vom 4. März 1985 bestätigte die Wiener Landesregierung das angefochtene Straferkenntnis gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in seinem Punkt 1 hinsichtlich der Strafzumessung und der Kostenentscheidung vollinhaltlich und in der Schuldfrage mit der Abänderung, daß die Tatumschreibung wie folgt zu lauten habe:

„Der Beschuldigte KF hat am 13.8.1984, um 21.30 Uhr, in Wien 21., Kreuzung Floridsdorfer Brücke-Am Hubertusdamm-Floridsdorfer Hauptstraße, als Lenker des Fahrzeuges mit dem Kennzeichen W nnn nicht vor der Haltelinie angehalten, sondern ist in die Kreuzung eingefahren, obwohl die Verkehrslichtsignalanlage ‚rotes Licht‘ zeigte.“

Der Landeshauptmann von Wien bestätigte mit Bescheid vom 4. März 1985 das angefochtene Straferkenntnis gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in seinen Punkten 2 und 3 hinsichtlich der Strafzumessung und der Kostenentscheidung vollinhaltlich und in der Schuldfrage mit der Abänderung, daß die Tatumschreibung wie folgt zu lauten habe:

„Der Beschuldigte KP hat am 13.8.1984, um 21.30 Uhr, das Fahrzeug mit dem Kennzeichen W nnn, in Wien 21., auf der Kreuzung Floridsdorfer Brücke-Am Hubertusdamm-Floridsdorfer Hauptstraße gelenkt, obwohl er nicht im Besitze einer von der Behörde erteilten Lenkerberechtigung für die Gruppe - B - war und hat 3. durch das Lenken das Fahrzeug auf einer Straße mit öffentlichen Verkehr verwendet, obwohl sich an dem Fahrzeug eine den Vorschriften des KFG 1967 entsprechende Begutachtungsplakette nicht befunden hat.“

In den hier wesentlichen Teilen der Begründung beider Bescheide wurde ausgeführt, nach den Angaben und der Aussage des Meldungslegers habe der Beschwerdeführer das verfahrensgegenständliche Fahrzeug zur Tatzeit gelenkt und dabei die ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen begangen. Der Meldungsleger habe als Zeuge ausgesagt, die bei der Anhaltung gemachten Angaben des Beschwerdeführers bezüglich seiner Identität hätten mit der eingeholten Meldeauskunft übereingestimmt. Auch wenn der Beschwerdeführer weder Führerschein noch Lichtbildausweis habe vorweisen können, so sei seine Identität mit den von ihm selbst gemachten Angaben solcherart überprüft und somit festgestellt worden. Wenn der Beschwerdeführer behaupte, nicht Lenker zur Tatzeit gewesen zu sein, so hätte er doch bekanntgeben können, wem sein Fahrzeug nach seiner Darstellung zum Lenken überlassen worden sei. Auch hätte er zumindest sagen können, wo er sich aufgehalten habe. Daß er das nicht getan habe, spreche gegen ihn. Mit der bloßen Behauptung, das Fahrzeug zur Tatzeit nicht gelenkt zu haben, habe der Beschwerdeführer die schlüssigen, widerspruchsfreien und klaren Angaben des Meldungslegers nicht entkräften können. Die Aussage des Meldungslegers, der Angezeigte sei ziemlich groß und zwar ca. 180 cm gewesen, bedeute, daß dem Meldungsleger die auffallende Körpergröße, die bei 190 cm unbestritten sei, noch in Erinnerung gewesen sei, was wiederum dafür spreche, daß es sich bei der Person des Beschwerdeführers auch um den Lenker zur Tatzeit gehandelt habe. Die Anzeige im Zusammenhalt mit der Aussage des Meldungslegers gebe sohin über die Lenkereigenschaft des Beschwerdeführers hinreichend Aufschluß. An der Lenkereigenschaft des Beschwerdeführers könne im Hinblick auf die Angaben des Meldungslegers kein Zweifel mehr bestehen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er könne sich an den im Straferkenntnis geschilderten Sachverhalt nicht mehr erinnern, sei als Schutzbehauptung anzusehen.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt in seiner Beschwerde die Unterlassung der von ihm geforderten Gegenüberstellung mit dem Meldungsleger mit Recht als Verfahrensmangel.

Im Hinblick auf den im § 45 Abs. 2 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) niedergelegten Grundsatz der freien Beweiswürdigung unterliegt zwar die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, nicht aus (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. Nr. 8619/A).

Gemäß § 25 Abs. 2 VStG 1950 sind die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden. Gegen diesen Grundsatz verstießen die belangten Behörden, indem sie die vom Beschwerdeführer begehrte Gegenüberstellung mit dem Meldungsleger - ohne jede Begründung in den angefochtenen Bescheiden - unterließen. Denn ohne gegen das Verbot einer antizipierenden Beweiswürdigung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1984, Zl. 84/03/0005, und die darin zitierte Vorjudikatur) zu verstoßen, kann entgegen den in den Gegenschriften geäußerten Ansichten der belangten Behörden nicht davon ausgegangen werden, daß dieses Beweismittel auf die Entscheidung der belangten Behörden keinerlei Einfluß haben könne. Aus der oben wiedergegebenen Aussage des Meldungslegers geht zwar hervor, daß er meint, den von ihm Angezeigten bei einer Gegenüberstellung nicht mit Sicherheit wieder zu erkennen. Das schließt aber nicht aus, daß er bei einer solchen Gegenüberstellung etwa die Identität des Beschwerdeführers mit dem von ihm angehaltenen Lenker ausschließen könnte oder daß zumindest der Grad des Wiedererkennens oder nicht Wiedererkennens durch den Meldungsleger eine brauchbare Handhabe für die sodann einsetzende Beweiswürdigung der belangten Behörde abgeben könnte. Dies umso mehr, als der Meldungsleger ja angab, sich an die Amtshandlung noch erinnern zu können und auch eine Personenbeschreibung deponierte.

Da beide belangten Behörden dies verkannten, belasteten sie die angefochtenen Bescheide mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb diese gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben waren.

Aus Gründen der Verfahrensökonomie sieht sich der Verwaltungsgerichtshof für das fortgesetzte Verfahren noch zu dem Hinweis veranlaßt, daß der Bescheid der Wiener Landesregierung vom 4. März 1985 insoweit auch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet ist, als darin entgegen der Bestimmung des § 44a lit. a VStG 1950 der Tatort nur mangelhaft bezeichnet ist. Da für die Verwirklichung der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung Voraussetzung ist, daß am Tatort eine durch entsprechende Verordnung angeordnete Haltelinie angebracht ist, ist für die Prüfung der Tatbildmäßigkeit des dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verhaltens die Kenntnis der Fahrtrichtung erforderlich, aus der er sich der gegenständlichen Kreuzung genähert hat.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243. Das Mehrbegehren auf Zuspruch von Umsatzsteuer für den Schriftsatzaufwand war abzuweisen, weil der für diesen Aufwand vorgesehene Ersatzbetrag ein pauschalierter ist.

Wien, am 19. Februar 1986

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