Normen
StPO §61 Abs2;
VStG §51a Abs1;
StPO §61 Abs2;
VStG §51a Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird - soweit er sich auf ein Strafverfahren nach dem ASVG bezieht - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom 17. Mai 2011 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, als Dienstgeber zwei näher genannte polnische Staatsangehörige als Maler versicherungspflichtig beschäftigt zu haben, ohne diese - zumindest in der Unfallversicherung - pflichtversicherten Personen vor Arbeitsantritt beim Krankenversicherungsträger anzumelden. Er habe dadurch § 33 Abs. 1 iVm § 111 Abs. 1 Z. 1 ASVG verletzt und werde mit zwei Geldstrafen von je EUR 770,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von je 2 Tagen und 2 Stunden) bestraft.
Mit einem am 14. Juni 2011 bei der Erstbehörde eingebrachten Schriftsatz ersuchte der Beschwerdeführer um Beigebung eines Verteidigers, um gegen das genannte Straferkenntnis (sowie gegen ein weiteres Straferkenntnis der Erstbehörde vom 16. Mai 2011 betreffend eine Angelegenheit nach dem AuslBG) eine "qualifizierte Berufung einbringen zu können". Auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden Mittel von EUR 1.400,-- netto im Monat und Sorgepflichten für drei minderjährige Kinder könne er die Kosten für einen Verteidiger nicht aufbringen.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde diesen Antrag sowohl im Hinblick auf das Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen des AuslBG als auch im Hinblick auf das wegen Übertretungen des ASVG abgewiesen. § 51a Abs. 1 VStG orientiere sich an § 41 StPO (nunmehr § 61 StPO) und sei vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK zu sehen. Voraussetzung für die Bewilligung der Beigebung eines Verteidigers sei u.a., dass die Partei außerstande sei, die Kosten der Verteidigung ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhaltes zu tragen. Als notwendiger Unterhalt sei derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen habe, zu einer einfachen Lebensführung benötige. Auch unter Berücksichtigung der Sorgepflichten für drei mj. Kinder liege diese Voraussetzung bei einem monatlichen Nettoeinkommen des Beschwerdeführers in der Höhe von EUR 1.400,-- nicht vor. Bereits aus diesem Grund sei der Antrag abzuweisen.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften des angefochtenen Bescheides geltend gemacht.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde bringt vor, dem Beschwerdeführer müsste nach Aufwendung der Kosten für die notwendige Verteidigung und unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen für drei minderjährige Kinder noch der notwendige Unterhalt iSd § 51a Abs. 1 VStG, das sei jedenfalls mehr als das Existenzminimum, verbleiben. Für eine Schätzung der Verteidigungskosten könne auf Erfahrungswerte betreffend den Verfahrensaufwand sowie auf die Allgemeinen Honorarrichtlinien für Rechtsanwälte zurückgegriffen werden. Die belangte Behörde hätte zu dem Schluss kommen müssen, dass der Beschwerdeführer die Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht ohne Gefährdung des notwendigen Unterhalts tragen könnte.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:
§ 51a Abs. 1 VStG lautet:
"(1) Ist der Beschuldigte außerstande, ohne Beeinträchtigung des für ihn und Personen, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes die Kosten der Verteidigung zu tragen, so hat der unabhängige Verwaltungssenat auf Antrag des Beschuldigten zu beschließen, daß diesem ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten der Beschuldigte nicht zu tragen hat, wenn und soweit dies im Interesse der Verwaltungsrechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist."
Diese Bestimmung ist § 61 Abs. 2 StPO (früher § 41 Abs. 2 StPO) nachgebildet, ohne dessen demonstrative Aufzählung, wann die Gewährung der Verfahrenshilfe jedenfalls erforderlich ist, zu übernehmen. Als notwendiger Unterhalt iSd § 51a Abs. 1 VStG ist ein zwischen dem "notdürftigen" und dem "standesgemäßen" Unterhalt liegender anzusehen, der abstrakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbstätigen und dem "Existenzminimum" liegt und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet (vgl. die zur insoweit vergleichbaren Regelung des § 63 Abs. 1 ZPO ergangene Judikatur, angeführt in Fucik, Rechberger3, Kommentar zur ZPO, § 63 Rz 3).
§ 291a EO lautet samt Überschrift:
"Unpfändbarer Freibetrag ('Existenzminimum')
§ 291a. (1) Beschränkt pfändbare Forderungen, bei denen der sich nach § 291 ergebende Betrag (Berechnungsgrundlage) bei monatlicher Leistung den Ausgleichszulagenrichtsatz für alleinstehende Personen (§ 293 Abs. 1 lit. a ASVG) nicht übersteigt, haben dem Verpflichteten zur Gänze zu verbleiben (allgemeiner Grundbetrag).
(2) Der Betrag nach Abs. 1 erhöht sich
1. um ein Sechstel, wenn der Verpflichtete keine Leistungen nach § 290b erhält (erhöhter allgemeiner Grundbetrag),
2. um 20 % für jede Person, der der Verpflichtete gesetzlichen Unterhalt gewährt (Unterhaltsgrundbetrag); höchstens jedoch für fünf Personen.
(3) Übersteigt die Berechnungsgrundlage den sich aus Abs. 1 und 2 ergebenden Betrag, so verbleiben dem Verpflichteten neben diesem Betrag
- 1. 30 % des Mehrbetrags (allgemeiner Steigerungsbetrag) und
- 2. 10 % des Mehrbetrags für jede Person, der der Verpflichtete gesetzlichen Unterhalt gewährt; höchstens jedoch für fünf Personen (Unterhaltssteigerungsbetrag).
Der Teil der Berechnungsgrundlage, der das Vierfache des Ausgleichszulagenrichtsatzes (Höchstberechnungsgrundlage) übersteigt, ist jedenfalls zur Gänze pfändbar.
(4) Bei täglicher Leistung ist für die Ermittlung des unpfändbaren Freibetrags nach den vorhergehenden Absätzen der
30. Teil des Ausgleichszulagenrichtsatzes, bei wöchentlicher Leistung das Siebenfache des täglichen Betrags heranzuziehen.
(5) Die Grundbeträge sind auf volle Euro abzurunden; der Betrag nach Abs. 3 letzter Satz ist nach § 291 Abs. 2 zu runden."
Der unpfändbare Freibetrag ("Existenzminimum"), der einem Verpflichteten gemäß § 291a Abs. 1 EO zur Gänze zu verbleiben hat ("allgemeiner Grundbetrag"), richtet sich nach dem Ausgleichszulagenrichtsatz für alleinstehende Personen (§ 293 Abs. 1 lit. a ASVG) und beträgt im Fall des Beschwerdeführers für das Kalenderjahr 2011 (vgl. Art. 1 § 2 Z. 48 der Kundmachung BGBl. II Nr. 403/2010) EUR 793,40. Dieser Betrag ist gemäß § 291a Abs. 2 Z. 2 EO um 20 % für jede Person, der der Verpflichtete gesetzlichen Unterhalt gewährt, sohin auf EUR 1.269,44 netto monatlich zu erhöhen. Vom Mehrbetrag bis zum tatsächlichen monatlichen Nettoeinkommen von EUR 1.400,-- (hier: EUR 130,56) hat dem Beschwerdeführer gem. § 291a Abs. 3 EO zusätzlich 30% sowie 10% für jedes unterhaltsberechtigte Kind (hier: EUR 78,33) zu verbleiben. In Anbetracht eines "Existenzminimums" von sohin EUR 1.347,77 kann der Verwaltungsgerichtshof nicht finden, dass der Beschwerdeführer mit einem Einkommen von EUR 1.400,-- netto die Kosten einer Verteidigung durch einen Rechtsanwalt tragen könnte, ohne den für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalt zu beeinträchtigen.
Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 2. Mai 2012
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