VwGH 2012/22/0123

VwGH2012/22/012320.8.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der O, vertreten durch Dr. Ferdinand Rankl, Rechtsanwalt in 4563 Micheldorf, Hauptstraße 12, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 30. März 2012, Zl. 160.639/2-III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

FrÄG 2011;
FrPolG 2005 §65b idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66 idF 2011/I/038;
FrÄG 2011;
FrPolG 2005 §65b idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66 idF 2011/I/038;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer nigerianischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei am 18. Juni 2007 unrechtmäßig in Österreich eingereist. Am selben Tag habe sie einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Über diesen Antrag sei am 27. April 2011 "zweitinstanzlich rechtskräftig negativ entschieden" und es sei die Beschwerdeführerin unter einem ausgewiesen worden.

Am 4. August 2011 habe die Beschwerdeführerin in R den österreichischen Staatsbürger K geheiratet. Gestützt auf diese Ehe habe sie am 12. August 2011 den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels eingebracht.

Die Beschwerdeführerin hätte ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 21 Abs. 1 NAG bei der örtlich zuständigen Berufungsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung über den Antrag im Ausland abwarten müssen. Die in § 21 Abs. 2 NAG enthaltenen Ausnahmen von der Auslandsantragstellung lägen nicht vor. Auch im Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung halte sich die Beschwerdeführerin immer noch - und zwar unrechtmäßig - im Bundesgebiet auf.

Die Beschwerdeführerin habe beantragt, die Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 3 NAG zuzulassen. Dies habe sie mit ihrer Ehe mit dem österreichischen Staatsbürger K und dem schon seit November 2010 bestehenden gemeinsamen Haushalt begründet.

In ihrer rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, infolge der aufrechten Ehe mit K bestünden "zweifelsfrei private bzw. familiäre Interessen". Die familiären Bindungen seien aber zu einer Zeit begründet worden, als sich die Beschwerdeführerin ihres unsicheren Aufenthaltsstatus als ehemalige Asylwerberin habe bewusst sein müssen. Im Übrigen sei nicht behauptet worden, dass sie über Kenntnisse der deutschen Sprache im in § 14 NAG vorgesehenen Ausmaß verfüge. Es seien somit die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der Einwanderungsbestimmungen höher zu werten als das private Interesse der Beschwerdeführerin an der Zulassung der Inlandsantragstellung. Dass sie nach Abschluss des Asylverfahrens unerlaubt im Bundesgebiet geblieben sei, habe sie "ausschließlich selbst zu verantworten". Die Trennung von ihrem Ehemann habe sie im öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Zuwanderungsrechts in Kauf zu nehmen.

Da dem Zusatzantrag nach § 21 Abs. 3 NAG nicht Folge zu geben sei, stehe der Bewilligung des Antrages auf Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels § 21 Abs. 1 NAG entgegen.

Im Weiteren legte die belangte Behörde noch dar, weshalb ihrer Ansicht nach der österreichische Ehemann der Beschwerdeführerin im Fall der Verweigerung der Erteilung eines Aufenthaltstitels an sie nicht de facto gezwungen sei, Österreich und das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde hat insofern die Rechtslage verkannt, als sie bei ihrer Beurteilung nach Art. 8 EMRK auch hätte berücksichtigen müssen, dass seit der mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 (FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38) geänderten und auch noch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (3. April 2012) geltenden Rechtslage infolge § 65b Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Ausweisung eines Ehegatten eines österreichischen Staatsbürgers, selbst wenn Letzterer sein ihm unionsrechtlich zustehendes Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat, nur aus den im § 66 FPG genannten Gründen zulässig ist. Insoweit gleicht der vorliegende Fall jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2012, Zl. 2012/22/0111, zu Grunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

Die belangte Behörde hat nicht geprüft, ob die Voraussetzungen des § 66 FPG erfüllt wären, und infolge Verkennung der Rechtslage auch keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die diese Prüfung ermöglicht hätten. Der angefochtene Bescheid war sohin schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Im Hinblick auf die mittlerweile erfolgte Änderung des FPG mit BGBl. I Nr. 68/2013 ist aber für das fortzusetzende Verfahren noch ergänzend festzuhalten, dass die belangte Behörde bei ihrer Prüfung auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach der familiären Bindung an einen österreichischen Ehepartner bei der Beurteilung nach Art. 8 EMRK großes Gewicht beizumessen ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom 18. Oktober 2012, mit mehrfachen Hinweisen aus der hg. Judikatur; vgl. etwa aus jüngerer Zeit auch das hg. Erkenntnis vom 17. April 2013, Zl. 2011/22/0185), Bedacht zu nehmen haben wird. In einem solchen Fall müssen nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Fremden und seines Ehepartners sowie zu den Bindungen zum Heimatstaat und zur Möglichkeit und Zumutbarkeit der Führung eines Familienlebens außerhalb Österreichs getroffen werden (vgl. das eine Ausweisung betreffende, aber insoweit auch für das Verfahren über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels relevante hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2012, Zl. 2012/22/0218).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 20. August 2013

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