VwGH 2013/13/0007

VwGH2013/13/000726.6.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde der Cgesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Arnold Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 5. April 2012, Zl. RV/2872-W/10, RV/2873-W/10, betreffend Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 BAO und Gewerbesteuer 1987 bis 1990, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §303 Abs4;
GewStG §7 Abs6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3a;
BAO §303 Abs4;
GewStG §7 Abs6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3a;

 

Spruch:

Der Beschwerde wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass er zu lauten hat: "Die erstinstanzlichen Bescheide vom 7. Juni 1993, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Gewerbesteuer 1987 bis 1990 sowie Gewerbesteuer 1987 bis 1990, werden ersatzlos aufgehoben."

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte des angefochtenen Bescheides, der im fortgesetzten Verfahren nach dem hg. Erkenntnis vom 4. August 2010, 2006/13/0169, erging, ist vorweg auf die Darstellung in diesem Erkenntnis zu verweisen. Der beschwerdeführenden GmbH, einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, waren für den Streitzeitraum zunächst Gewerbesteuerbescheide vom 26. April 1989 (für das Jahr 1987), 12. April 1990 (für das Jahr 1988), 11. April 1991 (für das Jahr 1989) und 11. März 1992 (für das Jahr 1990) zugegangen. Im Bericht vom 26. Mai 1993 über eine bei der Beschwerdeführerin durchgeführte Buch- und Betriebsprüfung führte der Prüfer aus, die Beschwerdeführerin habe den an ihr wesentlich (im Prüfungszeitraum zu 32 bis 54 %) beteiligten Geschäftsführer Dkfm. L. "nicht auf direktem Weg" entlohnt. Er sei der Beschwerdeführerin als Dienstnehmer der B. GmbH, an der er (nur) zu 25 % beteiligt gewesen sei, von der B. GmbH zur Verfügung gestellt worden. Zum 1. September 1987 sei er aus den Diensten der B. GmbH ausgeschieden und in ein Dienstverhältnis zur neugegründeten Dkfm. L. GmbH getreten, an der er ebenfalls zu 25 % beteiligt gewesen sei. Mit Vereinbarung zwischen der Beschwerdeführerin und der Dkfm. L. GmbH vom 28. August 1987 sei diese an Stelle der B. GmbH in den Werkvertrag zwischen der Beschwerdeführerin und der B. GmbH vom 17. Oktober 1984 betreffend die Gestellung des Dkfm. L. eingetreten. Dkfm. L. habe seine Geschäftsführerfunktion daher "über" die "zwischengeschaltete" B. GmbH und in weiterer Folge "über" die Dkfm. L. GmbH wahrgenommen. In "wirtschaftlicher Betrachtungsweise" habe ihn "daher" die Beschwerdeführerin entlohnt, weshalb die von der B. GmbH und von der Dkfm. L. GmbH an Dkfm. L. für dessen Tätigkeit bei der Beschwerdeführerin bezahlten Beträge gemäß § 7 Abs. 6 Gewerbesteuergesetz 1953 dem Gewinn der Beschwerdeführerin hinzuzurechnen seien. Hiezu verwies der Prüfer auf das "aktuelle" Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. November 1992, 91/14/0180 bis 0182. Das von der Beschwerdeführerin im Zuge der Prüfung bestrittene Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme begründete er im Wesentlichen damit, dass die "Werkverträge" zwischen der Beschwerdeführerin und der B. GmbH sowie der Dkfm. L. GmbH neu hervorgekommen seien (vgl. zu all dem die wörtliche Wiedergabe in dem zitierten Erkenntnis vom 4. August 2010).

Unter Verweis auf diesen Bericht nahm das Finanzamt mit Bescheiden vom 7. Juni 1993 die Gewerbesteuerverfahren für den Streitzeitraum wieder auf und erließ neue Sachbescheide, in denen es die strittige Hinzurechnung vornahm.

Die Beschwerdeführerin hatte schon im Zuge der Prüfung im Februar 1993 ein Rechtsgutachten des Fachautors Alfred Philipp vorgelegt, das in Auseinandersetzung u.a. mit Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - aber noch ohne Erwähnung des Erkenntnisses vom 17. November 1992, das sich seinerseits nicht auf Vorjudikatur stützte - die Rechtmäßigkeit der vom Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs unabhängigen Hinzurechnung der von dritter Seite gezahlten Entgelte verneinte. Mit Schriftsatz vom 15. Juli 1993 erhob die Beschwerdeführerin Berufung gegen die Bescheide vom 7. Juni 1993, wobei sie sowohl das Fehlen der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Verfahren als auch die behauptete Rechtswidrigkeit der nun vorgenommenen Hinzurechnungen geltend machte. Zu den Wiederaufnahmen brachte sie vor, dem Finanzamt seien die den Hinzurechnungen zugrunde gelegten Tatsachen bei der Erlassung der ursprünglichen Bescheide bekannt gewesen. Die Wiederaufnahmen dienten der Durchsetzung einer geänderten rechtlichen Beurteilung im Sinne des zitierten Erkenntnisses vom November 1992.

Mit Berufungsentscheidung vom 7. November 1997 wies die Finanzlandesdirektion die Berufung in Bezug auf die Wiederaufnahmen ab, während sie ihr in Bezug auf die neuen Sachbescheide stattgab. Zu den Wiederaufnahmen wurde ausgeführt, die Höhe der von dritter Seite gezahlten Entgelte, ohne deren Kenntnis die später vorgenommene Hinzurechnung nicht möglich gewesen wäre, sei erst im Zuge der Prüfung hervorgekommen. Die in diesem Punkt von der Beschwerdeführerin und im stattgebenden Teil vom Präsidenten der Finanzlandesdirektion mit Beschwerde bekämpfte Berufungsentscheidung wurde mit hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2000, 98/13/0096, 99/13/0242, aufgehoben, weil die Finanzlandesdirektion die Wiederaufnahmen bestätigt hatte, ohne die Eignung der neu hervorgekommenen Tatsachen zur Herbeiführung im Spruch anders lautender Sachbescheide anzunehmen.

Eine daraufhin ergangene Berufungsentscheidung vom 4. April 2001, mit der die Finanzlandesdirektion die Berufung zur Gänze abwies, wurde mit Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 12. April 2002 wegen Unzuständigkeit des befassten Berufungssenates aufgehoben.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2005 wies auch die inzwischen zuständig gewordene belangte Behörde die Berufung zur Gänze als unbegründet ab, wobei sie in Bezug auf die Wiederaufnahmen - wie schon die Finanzlandesdirektion im Bescheid vom 7. November 1997 - damit argumentierte, die Höhe der Geschäftsführerbezüge sei erst im Zuge der Prüfung hervorgekommen. Diesen Berufungsbescheid hob der Verwaltungsgerichtshof mit dem eingangs erwähnten Erkenntnis vom 4. August 2010, 2006/13/0169, auf, weil sich die belangte Behörde auf einen anderen Wiederaufnahmsgrund gestützt hatte als das Finanzamt in den Bescheiden (richtig:) vom 7. Juni 1993. Nicht das Hervorkommen der Höhe der Bezüge, sondern die behauptete ursprüngliche Unkenntnis der im Bericht erwähnten "Werkverträge" zwischen der Beschwerdeführerin einerseits und der B. GmbH sowie der Dkfm. L. GmbH andererseits war diesen Bescheiden als Wiederaufnahmsgrund zugrundegelegen. Damit war, wie der Verwaltungsgerichtshof darlegte, auch der Gegenstand des Berufungsverfahrens in diesem Punkt festgelegt und der belangten Behörde die Heranziehung anderer wesentlicher Sachverhaltsmomente zur Bestätigung der Wiederaufnahmen verwehrt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 5. April 2012 wies die belangte Behörde die Berufung vom Juni 1993 erneut als unbegründet ab. Sie stellte dazu, soweit hier wesentlich, in Bezug auf die Wiederaufnahmen fest, der Werkvertrag zwischen der Beschwerdeführerin und der B. GmbH sei zwar erst im Zuge der Betriebsprüfung vorgelegt worden, die Rechtsbeziehungen zwischen der Beschwerdeführerin und der B. GmbH betreffend die Beistellung des Geschäftsführers seien dem Finanzamt aber schon seit Jahren bekannt gewesen. Keine Kenntnis habe das Finanzamt hingegen von den seit September 1987 zwischen der Beschwerdeführerin und der Dkfm. L. GmbH bestehenden Rechtsbeziehungen gehabt. Diese Rechtsbeziehungen stellten eine neue Tatsache dar, die für die vier Streitjahre eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertige. Wenn die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang geltend mache, die Dkfm. L. GmbH sei nur in den Vertrag mit der B. GmbH eingetreten, so sei dem Folgendes entgegen zu halten:

"Die im Gesetz nicht ausdrücklich geregelte Vertragsübernahme ist ein eigenes Rechtsinstitut und bewirkt, dass durch einen einheitlichen Akt nicht nur die Gesamtheit aller wechselseitigen Rechte und Pflichten übertragen wird, sondern dass der Vertragsübernehmer an die Stelle einer aus dem Schuldverhältnis ausscheidenden Partei tritt und deren gesamte vertragliche Rechtsstellung übernimmt. Unter einer Vertragsübernahme wird ein rechtsgeschäftlicher Vorgang verstanden, wo unter Zustimmung aller Beteiligten eine gesamte Vertragsstellung mit allen Rechten und Pflichten von einem Vertragspartner auf einen neuen Partner übertragen wird (vgl. VwGH 20.12.2007, Zl. 2004/16/0165).

Wenn im vorliegenden Fall infolge der Vertragsübernahme die (Dkfm. L. GmbH) in den zwischen der Bw. und der (B. GmbH) geschlossenen Werkvertrag als Gläubigerin für die von der Bw. zu entrichtenden Personalbereitstellungsentgelte eintrat(,) wurde damit eine neue Rechtsbeziehung zur (Dkfm. L. GmbH) begründet, die zugleich eine neue Tatsache darstellt, die für die Jahre 1987 bis 1990 die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigt."

Gegen diesen - auch andere Aspekte der Bekämpfung der Wiederaufnahmen durch die Beschwerdeführerin behandelnden und die Hinzurechnungen begründenden - Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ist gemäß § 303 Abs. 4 BAO - soweit hier relevant - in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Im Beschwerdefall sollte der Wiederaufnahmsgrund, auf dessen Prüfung sich das Berufungsverfahren in diesem Punkt zu beschränken hatte, im Hervorkommen der Vertragsbeziehungen ("Werkverträge") bestehen, die der Tätigkeit des Geschäftsführers Dkfm. L. zugrunde lagen. Hierüber gab es einen Werkvertrag mit der B. GmbH aus dem Jahr 1984, dessen wesentlicher Inhalt dem Finanzamt, wie von der belangten Behörde ausgeführt, bekannt war. Die neu hervorgekommene Tatsache, auf die sich die Bestätigung der Wiederaufnahmen im angefochtenen Bescheid gründet, ist der Wechsel des Vertragspartners im September 1987. Die belangte Behörde legt dar, dass die damit veränderte Vertragsbeziehung eine "neue" gewesen sei, dem angefochtenen Bescheid ist aber keine Relevanz dieser nachträglich hervorgekommenen Änderung für die Festsetzung der Gewerbesteuer entnehmbar. Dass an die Stelle der B. GmbH zu gleichen Bedingungen die Dkfm. L. GmbH trat, war keine Tatsache, deren Kenntnis einen im Spruch anders - nämlich anders als ausgehend von der Bereitstellung des Geschäftsführers durch die B. GmbH - lautenden Bescheid herbeiführen konnte.

Das fortgesetzte Verfahren hat somit ergeben, dass der den Bescheiden vom 7. Juni 1993 zugrunde gelegte Wiederaufnahmsgrund nicht vorlag, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben wäre. Der Verwaltungsgerichtshof hat gemäß § 42 Abs. 3a VwGG von der Ermächtigung Gebrauch gemacht, statt eines bloß aufhebenden Erkenntnisses eine verfahrensbeendende Entscheidung in der Sache selbst zu fällen, und daher auf ersatzlose Behebung der erstinstanzlichen Bescheide vom 7. Juni 1993 erkannt.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 47 Abs. 2 Z 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 26. Juni 2013

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