VwGH 83/10/0227

VwGH83/10/022730.1.1984

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Mag. Onder, Dr. Hnatek, Dr. Stoll und Dr. Zeizinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Unfried, über die Beschwerde des AB, vertreten durch C, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 29. Juni 1983, Zl. St - 46/83, betreffend Bestrafung wegen Übertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §49

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1984:1983100227.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Straferkenntnis vom 5. April 1983 erkannte die Bundespolizeidirektion Wels den Beschwerdeführer schuldig, er habe sich „am 2. 9. 1982 ab 01.45 Uhr in Wels auf der Friedhofstraße trotz Abmahnung renitent benommen, Beamte beschimpft und gegen diese mit den Fäusten eingeschlagen und mit Füßen getreten, sich daher ungeachtet vorausgegangener Abmahnung gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht, während sich diese Personen in rechtmäßiger Ausübung des Dienstes befanden, ungestüm benommen“ und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950 begangen. Gemäß Art. IX Abs. 1 leg. cit. wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 600,--, im Uneinbringlichkeitsfall Ersatzarrest in der Dauer von 3 Tagen, verhängt. Gemäß § 64 Abs. 2 VStG 1950 wurde er verpflichtet, als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens einen Betrag von S 60,-- zu bezahlen.

2. Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 29. Juni 1983 gemäß § 51 VStG 1950 und § 66 Abs. 4 AVG 1950 im Zusammenhalt mit § 24 VStG 1950 keine Folge und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis „bei als erwiesen angenommenem Tatbestand hinsichtlich Schuld und Strafe“. Als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens wurde dem Beschwerdeführer ein Betrag von S 60,-- zur Zahlung vorgeschrieben. In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe als Lenker eines Pkw auf der Fahrt zu seiner Wohnung mehrere Verkehrsübertretungen begangen, weshalb er von einem Sicherheitswachebeamten beanstandet worden sei. Daraufhin sei dieser sowie ein zweiter mittlerweile hinzugekommener Sicherheitswachebeamter vom Beschwerdeführer mit - näher bezeichneten - Schimpfwörtern angeschrieen worden. Nachdem er die Beamten zur Seite gestoßen habe, um in sein Haus zu gelangen, sei der Beschwerdeführer festgenommen worden. Er habe sich der Festnahme widersetzt, indem er auf die Beamten mit den Fäusten eingeschlagen und mit den Füßen gegen sie getreten habe. Während dieser Auseinandersetzung habe der Beschwerdeführer weiter geschrieen und die Beamten mit Schimpfwörtern belegt. Der Beschwerdeführer sei hinsichtlich seines ungestümen Benehmens abgemahnt worden, habe jedoch ungeachtet dessen weiterhin auf die Beamten geschimpft und sei gegen sie mit Händen und Füßen vorgegangen. Erst zusammen mit der Besatzung zweier Funkwagen sei es gelungen, den Beschwerdeführer zum Arrestantenwagen und in der Folge in die Polizeidirektion zu bringen. Der Beschwerdeführer - so die Begründung weiter - habe in der Berufung seine ursprüngliche Verantwortung, nicht geschimpft und geschlagen zu haben, offenbar nicht mehr aufrecht erhalten, jedoch eingewendet, nicht in einer für ihn als Abmahnung erkennbaren Weise abgemahnt worden. Während die beiden Sicherheitswachebeamten in ihrer vor Gericht abgelegten Zeugenaussage von einer Abmahnung wegen ungestümen Benehmens nichts erwähnt hätten, sei von ihnen bei ihrer Vernehmung vor der Verwaltungsbehörde sogar von mehreren Abmahnungen gesprochen worden. Hiezu sei auszuführen, daß die nochmals als Zeugen vernommenen Beamten GI M und GI R angegeben hätten, der Beschwerdeführer sei mehrmals abgemahnt worden, und zwar in der Form, daß der Erstgenannte zum Beschwerdeführer gesagt habe, er solle sein ungestümes Benehmen einstellen. Außerdem sei der Beschwerdeführer auf die Folgen der Nichtbefolgung der Abmahnung aufmerksam gemacht worden. Das Unterbleiben diesbezüglicher Angaben vor Gericht sei damit zu erklären, daß Gegenstand des gerichtlichen Strafverfahrens das Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt gewesen sei und vom Gericht eine minutiöse Schilderung des Tatgeschehens nicht verlangt worden sei. Der belangten Behörde erscheine es durchaus plausibel, daß die Abmahnungen wegen ungestümen Benehmens im gerichtlichen Strafverfahren keine Erwähnung gefunden hätten, weil das Beweisthema eben ein anderes gewesen sei. Die Einsichtnahme in den Gerichtsakt sei daher entbehrlich gewesen. Da die Beamten in ihren Aussagen jedoch nicht ausgeführt hätten, in welchen Stadien des Geschehens die einzelnen Abmahnungen erfolgt seien, gehe die belangte Behörde von der in der Anzeige geschilderten Abmahnung aus. Auf Grund der ergänzenden Aussagen der beiden Wachebeamten bestehe kein Anlaß zu der Annahme, die Abmahnung sei für den Beschwerdeführer objektiv nicht als solche zu erkennen gewesen. Auch fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, daß die Abmahnung für den Beschwerdeführer mangels Zurechnungsfähigkeit subjektiv nicht erkennbar gewesen sei. Daß das Verhalten des Beschwerdeführers vor der Abmahnung, also das schreiende Beschimpfen der Beamten und das Einschlagen auf diese mit Händen und Füßen, aggressiv und damit ungestüm gewesen ist, bedürfe keiner weiteren Begründung, ebenso, daß das nach der Abmahnung fortgesetzte gleichartige Benehmen des Beschwerdeführers gleichfalls als ungestüm zu qualifizieren gewesen sei.

3. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid in seinem Recht verletzt, bei der gegebenen Sach- und Rechtslage nicht der ihm angelasteten Übertretung schuldig erkannt und ihretwegen auch nicht bestraft zu werden. Er macht Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend und beantragt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verfahrensvorschriften bringt der Beschwerdeführer zunächst vor, daß die Abmahnung - sollte eine solche überhaupt erfolgt sein - für ihn objektiv nicht erkennbar gewesen sei. Es wäre unerläßlich gewesen, genaue Feststellungen zu der Frage zu treffen, wann, von welchem Polizisten, auf welche Art und Weise und wie oft der Beschwerdeführer angeblich abgemahnt worden sei. Da zu all diesen Punkten Feststellungen fehlten, bedürfe der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung.

1.2. Gemäß Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während sich diese Personen in rechtmäßiger Ausübung des Amtes oder Dienstes befinden, ungestüm benimmt.

Unter einem ungestümen Benehmen ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Verhalten zu verstehen, durch das die jedermann gegen das Einschreiten eines obrigkeitlichen Organes zuzubilligende Abwehr vermeintlichen Unrechts derart überschritten wird, daß diese Abwehr zufolge des Tones des Vorbringens, der zur Schau gestellten Gestik oder durch beides zusammen bereits als aggressives Verhalten gewertet werden muß (vgl. z. B. die hg. Erkenntnisse vom 16. Juni 1970, Slg. Nr. 7815/A, vom 10. Mai 1982, Zl. 10/1546/80, und vom 22. November 1982, Zl. 82/10/0131).

Da der Beschwerdeführer in seiner Berufung das ihm von der Behörde erster Instanz zur Last gelegte Verhalten nicht bestritten hatte, bestand für die belangte Behörde keine Veranlassung, Bedenken dagegen zu hegen, den Schuldspruch auf die Anzeige-und die diese bekräftigenden und ergänzenden Zeugenaussagen des GI M und des GI R zu gründen. Was die Frage der Abmahnung anlangt, so ist die belangte Behörde, wie sich der Begründung des angefochtenen Bescheides zweifelsfrei entnehmen läßt, davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer von GI M. mit der Aufforderung, sein ungestümes Benehmen einzustellen, abgemahnt worden sei. Die Behauptung der Beschwerde, es fehlten in Ansehung dieses entscheidungswesentlichen Tatbestandselementes hinreichende Feststellungen, ist demnach unzutreffend. Die belangte Behörde konnte sich bei der von ihr als erwiesen angenommenen Tatsache der erfolgten Abmahnung in rechtlich unbedenklicher Weise auf die insoweit übereinstimmenden Aussagen der als Zeugen vernommenen Polizeibeamten GI M und GI R stützen, die in dieser Hinsicht im Grundsätzlichen mit den Angaben in der Anzeige übereinstimmen. Der Umstand, daß in den beiden Zeugenaussagen von mehreren Abmahnungen, in der Anzeige indes nur davon die Rede ist, daß der Beschwerdeführer vom Meldungsleger GI M „abgemahnt wurde“, ist - abgesehen davon, daß die Darstellung in der Anzeige mehrere Abmahnungen keineswegs ausschließt - nicht entscheidungswesentlich und daher ohne Bedeutung. Daß aber eine Aufforderung mit den Worten, der Beschwerdeführer solle sein ungestümes Verhalten einstellen, als Äußerung zu qualifizieren ist, die für diesen nach den konkreten Umständen des Beschwerdefalles als Abmahnung im Sinne des Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950 erkennbar war, bedarf keiner weiteren Erörterung.

2.1. Der Beschwerdeführer behauptet ferner, er habe sich zum Zeitpunkt der Tat in einem Zustand der Unzurechnungsfähigkeit befunden, weshalb die Abmahnung für ihn auch subjektiv nicht erkennbar gewesen sei. Zur Klärung dieser Frage wäre die Beischaffung des gerichtlichen Strafaktes einschließlich des darin befindlichen polizeiärztlichen Gutachtens erforderlich gewesen. Die belangte Behörde habe sich über den diesbezüglichen Beweisantrag hinweggesetzt, was zu einer Mangelhaftigkeit der Sachverhaltsfeststellung geführt habe.

2.2. Dazu ist festzuhalten, daß sich das Vorbringen betreffend die Unzurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers zum Tatzeitpunkt, da erstmals in der Beschwerde vorgetragen, als eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige Neuerung erweist und daher gemäß § 41 Abs. 1 VwGG 1965 unbeachtlich ist. Abgesehen davon wurde - entgegen den Beschwerdeausführungen - im Verwaltungsstrafverfahren vom Beschwerdeführer die Beischaffung des Gerichtsaktes nie ausdrücklich beantragt (siehe auch unten 3.2.).

3.1. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften erblickt der Beschwerdeführer in der Nichtbeischaffung des ihn betreffenden Strafaktes des Kreisgerichtes Wels aber auch deswegen, weil sich aus diesem Akt ergebe, daß die am inkriminierten Vorfall beteiligt gewesenen Polizisten bei ihrer Aussage vor Gericht nicht angegeben hätten, der Beschwerdeführer sei wegen ungestümen Benehmens abgemahnt worden.

3.2. Wie bereits erwähnt (oben 2.2.), steht die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe ausdrücklich den Beweisantrag gestellt, die Behörde möge den genannten gerichtlichen Strafakt beischaffen, mit den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten nicht im Einklang. Weder in der Berufung vom 16. Mai 1983 noch in der Stellungnahme vom 7. März 1983 findet sich ein förmlicher Beweisantrag des vom Beschwerdeführer behaupteten Inhaltes. In der Berufung heißt es vielmehr - unter Bezugnahme auf die Ausführungen in der genannten Stellungnahme -, die Strafbehörde erster Instanz habe es unterlassen, „den von mir in meiner Stellungnahme zitierten Strafakt des KG Wels beizuschaffen ...“. Das bloße Zitieren eines Aktes kann aber einem Beweisantrag, diesen Akt beizuschaffen, nicht gleichgesetzt werden.

4.1. Nach Ansicht des Beschwerdeführers leidet der angefochtene Bescheid aber auch insofern an Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, als die Behörde erster Instanz nach Einlangen der Berufung die beiden Polizeibeamten GI M und GI R zu den Berufungsausführungen als Zeugen vernommen und den Verwaltungsstrafakt erst dann der Berufungsbehörde vorgelegt habe. Da der Erstinstanz nach Erlassung des Straferkenntnisses jegliche Zuständigkeit gefehlt habe, hätten ergänzende Sachverhaltsfeststellungen unmittelbar durch die belangte Behörde selbst oder durch die Erstbehörde über Ersuchen der belangten Behörde durchgeführt werden müssen.

4.2. Richtig ist, daß der Behörde erster Instanz im Berufungsverfahren ohne diesbezüglichen Auftrag der Rechtsmittelbehörde keine Zuständigkeit zur Vornahme von (weiteren) Ermittlungen zukommt. Dies hindert allerdings nicht, eine vor der Übermittlung der Akten (einschließlich der Berufungsschrift) an die Berufungsbehörde von der Erstinstanz aus eigenem veranlaßte und vor ihr getätigte Zeugenaussage als solche zu werten und als Beweismittel zu verwerten, vorausgesetzt es handelt sich um eine unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen (§§ 49, 50 AVG 1950) vorgenommene Vernehmung des Zeugen. Da letzteres nach der Aktenlage zutrifft, bestehen gegen eine Berücksichtigung der (neuerlichen) Zeugenaussagen der genannten Polizeibeamten vor der Erstinstanz am 19. Mai 1983 durch die belangte Behörde keine Bedenken.

5. Was die von der Beschwerde ausgeführten, als Begründungsmängel relevierten, angeblichen Widersprüche in den Aussagen der beiden Polizeibeamten anlangt, so kann dem Vorbringen, soweit es sich auf die behaupteten unterschiedlichen Angaben hinsichtlich der Anzahl der Abmahnungen in der Anzeige einerseits und in den Zeugenaussagen andererseits sowie darauf bezieht, daß die Polizeibeamten nicht angegeben hätten, mit welchen Worten und ob für den Beschwerdeführer erkennbar abgemahnt worden sei, nicht beigepflichtet werden. Insoweit genügt es, auf die oben (unter II. 1.2.) angestellten Erwägungen zu verweisen.

Schließlich kann auch dem Einwand, keiner der beiden Polizeibeamten habe anläßlich seiner Zeugenaussage vor Gericht angegeben, daß der Beschwerdeführer abgemahnt worden sei, nicht gefolgt werden. Gegenstand des strafgerichtlichen Verfahrens war der Tatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Wie sich dem § 269 StGB entnehmen läßt, ist eine „Abmahnung“ nicht Tatbildmerkmal des Vergehens „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Dem entsprechend bedurfte es vor Gericht keiner Angaben der Zeugen zur Frage der „Abmahnung“ in bezug auf den Tatbestand des ungestümen Benehmens im Sinne des Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950.

6. In Ausführung des Beschwerdegrundes inhaltlicher Rechtswidrigkeit bringt der Beschwerdeführer nochmals vor, es sei nicht erwiesen, daß er in einer für ihn objektiv erkennbaren Weise abgemahnt worden sei, und weiters, daß er sich zum Tatzeitpunkt in einem seine Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand befunden habe. Auch damit vermag der Beschwerdeführer nicht durchzudringen. Es wird diesbezüglich auf die Erwägungen unter II. 1.2. und 2.2. verwiesen.

7. Da sich die Beschwerde sohin nach jeder Richtung als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen.

8. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221.

Wien, am 30. Jänner 1984

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte